Protocol of the Session on May 8, 2008

Wir rufen alle Berlinerinnen und Berliner dazu auf, sich an der Gegenveranstaltung des Antifaschistischen Bündnisses Neukölln heute um 18 Uhr am U-Bahnhof Johannisthaler Chaussee zu beteiligen und gemeinsam ein demokratisches Zeichen zu setzen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Wir haben eine besondere Verantwortung, die Erinnerung an die Geschichte aufrechtzuerhalten und das Andenken an die Opfer des Nationalsozialismus und Neonazismus zu wahren. Holocaust-Leugnungen, Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit und Nazi sein, das ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

[Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion]

In Berlin findet sich eine rechtsextreme Szene, die sehr unterschiedlich gestaltet ist. Rechte Gewalt nimmt zu. Von 2005 auf 2006 steigerte sie sich um mehr als das Doppelte. Örtliche Ballungen, unter anderem in Lichtenberg und in Schöneweide, aber auch in Szenebezirken wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain sind zu beobachten. Es existieren in Berlin fünf Läden, die ausschließlich rechtsextreme Produkte verkaufen. Mittels rechtsextremer Musikbands sollen vermehrt Jugendliche gewonnen werden. Die Freie-Kameradschafts-Szene, aktive Autonome Nationalisten – also auch die Anti-Antifa, die am 1. Mai in Hamburg aktiv war – treten verstärkt in Berlin auf. Sie tragen vermeintlich linke Kleidung und tragen dazu bei, dass die rechte Erlebniskultur in Berlin wächst.

Auf der anderen Seite wird aber auch der „gediegene Nazi“ bedient. Die NPD in den Bezirksverordnetenparlamenten gibt sich volksnah, kooperiert aber ebenso mit der gewaltbereiten Kameradschaftsszene. Vereine wie die Heimattreue Deutsche Jugend – HDJ – bieten Freizeitfahrten und Veranstaltungen für die ganze Familie an. Das Erkennen rechter Symbole ist heute nicht mehr so einfach, denn das Klischee vom glatzköpfigen Nazi stimmt nicht mehr. Nazis tragen Che-Guevara-T-Shirts oder Kleidung, bei der eben nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, dass sie mit völkischer Symbolik beladen ist, wie z. B. Thor Steinar. Diese Geschäfte liegen nun in renommierten Innenstadtlagen und vertreiben die Kleidung nicht mehr nur für Mann und Frau, sondern seit Neuestem auch für Kinder.

Dies alles untermauert die Strategie der Rechtsextremen, ihre Ideologie in die Mitte der Gesellschaft voranzutreiben, und sie zeigt erschreckende erste Erfolge. Das müssen wir zivilgesellschaftlich und rechtsstaatlich bekämpfen. Dafür ist am wichtigsten, mehr Aufklärung zu leisten. Es muss sichergestellt sein, dass alle Berliner Kinder und Jugendlichen, bevor sie die Schule verlassen, wissen, welche neuen Strategien die Rechten verfolgen und mit welchen rechten Codes, z. B. 88, man es zu tun hat. Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, aber auch andere Akteure, z. B. in Sport- oder Umweltvereinen müssen Hilfestellungen beim Erkennen und beim Umgang mit Rechtsextremen erhalten.

Aber was machen Sie, Herr Innensenator? – Sie und die SPD schreien nach einem NPD-Verbotsverfahren. Aber was steckt denn dahinter? – Das Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens hat doch dazu geführt, dass die NPD stärker geworden ist und sie mehr und mehr versucht, sich als demokratische Partei zu legitimieren. Wenn man etwas daraus gelernt hat, dann doch nur, dass man erst wieder ein Verbotsverfahren anstreben oder ins Gespräch bringen kann, wenn man sich zu 100 Prozent rechtlich-inhaltlich und rechtlich-verfahrenstechnisch sicher ist, dass es erfolgreich verlaufen wird.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Was Sie mit Ihren Innenministerkollegen geboten haben, ist peinlich. Bei jedem rechtsextremen Vorfall, z. B. in

Mügeln, wird sofort ein NPD-Verbot gefordert. Das ist aber nicht das Allheilmittel bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus. In Mügeln war kein einziges NPDMitglied an der grausamen Verfolgung der Inder beteiligt. Ein Verbot der NPD hätte diesen Vorfall nicht verhindert und bekämpft auch nicht die rechte Ideologie in den Köpfen der Menschen.

