Protocol of the Session on March 21, 2002

[Pewestorff (PDS): Das ist eine Unterstellung!]

Es ist völlig unstreitig, dass wir alle gemeinsam alles tun müssen, um insbesondere den organisierten Teil, aber auch das grundsätzliche Problem von Schwarzarbeit auf der Anbieterseite, aber insbesondere auf der Nachfragerseite energisch und kompromisslos zu bekämpfen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Da würde ich empfehlen – das tue ich schon seit Jahren, leider ist es noch nicht zu Stande gekommen – ein breites Bündnis von DGB bis zum Unternehmerverband mit einer öffentlich-moralischen und nicht nur einer juristischen Komponente, weil die allein nach meiner Befürchtung nicht ausreicht.

Zweitens: Was nicht zulässig ist, Herr Gysi, und was vielleicht auch den Unterschied zeigt zwischen Ihrem sozialistischen und unserem marktwirtschaftlichen Ansatz, ist der Umstand, dass Sie den Sachzusammenhang zwischen zu hohen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und der Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in der Lage ist, 30 oder 40 § für die Gesellenstunde zu bezahlen, gerade im privaten Bereich, dass Sie den a priori ablehnen.

[Pewestorff (PDS): Wer hat denn die Arbeit so teuer gemacht über die Jahre?]

Natürlich gibt es Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Wasserrohrleitung für 500 DM von ihrem Nettolohn reparieren zu lassen. Natürlich gibt es Menschen, die ein Problem damit haben, dass der Geselle nur 10 § die Stunde erhält, seine Arbeitsleistung aber 40 § die Stunde kostet. Hier ist die Aufgabe von uns allen, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir zwar den Zustand bekämpfen müssen, aber die Ursache natürlich in den zu teuren Lohn- und Lohnnebenkosten, nicht im zu hohen Lohn, in den zu hohen Arbeitskosten am Standort Deutschland gerade im Handwerk liegt.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das führt übrigens im Handwerk zur Arbeitslosigkeit. Das führt im Bauneben- und im Bauhauptgewerbe zu großer Arbeitslosigkeit, das ist also hohe sozialpolitische Aufgabe, die wir gemeinsam wahrzunehmen haben. Das gleiche betrifft das ehemalige 630-Mark-Gesetz, das heutige 325-§-Gesetz, da sind wir uns hoffentlich einig. Natürlich war das eine Möglichkeit auf seriösem Wege geringfügige Beschäftigung, über eine Million in Deutschland, gerade im Bereich der Haushaltshilfen, aber auch in vielen anderen Bereich herzustellen, die heute nicht mehr da ist, und neben dem Teil, der in die Sozialversicherungspflicht gegangen ist, ist natürlich auch ein Teil in die Schwarzarbeit gegangen. Das bestreitet niemand, außer Sie, Herr Gysi. Das liegt wirklich inhaltlich neben der Sache, was Sie vorgetragen haben.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Letzter Punkt: Auch das in aller Sachlichkeit, den Dissens können wir nicht auflösen, ich will nur noch einmal deutlich machen: Sie haben im Grundsatz behauptet, höhere Steuern, höhere Steuersätze führten zu mehr staatlichen Einnahmen. An diesem Dissens werden wir auch Ihren Senat messen müssen, denn da sind wir aus tiefer Überzeugung anderer Auffassung. Nur wenn wir es gemeinsam schaffen, die Steuerbelastung zu senken, wenn wir es schaffen, den Menschen mehr Einkommen zur Verfügung zu stellen und unsere Unternehmen zu entlasten, werden wir im Ergebnis mehr Wirtschaftskraft, mehr Steuerzahler, damit auch mehr Steuereinnahmen haben und unsere Haushaltsprobleme lösen können. Ihr Weg führt genau in die falsche Richtung.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Dr. Steffel! – Herr Senator Gysi, wünschen Sie eine Replik? – Eine Replik wird gewünscht – bitte schön!

