Protocol of the Session on November 26, 2009

Das zeigt auch, dass eine Popularisierung des Wählens auf kommunaler Ebene dringend erforderlich war und fortgesetzt werden sollte. Insofern sollte die Hand für die 16-Jährigen ausgestreckt bleiben. Daraus ergibt sich aber in keiner Weise zwingend, dass man sie auf der Landesebene öffnen muss. Nein, im Gegenteil! Volle Bürgerrechte mit 18 und volle Bürgerpflichten mit 18 – das ist eine stimmige Übereinstimmung und ein gutes Konzept.

Hierzu gibt es auch Parallelen im bürgerlichen Recht, wo wir mit 16 eine eingeschränkte Vertragsfähigkeit haben und die volle mit 18 erreichen. Es gibt auch eine Parallele zum Führerschein. Betrachten Sie es einmal so: Mit 16 dürfen die Jugendlichen bei uns mit der 80er auf die Landstraße und mit 18 dann mit dem Porsche auf die Autobahn.

[Zuruf: Leider!]

So sollten wir es beim Wahlrecht auch halten. Das ist zumindest das Argument, das ich vorschlage. Ich denke, wir sollten Ihren Vorschlag in den dafür zuständigen Ausschüssen seriös diskutieren, habe aber meine Haltung dazu deutlich gemacht. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Danke schön, Herr Kollege Dr. Felgentreu! – Frau Seibeld hat jetzt für die CDU-Fraktion das Wort. – Bitte schön, Frau Seibeld!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Herrmann! Man hat nach Ihrer Rede so ein bisschen den Eindruck, nicht einmal die Grünen wissen so richtig, warum sie das Wahlalter von 18 auf 16 senken wollen. Wir sind da nach wie vor skeptisch.

Die Herabsetzung des Wahlalters – eine never ending story, von der vor allem die Grünen nicht ablassen können. Aber mit dem beharrlichen Festhalten an einer Herabsetzung – egal, ob auf Europa-, Bundes- oder Landesebene – wird die Forderung nicht schlüssiger und auch nicht besser.

[Beifall bei der CDU]

Denn Jugend an sich ist noch kein Wert für sich. Ich will an dieser Stelle gar nicht bestreiten, dass sich die Entwicklung von Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten verändert hat, und richtig ist auch, dass eine Altersgrenze, egal, wo sie gezogen wird, immer ein Stück weit willkürlich ist und persönliche Entwicklung immer ein Stück weit außer Acht lässt. Aber das Wahlalter von 18 Jahren knüpft – wie Herr Felgentreu schon richtig gesagt hat – an

Clara Herrmann

die Volljährigkeit an. An diese wiederum schließen sich Rechte und Pflichten an, die in einem im Wesentlichen ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Würde man nun das Wahlalter allein herausgreifen und auf 16 senken, dann würde dieses Gleichgewicht ins Ungleichgewicht geraten.

Zivilrechtlich sind Jugendliche aus guten Gründen erst mit 18 Jahren voll geschäftsfähig. Bis dahin bedarf es der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter – das dürften meistens die Eltern sein –, um einen Vertrag abzuschließen. Damit wir uns hier nicht missverstehen: Dabei handelt es sich nicht um Verträge, um Häuser, Autos oder teure Fahrräder zu kaufen, sondern, mit Ausnahme des Taschengeldparagrafen, auch um ganz alltägliche Verträge wie beispielsweise einen Vertrag, zum Arzt zu gehen, sich gegen Halsschmerzen behandeln oder sich impfen zu lassen. Das ist Jugendlichen unter 18 Jahren nur mit Zustimmung ihrer Eltern möglich. Auch Auto fahren ohne Begleitung dürfen Jugendliche in unserem Land erst ab 18.

Beidem liegt die Überzeugung zugrunde, die der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht hat, dass die Gesellschaft verpflichtet ist, Jugendliche bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres zu schützen, weil sie die Folgen ihres Handelns nicht in vollem Umfang übersehen können. Im Strafrecht geht es sogar noch weiter: Bis zum Alter von 21 Jahren geht die Gesellschaft davon aus, dass Jugendliche nicht in jedem Fall wie Erwachsene zu behandeln seien, und legt daher einen Schwerpunkt auf den Erziehungsauftrag, je nach der besonderen Entwicklung. Auch die Wehrpflicht und die Verpflichtung, als Schöffe tätig zu werden, beginnen in unserem Land erst mit 18. Sämtliche Rechte und Pflichten eines Staatsbürgers sind somit an das Erreichen der Volljährigkeit angeknüpft. Dieses im Wesentlichen ausgewogene Gefüge würde man, wenn man dem Antrag der Grünen folgte, auseinanderreißen.

