Nun zu Ihrer Frage, Herr Dr. Felgentreu: Die Vermutung, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen von der Staatsanwaltschaft anerkannten und als Intensivtäter identifizierten Straftäter handelt, trifft zu. Der Beschuldigte ist bereits wegen einer ganzen Reihe von Gewaltdelikten aufgefallen und auch bereits verurteilt worden, zuletzt durch ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. Februar 2005 zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten. Da es sich dabei um die erste Verurteilung zu einer Jugendstrafe handelte, wurde die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und der Verurteilte einem Bewährungshelfer unterstellt. Ihm wurde damals zur Auflage gemacht, dass er an einem Antigewaltseminar teilnehmen sollte. Bereits am 17. Juni soll der Jugendliche eine weitere Körperverletzung begangen haben, weshalb der damals zuständige Haftrichter, ein Jugendrichter, einen Haftbefehl erließ. Diesen setzte er allerdings außer Vollzug mit der Auflage, sich zweimal wöchentlich bei der Polizei zu melden. Diese Auflage hatte der Jugendliche eingehalten.
Sie können sich selbst einmal vor Ort schlau machen, dann wissen Sie, was das bedeutet. Software gibt es dafür nicht.
Danke schön, Frau Senatorin! – Damit ist die Fragestunde beendet. Die heute nicht beantworteten Anfragen werden wie immer gemäß § 51 Abs. 5 der Geschäftsordnung schriftlich beantwortet, und zwar abweichend von unserer Geschäftsordnung mit einer Beantwortungsfrist von bis zu drei Wochen.
Wir haben uns bemüht, Möglichkeiten zu finden, die nicht sofort Untersuchungshaft sind, gerade bei ganz jungen Jugendlichen ab 14 Jahren, indem wir Heimplätze eingerichtet haben. Wir haben diese Heimplätze in der Vergangenheit auch vermehren können. Die Heime sind nicht die klassischen geschlossenen Heime mit verschlossenen Türen und Fenstern, sondern hindern die Jugendlichen am Entweichen durch eine ganz intensive Betreuung, teilweise bis zu einer 1:1-Betreuung. Das heißt, die Heime sind nicht in Berlin, jedenfalls manche nicht, sie sind außerhalb. Die Betreuung ist so dicht, dass dort rund um die Uhr jemand vorhanden ist. Die Jugendlichen können nicht entfliehen, weil immer eine Betreuungsperson an ihrer Seite steht. Das ist ein probateres Mittel, als beispielsweise Türen und Fenster zu verschließen und damit den Trotz der Jugendlichen heraufzubeschwören, die dann nicht bereit sind, notwendige Behandlungen, Therapien
usw. anzunehmen. Auch Anti-Gewalt-Training und andere Dinge, die auf eine gewisse Bereitschaft des jeweiligen Straftäters angewiesen sind, wären dann nicht möglich. Wir haben gute Erfahrungen gemacht. Die Wiederholungsstraftaten sind deutlich zurückgegangen. Ich glaube, hier sollten wir weiter fortfahren.
Die Haftverschonung vom 23. Juni 2005 ist in die öffentliche Kritik geraten. Es wird gesagt, dass ohne sie die Tötung des Kindes am vergangenen Wochenende vermieden worden wäre. Das klingt zunächst plausibel, greift aber meines Erachtens dennoch zu kurz. So einfach sind Kausalitäten leider nicht zu begründen. Der Richter, der über den Erlass des Haftbefehls zu befinden hatte, ist wie jeder Richter, der über den Erlass eines Haftbefehls zu befinden hat, in einer schwierigen Situation. Er kann nur die Informationen verwerten, die ihm in dieser Situation zugänglich sind. Er muss eine Prognose über das künftige Verhalten des Beschuldigten erstellen. Wird der Beschuldigte rückfällig, wird er flüchten, wird er die Auflagen einhalten? – Prognosen über zukünftiges menschliches Verhalten sind immer außerordentlich schwierig. Und hinterher wird man leider manchmal durch eine grausame Realität eines Besseren belehrt.
Danke schön, Frau Senatorin! – Das Wort zu einer Nachfrage hat der Kollege Dr. Felgentreu. – Bitte schön, Kollege Felgentreu!
Schönen Dank, Herr Präsident! – Lässt sich unter anderem an der Arbeit der Sonderabteilung bei der Staatsanwaltschaft ablesen, dass Berlin Fortschritte dabei gemacht hat, besonders gefährliche Straftäter möglichst effektiv aus dem Verkehr zu ziehen?
Genau aus diesem Grund enthalte ich mich auch jeder Wertung, ob die richterliche Entscheidung in der damaligen Situation die richtige gewesen ist oder nicht. Deshalb bitte ich auch alle verantwortlich Denkenden in der Verwaltung, in der Polizei, im Parlament und auch in den Medien um Zurückhaltung bei der Bewertung der richterlichen Entscheidung. Wir sollten uns dabei immer der Verantwortung bewusst sein, in der wir hier stehen und welche Möglichkeiten wir haben.
