Protocol of the Session on September 10, 2009

Meine Damen und Herren! Ich gebe Ihnen bekannt, dass sich die Fraktionsvorsitzenden auf eine zweite Rederunde verständigt haben. Das gilt zuzüglich der Restlaufzeiten. – Das Wort für die Grünen hat nun Frau Hämmerling. – Sie haben noch zwei Minuten Restlaufzeit und zusätzliche fünf Minuten.

Das klingt irgendwie nach Atomkraft, aber in dem Fall gefällt es mir. – Frau Junge-Reyer! Sie haben recht: Die S-Bahn war mein Lieblingsverkehrsmittel. Wir haben

aber gegen diesen S-Bahnvertrag gestimmt, denn es war ein schlechter Vertrag.

[Beifall bei den Grünen]

Heute ist die S-Bahn nicht mehr mein Lieblingsverkehrsmittel. Die S-Bahn ist außer Kontrolle. Meine Damen und Herren Senatoren, Herr Wowereit! Es ist ganz klar, dass der Börsengang die Ursache dafür ist. Das bestreitet keiner. Aber als Sie den Vertrag im Jahr 2004 geschlossen haben, wussten Sie, dass die Bahn an die Börse geht. Sie hatten das Bild der Privatisierung in England vor Augen. Deshalb war es notwendig, einen ganz strengen Vertrag zu schließen. Hätten Sie einen Vertrag geschlossen, bei dem die Gewinne die Strafen nicht überschreiten können, hätten wir das Problem nicht, über das wir heute diskutieren.

[Beifall bei den Grünen]

Mit Ihrem Vertrag war es der S-Bahn möglich, in zwei Jahren Gewinne in Höhe von 90 Millionen Euro einzufahren, obwohl sie die Leistung nicht erbringt. Das ist das Ergebnis dieses Vertrags. Es gibt keine ernsthaften Sanktionsmöglichkeiten und keine Chance, von den 90 Millionen Euro etwas zurückzubekommen. Das Land Berlin zahlt Jahr für Jahr 230 Millionen Euro, und die Bahn plant eine lineare Gewinnleiste von erst 34 Millionen Euro, dann 56; in diesem Jahr sollten es 87 Millionen Euro sein und im nächsten 125. Genau das in Verbindung mit einem Vertrag, der keine Sanktionen zulässt, hat uns jetzt den Super-GAU beschert.

[Beifall bei den Grünen]

Winterchaos, Herbstchaos, Sommerchaos! Die „Bröselbahn“ fährt mit kaputten Bodenblechen, mit kaputten Rädern und kaputten Bremsen.

In eine S-Bahn passen 1 200 Menschen. Was muss noch passieren, bis Sie den Vertrag kündigen?

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Frank Steffel (CDU)]

Schon vor zwei Jahren war die S-Bahn bundesweit das Schlusslicht beim Service und der Zuverlässigkeit. Das ist Ihre persönliche Verantwortung, Frau Senatorin: Sie haben, obwohl Sie es besser wussten, im Jahr 2007 auf die Ausschreibung von Teilstrecken verzichtet. Sie haben gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen – angeblich, weil die Bahn bei den Trassenpreisen nachgegeben hat. Letzte Woche habe ich gehört, dass die Bahn die Trassenpreise verdoppeln will. – Schönen Dank! Das ist wirklich ein guter Vertrag. Leidtragende sind das Land Berlin und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Wie kann man bloß so naiv sein?

[Beifall bei den Grünen]

Es ist ganz klar: In dem Umfang, in dem die Zuwendungen des Landes Berlin direkt als Gewinn abgeführt werden, sind die branchenüblichen sieben Prozent Gewinn überschritten. Damit ist der Vertrag EU-rechtswidrig. Außerdem verstößt er gegen das Beihilferecht. Wir werden nicht zusehen, wie der Senat Hunderte Millionen

Euro zum Fenster rauswirft. Seien Sie sicher: Wir werden dafür sorgen, dass dieser rechtswidrige Vertrag beendet und neu ausgeschrieben wird. Wir wollen die S-Bahnmillionen zurück. Dafür wird auch die Europäische Kommission sorgen.

[Beifall bei den Grünen]

Spätestens nach dem Winterchaos war klar, wie es um die S-Bahn bestellt ist. Deswegen haben wir bereits im März Anträge zur Kündigung und Fahrgastentschädigung gestellt. Frau Matuschek meinte in ihrer unnachahmlichen Art: Das ist ja ein Ding. Alles ist auf einem guten Weg. Ihr habt wieder nichts verstanden.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Habt ihr auch nicht!]

Es ist alles in Ordnung. – Bei einer solchen Realitätsverweigerung fehlen einem die Worte. Wer damals nicht erkennen konnte, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die S-Bahn völlig aus dem Gleis gerät, hat sich verkehrspolitisch disqualifiziert.