[Beifall bei der CDU]

Und warum? Gehen die Grünen wirklich davon aus, dass mit Halsschmerzen zum Arzt zu gehen mehr Verantwortungsbewusstsein erfordert, als ein Landesparlament zu wählen? Die Rosinentheorie führt hier nicht weiter. Sich aus allem das Beste heraussuchen und sich bei den Pflichten des Staatsbürgers auf die noch nicht erreichte Volljährigkeit zurückziehen – das wird es mit uns nicht geben.

[Beifall bei der CDU]

Auch das Argument verfängt nicht, dass die Interessen Jugendlicher derzeit schlecht vertreten würden, denn man darf annehmen, dass sich ein Großteil der Eltern bei seiner Wahlentscheidung durchaus überlegt, was auch im Interesse ihrer Kinder gut und richtig sein könnte.

Es ist gut und richtig, dass Jugendliche sich politisch engagieren möchten. Hierzu aber steht ihnen die Tür offen: in Vereinen, Bürgerinitiativen, in ehrenamtlicher Tätigkeit, in den Schulen und nicht zuletzt in den Jugendorganisationen der Parteien. Nur weil die Mitgliedszahlen bei den Jungen Grünen nicht so ausgeprägt sind, heißt das

nicht, dass es keine Interesse der Jugendlichen gibt, wie der Zuspruch bei der Jungen Union und den Jusos deutlich zeigt. Auch die seit Jahren durchgeführten U-18Wahlen bieten Jugendlichen eine gute Möglichkeit, sich politisch zu engagieren.

Die Grünen sind in ihren beiden Anträgen ein Argument dafür schuldig geblieben, warum das Wahlalter von der Volljährigkeit abgekoppelt werden soll. Würden wir an dieser Stelle wie die Grünen Klientelpolitik betreiben, müssten wir dem Antrag sogar zustimmen, denn bei den letzten Bundestagswahlen hat die CDU bei den 18- bis 21-jährigen Wählern mit Abstand am besten abgeschnitten und deutlich zugelegt.

[Beifall bei der CDU]

Aber wir sind, auch in Anbetracht dessen, nach wie vor der Auffassung, dass eine Herabsetzung des Wahlalters auf Landesebene falsch wäre. – Danke schön!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Frau Kollegin Seibeld! – Herr Lux hat eine Intervention. – Sie haben doch schon eine gemacht, Herr Lux!

Aber nicht zu diesem Tagesordnungspunkt! Darf ich jetzt?

Selbstverständlich!

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte nicht ohne das ausdrückliche Einverständnis des Präsidenten hier reden. – Nun zur Sache: Frau Seibeld! Ihr Vortrag über die Geschäftsfähigkeit und über das Alltagsleben entbehrt wirklich jedes Realitätsverständnisses. Sie wissen ganz genau, wie das ist: dass ein 15-Jähriger sich behandeln lässt, einkaufen geht und am Geschäftsleben teilhat – manchmal rasanter als viele ältere Leute. Sie stellen hier eine künstliche Hürde bei 18 auf, die nicht zum Beispiel dem Wahlrecht mit 16 für die Bezirksverordnetenversammlungen entspricht, und Ihre Begründung war wirklich abenteuerlich.

Sie wollen die Strafmündigkeit von 14 auf 12 senken, auch die Religionsmündigkeit mit 14 – all das sind Fragen, die ein Einschätzungsvermögen von Jugendlichen in diesem Leben einfordern, das auch – ganz genauso wie eine Wahlentscheidung – möglich ist und auf das Jugendliche ein Recht haben, weil sie von unseren Entscheidungen betroffen sind. Sie haben gemeint, die Eltern würden das schon irgendwie auffangen. Aber das würde auch dafür sprechen, dass man erst ab 25 oder 30 wählen lässt,

Cornelia Seibeld

denn dann haben die jungen Leute ja auch noch Eltern, die ihre Interessen wahren können. Mit dieser Argumentation aber kommen wir nicht weiter. Sie wissen ganz genau, wie sehr unsere Entscheidungen hier – Kinderschutz, Klimaschutz, Haushalt und so weiter – die Interessen der kommenden Generationen, aber auch der jetzigen Jugendlichen betreffen.

Dann kann es doch nur konsequent sein, dass wir sagen: zwei Jahre weniger. Bremen macht es vor, und ich denke, wir sollten diesen Schritt nicht verpassen.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! – Frau Seibeld, möchten Sie replizieren? – Das ist nicht der Fall. Dann hat Frau Weiß für die Linksfraktion das Wort. – Bitte schön, Frau Weiß!

Her Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche, es kurz zu machen. Ich glaube, dass die Haltung meiner Partei zu diesem Antrag eindeutig ist, merke aber, dass wir innerhalb der Koalition dazu noch Gesprächsbedarf haben. Dem werden wir in den Ausschüssen nachkommen.