Ich denke, die jährlichen Berichte, die von dieser Abteilung gefertigt werden, sprechen eine beredte Sprache. Wir sind davon überzeugt, dass das ein probates Mittel ist, was wir da begonnen haben. Wir sind auch im ständigen Dialog mit der Staatsanwaltschaft, mit der Polizei und im Senat, ob man nicht diese Möglichkeiten erweitern sollte. Gerade in letzter Zeit sind wieder Diskussionen aufgeflammt. Ich weigere mich aber, ein solches Geschehen wie das vom vergangenen Sonnabend zum Anlass zu nehmen, Gesetzesvorlagen vorzulegen, die in der Schnelligkeit und nur, weil es einen besonders grausamen Anlass für mögliches Handeln gibt, übereilt beschlossen werden. Ich möchte die Zeit haben, etwas auf den Tisch legen zu können, was wirklich greift und wo alle mitarbeiten und wir das Gefühl haben, hier wird einerseits dem Rechtsschutzgedanken Genüge getan und zum anderen ein wirksames Mittel gefunden. Wir sind mit der Staatsanwaltschaft auch über potentielle Rechtsänderungen im Gespräch. Aber jetzt zu sagen, das oder das werden wir sofort tun, und dann wird es keine schwerwiegenden Straftaten und keine Morde und Tötungsdelikte an Kindern mehr geben – ich glaube, das wäre Augenwischerei. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass uns schärfere Gesetze nicht vor Straftaten bewahren.
Wir wissen heute, dass der tatverdächtige Jugendliche in seiner Wohnumgebung sehr auffällig war. Dies macht deutlich, dass wir es hier mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun haben. Nachbarn, Jugendämter, Schulen, Polizei und Justiz müssen versuchen, gemeinsam gegen Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen vorzugehen. Genau das ist das Ziel, das wir seit drei Jahren hier in Berlin einzuhalten versuchen. Wir haben nicht nur die Intensivstraftäterabteilung eingerichtet, um möglichst schnell an kriminelle Karrieren gerade bei jungen Jugendlichen und Kindern vor der Strafmündigkeit heranzukommen. Wir haben vor zwei Jahren auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Jugendbehörden, den Schulen, der Polizei und unserer Spezialabteilung begründet.
Selbst in Staaten, wo es die Todesstrafe gibt, gibt es Straftaten. Trotzdem müssen wir alles tun, um solche Taten zu verhindern. Letztlich kann ich keinen hundertprozentigen Schutz für die Gesellschaft gewährleisten.
Jetzt hat der Kollege Kurth von der Fraktion der CDU das Wort zu einer Anfrage. – Bitte schön, Herr Kurth!
Meine Frage richtet sich an den Regierenden Bürgermeister. – Herr Wowereit! Ich frage Sie auch vor dem Hintergrund der Antwort, die Herr Sarrazin eben gegeben hat: Glauben Sie nicht, dass die möglicherweise nicht großen Erfolgsaussichten der Klage des Landes Berlin vor dem Verfassungsgericht weiter geschmälert werden, wenn sich der Regierende Bürgermeister öffentlich mit seiner Skepsis hierzu äußert?
Jetzt ist für die Linkspartei.PDS Frau Dr. Schulze mit einer spontanen Frage dran und hat das Wort und das Mikrofon.
Danke schön, Herr Präsident! – Ich möchte eine Frage an Frau Senatorin Knake-Werner stellen. – Frau Knake-Werner! In der „Berliner Morgenpost“ von gestern war zu lesen, dass nach nur neun Monaten unter Hartz IV bundesweit und auch in Berlin die Mietschulden und Mietrückstände von Empfängerinnen und Empfängern von Alg II drastisch angestiegen seien. Welche Informationen haben Sie darüber, und wo sehen Sie die Hauptursachen dafür?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Ich weiß nicht, ob es so üblich ist, zweimal dieselbe Frage zu stellen.
Frau Senatorin Knake-Werner – bitte schön! interjection: [Kurth (CDU): Es ist nicht dieselbe Frage!]
Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Abgeordnete Schulze! Auch ich habe den Artikel gelesen. Ich habe den Eindruck, da wird erst einmal mehr spekuliert als belegt. Zahlen werden nicht genannt, sondern es wird eine Prognose abgegeben, dass die Mietschulden insbesondere bei Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfängern anfallen. Ich halte das für eine Stigmatisierung der Langzeitarbeitslosen. Sie sind nicht potentielle Mietschuldnerinnen und Mietschuldner. Das muss man zuerst in aller Deutlichkeit sagen.
Ich habe in dieser Veranstaltung klipp und klar gesagt: Wenn sich Berlin nicht in einer Haushaltsnotlage befinden soll, wer soll es denn dann noch sein? – Ich habe darauf verwiesen, dass Berlin selbstverständlich das Recht in Anspruch nimmt, welches Saarland und Bremen schon erfolgreich eingeklagt haben, und dass wir mit Nachdruck in Karlsruhe dafür kämpfen werden, dass wir den Status anerkannt bekommen. Aber in einer umfassenden Darstellung der Situation in der Bundesrepublik Deutschland gehört es auch zur Fairness, dass erwähnt wird, dass weiterhin zwei Klagen anhängig sind – Saarland und erneut Bremen –, dass andere finanzpolitische Klagen auch zur Entscheidung in Karlsruhe liegen und deshalb auch realistischerweise der Hinweis erlaubt sein darf, dass das, wenn Karlsruhe entscheidet, in einen gesamtfinanzpolitischen Rahmen gestellt wird. Aber deshalb gehe ich natürlich davon aus, dass unsere Klage erfolgreich sein wird und dass wir sie weiterhin mit Vehemenz in Karlsruhe vertreten werden. Ich sehe da keinen Widerspruch.
Nun schließe ich nicht aus, dass es Probleme mit Mietschulden gibt. Das hatten wir früher auch im Sozialhilfebereich. Da gab es die Möglichkeit, die Miete direkt an den Vermieter zu überweisen. Das ist auch heute noch so, aber das muss die Ausnahme bleiben, weil ich glaube, dass auch den Alg II Empfangenden zugetraut werden muss, dass sie zu einer eigenen Lebensführung fähig sind und verantwortlich ihre Lebenssituation in die Hand nehmen.
Dennoch ist es notwendig, sich rechtzeitig zu informieren, wenn Mietschulden auflaufen. Das setzt aber voraus, dass die Wohnungsgesellschaften und Vermieterinnen und Vermieter sich an die Jobcenter wenden und auf Probleme aufmerksam machen. Genau das haben wir auf einer Veranstaltung mit den Jobcentern beraten. Es ist verabredet worden, dass Jobcenter und Wohnungsgesellschaften sich künftig besser informieren wollen, um vorbeugend zu wirken.
Da zumindest Teile der Presse, die Ihre Rede verfolgt haben, das anders verstanden haben, frage ich Sie, Herr Wowereit: Könnte nicht auch vor dem Hintergrund Ihrer Antwort und der von Herrn Sarrazin der Eindruck entstehen, dass Sie Berlin langsam auf das Scheitern der Klage vorbereiten wollen?
Frau Senatorin! In dem Artikel der „Morgenpost“ wird indirekt die Forderung der Vermieter erhoben, dass die Miete zukünftig wieder direkt vom Amt an den Vermieter gezahlt werden soll. Konnte ich Ihren Äußerungen entnehmen, dass Sie das ablehnen?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter Kurth! Wenn Sie das dem Bundesverfassungsgericht selbst noch mitteilen, könnte vielleicht auch noch irgend etwas passieren! – Ihre Konjunktivfragen kann ich nicht beantworten.
Sind Sie denn bereit, Herr Innensenator, der Öffentlichkeit die beabsichtigte bzw. beauflagte Route vor der Demonstration mitzuteilen, damit die Berlinerinnen und Berliner Möglichkeiten finden werden, deutlich zu machen, dass sie nach wie vor – wie auch am 8. Mai – dazu stehen, dass diese Kameradschaften und die NPD in Berlin nichts zu suchen haben?
Danke, Herr Präsident! – Ich glaube, ich habe das eben deutlich gesagt: Natürlich lehne ich das im Grundsatz ab, weil es mit zur Philosophie von Hartz IV gehört, dass die Menschen ins Erwerbsleben integriert werden, aber auch befähigt werden sollen, ihre Lebenssituation in die eigenen Hände zu nehmen und sich nicht bevormunden zu lassen. Eine generelle Überweisung der Miet- und Wohnkosten an die Vermieter wäre eine solche Bevormundung. Das halte ich für falsch. Ich bin allerdings der Auffassung, dass man es im Einzelfall da, wo es eine begründete Annahme dafür gibt, dass Mietschulden aufgehäuft werden können, muss. Wenn eine Verschuldungssituation vorhanden ist – das kann man zum Beispiel bei den Schuldnerberatungsstellen herausfinden, deshalb haben wir auch den Betrag für die Schuldnerberatung aufgestockt –, da halte ich es für richtig, damit die Menschen nicht in noch größere persönliche Schwierigkeiten geraten. Ich glaube, da muss man einen vernünftigen Weg finden.
Herr Kollege Ratzmann! Wir müssen unterscheiden, ob wir der Auffassung sind, dass solche rechtsradikalen Organisationen nach unserer Auffassung politisch nichts in Berlin zu suchen haben – da sind wir im Konsens. Ansonsten haben auch diejenigen, die wir nicht mögen, die Rechte aus dem Grundgesetz. Ich bin auch nicht bereit, derartigen Organisationen ihre grundrechtlichen Rechte nicht zu gewähren. Ich bin gerne bereit, Ihnen den Anfangs- und Endplatz der Demonstration mitzuteilen.