Wenn der Herr Fraktionsvorsitzende der CDU repliziert, dann bin ich ihm wenigstens zwei Antworten schuldig. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich nicht alles vortragen konnte. Wir haben beispielsweise vor, nicht nur was das Arbeitnehmerentsendegesetz betrifft, sondern was die Generalunternehmerhaftung betrifft,

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Es gibt die Generalunternehmerhaftung! – Zurufe von der CDU: Alles alte Kamellen!]

ja, es ist doch von Ihnen eingeführt worden. Ich verstehe nicht, weshalb Sie sich darüber aufregen. Die Frage ist doch, ob wir es durchgesetzt bekommen. Das ist das Problem in der Praxis. Da werden wir andere Wege gehen, um es Realität werden zu lassen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Aber noch einmal zu Ihren zwei grundsätzlichen Bemerkungen: Es stört mich schon, ich habe hier ein Prinzip kritisiert. Ich habe gar nicht mit Ihnen über die Höhe von Steuern und Abgaben diskutiert. Ich habe darüber diskutiert, dass Sie sagen, die Höhe der Preise sei die Ursache für Diebstahl.

[Dr. Steffel (CDU): Das sagt niemand!]

Natürlich, genau das sagen Sie und nichts anderes. Damit rechtfertigen Sie Diebstahl.

[Niedergesäß (CDU): Blödsinn!]

Denn das ist Diebstahl, die Schwarzarbeit, und die Notlage von Menschen wird ausgenutzt.

Die zweite Bemerkung: Ich sage gar nicht, dass höhere Steuern zu höheren Einnahmen führen, das hängt ganz von der Situation ab. Ich nenne nur die Steuergeschenke, auch unter der Regierung Kohl, die immer gemacht wurden mit der Begründung, danach gäbe es riesige Investitionen und es würden massenhaft Arbeitsplätze entstehen. Das Geld war futsch für den Staat, aber Arbeitsplätze sind nicht entstanden, und Investitionen hat es auch keine gegeben. Beide Logiken scheinen mir so nicht zu stimmen. Es kommt auf das richtige Maß an. Die selben Unternehmen, die sich über zu hohe Steuern beklagen, fordern auf der anderen Seite von der öffentlichen Hand ständig mehr Ausgaben.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Hier müssen wir uns einfach einmal über den Weg einig werden. Ich bin kein Anhänger höherer Steuern. Das, was diese Regierung macht, dazu sind wir gezwungen. Das haben wir nicht gern gemacht. Es war ein Vergleich zum theoretisch Denkbaren, im Interesse der Wirtschaft deutlich weniger, notwendig deshalb, weil sich dieses Land in einer tiefen Haushaltskrise befindet,

auch Dank der Bankgesellschaft und daran ist die CDU nicht völlig unbeteiligt. Ich finde deshalb, Sie sollten hier moralisch etwas kürzer treten bei der diesbezüglichen Argumentation.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Oh! bei der CDU]

Wir haben das mit Sicherheit nicht gern gemacht, aber wir hatten keine andere Wahl.

[Beifall bei der PDS]

Vielen Dank, Herr Dr. Gysi. – Wir treten jetzt in die reguläre Besprechung ein. Das Wort hat für die Fraktion der CDU der Herr Kollege Dietmann – bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich erst einige Vorbemerkungen – wenn auch kurze – zu dem machen, was Herr Dr. Gysi hier eben geboten hat! Ich bin schockiert, was für eine dürftige Antwort wir zu unserer Großen Anfrage bekommen haben.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wenn Sie auf unsere Fragen 8 und 9, in denen wir fragen

Welche Maßnahmen plant der Senat, die Schwarzarbeit wirkungsvoller als bisher zu bekämpfen, um seinen ordnungspolitischen Verpflichtungen nachzukommen (...)?

Welche personellen und materiellen Ressourcen sieht der Senat (...)?

ersthaft antworten: „Wir werden uns sehr bemühen!“ –, erinnert mich das eher an Ihre Auftritte in Talkshows als an ernsthafte Regierungsarbeit.

[Beifall bei der CDU]

Vielleicht sollten Sie langsam einmal Ihre Rolle – auch für sich selbst – definieren.

Eins ganz deutlich: Auch wenn Sie es zum sechsten Mal gesagt haben, Herr Senator, ist es nicht richtiger. Wir haben nicht gerechtfertigt, dass eine Situation da ist, sondern wir haben uns mit den Ursachen beschäftigt. Vielleicht täte es Ihnen ganz gut, sich der Realität anzunehmen und sich auch einmal mit Ursachen zu beschäftigen. Vielleicht würden Sie dann feststellen, dass es da einen gewissen Zusammenhang gibt. Und d a s s es einen gewissen Zusammenhang gibt, hat zumindest e i n Mitglied dieses Senats erkannt; denn als wir 1999 schon einmal über das Thema Schwarzarbeit geredet haben, hat Herr Dr. Körting gesagt: „Die Strafjustiz ist immer erst das letzte Glied in einer Kette von Fehlentwicklungen.“ Jetzt frage ich mich: Wenn wir hier heute Fehlentwicklungen diskutiert haben – was haben Sie eigentlich unternommen? Oder ist Ihre Annahme, dass Sie einfach nur härter vorgehen müssten, tatsächlich richtig? – Sie müssen sich mit den Ursachen beschäftigen, daran muss man arbeiten!

[Beifall bei der CDU]

Ich würde mich gern inhaltlich mit Ihrer Antwort beschäftigen, aber das fällt mir schwer, weil Sie so richtig nichts gesagt haben, außer dass Sie sich in einer etwas sinnlosen Art und Weise immer wieder eines Themas angenommen haben. – Der einzige Wirtschaftsbereich in Berlin, der tatsächlich boomt, ist das Thema der Schwarzarbeiter. Wenn das der Erfolg ist, dann ist es möglicherweise der Erfolg trotz oder wegen der Arbeit dieses Senats.

[Beifall des Abg. Gram (CDU)]

Es ist richtig, dass wir bei Verfolgungs- und Ahndungsergebnissen Fortschritte erzielt haben – das haben Sie eben ganz kurz erwähnt. Aber nichtsdestotrotz ist es auch richtig, dass die

Schwarzarbeit in dem gleichen Zeitraum exorbitant stärker gestiegen ist. – Ich versuche, diese Diskussion zu versachlichen. – Es geht zum einen um die Verfolgung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung, aber es geht auch darum, eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik zu machen, einen Rahmen zu schaffen, wo Wirtschaft stattfinden kann. Wenn ein Wirtschaftssenator sagt: „Dazu diskutiere ich nicht!“ – dann fehlen mir dazu die Worte.

Sie haben gesagt, Sie wüssten gar nicht genau, wie das mit der Schwarzarbeit in Berlin aussehe. Das könne so oder so sein. Es sei alles im Grau- oder Dunkelbereich. Da haben Sie sicher Recht. Aber vielleicht haben Sie zur Kenntnis genommen, dass es jüngst eine Studie der Universität Linz gab, die sich mit dem Baugewerbe in Berlin-Brandenburg beschäftigt hat. Ich sage Ihnen die Zahlen kurz, damit Sie wissen, worüber wir reden: Wir reden darüber, dass 65 % der Wertschöpfung im Berliner Baugewerbe in Schwarzarbeit erbracht wird. Wir reden davon, dass in Berlin 142 Millionen Stunden – so ist es errechnet worden – schwarz gearbeitet wird. Das sind über 80 000 Vollzeitschwarzarbeiter. Sie kennen die Zahlen der Arbeitslosen im Baugewerbe. Nur zu sagen: „Dagegen müssen wir etwas härter vorgehen, da werde ich meine ganze Aufmerksamkeit reingeben.“ – das ist zu wenig.

[Beifall bei der CDU]