Protocol of the Session on June 25, 2009

Die CDU und die FDP kann ich nur auffordern: Wenn Sie es ernst nehmen mit der Gleichstellung, dann stimmen Sie heute mit uns für diesen Antrag! Ich glaube, das wäre ein gutes Zeichen, auch in Richtung der anderen Bundesländer, die sich mit diesem Thema auch noch auseinanderzusetzen haben, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Kollege Steuer ja deklamatorisch die Akzeptanz sexueller Vielfalt de facto zu einem entscheidenden Eckpfeiler

seiner „deutschen Leitkultur“ erhoben hat. Dann handeln Sie auch entsprechend, geben Sie nicht nur Lippenbekenntnisse ab, stimmen Sie unserem Antrag zu! Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Lederer! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Gram das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein durchsichtiges Manöver und Kollege Dr. Lederer hat es auch eben zugegeben –, das die Antragsteller hier durchführen wollen. Das Thema Erweiterung des Grundrechtskatalogs um das Merkmal der „sexuellen Identität“ wird seit Jahren diskutiert und von namhaften Wissenschaftlern und von großen Teilen der Politik zu Recht mit Hinweis auf die bestehende Verfassung und die ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Ehe und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften abgelehnt.

[Beifall bei der FDP]

Was also ist heute dringlich an diesem Antrag? – Ich sage Ihnen, gar nichts ist hier dringlich! Ich will Ihnen sagen, was dringlich in dieser Stadt ist, nämlich das Durchgreifen gegen den linksextremen Mob. Da gibt es im Moment nichts Dringlicheres. Aber dazu kommt nichts von Ihnen!

[Beifall bei der CDU]

Sie haben nur den Christopher Street Day und die Wahlen im Auge. Sie wollen mit solchen Themen auf Stimmenfang gehen und treiben Schindluder mit dem ernsten Thema Homosexualität aus vordergründigsten Motiven. So eine Verbiegung von angeblichen Anliegen lehnen wir ab.

[Beifall bei der CDU – Thomas Birk (Grüne): Warum hat man denn Fahnen am CSD?]

Worum geht es Ihnen eigentlich im Kern? Ihr Antrag suggeriert, dass das Grundgesetz Gleichgeschlechtlichkeit nicht ausreichend schützt, weil es keinen Sondertatbestand sexuelle Identität gebe. Das ist vom Bundesverfassungsgericht mehrfach eindrucksvoll widerlegt worden. Besser als das höchste Gericht kann ich es nicht ausdrücken, von daher ein Kernzitat aus jüngst ergangener Rechtsprechung. Ich zitiere:

Wenn die Verfassung eine bestimmte Form des Zusammenlebens unter besonderen Schutz stellt, diskriminiert sie damit nicht andere Lebens- und Gemeinschaftsformen, die nicht in jeder Hinsicht an besonderen Schutz- oder Fördermaßnahmen teilhaben.

An anderer Stelle sagt es:

Es ist keine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, wenn ein Gesetz Rechte oder Pflichten nicht vom Geschlecht einer Person, sondern von der Geschlechtskombination einer Personenverbindung abhängig macht.

Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. – An anderer Stelle führt der namhafte Erfurter Kommentar zu Artikel 3 GG aus, dass unumstritten ist, dass die geschlechtliche Orientierung umfassend durch das allgemeine, garantierte Persönlichkeitsrecht geschützt ist, und beruft sich damit auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Und auch, lieber Dr. Lederer, das von Ihnen so gern angesprochene Maruko-Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist eben gerade nicht geeignet, Ihre Argumentation zu stützen. Es sagt eben gerade nicht, dass es eine Diskriminierung darstelle, wenn der Gesetzgeber in Versorgungsfragen gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht mit Heteropaaren gleichstellt, sondern dass der Gesetzgeber so etwas regeln könne, es aber nicht müsse.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Das ist einfach Unfug!]

Solche Regelungen würden – das hatte ich schon einmal vor einem Jahr hier ausgeführt – zuweilen auch zu einer Besserstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften führen, und das lehne jedenfalls ich ab. Also wird hier niemand in diesem Land dadurch diskriminiert, dass wir kein Tatbestandsmerkmal haben. Überdies würde bei einer etwaigen Grundgesetzänderung sich daran auch nichts ändern.