[Beifall bei den Grünen]

Frau Junge-Reyer! Als es in diesem Sommer den SuperGAU gab und das EBA drei Viertel der Flotte wegen Sicherheitsmängeln stillgelegt hat, haben Sie keine Konsequenzen gezogen. Sie haben nicht einmal erklärt, dass Sie eine Ausschreibung vorbereiten. Sie wollten erst in der nächsten Legislaturperiode entscheiden, ob ab dem Jahr 2017 – so lange gilt dieser Vertrag nämlich noch – ausgeschrieben wird. Sie haben auf die Lügen von Herrn Homburg vertraut, der bis heute vertuscht und bis heute beschönigt. Ihr Gesprächspartner Homburg, der vorgebliche Obersanierer der S-Bahn und S-Bahn Aufsichtsrat Ulrich Homburg hat als Hauptvertreter der Deutschen Bahn im Vorstand Personenverkehr diese knallharten Sparvorgaben ausgeheckt, und er hat seinen Adlatus Heinemann an die Spitze der S-Bahn gesetzt, um diese Sparvorgaben hier in Berlin, an unserer S-Bahn zu exekutieren.

Bis heute hat Homburg keinen Hinweis darauf geliefert, dass er die Ursachen für das anhaltende Desaster beseitigen will. Bis heute gibt es keine Zusagen für mehr Personal, für mehr Züge und für mehr Werkstattkapazität. Genau das ist der zentrale Punkt! Ohne mehr Züge, ohne mehr Personal und ohne mehr Werkstattkapazitäten wird dieses S-Bahn-Chaos uns auf Jahre erhalten bleiben!

[Beifall bei den Grünen]

Ohne diese Grundsatzentscheidung gibt es keinen zuverlässigen S-Bahn-Verkehr. Herr Homburg ist nicht bereit, diese Grundsatzentscheidung zu treffen. Glauben Sie nicht, dass der Brandstifter irgendwann einmal das Feuer löscht! Herr Homburg und seine Sparvorgaben, die müssen weg!

[Beifall bei den Grünen]

Aber das verlangt eben auch einen Regierenden Bürgermeister und keinen nicht einmal reagierenden Bürgermeister. Ein Regierender Bürgermeister muss über die SPD-Aufsichtsräte in der Deutschen Bahn Einfluss neh

men. Er muss im Bundesrat gegen diesen Bahnkurs mobilisieren! Im Moment ist nicht erkennbar, was der Senat überhaupt macht.

[Zurufe von der SPD: Zuhören!]

Regieren tut er jedenfalls nicht. Er fordert, er fordert, er fordert. Regieren ist etwas Anderes!

Ich hatte es vorhin bereits erwähnt: Sie sagten im Sommer zu der Forderung, dass ausgeschrieben werden soll, Sie wollten der Bahn nicht schaden. Sie haben nicht an Berlin gedacht! Wer so denkt, dem darf man keinen Landeshaushalt anvertrauen!

[Beifall von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne) und Volker Ratzmann (Grüne)]

Jetzt geben Sie den Betroffenheitsaugust und erklären den Fahrgästen Ihr Mitgefühl. Sie schieben die Verantwortung allein auf die Bahn und den Börsengang. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen! Sie sind mitverantwortlich für den entstandenen Imageschaden und wirtschaftlichen Schaden und für die Gefährdung der Sicherheit der Berliner S-Bahn-Fahrgäste!

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Wie bitte?]

Die Berliner und Berlinerinnen erwarten zu Recht, dass Sie für den reibungslosen und sicheren S-Bahn-Verkehr sorgen. Übernehmen Sie diese Verantwortung! Es ist Zeit, nicht nur Züge, sondern auch Politiker stillzulegen. Wir hoffen, dass Sie unserem Antrag zustimmen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Gaebler das Wort. Alle anderen haben danach jeweils fünf Minuten. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Hämmerling! Das Bedauerliche bei Ihnen ist, dass Sie zwar viel erzählen, aber wenig zuhören. Hätten Sie den beiden Vorträgen der Senatsvertreter hier zugehört, dann hätten Sie sich eigentlich die Hälfte Ihres Redebeitrages sparen können. Sie haben schlicht Lügen erzählt,

[Zuruf von Claudia Hämmerling (Grüne)]

Sie haben Behauptungen aufgestellt, die durch nichts unterlegt sind.

[Oi, oi! von der CDU]

Sie haben vor allen Dingen die Antworten, die bereits gegeben worden waren, nicht gehört und wahrgenommen.

[Na, na! von den Grünen]

Das ist wirklich schade und traurig! Ich hätte von den Grünen mehr erwartet.

[Beifall von der SPD – Och! von den Grünen]

Ja, gerade eine Partei mit so einem hohen moralischen Anspruch sollte auch mal zuhören, wenn man eine Debatte führt.

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

Deshalb würde ich Sie bitten, mir jetzt auch einmal zuzuhören, Herr Esser, und vielleicht erst hinterher zu schreien.

[Zurufe von den Grünen]

Zu der Legende vom schlechten Vertrag: Sie behaupten, der Vertrag enthalte keine Sicherheits- und Servicestandards und keine Sanktionsmöglichkeiten. Abgesehen davon, dass Sie ihn ja angeblich nicht kennen, kann ich Ihnen sagen, dass das falsch ist. Der Vertrag hat klare Qualitätskriterien, zu denen Pünktlichkeit, Sicherheit und Sauberkeit selbstverständlich zählen. Sonst könnte es ja auch keine Abzüge wegen Qualitätsmängeln geben! Schon aus dieser Logik sehen Sie, dass das, was Sie hier erzählen, schlicht und einfach falsch ist.

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]