Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 82. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Zum Geschäftlichen gibt es Folgendes: Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linkspartei.PDS zum Thema: „Föderalismusreform jetzt umsetzen!“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Flierls Gedenkbrache am Checkpoint Charlie und ein gedankenloses Gesamtkonzept – kann man das Mauergedenken wirklich vertagen und verdrängen?“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Föderalismusreform ja – bildungspolitische Kleinstaaterei nein!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Schluss mit der rot-rot-schwarzen Abzocke – kein Straßenausbaubeitragsgesetz im Land und keine 19 % Mehrwertsteuer im Bund!“.
Die Koalitionsfraktionen haben ihren Antrag am Dienstag zurückgezogen. Auf ein gemeinsames Thema konnte sich der Ältestenrat nicht verständigen, wobei sich die Koalitionsfraktionen für den Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausgesprochen hatten. Zur mündlichen Begründung der Aktualität rufe ich nun für die CDUFraktion Herrn Lehmann-Brauns auf. – Bitte, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahr für Jahr wachsen die Besucherströme nach Berlin. Einen Höhepunkt wird es im Sommer anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft geben. Wie man hört und liest, rechnen einschlägige Etablissements in den kommenden Monaten mit guten Geschäften. Die Schlachtenbummler mit spezifischen Bedürfnissen dürfen sich also freuen. Auf sie ist Berlin gut vorbereitet. Warum auch nicht, der Regierende Bürgermeister hat den Maßstab ja vorgegeben: „Berlin“, so Herr Wowereit, „ist arm, aber sexy“.
Wie steht es nun mit der Vorbereitung in Bezug auf die Diktaturgeschichte im Stadtbild? – Berlin hat jenseits jener Banalisierung und Herunterzonung seiner Wahrnehmung doch anderes zu bieten. Die Stadt hat eine doppelte Diktaturerfahrung. Sie hat es erreicht, dass die schlimmste Diktatur, die braune, angemessen dokumentiert wurde. Woran es nach wie vor fehlt, ist eine adäquate Dokumentation der roten Diktatur. Hier hat sich die Stadt, hier haben wir uns alle zunächst blamiert. Weil wir sie nicht mehr sehen wollten, diese verfluchte Mauer, haben wir sie fast total beseitigt. Es ist erst einige Jahre her, dass ein Umdenken eingesetzt hat und eine Konzeption erarbeitet wurde, wie auch immer diese zustande kam. Es ist
eine Konzeption, die die Geschichte der Stadt, ihre Beschädigung, ihre Opfer, ihre Wende betrifft. Es ist also eine Konzeption, die das Stadtgesicht Berlins unverwechselbar machen würde. Schon heute suchen Millionen Touristen nach diesem Gesicht, suchen nach Mauerresten, Wachtürmen, nach der Geschichte dieser Stadt. Diese Nachfrage wird sich noch steigern.
Was finden wir aber heute von dieser Gedenkstättenkonzeption vor? – Wenig bis nichts: zum Beispiel sieben aufgemalte unscheinbare Kreuze zur Erinnerung an die Mauertoten innerhalb der gigantischen Neoarchitektur und ihrer Brachen am Spreeufer. In diesem Defizit liegt die Aktualität unseres Antrags. Dieses Defizit 16 Jahre nach dem Mauerfall stellt ein Versagen der Politik dar. Zweierlei, Herr Flierl, ist vordringlich: Sie haben zugesehen, wie die Mauerkreuze am Checkpoint Charlie verschwanden. Das ist nun sieben Monate her. Sie haben nichts Vergleichbares oder Ähnliches für die Opfer und ihre Repräsentation veranlasst. Das ist nur eins: Das ist beschämend!
Zweites Thema ist die Bernauer Straße: Weshalb, Herr Flierl, haben Sie es nicht fertigbekommen, Transparenz über die zur Verfügung stehenden Grundstücke zu schaffen?
Zusammengefasst: Es gibt keine konkreten Schritte des Senats zur Umsetzung der Gedenkstättenkonzeption. Berlin darf sich nicht ohne seine aktuelle Geschichte präsentieren. Bei diesem Notruf lasse ich es. Er beweist den aktuellen Handlungsbedarf, denn die Stadt, Herr Senator und Herr Regierender Bürgermeister, könnte weit mehr sein als „arm und sexy“. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Lehmann-Brauns! – Nun hat Frau Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. – Bitte schön, Frau Paus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Montag dieser Woche haben das Bundeskabinett und die Ministerpräsidenten der Länder die von CDU und SPD ausgehandelte Reform des deutschen Föderalismus beschlossen. Jetzt sind Bundestag und Bundesrat am Zug. Jetzt beginnt die Stunde der Parlamente. Deswegen sollten wir hier und heute darüber reden. interjection: [Beifall bei den Grünen]
Das Thema Mauergedenken ist wichtig, hat aber nicht wirklich einen aktuellen Anlass. Über das Straßenausbaubeitragsgesetz wird heute ohnehin beraten. Die Mehrwertsteuererhöhung ist zwar auch inzwischen verabschiedet, aber in ihren Konsequenzen nicht mit denen der Föderalismusreform zu vergleichen. Aber Änderungen an dem vorliegenden Paket zur Föderalismusreform, die aus unserer Sicht unbedingt notwendig sind, können wir nur jetzt einbringen. Deswegen müssen wir sie jetzt diskutieren.
Jetzt ist noch Zeit. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Föderalismusreform so zu gestalten, dass sie tatsächlich Besserungen für die Menschen in unserem Land bringt und nicht nur für die Politprofis. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Frau Kollegin Paus! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende Dr. Lindner das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Lindner!
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Wenn es eines eindeutigeren und klareren Hinweises bedurft hätte, welcher der aktuellste aller Aktuelle-Stunden-Vorschläge ist, muss man nur den heutigen Aushang des Hauses lesen. Dort wird, ich zitiere, „anlässlich des großen Publikumsinteresses am Straßenausbaubeitragsgesetz“ darauf hingewiesen, dass es keinen Sinn mache, sich zu dieser Stunde auf die Publikumsränge zu begeben, denn man gedenke, über dieses interessante Thema frühestens ab 19 Uhr zu diskutieren. Das ist der springende Punkt: Sie möchten nicht, dass dieses sehr aktuelle Thema, das den Bürgerinnen und Bürgern auf den Nägeln brennt, vor Redaktionsschluss in diesem Hause diskutiert wird,
Die Föderalismusreform ist eine wichtige Reform. Wenn sie so käme wie vom Kabinett beschlossen, dann wären in einer Reihe von Bereichen kleinere und größere Durchbrüche erzielt worden. Allen voran ist die deutliche Senkung der Zahl an Gesetzen zu nennen, die künftig vom Bundesrat blockiert werden können. Damit wären weniger Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig. Das wäre gut. Auch wir im Abgeordnetenhaus würden künftig einiges mehr und eigenständig entscheiden dürfen. Das wäre ein nicht zu unterschätzender Gewinn. Aber genauso wahr ist: Gerade die Themen, an denen sich die Föderalismusdebatte entzündet hat – Steuerreform, Rentenreform, Arbeitsmarkt- und Sozialreform –, all die Themen, die die Menschen in diesem Land tatsächlich bewegen und wo sie sich aufregen, sind herausgenommen worden. Gerade bei ihnen ändert sich nichts.
Und bei der Bildung, der zentralen Herausforderung für ganz Deutschland im 21. Jahrhundert, versetzt uns die Reform zurück in die deutsche Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts. Das versteht kein Mensch. Deshalb war es richtig, die Reform im ersten Anlauf an dieser Frage scheitern zu lassen. Es wäre nachgerade ein schlechter Witz der Geschichte, wenn der zweite Anlauf nicht mit Verbesserungen, sondern noch mit weiteren Verschlechterungen gerade im Bildungs- und Hochschulbereich durchgehen würde. Das muss geändert werden. Deshalb wollen wir heute darüber reden.
Darüber hier im Abgeordnetenhaus zu reden, ist auch deswegen sinnvoll, weil es Berlin, weil es der Regierende Bürgermeister war, der für die Länderseite das Thema Bildung mit verhandelt hat. Wenn Herr Wowereit heute sagt, das Paket könne auf keinen Fall mehr aufgeschnürt werden, jeder, der das mache, gefährde das gesamte Projekt, aber auf der anderen Seite heute auch schon darauf hinweist, dass ohne bundesweite Anstrengungen der Studentenberg, der auf Berlin und die anderen Bundesländer in den kommenden zehn Jahren zurollt, nicht zu meistern sei, dann zeigt das den Irrsinn dieses Föderalismusreformpakets. Dann muss man eben noch einmal in aller Ruhe und Ernsthaftigkeit darüber reden.
Im Bundestag soll das nicht mehr möglich sein – im Bildungsausschuss hat gestern die große Koalition einen Antrag der drei Oppositionsfraktionen auf eine Anhörung verhindert. Offenbar wurde den Bildungspolitikern der SPD, z. B. Herrn Tauss, aber auch dem Berliner Bundestagsabgeordneten Swen Schulz inzwischen ein Maulkorb verpasst. Umso wichtiger ist es, dass die Landtage dieses Thema noch einmal intensiv debattieren. Wenn die SPD, die seit ihren Anfängen das Thema Bildung als Gerechtigkeitsthema begriffen hat – eng verzahnt mit allen bundesweit geregelten Politikfeldern –, wenn diese SPD einen derartigen Rückschritt mitmacht, dann wäre das schlecht, und sie würde zu Recht die Quittung für so einen Quatsch erhalten.
Das Thema aber, das den Bürgern auf den Nägeln brennt, das Ihnen in die Tasche greift und Ihnen unangenehm ist, das möchten Sie gerne zu nachtschlafener Zeit diskutieren. Dagegen wehren wir uns als bürgerliche Opposition.
Es ist schon aus dem Grunde aktuell, weil es gestern im Hauptausschuss beraten wurde und zugegeben werden musste, dass der Senat noch nicht einmal eine finanzielle Gesetzesfolgeabschätzung unternommen hat, um darzulegen, welche Auswirkungen wir zu erwarten haben. Sie möchten die Sache möglichst schnell durchziehen, damit Ihnen das im Wahlkampf nicht auf die Füße fällt und klar wird, welche Abzock-Regierung hier in Berlin am Start ist.
Das hat man bereits bei den Wasserpreisen und ähnlichen Dingen gesehen. Interessant ist dabei vor allem die Rolle der Linkspartei.PDS, die uns im Bundestag in großer Populistenmanier erzählt, wie dem Bürger in die Tasche gegriffen wird und wie böse die Neoliberalen sind. Wenn es dann aber ums Abzocken in dieser Stadt geht, sind Sie immer dabei.
Da wollen wir doch mal sehen, Sportsfreunde, ob ihr da wieder so mutig und kraftvoll seid wie beim Straßenausbaubeitragsgesetz. Mit riesigem Theater hier erklären, wie schädlich die Mehrwertsteuer ist – da sind Ihre populistischen Oberhäuptlinge Gysi und Lafontaine wieder groß dabei. Wir wollen aber heute – und zwar jetzt und nicht erst nach Redaktionsschluss – von Ihnen erfahren, ob im Senat darüber Einigkeit herrscht, dass das Land Berlin sich enthält, möglicherweise Mecklenburg-Vorpommern auch, denn dann kippt die Mehrheit für die MerkelMüntefering-Steuer im Bundesrat.
Wir wollen mal sehen, ob Sie hier auch wieder nur große Sprüche klopfen oder ob ausnahmsweise bei euch dunkelroten Gartenzwergen auch einmal was dahinter steht. – Herzlichen Dank!
Herr Kollege Lindner! Ich bin nicht ganz sicher, ob die Bezeichnung Gartenzwerg parlamentarisch ist. Vielleicht passt sie zu einem Jugendparlament, zu einem Erwachsenenparlament nicht.
In Gestalt Ihres Parlamentarischen Geschäftsführers brüsten Sie sich damit, dass Sie erreicht haben, dass die Bürger mehr beteiligt werden,
als wäre das ein Erfolg, wenn ein Todeskandidat vor der Exekution noch einen Teller Kekse serviert bekommt.
So ein Quatsch! Da werden ein paar Formulare ausgeteilt, und am Ende wird in die Tasche gegriffen. Das ist es, worüber wir heute aktuell diskutieren müssen.
Dann gibt es da noch die schwarz-rote Abzocke – ich spreche von der Mehrwertsteuer. Das ist, das gebe ich zu, zunächst einmal ein Bundesthema.