Protocol of the Session on September 13, 2007

Jugendliche in der Haft versuchen, die Restriktionen ihres Alltags ein Stück weit zu umgehen. Das ist aus ihrer Perspektive nachvollziehbar. Gesprächskontakte über die Mauer hinweg, gelegentlich einen Joint oder ein Telefonat mit dem Mobiltelefon sind für inhaftierte Jugendliche etwas Erstrebenswertes. Deshalb denken sie darüber nach, wie sie da herankommen können, und sie sind nicht völlig einfallslos. Das ist bekannt.

Schon Mitte der 90er Jahre, als ich Mitglied im Berliner Vollzugsbeirat war, spielte dort das Phänomen der Drogeneinbringung und der Kontaktaufnahme eine Rolle, nicht nur, aber auch in der Jugendstrafanstalt. Und nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Bundesrepublik wurde seinerzeit über die Aufstellung von Spritzenautomaten diskutiert, nicht, weil der Gebrauch harter Drogen in den Anstalten begrüßt wurde, nein, weil niemand wusste, wie man ihn unterbinden kann und weil man die Ansteckung zwischen Gefangenen mit HIV und anderen Krankheiten verhindern wollte. Liberale Justizminister und grüne Abgeordnete kämpften damals Seite an Seite um einen sicheren und liberalen Strafvollzug.

Erwachsene Strafgefangene sind nicht anders. Als ich vor wenigen Wochen in der JVA Moabit war – das war weit vor der „Kontraste“-Sendung –, habe ich bereitwillig und problembewusst Auskunft über das Phänomen der Überwürfe – vornehmlich von Mobiltelefonen, aber auch von anderen Dingen – Auskunft erhalten. Auch außerhalb von Vollzugsanstalten gibt es Leute, die darüber nachdenken, wie man punktuell die Haftbarriere durchbrechen kann.

Selbstverständlich versuchen die Berliner Vollzugsbehörden im Gegenzug, die Haftbarrieren dichter zu machen, und wer im Rechtsausschuss zugehört hat, weiß auch, wie. Die hermetische Abriegelung einer Haftanstalt ist aber noch keiner Justizbehörde gelungen, und das ist auch nicht das Ziel, weder von Frau Senatorin von der Aue, noch von einem ihrer Vorgänger. Die Zahl der Fluchten unter dem einstigem Justizsenator Diepgen ist allen gut in Erinnerung. Sie wurde meines Wissens nie überboten. Das ist bei der Entscheidung, ob er einen Verdienstorden der Stadt verdient, auch nicht berücksichtigt worden.

[Vereinzelte Heiterkeit bei der Linksfraktion und der SPD]

Was ist eigentlich passiert? – Im Fernsehen liefen Bilder von Überwürfen in der Jugendstrafanstalt, weil sie eine Journalistin mit der Kamera festgehalten hat. Bilder haben ihre eigene Faszination. Da müssen sie nicht einmal besonders Neues enthalten. Bereits im Mai waren die Abgeordneten des Rechtsausschusses – also auch Vertreter der Opposition – in der Jugendstrafanstalt. Dort haben wir einen Rundgang gemacht, und wer sich mit dem Anstaltsleiter über die Sicherung der Anstalt unterhalten hat, konnte von dem Phänomen der Überwürfe und auch von der Schwierigkeit erfahren, mit ihnen zurechtzukommen. Herr Kluckert! Herr Rissmann! Da haben Sie offenbar geschlafen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Nichts wirklich Neues also, aber allemal ein Anlass für die stadtbekannte Jamaikabruderschaft – ich weiß nicht, ob Sie Ihre Fraktionsvorsitzende Franziska EichstädtBohlig bei so etwas mit einbeziehen – so engagierter Vollzugspolitiker wie Dr. Pflüger, Dr. Lindner und dem verhinderten Justizsenator Ratzmann, der offenbar eine offene Rechnung hat, weil er gern dort sitzen würde, wo Frau von der Aue jetzt sitzt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Sie nutzten die Gelegenheit, in voller Truppe im Rechtsausschuss aufzutauchen und ebenso schnell wieder zu verschwinden, obwohl die Besprechung des Tagesordnungspunktes noch nicht einmal beendet war – das zum sachlichen Interesse. Nun drängte wohl der Termin zur Pressekonferenz im Nebenraum – das ist bitter, Herr Dr. Pflüger.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das ist ein ziemlich schlechter Stil, über den wir gerne mal reden können! Ansonsten bleibt nicht allzu viel – einen „schwunghaften Drogenhandel“, wie von der Opposition im Ausschuss suggeriert, gibt es nicht. Auch Waffenhandel und ein Übermaß an harten Drogen gibt es nur in den Phantasien des Herrn Kluckert. Eine Irreführung des Parlaments, Herr Dr. Pflüger, gibt es nicht. Behörden, die seit Jahren untätig zuschauen – unter der Verantwortung diverser Justizsenatoren und -senatorinnen – gibt es ebenfalls nicht. Nein, die Tatsachen sind andere: 400 Gramm Cannabis haben 2007 ihre potenziellen Empfänger nicht erreicht. Herr Ratzmann müsste wissen, dass das angesichts der Insassenzahl eine relativ übersichtliche Menge ist.

