Die Steuerschätzung, die heute vorgenommen wird und die sich dann morgen konkretisiert, auch für das Land Berlin, wird erhebliche Einnahmeverluste mit sich bringen. Die Zahlen, die hier genannt worden sind: Ich glaube noch nicht, dass das das Ende der Fahnenstange war. Es kann auch noch schlimmer kommen. Insofern haben wir alle Hände voll zu tun, bei den Haushaltsberatungen auch die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Das Entscheidende ist ja, dass in dieser Stadt diese eklatante und schlimmste Wirtschaftskrise, die wir seit Jahrzehnten in der Republik haben, bei vielen ja mental überhaupt noch nicht angekommen ist. Ich bin zurzeit nur konfrontiert – aus allen Bereichen und auch aus allen gesellschaftspolitischen Bereichen – mit Mehrforderungen. Ich sage mal, wenn wir es erreichen können, den Status des Jahres 2009 oder des Jahres 2008 sicherzustellen, dann ist das ein Riesenerfolg. Aber ich höre nur überall, da muss mehr, da muss mehr, da muss mehr, da muss mehr, und zwar nicht nur von irgendwelchen spinnerten Linken oder sonstigen,
sondern aus der gesamten Gesellschaftsschicht dieser Stadt hören wir nur noch Forderungen. Und das muss sich ändern. Das muss auch verstanden werden. Dazu steht der neue Finanzsenator, dazu steht auch die Regierung, dass wir diese Balance finden werden müssen. Und das sage ich an alle Adressen. Das wird in der Tat eine spannende Diskussion sein, Frau Eichstädt-Bohlig, völlig richtig, die wird auch nicht leicht sein, aber Sie glauben wohl auch nicht im Ernst, dass die Diskussion mit Ihnen leicht wäre, wenn wir zusammen regieren würden. Das glauben Sie, glaube ich, auch nicht.
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Stimmt! – Zuruf von Volker Ratzmann (Grüne)]
Und insofern wird es lebendig werden. Dafür sind aber auch Parteien unterschiedlich. Und Parteien haben auch im Innenleben unterschiedliche Auffassungen.
Wenn sich hier jemand beschwert, dass Herr Böhning eine eigenständige Meinung hat, und ich sollte es ihm verbieten, na wo kommen wird denn da eigentlich hin?
Welches Demokratieverständnis haben Sie denn? Dass ein Mitarbeiter der Senatskanzlei in seiner sonstigen politischen Tätigkeit, auch als Kandidat im Bundestagswahlkampf, alles das nachplappern soll, was der Regierende Bürgermeister denkt? – Na, wo leben wir denn? Das kann doch wohl nicht die Politik der Grünen sein! Das glauben Sie doch wohl auch selbst nicht!
Wir haben investiert – in die richtigen Themenschwerpunkte, bei den Kompetenzfeldern, die wir identifiziert haben. Und dieses trägt Früchte. Wir haben in die richtigen Bereiche investiert, beispielsweise in den großen Themenbereich Gesundheitswirtschaft. Da haben wir in der Vergangenheit Erfolge erzielt. Wir sind froh, dass viele uns in diesem Bereich unterstützen. Die Wirtschaftsförderung konzentriert sich darauf.
Selbstverständlich ist die Kreativwirtschaft nicht allein der Arbeitsplatzbringer, aber heute sind schon 160 000 Menschen in diesem Bereich in Lohn und Arbeit – und erfolgreich, Tendenz steigend. Deshalb ist es richtig, diesen Bereich zu fördern.
Aber selbstverständlich wollen wir in Industriebereichen, die zukunftsfähig sind, die besondere Herausforderungen haben im technologischen und Entwicklungsbereich, Schwerpunkte setzen. Das tun wir. Wir freuen uns, dass neue Technologien wie Photovoltaik oder Solarenergie hier in Berlin einen Standort gefunden haben, der zumindest bis zur Wirtschaftskrise absolut prosperierend war. Wir hoffen, dass sie erfolgreich durch diese Krise kommen. Wir werden uns in der Wirtschaftsförderung konzentrieren, und darum geht es auch.
Wir haben einen Riesenfortschritt gemacht bei der Verwirklichung des Flughafens Berlin-Brandenburg Inter
national – das größte Infrastrukturprojekt in ganz Deutschland zurzeit. Wir haben Schwierigkeiten zu überwinden gehabt. Wir sind auf einem guten Weg. Gestern ist das Notifizierungsverfahren positiv abgeschlossen worden, in einem Eiltempo auch in Brüssel. Das setzt die Grundlage für die Finanzierung. Der Flughafen wird weitergebaut, erfolgreich gebaut und 2011 eröffnet.