[Andreas Gram (CDU): Schon wieder ein Konflikt!]

Nein, Konflikte haben wir nicht, wir haben immer nur Diskussionspotenzial. Ich gehe davon aus, dass auch wir hier, ähnlich wie in Bremen, solche Vorstöße künftig gemeinsam tragen werden. Ich glaube, wir schaffen es auch, Herrn Felgentreu an dieser Stelle zu überzeugen.

[Beifall bei den Grünen – Andreas Gram (CDU): Na, na, na!]

Ähnliche Initiativen hat es bereits in der letzten Wahlperiode von uns gegeben, nur fehlte auch damals die Zweidrittelmehrheit, denn anders als in Bremen müssen wir unsere Landesverfassung ändern und nicht nur das Landeswahlgesetz. Aber die Tatsache, dass heute gleich so viele Anträge zur Verfassungsänderung diskutiert werden, lässt mich hoffen, dass wir uns in dieser Frage einig werden.

[Beifall bei den Grünen]

Jetzt mache ich mir langsam Sorgen, wenn das Klatschen immer aus den anderen Reihen kommt.

Ich möchte grundsätzlich meine Redezeit dafür nutzen, etwas zum Thema Diskriminierung durch fehlendes Wahlrecht zu sagen.

[Andreas Gram (CDU): Ja, das ist auch wirklich ein Hauptproblem in diesem Land!]

Unser Wahlrecht schließt bekanntlich viele Gruppen aus. In Zeiten des demografischen Wandels werden Kinder und Jugendliche ausgeschlossen, aber auch langjährig hier

lebende Nichtdeutsche, die gerade in einer Stadt wie Berlin das Leben deutlich gestalten, dürfen nicht wählen. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb ist dieses dicke Brett, das wir hier im Parlament und auf Bundesebene bohren werden, Bestandteil unseres Integrationskonzeptes.

[Andreas Gram (CDU): Ja, ja!]

Für beide Fallgruppen – also sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Nichtdeutschen – gab es in diesem Parlament schon Initiativen auch meiner Fraktion, die aber immer an der fehlenden Zweidrittelmehrheit – also an der CDU, mal im Abgeordnetenhaus, mal im Bundesrat – scheiterten. Vielleicht aber lösen hier die Vorstöße verschiedener Landesparlamente – Bremen hat es vorgemacht – mit rot-rot-grüner Mehrheit einen gewissen Rutsch im Bundesgebiet aus, der den öffentlichen Druck auf die CDU in diesem Punkt erhöht, damit wir künftig an dieser Stelle gemeinsam agieren können. Am Tag, an dem das Abgeordnetenhaus das Thema Kinderrechte diskutiert, sollte von hier ein klares Signal für eine kinder- und jugendfreundliche parlamentarische Demokratie ausgehen.

Noch ein jugendpolitischer Hinweis zur Debatte über die politische Reife. Die Frage politischer Reife ist in erster Linie eine von demokratischer Kultur und nicht von Alter. Ich kenne 14-Jährige, die Antikriegsdemos organisieren oder kreativ mit eigenen Veranstaltungen und Schulungen rechtsextreme Jugendkultur bekämpfen.

[Zuruf von Andreas Gram (CDU)]

In dem von mir selbst mit aufgebauten Jugendgremien in Lichtenberg, einer Jugendjury zum Beispiel, sitzen 12Jährige, die mit einem enormem Weitblick und Gerechtigkeitssinn über Finanzmittel für Projekte entscheiden. Alle, die in diesem Jahr an den Veranstaltungen zur U-18Wahl teilgenommen haben, werden den unter 18-Jährigen sicher nicht Politikreife absprechen. Das sind im Übrigen auch keine Ausnahmefälle. All diese Menschen haben mir vor allen Dingen eines gezeigt: Wer über politische Reife diskutiert, muss als erstes die Angebote und Strukturen schaffen, die politische Reife erfordern, damit politische Reife für junge Menschen eine selbstverständliche, erstrebenswerte und besonders erreichbare Eigenschaft wird.

Wer junge politische Menschen haben will, muss Politik für sie verständlich und anfassbar machen, nicht nur in der Schule, sondern auch durch die Möglichkeit der Beteiligung im Wohnumfeld und in jugendspezifischen Angelegenheiten. Das gilt selbstverständlich über Wahlen und Abstimmungen hinaus. Das ist eine hehre Aufgabe, das sehe ich durchaus ein. Aber hier müssen vor allem wir Parlamentarier zum Beispiel auf dem Jugendforum und in anderen Gremien, wo wir mit jungen Menschen in Kontakt kommen, noch sehr viel leisten. Da beweisen wir dann endlich politische Reife. Dann wäre die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre vielleicht bald nur ein erster kleiner Schritt auf einem langen Weg der Demokratisierung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Benedikt Lux