[Beifall und Heiterkeit bei der SPD]

400 Mobiltelefone haben im Jahr 2007 ihre potenziellen Empfänger nicht erreicht. Urinproben belegen, dass es ein Problem mit harten Drogen innerhalb der Jugendstrafanstalt nicht gibt. Die beschlagnahmten Gegenstände werden gesichert, gegebenenfalls werden Strafanzeigen erstattet. Das Problem nach wie vor existierender Vertriebswege von Gegenständen ist real, aber bekannt. Die bauliche Situation der Anstalt ist schwierig – der Kollege Felgentreu hat darauf hingewiesen –, das ist nun so. Aber seit 1996 fährt die Polizei regelmäßig die Anstalt an, seit 2005 ist der Polizei die Überwurfproblematik bekannt, es

werden Kontrollen durchgeführt, gegebenenfalls werden auch erkennungsdienstliche oder strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen durchgeführt. Es wird videoüberwacht – wahrscheinlich in bedenklicher Art und Weise –, aber selbst das genügt der Opposition noch nicht, und Herr Lindner möchte die Jugendstrafanstalt gar mit Bewegungsmeldern ausstatten – nun gut. Es zeigt sich deutlich: Die Behörden sind bestrebt, dem einen Riegel vorzuschieben, allerdings mit Augenmaß und sinnvollen Maßnahmen. Mich überzeugt, dass es wohl nur die viel erörterten Fenstergitter sind, die nun Abhilfe schaffen. Froh bin ich darüber allerdings nicht, denn ich meine, je repressiver der Strafvollzug von den Jugendlichen oder Heranwachsenden empfunden wird, umso schwieriger sind Resozialisierung und Erziehung. Und darum, das wollen wir nicht vergessen, geht es in der Jugendstrafanstalt doch immer noch zuallererst.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Womit wir uns tatsächlich näher befassen müssen, das ist das für Justizvollzugsanstalten typische soziokulturelle Milieu. In jedem Knast gibt es eine Subkultur, die durchaus gefährlich sein kann – für Insassen wie für Bedienstete. Bei Überbelegung und knappen Personalressourcen ist das erst recht ein latentes Problem, aber wir werden weiterhin dafür sorgen, dass die Voraussetzungen besser werden, mit diesem Problem vernünftig umzugehen. Es wäre schön gewesen – da hat der Kollege Felgentreu recht –, die Fraktionsvorsitzenden hätten sich die Haushaltsberatungen einfach mal angehört, denn da war genau das Thema – allerdings waren da die Kameras schon weg.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Ich komme gleich noch dazu, lieber Kollege Lux, wer hier Personalabbau gestoppt hat! – Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich an dieser Stelle kurz unterstreiche, dass Justizsenatorin von der Aue für die Bewältigung der dabei noch anstehenden Aufgaben unser volles Vertrauen hat und wir sie tatkräftig dabei unterstützen werden. Lieber Kollege Rissmann! Es mag ja sein, dass Frau von der Aue hier ein Dauerbrenner ist. Bisher hat ihr das aber nicht etwa zu einem schlechten Ruf verholfen, sondern bestenfalls zu einem höheren Bekanntheitsgrad als dem Ihres Fraktionsvorsitzenden Herrn Dr. Pflüger.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Das ist aber auch nicht schwer!]

Das ist wahr, das ist nicht schwer! – An dieser Stelle muss ich noch einmal über die Grünen oder genauer über Herrn Ratzmann reden. Er ist der Ansicht, er habe den Personalabbau in den Vollzugsanstalten gestoppt, und rühmt sich dafür auch. Dass wir das waren, ist nun eine Tatsache, und damit erkennen Sie indirekt an, dass RotRot durchaus nicht so tatenlos war, wie Sie es uns unterstellen. Aber, Herr Ratzmann, gibt es eigentlich eine Schamgrenze für Ihre Hybris?

[Volker Ratzmann (Grüne): Ja!]

Was haben Sie erreicht mit Ihrem Skandalgeschrei der vergangenen Wochen? – Bedienstete kontrollieren Hafträume, anstatt sich um die Betreuung der Gefangenen zu kümmern. Polizisten stehen an einer Gefängnismauer, anstatt für öffentliche Sicherheit in der Stadt zu sorgen. Und, liebe Grüne, es ist das eine, schöne Gesetzentwürfe für einen guten Betreuungsvollzug zu fordern, aber es ist das andere, sich um politischer Opportunität willen an der Erzeugung eines Klimas zu beteiligen, welches den Sicherheitsaspekt in der Anstalt über jede andere Erwägung stellt. Sicherheitsfanatismus, Herr Ratzmann, braucht ein bestimmtes Klima, und Sie haben in den letzten Wochen kräftig mit angeheizt, das sage ich Ihnen!

[Anhaltender Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das war schwarz-grün-gelbes Schmierentheater, Herr Ratzmann! Sie hatten wirklich keinerlei Scheu, verteidigenswerte Grundsätze eines guten Jugendvollzugs um kurzfristiger taktischer Erwägungen willen in den Dreck zu treten. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen – und das meine ich ernst –, dass Herr Behrendt mal ganz schnell den Rückwärtsgang eingeschaltet und aufs Gas getreten hat. Denn hier waren es die notwendigen Klarstellungen, um zu einer Versachlichung der Debatte zurückzukommen, liebe Grüne.

Wer Jugendliche in den Knast steckt, steckt sie nicht in einen umzäunten Jugendclub, sondern setzt sie einem repressiven Verhältnis aus. Im Knast gibt es Subkulturen, gewaltförmige Strukturen und Abhängigkeitsverhältnisse. Deswegen gibt es Ereignisse wie in Siegburg. Natürlich muss es das wichtigste Ziel eines jeden guten Vollzugs sein, dem so gut wie nur möglich entgegenzuwirken. Es wäre aber blauäugig zu glauben, dies ließe sich alles unterbinden. Knast ist vor allem erst einmal Knast, und wir wissen, wohin wir verurteilte jugendliche Straftäter schicken. Der Glaube, dass Knast ein erstrangiges soziales Besserungsmittel ist, gerät in der Wirklichkeit recht schnell an deutliche Grenzen. Diese kriminologisch belegbare Wahrheit ist in der aktuellen Debatte völlig aus dem Blick geraten. Diese Diskussion müssen wir wieder in den Mittelpunkt rücken.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das scheint Sie alles sehr zu nerven, Herr Lux, da staune ich, denn das sind urgrüne Anliegen, jedenfalls mal gewesen. Genau das wird Rot-Rot jenseits von Gedonner und Gelärme auch leisten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zurufe von Benedikt Lux (Grüne) und Thomas Birk (Grüne)]

Vielen Dank, Herr Abgeordnete Dr. Lederer! – Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordnete Kluckert das Wort – bitte!

[Christian Gaebler (SPD): Kamera aus! Sebastian Kluckert (FDP): Es wäre Ihnen am liebsten, Herr Gaebler, die Kamera ginge jetzt aus, aber jetzt kommt noch etwas Wichtiges von der FDP, und das wird hoffentlich schon noch nach außen dokumentiert. [Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Jahresanfang erlebten wir im Zusammenhang mit der Medikamentenaffäre eine Justizsenatorin, die sich als „brutalstmögliche Aufklärerin“ von Berlin in Szene setzen wollte. Ich habe zu Frau von der Aue schon damals gesagt:

[Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion]

