Jetzt höre ich auf, mich weiter über die Unwahrheiten aufzuregen, und komme zu dem eigentlichen Thema. Das eigentliche Thema besteht darin, dass wir in der Tat in den letzten Tagen eine Entwicklung hatten, die gehäuft eine Vielzahl von schlechten Nachrichten für den Standort Berlin gebracht hat. Das ist allerdings nicht ein spezifisches Problem des Standortes Berlin, sondern in den letzten Tagen haben sich diese schlechten Nachrichten bundesweit gehäuft.
Wir haben bei AEG Nürnberg 1 750 Arbeitsplätze, die abgebaut werden. Bei Infineon München sind 800 Arbeitsplätze in Gefahr. Bei Hewlett Packard sind dies 1 500 Arbeitsplätze bundesweit an den verschiedenen Standorten. Bei IBM in Schweinfurt und Hannover sind 580 Arbeitsplätze betroffen, bei Daimler-Chrysler 5 000 bis 8 000 Arbeitsplätze. Gott sei Dank bauen sie in Berlin Arbeitsplätze auf, nämlich 600 zusätzlich. Auch hier können Sie aus dem bundesweiten Arbeitsplatzabbau nicht auf Berlin schließen, sondern hier haben wir eine andere Entwicklung.
Das macht deutlich, dass es kein spezifisches Standortproblem Berlins ist, wenn wir über Samsung diskutieren, sondern wir haben hier die Situation, dass Unternehmen im Rahmen des harten globalen Wettbewerbs versuchen, ihre Probleme über Standortentscheidungen, über Arbeitsplatzabbau und Ähnliches zu regeln.
Ich sage aber gleichzeitig, Herr Lindner, ich und dieser Senat werden uns nicht in neoliberalem Fatalismus mit dieser Entwicklung abfinden und werden nicht so tun, als ob dies ein Naturgesetz sei.
Wir sind auch nicht der Auffassung, dass das Problem dadurch gelöst werden kann, dass wir die Löhne in diesem Land senken, die Arbeitszeit erhöhen und damit die Arbeitsbedingungen verschlechtern, weil damit der Standort Deutschland nicht gewinnen wird.
Ich habe heute Morgen am Richtfest bei Gilette teilgenommen. Gilette investiert am Standort Berlin in eine große neue Produktionsanlage. Gilette ist ein Unternehmen, das am Standort Berlin mit über 1 000 Beschäftigten hochproduktiv und wettbewerbsfähig produziert. Gilette ist am Standort Berlin erfolgreich, weil dieses Unternehmen regelmäßig in Innovation investiert, nicht nur die Innovation von Technologie, sondern auch in Produktinnovation, weil jede neue Produktserie in Berlin in die Produktion geht. Das ist ein Beispiel dafür, dass der Standort Berlin wettbewerbsfähig ist, und zwar durch Innovation und nicht durch Dumping.
Wir finden uns mit dem Arbeitsplatzabbau und dem Schließungsbeschluss von Samsung in Oberschöneweide nicht ab. Der Regierende Bürgermeister und ich haben das noch einmal in dem Gespräch, das wir mit der Geschäftsführung von Samsung am vergangenen Montag geführt haben, sehr deutlich gemacht.
Denn es ist klar: Die Entwicklung, dass die Bildröhre nicht die Technologie der Zukunft ist, sondern irgendwann ihr Ende findet, war seit langem absehbar. Deshalb haben nicht nur dieser Senat, sondern auch seine Vorgänger mit Samsung Gespräche über das Thema geführt, dass es für die Sicherung der Arbeitsplätze wichtig sei, ein zweites Standbein aufzubauen und dafür zu sorgen, Zukunftstechnologien am Standort Berlin zu produzieren, um damit die Arbeitsplätze zu sichern.
Es ist nichts passiert, aber, Herr Linder, es wäre auch nichts passiert, wenn Sie die Löhne und die Steuern noch weiter gesenkt hätten. Es wäre nur etwas passiert, wenn das Unternehmen eine andere Investitionsstrategie gefahren hätte.