Heute schon sind wirtschaftliche Impulse zu merken. Es war richtig, die Entscheidung zu treffen, Tempelhof zu schließen. Das ist genau Ihr Problem, Herr Henkel! Wenn Sie sich weiter nur noch im Milieu Ihrer Ortsvereine bewegen, dann werden Sie die Realität dieser sich verändernden Stadt nicht wahrnehmen. Das ist Ihr eigentliches Problem, weil Sie gar nicht merken, dass diese Stadt sich verändert hat. Mit Ihren alten Parolen und Konzepten aus den Achtzigerjahren werden Sie keine gesellschaftliche Mehrheit mehr hinbekommen. Das haben Sie zweimal schmerzlich bei Volksbegehren empfunden. Aber geben Sie es doch einmal zu, Herr Henkel: Nicht wir spalten die Stadt, sondern Sie haben den Versuch gemacht. Der ist abgewiesen worden durch die absolute Mehrheit der Bevölkerung in Ost und in West. Und wir lassen uns diese Spaltung nicht einreden.
Wir investieren in Bildung. Wir sind bundesweit in vielen Vergleichen vorne, weil wir schon längst gesagt haben: Krippe, Kita sind Bildungseinrichtungen, und deshalb müssen sie kostenfrei sein. Deshalb werden wir in dieser Legislaturperiode unser Versprechen umsetzen, das dritte Kitajahr ist schon kostenfrei. Wir werden in 2010 und 2011 trotz aller finanziellen Schwierigkeiten weiter daran festhalten und es umsetzen. Dann haben wir die Kostenfreiheit, weil wir nicht wollen, dass ein Kind nicht in die Kita geschickt wird, weil Eltern sich vor den Kosten scheuen. Wir wollen, dass alle Kinder in die Kita kommen und rechtzeitig gefördert werden können.
Ja, Frau Pop, auch die reichen Kinder kostenfrei. Wenn Bildung ein Gut ist, dann differenzieren wir nicht mehr zwischen den Armen und den Reichen. Und wir wollen nicht die Diskriminierung, dass beim Aufruf am 1. Schultag gefragt wird: Ist deine Mutter, dein Vater arm und deiner reich? Und danach bekommst du deine Zuschüsse oder nicht.
In der Tat, das wollen wir nicht. Ein elementarer Unterschied zu Ihrer Bildungspolitik, wir stehen aber dazu.
Wir wollen mehr Ganztagsschulen haben, wir werden sie umsetzen. Wir werden mit der Schulstrukturreform die notwendigen Antworten geben für eine verbesserte Bildungssituation. In der Tat, es ist richtig: Wir haben noch erhebliche Defizite; wir haben einen hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern, die ohne Schulabschluss oder ohne einen hoch qualifizierten Schulabschluss die Schule verlassen. Dadurch haben sie schlechtere Berufs- und
Karrierechancen. Deshalb setzen wir vorne an. Es hat keinen Sinn mehr, alles nur ab der 7. Klasse zu fördern und nachher noch für berufsbegleitende Lehrgänge Geld auszugeben. Deshalb wollen wir unten fördern, dort anfangen und Schwerpunkte setzen. Das ist eine Politik, die diese Koalition konsequent umsetzen wird. Das kostet Geld, aber das ist gut investiertes Geld in die Zukunft unserer Kinder.
Wir setzen das fort mit einer verbesserten Ausstattung der Hochschulen. Wir wollen die Breite haben. Wir freuen uns, dass sich Tausende von Studentinnen und Studenten mehr anmelden, als Kapazitäten da sind. Die müssen leider abgewiesen werden. Das spricht für die Attraktivität der Universitäten, nicht nur für die Attraktivität der Lebensbedingungen der Stadt. Die Studentinnen und Studenten gucken heute weltweit, wo sie die besseren Chancen haben. Und wenn sie sich für Berlin entscheiden, dann ist das das beste Gütesiegel für die Qualität der Fachhochschulen und der Hochschulen, die wir in der Stadt haben. Das soll man dann auch einmal positiv anmerken, dass das eine hohe Qualität ist, und deshalb melden sich hier so viele an. Das wollen wir verbreitern, denn das ist eine Chance, auch in Bezug auf den demografischen Wandel, mehr junge Menschen in die Stadt zu bekommen. Deshalb wollen wir mehr Studienplätze anbieten.
Gleichzeitig wollen wir auch in Exzellenz investieren. Wir wollen die besten Köpfe in die Stadt hineinbekommen. Wir wollen die besten Köpfe in dieser Stadt halten. Deshalb ist die Einstein-Stiftung die richtige Antwort darauf. Sie wird Früchte tragen. Ich bin zufrieden, dass Prof. Zöllner konsequent diese Einrichtung umgesetzt hat – auch gegen den Widerstand vor allem der Opposition in diesem Haus.
Wir werden weiter vehement in Kultur investieren, weil Kultur nicht nur ein weicher Standortfaktor ist, sondern ein absolut harter. Viele entscheiden sich mit der wirtschaftspolitischen Entscheidung der Ansiedlung ihres Unternehmens auch für die Rahmenbedingungen, die in dieser Stadt da sind. Da ist der hohe Freizeitwert, da sind bezahlbare Mieten ein Grund, aber wesentlich auch eine funktionierende und einzigartige Kulturlandschaft. Auch in den schwierigen Zeiten in dieser Stadt haben wir immer wieder neue Einrichtungen eröffnet, haben kräftig investiert und werden das auch zukünftig tun. Wir haben gesehen, welche Attraktivität es hervorgebracht hat, das Neue Museum der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wir freuen uns darüber, dass das Jüdische Museum seinen erfolgreichen Betrieb erweitern wird in der NochMarkthalle. Wir werden selbstverständlich Investitionen in die Hand nehmen, um die Staatsoper zu sanieren, um die Komische Oper zu sanieren, um das Märkische Museum zu erweitern durch das Marinehaus.
Und wir werden auch trotz finanzieller Schwierigkeiten das Projekt Landesbibliothek, nämlich Neubau einer
Landesbibliothek, ernsthaft diskutieren, nach vorne bringen. Es ist wichtig. Wir freuen uns darüber, dass trotz aller neuen Medien und Computerisierung der Lebenswelt junge Menschen, viele Menschen in unsere Bibliotheken hineingehen. Der Bedarf ist da, und wir wollen diesen Bedarf decken. Deshalb ist eine Investition in der Größenordnung von 270 Millionen € – so wird heute es geschätzt – eine richtige Zukunftsinvestition. Der richtige Standort ist das Gelände Flughafen Tempelhof, weil wir einen Impuls für die Entwicklung gleich mitgeben.
Wir haben große Herausforderungen zu bewältigen bei der Entwicklung des ehemaligen Flughafens Tempelhof, aber natürlich auch bei dem Gelände Tegel, was demnächst da sein wird.
Und zu Ihrer A 100 sage ich Ihnen auch noch ein Wort. Ich habe festgestellt, wie die Menschen glücklich darüber waren, als die neue Autobahnverbindung Richtung Schönefeld endlich fertig wurde, weil nämlich die Menschen in den Wohngegenden entlastet worden sind. Die können Sie mal alle fragen, wie glücklich die darüber sind, dass der Autoverkehr aus den Wohngebieten abgezogen worden ist.
Deshalb macht es auch Sinn, bei der A 100 weiterzumachen. Ich weiß, dass das nicht der reinen Lehre entspricht. Das kann man so sehen. Aber wir tun etwas für die Menschen in dieser Stadt, gegen die Belastungen im innerstädtischen Verkehr und wollen dazu einen Beitrag leisten.
Und auch noch ein Wort zum 1. Mai. Ich finde es unverantwortlich, wie man in Wahlkampfzeiten glaubt, in dieser polemischen Art und Weise mit der Polizeitaktik umgehen zu können,
und zwar aus einem einfachen Grund. Wir hatten Zeiten unter CDU-Innensenatoren, da war die Zahl der Verletzten höher, da waren die Krawalle schlimmer, da waren die Schäden viel höher. Wir können Dinge berichten und Videos vorführen lassen, wie das alles damals war. Diese Taktik war erfolglos. Jetzt hat sich das geändert, über einen jahrelangen Prozess hat sich das geändert – mit einer erfolgreichen Polizeitaktik und vor allen Dingen einer Bewusstseinsveränderung bei der Bevölkerung selbst, dass wir nämlich Partnerinnen und Partner vor Ort gefunden haben, die auch gesagt haben: Wir lassen uns unseren schönen Kiez nicht kaputtmachen. Wir lassen uns unsere friedlichen Demonstrationen nicht kaputtmachen. Wir lassen uns unsere friedlichen Feste nicht kaputtmachen.
Wenn es ein grüner Erfolg war – darüber streite ich mich nicht. Mir ist die Sache viel zu ernst, als dass ich das parteipolitisch betrachten würde. Es geht darum, wie wir dieser maßlosen Form von sinnloser Gewalt, von keiner politischen Auseinandersetzung mehr getragen, sondern von nacktem Verbrechen, nackter Krawallmacherei, begegnen können. Das kann nur eine Zivilgesellschaft gemeinsam machen und nicht durch Parteienstreit.
Unsere Aufgabe ist, die Lehren daraus zu ziehen. Man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wer würde auf diese Idee kommen? Selbstverständlich muss die Polizei ihre Taktik überprüfen. Selbstverständlich müssen die Fachleute überlegen, ob etwas falsch gemacht wurde und was in Zukunft besser gemacht werden kann. Darüber sollte man sich auseinandersetzen, aber nicht in der Art und Weise, alle Schuld liegt bei dem und dem. Nein, das ist unsere gemeinsame Aufgabe, mit dem Innensenator, dem Polizeipräsidenten und den Fachleuten bei der Polizei Lösungsmöglichkeiten zu suchen und weiter den Dialogprozess mit der Zivilgesellschaft zu führen und nicht einfach zu sagen, jetzt knüppeln wir nur drauf. Das ist keine Antwort und kann auch keine langfristige Antwort sein.
Herr Regierender Bürgermeister! Der Senat hat keine Redezeitbegrenzung. Es gibt aber in der Geschäftsordnung eine Empfehlung, dass Sie nicht allzu viel länger sprechen sollen als die Fraktionen.