In diesem Hause kann einer nicht bis 75 zählen, die andere hat keine Vorstellungskraft, wie viel 95 000 kg sind. Ich überlege: Was kann man da machen? – Ich sollte Ihnen vielleicht einmal eine Waage schenken oder vielleicht auch einen Taschenrechner, oder ich mache beides – Weihnachten ist bald. Ich glaube, das haben Sie verdammt nötig.
Die Verwaltung misst hier mit zweierlei Maß, denn sie vertraut darauf, dass alle korrekt handeln, nur sie selbst muss es nicht. Sie sagen, dass das verdorbene Fleisch, das bereits zu Dönern verarbeitet wurde, gar nicht so schlimm ist, denn schließlich müsse dieses zum Verzehr auf mindestens 70°C erhitzt werden. Mit anderen Worten: Sie stehlen sich aus der Verantwortung und vertrauen darauf, dass andere Seiten Folgeschäden vermeiden. Und wenn doch etwas schiefgegangen wäre, sagt Frau KnakeWerner, hätte man schon nach dem Verzehr gemerkt, dass mit dem Fleisch etwas nicht stimmt. – Herr Schäfer zitierte bereits. – Mit anderen Worten: Niemandem ist schlecht geworden, also ist auch nichts passiert. – Diese Ignoranz kenne ich eigentlich nur noch vom Zentralkomitee.
Wir erwarten von den beteiligten Senatorinnen eine lückenlose Aufklärung des schriftlichen Untersuchungsberichts und ein effektives Konzept zur Verbesserung der Organisationsstrukturen in ihrer Verwaltung. Den internationalen Fleischhandel für Ihre Fehlleistung zu beschimpfen, ist auch nur ein Ablenkungsmanöver. Wir fordern vor allem, dass die zuständige Person die politische Verantwortung trägt und die notwendigen Konsequenzen daraus zieht, Frau Knake-Werner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie können mir glauben, ich hätte mir für meine Premiere im Abgeordnetenhaus einen anderen Anlass gewünscht. Erlauben Sie mir auch, dass ich noch eine Weile daran glaube, dass in diesem Hohen Hause ein Interesse an Sachpolitik und Information besteht, insbesondere wenn es um Verbraucherschutzfragen geht.
In dem Vorfall vom 21. September 2006 und in der aktuellen Debatte darüber liegen durchaus Chancen unterschiedlicher Art. Dieser Zugang zum Thema mag Sie überraschen, aber ich möchte das Geheimnis sofort lüften. Ich habe so in kürzester Frist Aufbau und Struktur der Lebensmittelüberwachung in Berlin kennenlernen können, und in exemplarischer Weise ist deutlich geworden,
worin die politische Herausforderung in den Bereichen Gesundheit und Verbraucherschutz in Berlin besteht.
In Berlin gibt es über 52 000 Betriebe, die der Lebensmittelüberwachung unterliegen. Dreiviertel diese Betriebe werden mindestens einmal jährlich kontrolliert. Wir haben in Berlin eine sehr hohe Kontrolldichte, was uns durchaus auch im bundesweiten Vergleich der Verbraucherverbände attestiert wird, und es gibt nur wenige Bundesländer, die eine höhere Kontrolldichte aufweisen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Planuntersuchungen werden in Berlin anders als in anderen Bundesländern und Großstädten in vollem Umfang durchgeführt. Zum Vergleich: In der Stadt München wird nicht einmal jede zweite Pflichtprobe gezogen. – Die Lebensmittelsicherheit, der Kern des gesundheitlichen Verbraucherschutzes, ist in Berlin also gewährleistet, dank der dafür zuständigen leistungsfähigen Behörden und Institute in den Bezirken und auf Landesebene. Lebensmittelüberwachung ist vorrangig Gefahrenabwehr, und diese hat in diesem und in zahlreichen weiteren Fällen in Berlin funktioniert.
Verbraucherschutz ist aber mehr als Gefahrenabwehr. Verbraucherschutz muss durch schnelle und verständliche Informationen bestehende Ängste und Befürchtungen ernst nehmen, aufgreifen und im besten Fall abbauen. Durch rechtzeitige und angemessene Informationen, durch Transparenz und Aufklärung werden wir dafür Sorge zu tragen haben, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Entscheidung zum eigenen Wohl treffen können, und wir wollen nicht Hysterie schüren.
Dieser Fall wird mit Sicherheit dazu beitragen, das Problembewusstsein sowohl bei den Experten als auch bei der Öffentlichkeit zu schärfen.
Was war der Anlass für diese Debatte? – Ich möchte Sie jetzt nicht mit den Fakten langweilen, weil Sie sich für die nicht so interessiert haben. Ich verweise auf die schriftliche Information, die Ihnen zugegangen ist und die wir ausführlich erörtern wollen. Nur so viel: Es hat im in Rede stehenden Zeitraum keine vermehrten Salmonellenerkrankungen in Berlin gegeben.
