Protocol of the Session on March 21, 2002

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Bm Dr. Gysi

Zunächst einmal ist es richtig, dass wir den Ausstieg über Scheinselbstständigkeit, über eine enorme Ausdehnung von damals 620-DM-Jobs aus der Versicherungspflicht versucht haben, zu stoppen, d. h. nicht wir, sondern die Bundesregierung. Das war auch dringend erforderlich, weil uns anderenfalls die Versicherungssysteme zusammengebrochen wären, wieder mit ganz erheblichen Folgen. Dann hätte es nämlich nur noch eine Variante gegeben, wieder die Steuern zuerhöhen, damit der Staat entsprechende Zahlungen zuschießen kann.

Zweitens: Dass die Länder und auch die Kommunen dazu neigen, zunehmend zu verbeamten, um ihre Lohnnebenkostenstruktur zu reduzieren, ist zugegebenermaßen ein Problem. Im übrigen auch kurz gedacht, weil man zwar im ersten Moment für eine Beamtin und einen Beamten weniger zahlt als für eine Angestellte oder einen Angestellten, aber wenn sie erst einmal in Pension gehen, dann hat man als Land oder als Kommune große Zahlungsprobleme. Ich bin kein Anhänger von ausgedehnter Verbeamtung, und ich sage sogar, dass es ein Fehler war, bei der Vereinigung nicht den Umstand genutzt zu haben, dass es das Beamtenrecht in der früheren DDR nicht gegeben hat, um zu sagen, wir reduzieren das dort gleich auf die Kernbereiche, wie Richter, Polizei, die Leitung von Ministerien, und führen im übrigen die Verbeamtung dort erst gar nicht ein und lassen sie, so ausgeufert wie sie in der alten Bundesrepublik existierte, dort auslaufen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, um das zu realisieren. Es ist leider damals von der Regierung unter Helmut Kohl versäumt worden. Das wäre eine gute Chance gewesen. Sie glauben doch nicht im Ernst daran, dass ich ein Anhänger davon bin, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer und jede Professorin und jeder Professor einer Universität verbeamtet wird. Ich halte das sowieso für einen völlig falschen Stil: Wieso muss ein Professor Beamter sein? Ich glaube, das ist auch ziemlich einmalig in unseren Breitengraden. Da rennen Sie bei mir offene Türen ein.

Nur eines sage ich auch, wir müssen trotzdem auf den Punkt zurückkommen: Ich bin ein großer Gegner der Schwarzarbeit. Was Sie hier geliefert haben – lesen Sie es sich noch einmal durch –, ist im Klartext eine Art Rechtfertigung von Schwarzarbeit, und das ist nicht hinnehmbar. Sie können sich ja für niedrigere Steuern einsetzen. Sie können sich auch für niedrigere Abgaben einsetzen, Sie sollten aber nicht versuchen, über dieses Thema Schwarzarbeit zu rechtfertigen.

[Dr. Steffel (CDU): Das macht doch keiner!]

Denn gerade weil Sie seit Jahren so reden, und gerade auch die Damen und Herren von der FDP, dass Abgaben und Steuern zu hoch sind, haben Sie ja geradezu eine gesellschaftliche Akzeptanz für Schwarzarbeit geschaffen

[Vereinzelter Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

und den kriminellen Gehalt daran im Bewusstsein der Menschen immer stärker reduziert. Und dann passiert wirklich das, was Sie beschrieben haben. Wenn die gesellschaftliche Akzeptanz für eine bestimmte Form von Kriminalität zunimmt, wird es immer schwerer, sie zu verfolgen.

Herr Dr. Gysi! Es gibt die Bitte um zwei Zwischenfragen, vom Abgeordneten Reppert und von Herrn Kurth.

Ich komme zu meiner eigentlichen Rede nicht, aber das macht gar nichts.

Doch! Wir haben Zeit für alles! Herr Reppert ist der Erste gewesen. – Bitte, Herr Reppert!

Herr Senator Gysi! Ich habe jetzt so ein bisschen den Eindruck, dass sie sich gerade in Ihrer Argumentation mit der Höhe der Abgaben selbst drehen. Wenn ich richtig informiert bin – das ist eigentlich meine Frage –, dann gibt es seitens der PDS-Bundestagsfraktion das Ansinnen, die Lohnsteuerabgaben zu senken, ich sage einmal Handwerker mit einem halben Steuersatz oder wie auch immer. Im Prinzip widersprechen Sie sich ja gerade in diesen Aussagen, indem Sie sagen, die hohen Lohnnebenkosten sind dafür nicht verantwortlich.

Also, noch mal langsam. Ich komme gleich auf das Begehren der Bundestagsfraktion. Ich wehre mich zunächst dagegen, dass Sie mit dem ewigen Zusammenhang von Höhe von Steuern und Abgaben und Schwarzarbeit ein Scheinrechtfertigung von Schwarzarbeit argumentativ bieten.