[Beifall bei den Grünen, der Linksfraktion und der FDP]

Das Finanz- und Strukturargument ist uns bewusst, aber man muss sehen, dass bei der heutigen Situation eine Diskussion um ein NPD-Verbot zu nichts führt. Also beteiligen Sie sich an der parlamentarischen Debatte um andere, nachhaltige Lösungen! Die Demokratie ist stärker, und wer die NPD heute und jetzt nachhaltig bekämpfen will, muss sich dafür einsetzen, dass die Menschen sie erst gar nicht wählen.

[Beifall bei den Grünen, der Linksfraktion und der CDU]

Da der Anlauf zum erneuten NPD-Verbot gescheitert ist, sind auch Sie, Herr Körting, in der Pflicht, Alternativen zu benennen. Die bisherigen Vorschläge sind aus meiner Sicht eher dünn bzw. noch nicht ganz unterlegt. Wie soll Ihr Malus-System, welches, z. B. wenn Flyer mit rassistischen Äußerungen herausgegeben werden, nachwirkend den Parteien das Geld wieder wegnehmen soll, konkret ausgestaltet sein? Wer kontrolliert das? Wie soll ein solches System vor Missbräuchen geschützt sein? Ist das nicht eher ein Versuch, das Parteienprivileg gegenüber einer Partei einmal greifen zu lassen und einmal nicht? Das muss dann doch schiefgehen und bietet der NPD eher eine Plattform, ihre Materialien öffentlicher zu diskutieren. Im konsequenten Kampf gegen Rechtsextremismus braucht es einen Mix aus Repression, Intervention und vor allem Prävention. Die gestrigen Verbote der rechten und Holocaust-verleugnenden Vereine, dem Collegium Humanum und dem Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten, war gut, aber schon lange überfällig.

Aber zurück zur Landepolitik und der hier schon angesprochenen Landeskonzeption gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus: Es ist gut, dass es mit dieser Vorlage aus dem Senat einen Überblick über die vorhandenen Aktivitäten in Berlin gibt. Wir haben hier eine besondere Situation: Wir haben viele Zuständigkeiten. Es gibt den Senator für Jugend, es gibt die Senatorin für Integration, und es gibt den Senator für Inneres. Zusätzlich kommen die Bezirke und der Bund als Akteure hinzu. Das führt leider dazu, dass es keine gemeinsame Gesamtkonzeption zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gibt und dass jeder eher seine Interessen verfolgt. Ich sehe leider nicht, dass das ursprüngliche Ziel der besseren Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure durch die Landeskonzeption wirklich erreicht wird.

[Beifall von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne)]

Zu wünschen ist es jedoch, da das die praktische Arbeit vor Ort derzeit behindert und blockiert, z. B. beim Coachen der lokalen Aktionspläne. Hier coachen sich ver

schiedene Senatsverwaltungen gegenseitig, das kann nicht sinnvoll sein.

[Beifall bei den Grünen]

Es fehlt eine gemeinsame Strategie sowie eine Vernetzung der Aktivitäten vor Ort. In der Konzeption sind Leitprojekte enthalten, die in der Stadt bereits täglich durchgeführt werden. An anderer Stelle steht Prosa, wo Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Ich nenne nur ein Beispiel – das der Berliner Polizei. Man muss der Berliner Polizei zugestehen, dass sie sich in den letzten Jahren durchaus weiterentwickelt und gebessert hat. Die Auseinandersetzung zwischen links und rechts hat sie auf Veranstaltungen gut im Griff – anders als die Hamburger Polizei. Das liegt auch daran, dass Gegenveranstaltungen meist unter scharfen Sicherheitsauflagen durchgeführt werden. Ich als Bürgerin dieser Stadt, die sich gegen den Thor-Steinar-Laden einsetzt, finde es unerträglich, dass eine angemeldete Demo aus Sicherheitsgründen nicht durch die Rosa-Luxemburg-Straße ziehen darf und ich meinen friedlichen Protest nicht in unmittelbarer Sichtweite des Ladens kundtun darf.

[Beifall bei den Grünen]

Glauben Sie wirklich, dass es am helllichten Tag, bei großer Polizeipräsenz, zu Übergriffen kommt, wenn es eh fast jede Woche zu Übergriffen kommt? – Oder der Austausch mit der Zivilgesellschaft, z. B. bei Runden Tischen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das in der Praxis verankert. Das letzte Beispiel zeugt leider nicht von Kooperationsbereitschaft der Berliner Polizei. Die Initiative gegen Rechts in Friedrichshain wollte die drei Personen, die Anfang März einen Angolaner am S-Bahnhof Frankfurter Allee das Leben retteten, für ihr zivilgesellschaftliches Engagement auszeichnen. Dafür wurde die Polizei um Kontaktaufnahme gebeten. Einige Tage später konnte man in der Presse lesen, dass die Polizei die drei Lebensretterinnen und Lebensretter für ihr zivilgesellschaftliches Engagement ausgezeichnet hat.

[Senator Dr. Ehrhart Körting: Wie sie das immer tut!]

Im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ist eine starke Zivilgesellschaft mit viel Mut zum Eingreifen dringend erforderlich und sollte von politischer Seite – wo es geht – unterstützt werden. Wir wünschen uns, dass die guten Dinge, die in der Landeskonzeption stehen, auch wirklich in der Praxis ankommen. Unser gemeinsamer Dank sollte heute an die vielen Aktiven gehen, die sich tagtäglich gegen Menschenfeindlichkeiten engagieren. Die Politik könnte sich manchmal davon eine Scheibe abschneiden. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist kein Thema, das nach grausamen Taten oder anderen Ereignissen auf der Agenda stehen sollte, sondern permanent zu thematisieren ist. Rechtspopulistische Schlagworte wie Kochs kriminelle junge Ausländer, Lafontaines Fremdarbeiter oder unsägliche Auftritte bei Debatten um Moscheebauten stärken die extreme Rechte. Dem sollten sich Demokraten gemeinsam entgegenstellen.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Beifall von Udo Wolf (Linksfraktion)]

Frau Herrmann! Sie müssen leider zum Schluss kommen!

Das Wichtigste ist jedoch, das, was man propagiert, zu leben – ein demokratisches, tolerantes und menschenfreundliches Miteinander, sei es in der Kita, der Schule, auf dem Sportplatz, in der Kneipe oder in den politischen Debatten. Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit haben keinen Platz in Berlin und sollten es auch sonst nirgendwo auf der Welt haben.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege Jotzo.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede Ideologie oder Aktivität, die den demokratischen Verfassungsstaat und das an den universalen Menschenrechten orientierte Gleichheitsprinzip ablehnt, ist extremistisch. Es ist wichtig, dass unsere wehrhafte Demokratie sich dieser Gefahr bewusst ist und auf diese Gefahr angemessen reagiert. Menschenverachtendes, extremistisches Gedankengut steht einer toleranten und liberalen Bürgergesellschaft diametral entgegen, und die Aufgabe des Staates, der Parteien, vor allem aber unserer Zivilgesellschaft ist es, diesem Gedankengut zu begegnen.

[Beifall bei der FDP]

Es ist richtig, dass wir heute den 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel zum Anlass genommen haben, die Situation der jüdischen Menschen in Berlin zu thematisieren. Es ist der Wunsch meiner Fraktion gewesen, dass man dies noch intensiver gemacht hätte. Sie, die Regierungskoalitonen, haben sich aber dafür entschieden, sich dem Thema Antisemitismus zu widmen und sich auf den Bereich des Rechtsextremismus zu beschränken. Das ist bedauerlich, denn wenn man sich ernsthaft mit dem Thema befasst – das wurde bereits von Herrn Henkel angesprochen –, weiß man, dass Antisemitismus und leider auch Fremdenfeindlichkeit keine spezifisch rechten Phänomene sind. Vielmehr muss man sich, wenn das Motto der Aktuellen Stunde „Lehren aus der Geschichte ziehen“ ernst genommen werden soll, der Tatsache bewusst sein, dass es die linke Gruppe Bewegung 2. Juni war, die in Westberlin in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1969 einen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus verübt hat. Es war die RAF, die auf die Ermordung israelischer Olympiasportler 1972 in München positiv reagiert

hat, und es waren Linksextreme, die im Zuge einer Flugzeugentführung im Jahre 1976 die Insassen nach jüdisch und nichtjüdisch unterschieden haben. Das Zitat von Herrn Lafontaine, der immer wieder mit sehr grenzwertigen Formulierungen wie „Fremdarbeiter“ auffällt, wurde bereits erwähnt. Es ist – und das muss an dieser Stelle gesagt werden – die Linkspartei, die immer wieder gegen den Staat Israel wettert, und es sind Vertreter Ihrer Linkspartei,

[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

die regelmäßig israelfeindliche Mitglieder der Hamas nach Deutschland einladen.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Das muss an dieser Stelle gesagt werden!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Berlin hat die größte jüdische Gemeinde Deutschlands, und wir haben leider noch immer den Umstand, dass Berlinerinnen und Berliner jüdischen Glaubens Angst haben, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen. Das ist nicht hinnehmbar, und es ist die Aufgabe der Politik, diese Bürgerinnen und Bürger zu stärken und dafür Sorge zu tragen, dass diese Ängste entkräftet werden. Eine Regierungsfraktion, deren Partei sich gegen Israel stellt, ist da sicherlich nicht das richtige Zeichen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Stimmt doch gar nicht! Lüge! Frechheit! von der Linkspartei]

Wenn die Koalition es mit der Prävention ernst meint, dann sollte sie ihre eigenen Funktionäre in den Griff bekommen und den Linksextremismus nicht dadurch stärken, dass Mitglieder der DKP mit äußerst bedenklichen linksextremen Ansichten auf deren Listen kandidieren.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Es tut mir leid, zu dieser Konsequenz sind Sie offenbar nicht bereit,

[Uwe Doerinig (Linksfraktion): Absoluter Quatsch!]

und anscheinend ist deswegen die Bekämpfung des Linksextremismus bei Ihnen auf unbestimmte Zeit von der Tagesordnung genommen.

Die FDP-Fraktion verurteilt jede Form von Extremismus und macht auch keine Unterschiede, ob es sich um linke, rechte oder um Ausländerextremisten handelt. Extremisten sind sich einig in dem Versuch, unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung mit gewaltsamen Mitteln zu überwinden. Diese unterschiedlichen Richtungen des Extremismus zeigen ganz übereinstimmend, dass es meist junge und in ihrer Persönlichkeit noch nicht gefestigte Menschen sind, die sehr anfällig für extremistische Ideale sind. Deshalb öffnen sie sich den Theorien, Organisationen und Aktionen der Extremisten. Es zeigt sich deutlich, dass die Bekämpfung von Extremismus mit der Präventionsarbeit beginnen muss.

Die vorgelegte Konzeption des Senats – Frau Kitschun hat es eindrucksvoll geschildert – zeigt aber leider deutlich, dass es immer noch kein einheitliches Konzept gegen Extremismus gibt. Stattdessen wird frei nach dem Motto verfahren: Jeder darf sich selbst verwirklichen. Es werden zahlreiche Programme unterstützt und finanziert, und dabei ist es sicherlich richtig, bei der Bekämpfung von Extremismus auf die Stärkung der Zivilgesellschaft zu setzen, um den extremistischen Bestrebungen den Nährboden zu entziehen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das kann und sollte aber nicht so weit gehen, dass zahlreiche Projekte nach dem Gießkannenprinzip gefördert und ohne Evaluation finanziert werden. Das Konzept des Senats listet Netzwerke, Kompetenzzentren, Förderprogramme und Leitprojekte auf, und das zeigt deutlich, dass auch acht Jahre nach dem ersten Konzept das Ganze noch sehr von Planungen und Visionen geprägt ist und wenig Konkretes enthält. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich aus dem Papier zitieren. Zum Leitprojekt „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ steht geschrieben: