Protocol of the Session on January 29, 2009

[Mieke Senftleben (FDP): Anstand gibt es nicht!]

Sie setzen die Rolle des Täuschens und Belügens fort,

[Lars Oberg (SPD): Pfui!]

was Sie in Hessen bei der Wahl gemacht haben, Frau Ypsilanti, was sie veranstaltet hat. Was ist das mittlerweile für eine Partei geworden?

[Vereinzelter Beifall bei der FDP und der CDU]

Am Tag nach der Hessenwahl kommt als erstes ein sozialdemokratischer Fraktionsgeschäftsführer aus dem Bundestag und sagt: Jetzt müssen wir im Bundesrat die Ab

stimmungsregeln ändern. – Das ist eine Täuscherpartei geworden.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Weicht vom Thema ab!]

Apropos Bundesrat: Da hatten Sie während Ihres Präsidiums auch schon eine ganz aktive Rolle, parteipolitisch zu agieren. Auch bei der Flughafen-Tempelhof-Initative haben Sie die Leute angelogen, was die Kostenentwicklung angeht.

[Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Haben Sie jetzt den Faden verloren?]

Ich sage Ihnen als Parteipolitiker: Machen Sie so weiter! Gerieren Sie sich so als Partei der Trickserei, der Täuscherei, der Lügen! Schauen Sie die Umfragen, die Wahlergebnisse an! Sie entwickeln sich wirklich prächtig.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sie auch, Herr Lindner! – Zuruf von Elke Breitenbach (Linksfraktion)]

Herr Kollege! Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Letzter Satz: Als Staatsbürger, nicht als Parteipolitiker, fordere ich Sie auf: Überdenken Sie, wie Sie hier mit dem Volk, mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt umgehen!

[Beifall bei der FDP – Martina Michels (Linksfraktion): Schauen Sie einmal auf die Uhr!]

Disziplinieren Sie Ihre parteipolitische Einseitigkeit ein bisschen und seien Sie ein bisschen mehr Vater dieser Stadt, ein bisschen mehr Bürgermeister und ein bisschen weniger SPD-Werker! – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Unsäglich!]

Das Wort hat der Regierende Bürgermeister, Herr Wowereit. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es schon erstaunlich, wenn man über so ernste gesellschaftspolitische Themen diskutiert wie Wertevermittlung – wie erreichen wir es, dass ein Missstand, der von allen empfunden wird, nämlich dass es darum geht, in dieser multikulturellen Gesellschaft über gemeinsame Werte, nicht über trennende, über gemeinsame Grundlagen einer freiheitlich-demokratischen Demokratie zu diskutieren –, wie dann einige zu dem Mittel von Dif

famierung und Verleumdung greifen, Herr Lindner. Es ist mir unerklärlich!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Nur ein kleiner Hinweis: Sie fordern jeden Tag Steuersenkungen. Ich würde Sie auffordern, die Ausfälle im Staatshaushalt aus Ihrer Tasche zu bezahlen, wenn Sie glaubwürdig sein wollen. Dann hätten Sie auch etwas zu tun.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Aber mehr muss man dazu jetzt nicht mehr sagen. Es geht in der Tat um ein ernstes Thema. Es vermischt sich wie immer bei dem Thema Volksbegehren und Volksentscheid vieles im Formalen, vieles im Basisdemokratischen, vieles im Bereich der außerparlamentarischen Opposition, der Instrumentalisierung, der Emotionalisierung. Wir haben noch keine lange Tradition mit diesen Instrumenten. Sie sind in der Tat eingeführt worden für mehr Partizipation. Sie sind sicherlich nicht eingeführt worden, damit nur große Institutionen und große Geldgeber sich in einer pluralistischen Gesellschaft per Volksentscheid durchsetzen können. Dafür sind sie sicherlich nicht geschaffen worden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Realität zeigt aber mittlerweile, dass ohne große Organisation, ohne viel Geld bestimmte Zahlen, Unterschriften oder Abstimmungen nicht zustande kommen können. Auch das ist eine Frage der Überprüfung dieses einzelnen Instrumentariums. Auf jeden Fall – Herr Lindner hat da völlig recht – richtet sich ein Volksbegehren immer gegen die Regierung, gegen die Politik der Mehrheit dieses Hauses. Dies ist systemimmanent. Keiner wird auf die Idee kommen, ein Volksbegehren mit der Formel zu machen: Die Regierung und die Mehrheit des Parlaments hat recht. Das wird es nicht geben. Zur Systematik gehört es auch, dass in dieser gesamten Phase bis hin zur Abstimmung sich nur diejenigen einseitig artikulieren können, die für ein bestimmtes Begehren eintreten. Die andern, die dagegen sind, haben von der Konstruktion her überhaupt nicht die Gelegenheit, dagegen zu sein. Deshalb finde ich es schon bemerkenswert, Herr Henkel, wie Sie von Mehrheiten in der Bevölkerung reden können in einer Phase, wo das amtliche Ergebnis noch nicht festgestellt ist, wo über 300 000 Unterschriften abgegeben sind, aber wir noch gar nicht wissen, ob sie gültig sind.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Aber auch mit geringen Mathematikkenntnissen wird man schnell herausbekommen können, dass es nicht die Mehrheit der Bevölkerung ist, sondern ein Teil der Bevölkerung, der seine Interessen artikuliert. Das ist das legitime Recht. Aber sich hierhin zu stellen – bevor der Entscheid getroffen worden ist, bevor die Bürgerinnen und Bürger selbst mit Ja und Nein entscheiden können – und zu sagen, die Mehrheit der Bevölkerung ist dafür und die andern sind im Unrecht – dies ist wider besseres Wissen, Herr Henkel, und das sollte man gerade bei einer Wertedebatte endlich einmal einräumen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Sie haben es schon einmal erlebt, Sie haben schon einmal gejubelt – bei Tempelhof: Das war die Mehrheit. Ihr ehemaliger Fraktionsvorsitzender hat sogar, nachdem abgestimmt war, noch gesagt: Es war die Mehrheit. Da mussten Sie ihn sogar zurückpfeifen! – Also lassen Sie es doch bitte endlich mal! Hier ist nach aller Wahrscheinlichkeit eine weitere Stufe erfolgreich gelaufen. Das ist Fakt. Darüber können sich die Befürworter freuen. Die andern, die dagegen sind, haben die Möglichkeit, nicht zur Abstimmung zu gehen oder mit Nein zu stimmen, die andere Meinung deutlich zu machen.

Jetzt kommen wir zur Terminfrage. Sie wird natürlich instrumentalisiert, wer möchte denn das bestreiten? Sie wird instrumentalisiert, bis hin zu dem Manipulationsvorwurf. Es wird behauptet, es gibt ein Vorziehen eines Termins. Es gibt noch überhaupt keinen Termin!

[Christian Gaebler (SPD): Es gibt nicht mal ein Ergebnis!]

Es gibt noch gar kein amtliches Ergebnis. Wir haben eine Verfassung, und wir haben ein Gesetz, das dieses Haus verabschiedet hat. Daran hält sich die Regierung. Lesen Sie! In Artikel 62 Abs. 4 der Verfassung von Berlin steht, dass innerhalb von vier Monaten ein Volksentscheid herbeigeführt werden muss, wenn ein Volksbegehren zustande gekommen ist. Im Abstimmungsgesetz stehen die Fristen: Die Regierung muss innerhalb von 15 Tagen den Termin festlegen. Dies werden wir auch tun.

Es ist mitnichten so, Herr Vielleicht-Jurist Lindner, wie Sie gesagt haben: Ein „kann“ ist ein „ist“, haben Sie gesagt. – Nein! Ein „kann“ ist ein „kann“ und kein „ist“. Die Ausnahme ist, dass man auf einen Wahltermin wartet, nicht die Regel.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die Regel ist, dass unverzüglich der Entscheid vorzunehmen ist. Daran wird sich der Senat halten.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Sie sind ein Trickser, sonst gar nichts!]

Ich bin überhaupt gar kein Trickser, sondern die Regierung und der Senat, das ist im Gesetz festgelegt, und da fängt das Demokratiemissverständnis an, Herr Lindner: Es gibt verfassungsmäßige Rechte, die haben Sie als Opposition. Und es gibt verfassungsmäßige Rechte, die hat die Regierung. Sie legt den Termin fest, und das werden wir tun. Ich plädiere dafür, dass wir unverzüglich den Termin zur Abstimmung haben, damit in dieser wichtigen Frage für die Stadt entschieden werden kann, wie es im Unterricht weitergehen wird.

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Es ist keine Tragödie, wenn das Schulgesetz geändert wird aufgrund eines erfolgreichen Entscheides. Es ist keine Tragödie. Wir haben andere Traditionen. In anderen Bundesländern sind die Schülerinnen und Schüler weder besser noch

schlechter, auch was ihr Werteverständnis anbelangt, als in Berlin.

[Uwe Goetze (CDU): Meistens besser!]

Das stimmt auch nicht! – Es gibt aber eine Tradition in Berlin, das ist die Tradition der Freiwilligkeit des Religionsunterrichts. Wir sind stolz darauf, Sie haben es heute gehört. Die Mehrheit dieses Hauses ist stolz darauf, dass wir ein eigenständiges Fach Ethik eingeführt haben für alle Schülerinnen und Schüler der Berliner Schule in der Sekundarstufe I. Darauf sind wir stolz! Denn es ist wichtig für den Zusammenhalt in dieser Stadt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Die inhaltliche Begründung für die Einführung von Ethik geht auf eine von Konservativen in dieser Stadt begonnene Diskussion über einen Werteverfall bei den Schülerinnen und Schülern in unserer Gesellschaft zurück. Daraus sind Konsequenzen gezogen worden, da haben Sie sich sogar einmal durchgesetzt in einer Debatte, dass tatsächlich ein breiter Konsens darüber hergestellt worden ist, dass es gemeinsame Werte gibt. Das sind nicht automatisch christliche Werte. Das sind nicht automatisch muslimische oder jüdische oder atheistische Werte. Unser gesamtes Grundgesetz, unsere gesamte Demokratie, unser Schulgesetz basieren auf Werteentscheidungen, die getroffen sind. Und die sind geprägt durch das Akzeptieren und das Durchsetzen von Menschenrechten und Grundrechten und demokratischen Rechten. Dafür steht ein Bildungssystem in Berlin, das für alle Schülerinnen und Schüler durchzusetzen ist, und zwar jeden Tag, jede Stunde im Unterricht, in jeder Situation in einer Schule; nicht nur im Religionsunterricht, nicht nur im weltanschaulichen Unterricht und nicht nur im Ethikunterricht, sondern Tag für Tag muss das an der Schule gelebt werden!

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Wir unterstützen die Religionsgemeinschaften und die Weltanschauungsgemeinschaften bei dem Angebot, Religions- oder Weltanschauungsunterricht vom Humanistischen Verband an den Schulen durchzuführen. Es ist falsch zu behaupten, es findet am Nachmittag statt, und es wird administrativ behindert. Nein, dafür gibt es eine Schulaufsicht, dafür gibt es genügend Konferenzen. Selbstverständlich gibt es den Eckstundenerlass, damit das eben nicht nur in die Randstunden gelegt wird. Es ist erklärter Wille, das haben wir im Staatsvertrag festgehalten, dass alles getan wird, damit nicht solche Situationen kommen, dass Religions- oder Weltanschauungsunterricht systematisch behindert wird. Ich kann nicht ausschließen, dass es im Schulalltag trotzdem passiert. Dann muss eingegriffen werden. Das ist eine Verpflichtung, die wir miteinander haben. Die Zahlen sprechen für sich: In der Grundschule sind die Zahlen gestiegen. Da können Sie doch nicht sagen: Es ist manipuliert und an den Rand gedrängt worden. – Nein! Die Zahlen sprechen dagegen.

Wir haben auf der anderen Seite seit Jahren eine Entwicklung, nicht erst unter rot-roter Regierung, sondern seit

Jahrzehnten, dass Jugendliche, wenn sie ihren Konfirmations- oder Kommunionsunterricht hinter sich und alles abgefeiert haben, weder sonntags noch zur Kirche gehen und lieber im Bett liegen bleiben noch in den Religionsunterricht gehen, weil sie das als lästig empfinden. Da sage ich aber auch: Diese Entwicklung ist eine Aufgabe auch für die Eltern und für die Kinder und für die Glaubensgemeinschaften, den Kindern deutlich zu machen, dass ein bekennender Religionsunterricht ein Wert an sich ist. Das muss geleistet werden. Das kann doch nicht der Staat allein machen oder durch Zwangsmaßnahmen die Kirchen in die Lage versetzen, dass die Kinder dort durch administrative Maßnahmen in den Religionsunterricht gebracht werden – um das mal vorsichtig auszudrücken. Das ist doch nicht die Aufgabe des Staates. Das muss doch auch eine Wertedebatte in der Familie sein, ob die Kinder aus Bequemlichkeit nicht daran teilnehmen.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Dementsprechend habe ich auch Verständnis dafür, dass die Kirchen – aus welchen Gründen auch immer – sagen: Wir möchten das lieber ganz klar mit einem Wahlpflichtfach geregelt haben. – Aber da ist keine Wahl mehr dabei. Den Kindern – und davon gibt es viele –, die gerne in den Religions- und in den Ethikunterricht gehen, wird die Wahlmöglichkeit genommen. Wer behauptet, die Wahlfreiheit wird geschaffen, der schafft sie ab.