[Dr. Steffel (CDU): Totaler Quatsch, was Sie da erzählen!]

Das ist genau so, als ob ein anderer versuchte, mit der Höhe der Preise Diebstähle zu rechtfertigen und zu sagen, wenn es in den Warenhäusern nur halb so teuer wäre, würde auch weniger geklaut werden.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Das ist wahrscheinlich auch wahr, aber es wäre niemals eine Entschuldigung für Diebstahl. Das ist das Erste.

Jetzt zweitens: Nein, mit Lohnsteuer hat das nichts zu tun, was die PDS-Bundestagsfraktion gefordert hat und wozu ich auch stehe, weil ich durchaus einer derjenigen bin, die das immer vertreten und vorangetrieben haben, ist, dass wir in Deutschland mal irgendwann einen differenzierten Mehrwertsteuersatz bekommen. Ich könnte ihn mir dreistufig vorstellen, nämlich die berühmten 7 % hätte ich gerne ausgedehnt auf Handwerksleistungen, und zwar im Interesse der Arbeitsplätze und im Interesse der Ökologie. Denn ich hätte es gerne, wenn sich die Reparatur wieder mehr lohnen würde als die Neuanschaffung. Das steckt hinter dem Gedanken, in diesem Bereich die Mehrwertsteuer auf 7 % herabzusetzen. Es würde diesen Unternehmen auch zu Gute kommen. Da kann man auch über Kinderkleidung, über Medikamente und über andere Bereiche nachdenken.

Die Bundestagsfraktion hatte allerdings – das müssen Sie hinzufügen – im Gegenzug vorgeschlagen, für eine bestimmte Gruppe von Luxusprodukten die Mehrwertsteuer um 7 % zu erhöhen. Das sollte sich gegenseitig ausgleichen, weil ich immer der Meinung bin, wer sich ein Kollier leisten kann, lieber Herr Steffel, der zahlt dann auch noch einmal 7 % Mehrwertsteuer mehr. Das tut ihm dann auch nicht mehr weh, und dann hätten wir wieder einmal etwas mehr sozialer Gerechtigkeit. Darum geht es in dem Antrag der Bundestagsfraktion.

[Beifall bei der PDS]

Es gibt noch eine weitere Überlegung von mir, darüber muss man nachdenken, das wäre eine wirklich grundsätzliche Reform: wie lange wir noch Lohnnebenkosten nach der Bruttolohnsumme eines Unternehmens berechnen. Als Bismarck das einführte, machte es Sinn, weil damals ein Unternehmen dann groß und stark war, wenn es viele Beschäftigte hatte. Heute sind wir in einer anderen Situation. Es gibt Unternehmen, die arbeitsintensiv sind, und die haben die gleiche Wertschöpfung wie andere Unternehmen mit einer viel geringeren Zahl von Arbeitskräften. Da habe ich immer vorgeschlagen, einmal darüber nachzudenken, ob für Unternehmen – nicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – eine Abgabe nach der Wertschöpfung in die Versicherungssysteme nicht das geeignete Instrument wäre als die Abgabe nach der Bruttolohnsumme, wie sie heute berechnet wird. Das ist aber ein anderes Thema.

Kommen wir zurück zur Schwarzarbeit, die ja wirklich ein großes Problem ist. Ich wollte nur darauf hingewiesen haben, dass es keinen Grund gibt, sie zu rechtfertigen, und was Sie hier geliefert haben, ist letztlich eine Rechtfertigung und eine Entschuldigung der Schwarzarbeit.

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Herr Dr. Gysi! Es könnte der Befriedung dienen, wenn Herr Kurth seine Zwischenfrage stellen könnte. Vielleicht bringt es Licht in das Dunkel.

Na, warten wir es mal ab, so weit ich weiß, ist er ganz offiziell beschäftigt.

Verehrter Herr Dr. Gysi! Glauben Sie nicht auch, dass man gesellschaftliche Missstände, zu denen Schwarzarbeit auch gehört, nur dann wirksam bekämpfen kann, wenn man sich mit ihren Ursachen auseinandersetzt?

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Und glauben Sie nicht auch, dass es ein ziemlicher Unterschied ist, ob man Schwarzarbeit rechtfertigt, was keiner getan hat, oder ob man ihre Ursachen erklärt, so wie das von den Wirtschaftsverbänden immer und immer wieder vorgetragen wird?

Das mag ein Unterschied sein, wenn es keine entschuldigende Erklärung wäre. Ich sage noch einmal: Es ist über Jahre von verschiedenen Verbänden, nicht nur von CDU und FDP, so argumentiert worden, dass eben die Bagatellisierung im Bewusstsein stattgefunden hat.