Ich sage noch einmal: Samsung hat gezeigt, dass man am Standort Berlin rentabel produktiv produzieren und international wettbewerbsfähig sein kann, denn sie haben die Bildröhre wettbewerbsfähig hergestellt. Sie haben die Bildröhre so hergestellt, dass dieses Unternehmen am Standort Berlin gutes Geld verdient hat. Andere Unternehmen zeigen auch, dass man mit Industrieproduktion am Standort Berlin wettbewerbsfähig sein und gut verdienen kann, ohne dass man die frühkapitalistischen Verhältnisse einführt, wie Sie das machen wollen, Herr Lindner.
Es ist schon befremdlich, wenn der Schließungstermin ausgerechnet zu dem Zeitpunkt fällt, wo die Bindungsfrist für die Förderung wegfällt. Das ist ein Punkt, der besonders ärgerlich stimmt, weil das Unternehmen am Standort gute Bedingungen vorgefunden hat. Wir haben seitens des Senats und mit Mehrheit des Parlaments beschlossen, die FHTW in Oberschöneweide anzusiedeln, um das Quartier zu stärken, und haben dies auch im Zusammenhang mit Samsung gesehen. Es hätte hier gute Effekte gegeben.
Herr Senator! Sehen Sie in dem, was Sie gerade sagten, nicht genau den Beleg dafür, dass ohne Förderung offenkundig ein profitables Standortbetreiben nicht möglich war? Wäre es dann nicht genau in diesem Sinne zwingend gewesen, mit Samsung nicht nur
über die neuen Investitionstechnologien zu reden, sondern Samsung über die Weitergabe der Fördermittel – und zwar damals, nicht jetzt über neue Fördermittel – zu zwingen, die neuen Technologien einzuführen, um den Mitarbeitern eine Perspektive zu geben?
Herr Lindner! Das ist eine Frage, die man in historischer Hinsicht sicherlich stellen kann, nämlich ob man die Entscheidung, die im Jahr 2000 getroffen worden ist, nicht mit zukunftsweisenden Investitionsstrategien hätte verbinden müssen. Ich kann das jetzt im Einzelnen nicht sagen, weil ich an diesen Gesprächen nicht teilgenommen habe. Deshalb möchte ich auch gegenüber meinen Vorgängern Fairness walten lassen. Aber es ist sicherlich sinnvoll, dass man sich die Frage im Nachhinein stellt und vor allem für die Zukunft daraus Konsequenzen zieht.
Herr Wolf! Erinnern Sie sich daran, dass die Entscheidung für die Standortkonzentration der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Oberschöneweide entscheidend auch deshalb zu Stande gekommen ist, weil Samsung für diese Standortkonzentration eingetreten ist?
Warum haben Sie dann, wenn Sie einem Unternehmen mit einer solchen Standortverlagerung im Fachhochschulbereich entgegen kommen, nicht im Umkehrschluss von Samsung eine politische Zusage eingefordert, dass dieses Unternehmen hier am Standort Berlin bleibt?
[Beifall bei den Grünen und der CDU – Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS – Zurufe von der Linkspartei.PDS]
Frau Klotz! Es gibt eine Vereinbarung zwischen Samsung und der FHTW, wo die Kooperation vereinbart wird.
Wenn sich Samsung kurze Zeit, nachdem diese Kooperationsvereinbarung unterschrieben wurde, vom Standort „davonmacht“, kann das nur ausgesprochenes Befremden auslösen.
Es ist ja nicht so, dass das nicht miteinander verkoppelt gewesen ist. Ich sage aber auch: Die Standortentscheidung für die FHTW hat auch einen Wert und eine Bedeutung für Oberschöneweide unabhängig von dem, was das Unternehmen Samsung entscheidet.
Der Senat von Berlin – und das haben wir der Geschäftsführung auch deutlich gesagt – akzeptiert diesen
Schließungsbeschluss nicht. Wir fordern das Unternehmen und den Konzern Samsung auf, diese Entscheidung zu überdenken und rückgängig zu machen.
Ich habe auch mit dem Bundeswirtschaftsministerium intensiv zum Thema Samsung in Kontakt gestanden. Gestern auf der Betriebsversammlung habe ich es schon gesagt: Wir sind bereit, in einer gemeinsamen Aktion von Senat und Bundesregierung – von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesforschungsministerium – dem Unternehmen für eine Zukunftsperspektive am Standort Berlin Unterstützung angedeihen zu lassen und ihm ein Angebotspaket zu schnüren. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich auch noch einmal schriftlich an die Konzernzentrale in Korea gewandt. Wir erwarten eine Antwort des Konzerns, und wir werden in diesem Sinne auch die Gespräche führen. Wir werden von Seiten des Landes Berlin alle Möglichkeiten ausnutzen und auch alle Angebote an das Unternehmen machen, damit die Produktion weiter an diesem Standort stattfindet.
Die Förderstrategie ist angesprochen worden, und das ist auch gestern auf der Betriebsversammlung bekannt geworden: Samsung hat beim Bundesforschungsministerium einen Antrag für Forschungsförderung gestellt. Nun hat das Bundesforschungsministerium – wie ich finde – völlig zu Recht gesagt: Wir fördern Forschung dann, wenn auch Produktion am Standort stattfindet. Aber es kann keine Forschungsförderung für ein Unternehmen geben, das hier in Berlin nur Forschung betreiben, dann aber die Ergebnisse dieser Forschung an anderen Standorten umsetzen will und nichts für den Standort Deutschland tut. – Ich finde, das ist eine richtige Entscheidung.
Diese Entscheidung ist gleichzeitig mit dem Angebot formuliert, dass das Unternehmen dann, wenn es sich weiter am Standort engagiert und dort weiter produziert, jede Unterstützung von unserer Seite haben kann. Ich glaube, dass wir diese Linie durchhalten werden. Ich habe gestern den Kolleginnen und Kollegen bei Samsung gesagt, dass der Senat von Berlin, solange sie nicht aufgeben, auch nicht aufgeben wird, für den Erhalt der Arbeitsplätze bei Samsung einzutreten. Denn es geht nicht nur um die einzelnen Arbeitsplätze der 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern es geht auch um die Perspektive von Oberschöneweide. Das ist auch eine Auseinandersetzung um den Industriestandort Berlin. Deshalb ist es richtig, wenn unsere Solidarität der Belegschaft, den Kolleginnen und Kollegen gehört, die dort für ihre Arbeitsplätze kämpfen und versuchen, diese Arbeitsplätze zu erhalten.
Wir wissen nicht, wie es ausgeht. Dass es schwierig sein wird, in einer Auseinandersetzung mit einem Weltkonzern erfolgreich zu sein, ist sicherlich allen klar. Aber wer hätte, als wir im Frühsommer dieses Jahres die Mel
dung hörten, dass die Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH ihre Produktion in Berlin stilllegen will und über 600 Arbeitsplätze zur Disposition stehen, geglaubt, dass diese Arbeitsplätze erhalten bleiben? Ich bin auch in meinen optimistischsten Erwartungen nur davon ausgegangen, dass es vielleicht gelingt, 300 Arbeitsplätze durch Zuliefererfunktion oder Ähnliches zu erhalten. Es ist gelungen, alle Arbeitsplätze zu erhalten und den Schließungsbeschluss zurückzunehmen. Herr Lindner! Das ist u. a. deshalb gelungen, weil es in diesem Unternehmen und in Berlin starke Gewerkschaften und fähige Betriebsräte gibt,
[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Abg. von Lüdeke (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]
die in der Lage waren, in der Auseinandersetzung mit diesem Unternehmen den Preis für die Schließung des Werks so hoch zu treiben, dass dieses Werk erhalten wurde, weil die Schließung teurer geworden wäre als die Fortsetzung der Produktion an diesem Standort. Starke Gewerkschaften und gute Betriebsräte sind kein Standorthemmnis, sondern sie haben etwas richtig Gutes für den Standort Berlin zu Stande gebracht. Dafür noch einmal herzlichen Dank an dieser Stelle!