Richtig ist auch, dass 42,6 Tonnen von der Charge, die untersucht worden ist, vorher in den Handel geraten sind, und das ist das eigentliche Problem. Da bin ich mit Ihnen vollständig einer Meinung.
Wie sind die normalen Informationswege bei besonderen Vorkommnissen? – Es gibt klare gesetzliche Regelungen, was bei besonderen Vorkommnissen zu passieren hat. Danach hätte das zuständige Fachreferat in der Senatsverwaltung vom bezirklichen Lebensmittelaufsichtsamt und auch vom Untersuchungsinstitut unverzüglich informiert werden müssen. Dass eine solche unverzügliche Information in diesem Fall nicht erfolgte, deutet darauf hin,
Was hat in diesem konkreten Fall nicht funktioniert? – Die politische Leitung der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz war vor dem 8. Dezember 2006 nicht über diesen Fleischfund informiert, die zuständigen Fachreferate wohl. Der Fund wurde von allen beteiligten Behörden und Instituten als Routinefall behandelt, alle notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr wurden eingeleitet, aber die sonst übliche zeitgleiche Information an das EU-Schnellwarnsystem und an die politische Leitung erfolgte hier aufgrund eines Fehlers nicht.
Wir haben deshalb die vergangenen Tage intensiv genutzt, um die Vorgänge aufzuklären. Ein erstes Ergebnis haben wir der Öffentlichkeit heute schriftlich vorgelegt und uns den Fragen von Abgeordneten und Pressevertretern gestellt und werden die Diskussion sicherlich im Gesundheitsausschuss fortzuführen haben.
Was lehrt uns unter dem Blickwinkel, dass Gefahrenabwehr und Information im Verbraucherschutz zusammengehören, diese aktuelle Debatte? Welche Schwachstellen sind an diesem konkreten Fall deutlich geworden? Wie können die gewonnenen Erkenntnisse für eine Qualifizierung der Berliner Verbraucherpolitik genutzt werden?
Frau Senatorin! Gestatten Sie eine Zwischenbemerkung? – Vielleicht können sich alle, die hinten stehen, auf ihre Plätze setzen.
Das mit dem Lauterreden regeln wir gleich, dass Frau Lompscher das Pult vielleicht etwas höher fährt, damit sie besser zu verstehen ist. – Darf ich bitten, dass sich alle, die hinten stehen, hinsetzen und die, die Gespräche führen wollen, die bitte draußen führen. So lange warten wir eben. Wenn hier vorne vielleicht auch einmal alle Diskussionen eingestellt werden könnten, dann ist Frau Lompscher auch gut zu diesem wichtigen Thema zu vernehmen. Können wir auch die sonstigen Gespräche in den Reihen einstellen? Alle! – Wenn Sie ein bisschen näher ans Mikrofon herankönnen, dann erleichtern Sie allen auch das Zuhören. – Bitte schön, Frau Lompscher!
Wir werden den Stellenwert der Verbraucherpolitik in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz erhöhen. Wir werden den Verbraucherschutz
nachhaltig stärken. Wir werden ein neues Grundsatzreferat Verbraucherpolitik etablieren. Dieses Vorhaben steht übrigens schon im Koalitionsvertrag, und es wird jetzt beschleunigt umgesetzt.
Die zwei Säulen des Verbraucherschutzes, Gefahrenabwehr und Information der Öffentlichkeit, bestimmen dabei unser Handeln. Wir stehen in Berlin in diesen Dingen nicht am Anfang. Berlin hat seit 2003 als eines der ersten Bundesländer ein Verbraucherinformationsgesetz.
Weil aber Landesregelungen nicht ausreichen, hat sich Berlin für ein Bundesgesetz mit weitgehenden verbraucherfreundlichen Regelungen eingesetzt. Wie Sie wissen, ist ein Bundesgesetz gerade vom Bundespräsidenten gestoppt worden, welches solchen und ähnlichen Zielen verpflichtet war. Das einzige Gute daran ist, dass nunmehr die Chance besteht, die weitergehenden Regelungen, die wir im Verfahren im Bundesrat gefordert hatten, nun in eine neue Gesetzesinitiative einzubringen. Konkret heißt das, dass die Informationsansprüche der Verbraucher auf alle verbraucherschutzrelevanten Rechtsbereiche und auf Unternehmen ausgedehnt werden müssen. Es muss möglich sein, Unternehmen zu benennen. Es geht auch um eine sehr enge Definition des Begriffs „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“, damit Verbraucher wirklich transparent informiert werden können.
Wenn Bundestag und Bundesregierung nicht zeitnah einen überarbeiteten Gesetzentwurf vorlegen, wird Berlin eine Initiative im Bundesrat mit den von mir genannten Zielen ergreifen.