Ich komme auf mein Beispiel zurück: Es kann doch sein, dass viele Produkte tatsächlich zu teuer sind. Es gibt dennoch keine Rechtfertigung, sie zu stehlen.

[Unruhe bei der CDU]

Also muss ich zunächst einmal den Diebstahl verurteilen, und dann kann ich mich über Preisstrukturen unterhalten.

[Beifall des Abg. Pewestorff (PDS): Und im Kern kritisieren Sie den Preis für Arbeit in Deutschland und sagen, der müsste niedriger sein, und dann gäbe es weniger Schwarzarbeit. Das stimmt letztlich gar nicht. Selbst wenn Sie die Abgaben und Steuern halbieren, ist es immer noch billiger, gar keine Abgaben und Steuern zu zahlen. Deshalb würde es auch in diesem Falle Schwarzarbeit geben. [Niedergesäß (CDU): Erklären Sie doch mal endlich, wie Sie die Schwarzarbeit abschaffen wollen! – Pewestorff (PDS): Kann er doch gar nicht, wenn Sie so viele Fragen stellen!]

Aber Sie haben einen Punkt angesprochen, den ich für sehr begründet halte und auf den ich auch eingehen will: Das ist nämlich die Frage der Standards in Europa. Aber da müssen wir wieder zu Helmut Kohl zurück kommen. Sehen Sie, ich bin für die Europäische Union. Ich bin auch für den Binnenmarkt, und ich bin auch für den Euro. Aber ich habe vor dem Euro gesagt, dass die Reihenfolge stimmen muss. Wir müssen erst Standards versuchen, zu harmonisieren und dann die gemeinsame Währung einführen und nicht versuchen, über eine gemeinsame Währung die Standards zu harmonisieren, weil es dann nach unten geht. Und das gilt für Steuern, das gilt für Abgaben, das gilt für Löhne, das gilt für juristische Standards, das gilt für ökologische Standards.

[Niedergesäß (CDU): Ist doch Quatsch, was Sie da erzählen!]

Darüber müssen Sie sich gar nicht aufregen, das ist einfach so. Das ist politisch nicht geleistet worden. Selbst Helmut Kohl hat damals gesagt: Erst die politische Union, dann die Währungsunion. Dann hat er es doch andersherum gemacht, weil er die politische Union nicht hinbekommen hat. Das ist doch heute unser Problem, wenn Sie mit Löhnen aus Osteuropa und anderen Beispielen operieren.

Aber wir sind uns doch einig in der Frage, dass man Schwarzarbeit bekämpfen muss und dass sie ein wachsendes großes Problem ist. Nämlich erstens für das Steueraufkommen in der Bundesrepublik Deutschland und zweitens für unsere Versiche

rungssysteme, und vor allem – und das ist, was mich am meisten ärgert – das ist nun ein Bereich, wo der Satz gilt: Der Ehrliche ist der Dumme. Und das muss überwunden werden, auch zum Schutz jener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und jener Unternehmen, die ehrlich Steuern zahlen, die ehrlich ihre Abführungen machen, wo Tariflöhne bezahlt werden. Die haben ein Recht darauf, auch von uns geschützt zu werden gegen jene, die sich über Schwarzarbeit billig rechnen.

[Beifall der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Und das Erste, das hier geschehen muss, ist, dass es nie wieder eine Form direkter oder indirekter Unterstützung des Staates für Schwarzarbeit dadurch geben darf, dass er selber akzeptiert, dass bei ihm schwarz gebaut oder gewirtschaftet wird. Das ist das Erste, das wir durchsetzen müssen.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Da hat die Vorgängerregierung, besser gesagt das Abgeordnetenhaus in der letzten Legislaturperiode, ein Gesetz beschlossen. Sie wissen, dass es dagegen sogar eine Verfassungsklage gibt. Wir werden dieses Ziel weiter verfolgen.

[Niedergesäß (CDU): Sagen Sie doch mal wie!]

Ob das jetzt so dramatisch zugenommen hat im letzten Jahr, wie Sie behaupten, kann ich gar nicht sagen, denn Sie wissen selbst, dass das alles Schätzungen sind. Es ist ja eine Dunkelziffer, sie kriegen das ja nicht wirklich registriert. Aber dass es ein großes Problem ist, das will ich überhaupt nicht bestreiten, und dass wir uns diesem Problem energisch stellen müssen, ist ebenso richtig.

[Niedergesäß (CDU): Haben Sie ja verpennt!]

Lassen Sie mich noch etwas sagen: Das ist allerdings eine Forderung, die nicht nur an die Politik geht, sondern auch an die jeweilige Branche. Ich nenne einmal ein positives Beispiel: Die Gebäudereinigerinnung hat geahnt, dass dieses Problem auch für sie gewaltig wird. Daraufhin haben die Unternehmen selbst finanziert – ohne Staat –