Besonderen Schutz genießen im Artikel 3 des Grundgesetzes behinderte Mitmenschen. Und ich bin der Auffassung, bis heute aus sehr gutem Grund, weil Behinderung eben nicht durch Änderung gesellschaftlicher Einstellung weggeschafft wird. Die bleibt in der Welt. Aber ich frage die Antragsteller: Was soll das? Wollen Sie ernsthaft eine angebliche Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft im Versorgungsrecht mit Benachteiligung behinderter Menschen gleichstellen? Das kommt für uns nicht infrage.

Ich habe schon früher ausgeführt, dass ich für meine Fraktion – das nehmen Sie mir bitte ab! – von Anfang an für eine Gleichstellung von Menschen unterschiedlicher sexueller Identität eingetreten bin, weil es meiner christlicher Grundüberzeugung, lieber Dr. Lederer, entspricht.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Offenbar nicht!]

Das haben meine Fraktion und ich hinreichend durch Mitwirkung an entsprechenden Vorhaben belegt und damit das immer wieder gern gebrauchte Totschlagargument der angeblichen Schwulenfeindlichkeit eindrucksvoll widerlegt.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Abenteuerlicher Unfug, den Sie da reden!]

Ein weiterer Grund: Dieses Grundgesetz sollte tunlichst vor Überfrachtung geschützt werden. Auch diesem Grund stehen wir Ihrer Forderung ablehnend gegenüber.

Dr. Klaus Lederer

Und noch etwas: Sie zitieren in Ihrer Begründung salbungsvoll Frau Zypries und ihre Anregung zur Verfassungsergänzung in dieser Frage. Wo ist sie denn, Ihre Frau Bundesministerin, im Deutschen Bundestag mit konkreten Anträgen? Sie ist gefühlte 20 Jahre Bundesministerin und hätte alle Zeit der Welt gehabt, sich mit entsprechenden Anträgen zu verewigen. Nichts, aber auch gar nichts hat sie auf den Weg gebracht – im Gegenteil: In einer Rede aus dem Jahr 2003, allerdings das Zivilrecht betreffend, führt sie aus:

Wir haben uns in der Koalition noch nicht darüber einigen können, ob wir den Schutz gegen Diskriminierung im Zivilrecht auch auf die Merkmale …

es folgen dann einige –

sexuelle Identität … erstrecken wollen.

Sie führt weiter aus:

Ich habe mich deutlich gegen diese Erweiterung ausgesprochen, und zwar aus folgenden Gründen:

Und dann kommen die diversen nachlesbaren Gründe, warum sie dagegen ist. – Das ist eine Hü- und Hottpolitik, die ich nicht nachvollziehen kann. Und wozu auch der Umweg über den Bundesrat? – Dieser Antrag von Ihnen ist nichts als Wahlkampf und heiße Luft. Und diese heiße Luft wird heute in den Äther entweichen. Mit so durchsichtigen Wahlkampf- und Anbiederungsmanövern tun Sie einer seriösen Diskussion einen Tort an. Das machen wir – übrigens in Übereinstimmung mit den gleichgeschlechtlich orientierten Damen und Herren Kollegen meiner Partei – nicht mit. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gram! – Für die SPDFraktion hat Frau Engert das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr, dem 60. Gründungsjahr der Bundesrepublik, wird unser Grundgesetz zu Recht viel gefeiert und gelobt. Ich habe keinen Anlass, mich diesem Lob zu verweigern, aber auch das Grundgesetz muss immer wieder geprüft und an neue Erfordernisse angepasst werden. Gesellschaften befinden sich in stetem Wandel. Grundlage positiver Veränderungen ist immer die Auseinandersetzung mit bestehenden Mängeln. Deshalb ist unser heutiges Grundgesetz eben nicht mehr genau das, was vor 60 Jahren in Kraft trat. Es gab auch in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Änderungen. Nicht alle davon halte ich für gleichermaßen sinnvoll.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Gerade Artikel 3 des Grundgesetzes, um den es im heutigen Antrag geht, war bereits in seiner Geburtsstunde um

stritten. So ist es keine Selbstverständlichkeit, dass wir heute den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ als einen zentralen Kern unseres Werteverständnisses begreifen. Es ist Elisabeth Selbert von der SPD zu verdanken, dass verfassungsrechtliche Wirklichkeit geworden ist, was heute aus unserem Selbstverständnis nicht mehr wegzudenken ist.

Dennoch, auch bei Artikel 3 musste nachgebessert werden. 1994 gab es zwei Änderungen. Die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen war und ist noch immer in vielen gesellschaftlichen Bereichen trotz der Verankerung im Grundgesetz nicht durchgesetzt. Deshalb wurde der Artikel 3 dahingehend ergänzt, dass der Staat sich auch für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung einsetzen muss. Die zweite Änderung war das Verbot der Benachteiligung von behinderten Menschen. Auch dem ging ein langer Kampf der Behindertenbewegung voraus. Bis heute aber ist eine Gruppe in Artikel 3 nicht genannt und kann sich somit auch nicht auf ein explizites Benachteiligungsverbot im Grundgesetz berufen, und zwar diejenigen, deren sexuelle Identität von der wie und von wem auch immer definierten Mehrheit unserer Gesellschaft abweicht. Homo-, Trans- oder Intersexuelle finden in Artikel 3 keine Berücksichtigung. Das darf nicht so bleiben!

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Die tatsächliche Wirksamkeit der im Grundgesetz verankerten Rechte lebt von der Möglichkeit, diese einzuklagen und somit überhaupt erst im Alltag lebendig werden zu lassen. Das ist für Homosexuelle erst dann möglich, wenn auch sie sich direkt auf das Grundgesetz berufen können, wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selbst gezeigt hat. Und da gebe ich Herrn Gram nicht recht; Sie haben aus meiner Sicht falsche Urteile des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Ich empfehle Ihnen, dazu die Begründung unseres Antrags wirklich gründlich zu lesen.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Uns Symbolpolitik vorzuwerfen, ist unredlich, denn wir haben erst vor wenigen Monaten einen sehr ehrgeizigen Antrag verabschiedet, in dem explizit die rechtliche Gleichstellung berücksichtigt ist. Wir wollten mit diesem Antrag eben nicht nur schöne Worte verabschieden, sondern haben uns selbst dazu verpflichtet, diesen Worten auch Taten folgen zu lassen. Deshalb ist die Verabschiedung der Bundesratsinitiative nur eine logische Konsequenz. Es ist überfällig, endlich ins Grundgesetz aufzunehmen, was auf europäischer Ebene lange Konsens ist. Auch in unserer Landesverfassung heißt es, dass niemand wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden darf. Das sage ich als Hinweis an Herrn Kluckert von der FDP, der heute im „Tagesspiegel“ Homosexuelle mit Sodomisten und Pädophilen in einem Atemzug genannt hat. Ich dachte, wir wären längst weiter.

[Beifall bei der SPD und den Grünen]

Andreas Gram

Dass dem offensichtlich nicht so ist, ist das beste Argument für den vorliegenden Antrag. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Vielen Dank, auch von hier oben! – Jetzt hat der Kollege Birk von den Grünen das Wort. – Bitte schön!

[Zuruf]

Ich höre gerade, Herr Dr. Kluckert wünscht eine Kurzintervention. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegin Engert! Nur für den Fall, dass Sie nicht richtig gelesen haben oder vielleicht auch nicht richtig lesen wollten: Ich habe hier nicht Homosexualität mit Pädophilen und Sodomisten in einem Atemzug genannt. Ich habe auf ein verfassungsrechtliches Problem hingewiesen und gesagt, dass der Begriff der sexuellen Identität, den Sie benutzen, sehr weit ist. Dieser Begriff ist uns zu weit, weil er nämlich als Begriff neben dem, was Ihr berechtigtes Anliegen ist – ich sage nicht, dass Ihr Anliegen nicht berechtigt ist –, auch noch Leute erfassen kann, die wir und Sie eindeutig nicht mit erfassen wollen, nämlich Pädophile und Sodomisten.