Das 13-Punkte-Programm zum gesundheitlichen Verbraucherschutz, das nach dem bayerischen Fleischskandal von allen Bundesländern und dem Bund verabschiedet worden ist, wird in Berlin konsequent umgesetzt. Die dort enthaltene Forderung nach verbesserter Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden ist in Berlin seit vielen Jahren gute Praxis. Dennoch gibt es natürlich auch hier nichts, was man nicht verbessern könnte. Schließlich haben wir es verstärkt mit internationalen Handelsstrukturen zu tun; gerade im Fleischhandel scheint es erhebliche Anreize für Wirtschaftskriminalität zu geben. Edda Müller, Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, spricht sogar von mafiösen Strukturen. Die weitgehend freien globalisierten Warenströme bergen also zusätzliche Risiken, die nicht allein durch Lebensmittelkontrolleure aufgedeckt werden können. Hier ist auch die Wirtschaft in der Verantwortung, auch, um seriöse Produzenten und Händler zu schützen. Wir werden das Gespräch mit Vertretern der Wirtschaft in diesen Fragen fortsetzen und intensivieren.
Was werden wir weiter tun? – Um auch künftig eine größtmögliche Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten, werden wir die bestehenden Verfahrens- und Informationsabläufe einer intensiven Prüfung unterziehen. Bereits
am Dienstag haben sich Fachleute aus Bezirken und der Landesebene getroffen, und wir haben dieses Treffen genutzt, um eine detaillierte Schwachstellenanalyse vorzunehmen. Wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die Vorschläge unterbreiten wird, wie die Verfahrens- und Informationsabläufe optimiert und solche Kommunikationspannen künftig vermieden werden können.
Natürlich werde ich auch den zuständigen Fachausschuss, wenn er sich denn dafür interessiert, über die Ergebnisse informieren und in die Diskussion über die notwendigen Maßnahmen einbeziehen.
In Berlin werden jährlich, entsprechend der Einwohnerzahl, 18 643 Proben im Rahmen der Lebensmittelsicherheit gezogen. Davon werden ca. 15 % als falsch gekennzeichnet, wertgemindert bis zu gesundheitsgefährdend beanstandet. Nicht jede Wertminderung ist eine Gesundheitsgefahr. Deshalb brauchen wir künftig zwingend eine klare Unterscheidung zwischen Routinefall und besonderem Vorkommnis bei Beanstandungen. Auch hierzu ist die Arbeitsgruppe um Vorschläge gebeten, welche Kriterien für besondere Vorkommnisse herangezogen werden können – die Frage nach der kritischen Masse ist bereits gestellt worden. Es kommt möglicherweise auf die Art der Beanstandung, auf den Anteil der beanstandeten Proben an; es wird nicht darum gehen, sich über die Höhe der Kilozahl zu streiten. Wir werden auch prüfen, wie die Zusammenarbeit mit den bezirklichen Behörden verbessert werden kann. Wir werden bei besonderen Vorkommnissen eine Art Task Force brauchen, in die wir auch die bestehenden Arbeitsstrukturen für den Umgang mit krisenhaften Situationen einbeziehen, damit wir unverzüglich tätig werden können. Es geht darum – und da sind wir dann bei den Tonnen Fleisch, die in den Handel gelangt sind –, die Ermittlungswege zu verkürzen, um Verbraucherinnen und Verbraucher früher informieren zu können und in Umlauf gelangte belastete Lebensmittel schneller aufzuspüren und aus dem Verkehr u ziehen. z Ich weise noch auf einen anderen Aspekt hin: Eine stärkere Hinwendung zu regionalen Produktions- und Verbrauchsstrukturen würde das Risiko zweifellos mindern. Eine solche Veränderung ist allein mit landespolitischen
Mitteln nicht zu erreichen. Eine stärkere Sensibilisierung der Verbraucherinnen und Verbraucher für regionale und saisonale Produkte würde zu einer erhöhten Nachfrage nach diesen Produkten führen und damit auch zu einer Stärkung der heimischen Wirtschaft. Kurze Wege von der Produktion zum Verbraucher vermindern Risiken, das ist eine Binsenweisheit. Aber auch diese Erkenntnis gehört in den Zusammenhang der Diskussion.
Mit den angekündigten Maßnahmen werden die Kontrollmechanismen verbessert und die Verfahrensabläufe verkürzt werden, die Effektivität des gesundheitlichen Verbraucherschutzes wird erhöht. Auch wenn keine Gesundheitsgefährdung für Verbraucherinnen und Verbraucher bestanden hat – glücklicherweise, muss man sagen –, so hat auch dieser Fall dazu beigetragen, das Vertrauen in die Sicherheit unserer Lebensmittel zu beschädigen. Mit einer offensiven Informationspolitik wollen wir das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgewinnen.