Protocol of the Session on September 29, 2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 74. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich an einen wichtigen Tag der deutschen Geschichte erinnern.

Am kommenden Montag jährt sich zum 15. Mal der

3. Oktober 1990, der Tag, an dem unser Land seine Einheit wiedererlangte. Für uns Deutsche war dies einer der wichtigsten und glücklichsten Tage in der Geschichte unseres Volkes. Die Einheit war für uns ein Geschenk der Geschichte. Sie ist aber auch eine Herausforderung für uns alle und für jeden einzelnen von uns.

Die Einheit Deutschlands – von vielen immer noch „Wende“ genannt – hat die persönliche Lebenssituation vieler Menschen verändert: Sie hat Chancen und Freiheiten gebracht – und auch „die Freiheit“ –, aber auch Risiken und zusätzliche Verantwortung und erfordert große Anstrengungen.

15 Jahre sind in der Geschichte nur ein kurzer Zeitraum, im Leben eines Menschen aber ziemlich lang. Wenn wir am Montag den Tag der deutschen Einheit als arbeitsfreien Tag, als Feiertag, begehen, werden viele in unserem Land auf die 15 Jahre der Einheit zurückblicken. Die persönliche Bilanz wird so unterschiedlich sein wie die Biographien der Deutschen, die seit der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wieder ein Volk sind.

Berlin war jahrzehntelang einer der Brennpunkte des Kalten Krieges zwischen Ost und West. Berlin war die Stadt, die von der Teilung am härtesten betroffen war. Und Berlin war nach 1990 der Ort, an dem das Zusammenwachsen von Ost und West mit all seinen Problemen exemplarisch sichtbar und von uns allen gelebt wurde. Nicht nur die Mauer, sondern viele Vorurteile mussten überwunden werden. 40 Jahre Teilung hatten uns alle mehr getrennt, als wir je geahnt hatten. Unsere Stadt musste wieder zusammenwachsen, die Menschen in Ost und West mussten aufeinander zugehen. Sie haben das getan: unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – die vermutlich auch weiter so bleiben werden –, mit persönlichen Einschränkungen, auch mit Opfern – in Ost und West. Wir alle haben die deutsche Einheit als Herausforderung angenommen.

Berlin hat sich in diesen 15 Jahren verändert: ganz äußerlich in seinem Stadtbild, aber auch in seinem Denken. Berlin ist für immer mehr Besucher aus aller Welt interessant und attraktiv geworden. Die Berlinerinnen und Berliner selbst blicken – trotz aller Meckerei – optimistisch in die Zukunft. Wir alle gemeinsam haben die historische

Chance der Einheit nach Kräften genutzt, und das werden wir auch in Zukunft tun.

Anlässlich des 15. Jahrestages der deutschen Einheit haben sich alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses von Berlin auf eine gemeinsame Entschließung geeinigt. Sie steht heute an erster Stelle unserer Tagesordnung. Sie liegt Ihnen allen vor unter dem Titel

Dringlicher Entschließungsantrag

15 Jahre deutsche Einheit – 15 Jahre wiedervereinigtes Berlin

Antrag der CDU, der SPD, der Linkspartei.PDS, der Grünen und der FDP Drs 15/4308

Wer dieser Resolution seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das war einstimmig. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

[Allgemeiner Beifall]

Heute ist wieder der Photograph für die Öffentlichkeitsarbeit im Plenarsaal. Es geht um neue Bilder für den Internetauftritt, die immer aktuell sein müssen, so dass er nun öfter kommt. Bitte lassen Sie sich nicht stören.

Dann habe ich das Geschäftliche zu verkünden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte den Antrag der Fraktion der FDP „Einschränkungen des Bankgeheimnisses rückgängig machen“, Drucksache 15/3989, überwiesen in der 69. Sitzung am 2. Juni dieses Jahres federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie sowie mitberatend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung überweisen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Zu dem Antrag der Fraktion der CDU „Mehr Kompetenz für die Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV“, Drucksache 15/4163, überwiesen an den Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen federführend und mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz, bittet der Arbeitsausschuss wegen der gemeinsamen Beratung mit Zustimmung der antragstellenden Fraktion der CDU um Aufhebung der Mitberatung. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Die Fraktionen haben sich zur Durchführung einer

Aktuellen Stunde inzwischen auf ein gemeinsames Thema verständigt:

Der Berliner Arbeitsmarkt in der Krise – die Wirtschaftspolitik des Senats und der Stellenabbau bei Samsung, Siemens und Reemtsma

Antrag der SPD, der CDU, der Linkspartei.PDS, der Grünen und der FDP

Die am Montag eingegangenen Themenvorschläge sind damit erledigt. Wir werden sicherlich auch Besuch zumindest des Betriebsrats von Samsung haben. – Wenn Sie schon anwesend sind, so heiße ich Sie herzlich willkommen! Sie wollen natürlich unserer Diskussion dazu lauschen.

Ferner weise ich auf die Ihnen vorliegende Konsens

liste und auf das Verzeichnis der eingegangenen Dringlichkeiten hin. Sofern sich gegen die Konsensliste bis zum Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunktes kein Widerspruch erhebt, gelten die Vorschläge als angenommen. – Über die Anerkennung der Dringlichkeit wird dann jeweils an der entsprechenden Tagesordnung entschieden.

An Entschuldigungen liegt uns nur die für Frau Senatorin Knake-Werner vor. Sie wird von ca. 18.45 bis ca. 20.30 Uhr abwesend sein, um die Teilnehmerinnen des Deutschen Ärztinnenbundes zu begrüßen.

Ich habe heute die besondere Freude, Frau Martins zu ihrer letzten Sitzung in unserem Hause zu begrüßen. Frau Martins geht mit ihrer Familie nach Davis, Kalifornien. Ihr Mann hat dort eine Stelle als Professor angetreten. Sie selbst wird ebenfalls dort in der Universität arbeiten.

Frau Martins war insgesamt sieben Jahre und 66 Tage – alles gezählt – Mitglied des Abgeordnetenhauses und jugend- und sportpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen. – Wir danken Ihnen für die als Abgeordnete geleistete Arbeit! Für Ihre Zukunft wünschen wir Ihnen und Ihrer Familie alles Gute! Vielleicht kommen Sie einmal wieder!

[Beifall]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

Bevor ich die erste Frage aufrufe, mache ich Ihnen folgenden Vorschlag. Die Fragen Nr. 3, Nr. 6 und Nr. 9 der Abgeordneten Doering, Frau Hertlein und Frau Dr. Kubala haben die Gaspreise zum Thema. Ich schlage deshalb vor, diese Fragen zusammenzuziehen. Den Fragestellern steht jeweils eine Nachfrage zu. Es können drei weitere Nachfragen aus der Mitte des Hauses gestellt werden, insgesamt also sechs Nachfragen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Die Fragen Nr. 5 und Nr. 8 der Abgeordneten Frau Senftleben und Frau Schaub haben die Personalausstattung an den Berliner Schulen zum Thema. Ich schlage vor, auch diese Fragen zusammenzuziehen. Den Fragestellerinnen steht dann jeweils eine Nachfrage zu. Zwei weitere Nachfragen können aus der Mitte des Hauses gestellt werden. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ziehen wir auch diese Fragen zusammen.

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat nunmehr der Kollege Radebold von der Fraktion der SPD zur

Entwicklung des Gleisdreiecks

Bitte, Herr Kollege Radebold!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Inhalt der ersten Frage ist teilweise überholt, so dass ich die Frage etwas präzisiere.

1. Frau Senatorin Junge-Reyer! Ich habe in der Zeitung gelesen, dass der Vertrag unterzeichnet ist. Ich habe aber auch gelesen, dass es sich um einen Rahmenvertrag handelt. Ich bitte Sie um folgende Auskunft: Schränkt dieser Rahmenvertrag unsere Möglichkeiten zur zügigen Inangriffnahme des Projekts Gleisdreieck in irgendeiner Form ein? Können „Stolpersteine“ seitens der Vivico oder der beteiligten Bezirke zu Verzögerungen führen?

2. Liegt eine Einschätzung vor, ab welchem Zeitpunkt konkret mit den ersten Bau- und Umgestaltungsmaßnahmen begonnen werden kann?

Danke schön, Herr Kollege Radebold! – Sonst muss man sich immer an den vorgegebenen Text halten. Hier macht es aber keinen Sinn, weil sich der Sachverhalt inzwischen geändert hat. Ich hoffe, Frau Senatorin wird die Frage jetzt erst recht beantworten können. – Frau Junge-Reyer, die Stadtplanungssenatorin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Genauso wie wir miteinander froh darüber sein können, dass der Rahmenvertrag unterzeichnet ist, beantworten wir auch überraschende Fragen von Abgeordneten sehr gern, wenn sie zum Ziel haben, uns in der Ausfüllung eines solchen Rahmenvertrags zu unterstützen. – Wir sind mit der Paraphierung dieses Rahmenvertrags, mit der notariellen Beurkundung, einen ganz wesentlichen Schritt weitergekommen, um einerseits für die Grundstückseigentümer die Voraussetzungen zu schaffen, hier von einem Baurecht am Rande des zukünftigen Gleisdreiecksparks Gebrauch zu machen. Auf der anderen Seite sind wir in der glücklichen Situation, dreißig Hektar Volkspark für die Bezirke Kreuzberg und Schöneberg, für die Berlinerinnen und Berliner, aber auch für unsere Gäste, die vom Potsdamer Platz unmittelbar ins Grüne wollen, gestalten zu können. Wir wollen einen landschaftsplanerischen Wettbewerb zur Gestaltung des Parks ausloben. Ich habe die Vorgabe gemacht, so weit wie möglich auf die gewachsenen Strukturen von Flora und Fauna in diesem Park Rücksicht zu nehmen. Ich glaube, dass es richtig ist, das Wäldchen zu belassen, und dass es richtig ist, zügig voranzuschreiten.

Wie Sie wissen, haben aus den Bezirken heraus, aber auch aus in zurückliegenden Zeiten gegründeten Initiativen viele sich schon Gedanken über die zukünftige Gestaltung des Parks gemacht. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Wettbewerb sehr schnell, in wenigen Monaten, entschieden werden kann, so dass wir zu Beginn des Jah

res ein Wettbewerbsergebnis haben werden, in die Vergabe einsteigen und spätestens nach der Sommerpause mit den ersten Arbeiten im Park beginnen können. Der Rahmenvertrag gibt uns die Möglichkeiten, die wir jetzt ausfüllen müssen, im Wege einzelner Verträge einen Abschluss zu der Gestaltung der jeweiligen Rechtsbeziehungen zur Vivico zu konkretisieren. Er gibt uns Möglichkeiten, aber er behindert uns in keiner Weise.

Eine Nachfrage des Kollegen Radebold! – Bitte schön!

Frau Senatorin! Der zweite Teil meiner Frage ist untergegangen. Wann kann konkret mit den Baumaßnahmen begonnen werden, und wann geht die Umgestaltung los? Sie wissen, alle Fraktionen warten seit langem auf dieses Zeichen. Wann können wir mit dem Bauen anfangen, damit sichtbar wird, dass das Abgeordnetenhaus diesen Beschluss endlich, nach vielen Jahren, umsetzt?

Frau Senatorin Junge-Reyer – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Radebold! Der Bezirk, der wesentliche Grundstückseigentümer, und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sind sich darüber einig, dass wir für die Bürgerinnen und Bürger nicht so lange warten wollen, bis mit dem ersten Spatenstich begonnen wird, den ich Ihnen für die Zeit nach den Sommerferien des kommenden Jahres in Aussicht stellen kann. Wir wollen es noch in diesem Jahr – im Oktober, dies ist so verabredet – möglich machen, dass man sich den Park erwandern kann, dass man ihn besichtigen kann. Ich lade Sie persönlich und auch andere sehr herzlich dazu ein, vielleicht an einem Sonntag im Oktober einmal zu sehen, wie es auf diesem Gleisdreieck aussieht, was dort inzwischen entstanden ist und was wir von dem, was dort entstanden ist, für die zukünftige Nutzung durch die Bürgerinnen und Bürger bewahren können. Wir müssen und können nicht alles an diesem Park sofort in die Nutzung geben, aber wir können sehen, dass wir nicht lange warten müssen, um auch jetzt schon ein bisschen von dieser Freifläche zu haben.

Frau Kollegin Oesterheld hat eine Nachfrage und das Wort!

Frau Junge-Reyer! Wir haben zum Gleisdreieck schon viele Wettbewerbe ausgelobt. Es gibt schon dicke Bücher darüber. Wie stellen Sie bei dem nächsten Wettbewerb sicher, dass erstens die Anwohner mit einbezogen werden und wir zweitens nicht das gleiche Drama erleben wie beim Görlitzer Park, dass man sich ständig mit den Gewinnern des Wettbewerbs auseinander setzen muss, weil man es so machen muss, wie der Wettbewerb es vorgibt?

Frau Senatorin Junge-Reyer – bitte!