Ob Sie eine Aufklärerin sind, Frau von der Aue, erweist sich doch nicht daran, wie Sie mit den Dingen umgehen, die Sie überhaupt nicht zu verantworten haben. Die Nagelprobe wird doch erst gemacht, wenn Missstände aufzuklären sind, die in Ihrer eigenen Dienstzeit passiert sind. – Wenn man sich die Amtsführung und Performance der Justizsenatorin in den vergangenen zehn Tagen ansieht, dann kann ich nur feststellen, Sie sind eher die brutalstmögliche Vertuscherin, wenn es um die eigenen Versäumnisse geht.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Anders, Herr Dr. Lederer, kann man es wohl nicht bezeichnen, wenn die Senatorin am 9. Mai den Rechtssausschuss in der Jugendstrafanstalt empfängt und den Abgeordneten den Drogenhandel an der Gefängnismauer verschweigt. Sie möchten das zwar gehört haben,

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Ich habe es gehört!]

aber da haben Sie wohl halluziniert, mit realen Erscheinungen hatte das nichts zu tun.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Frau von der Aue! Sie sind die Frau mit dem Eisengitter in der Handtasche. Dieses Eisengitter halten Sie überall hoch und sagen: Schaut her, was ich für die Jugendstrafanstalt Gutes bestellt habe! – Sie reden damit vollkommen an der Sache vorbei. Niemand kritisiert Sie dafür, im März neue Fenstergitter bestellt zu haben – was allerdings auch schneller hätte gehen können. Wir werfen Ihnen vielmehr vor, dass Sie darüber hinaus nichts unternommen haben, um den Drogen- und Handyüberwurf bis zum Eintreffen der Gitter zu verhindern. Sie können nur von Glück reden, dass keine Waffen in die Anstalt gelangt sind. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch wir wissen genau, dass es kaum möglich ist, ein Gefängnis drogenfrei zu bekommen. Wir erwarten von diesem Senat aber, jedes bekannte Loch unverzüglich zu stopfen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Frau von der Aue! Sie haben monatelang untätig zugesehen und abgewartet. Sie haben das unbedingt Gebotene versäumt, nämlich Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um einen bekannten Schmuggelpfad zu schließen. Sie haben

lieber den Herren Intensivtätern vertraut, dass schon keine Waffen in die Anstalt gelangen werden. Ihr Untätigbleiben, das Untätigbleiben des Senats ist deswegen besonders ärgerlich und verantwortungslos, weil alles, was wir in der „Kontraste“-Sendung gesehen haben, von heute auf morgen hätte verhindert werden können.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Es hätte ein einziger permanenter Posten an der Gefängnismauer ausgereicht. Und jetzt sagen Sie uns bitte nicht: Dafür hat dieser Senat kein Geld. Dafür hat dieser Senat kein Personal. – Dieser Senat hat genug Geld und Personal, um in der Innenstadt eine flächendeckende und zeitnahe Falschparkerverfolgung rund um die Uhr sicherzustellen. Und wer da sagt, wir haben nicht das Geld und das Personal, um an der Gefängnismauer bis zum Oktober einen Wachposten einzurichten, hält die Bürgerinnen und Bürger zum Narren und ist unwillig, die Sicherheitsprobleme der JSA zu lösen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Aber es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, das Problem bis zum Oktober in den Griff zu bekommen. Der Polizeipräsident hat uns am Montag berichtet: Erstmalig hat die Anstaltsleitung die Polizei erst am 3. September 2007 nach Ausstrahlung des Berichts informiert. – Da kann man sich nur noch an den Kopf fassen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Dass die Justizsenatorin keine Sofortmaßnahmen veranlasste, sondern das Treiben an der Gefängnismauer auf Monate hinaus duldete, weder die Senatsverwaltung noch die Anstalt die Polizei informierten und auch der Rechtsausschuss getäuscht wurde, das ist nur die eine Seite.

Die andere Seite bildet das glücklose Agieren der Justizsenatorin seit dem öffentlichen Bekanntwerden der eklatanten Fehlleistungen in ihrem Verantwortungsbereich. Zunächst fehlen Frau von der Aue bis heute jede Einsicht und jedes Problembewusstsein. Die Justizsenatorin meint bis heute, alles richtig gemacht zu haben. Wer am 2. September in einem Interview auf die Frage nach einem Rücktritt antwortet: „Weshalb? Ich habe ja sofort gehandelt“, der macht sich nicht nur lächerlich, sondern offenbart gleichzeitig auch, dass seine Tatkraft nicht ausreicht, um die Probleme im Strafvollzug zu lösen.