Protocol of the Session on September 9, 2004

Ich beginne, wie es guter Brauch ist, mit den Gemeinsamkeiten: Das betrifft beispielsweise Ihre Forderung, der Berliner Senat solle aufschreiben, was für die Hauptstadtfunktion ausgegeben wird. Das hat der Kollege Sarrazin bereits in einem eindrucksvollen Folienvortrag getan. Es sind 670 Millionen €. Davon bekommen wir vom Bund ungefähr die Hälfte ersetzt. Daran eine Debatte über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der Regelung für Berlin festzumachen, ist eine Verführung, der ich widerstehen möchte.

[Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Ich komme zu einem sicherlich unverdächtigen Gestalter der Debatte, und zwar zu Kurt Biedenkopf. Er schreibt:

Außer Frage steht die gesamtstaatliche Finanzierung der Kosten, die der Stadt aus ihrer Funktion als Kapitale im engeren Sinne erwachsen.

Diese Position teile ich. Das steht für mich außer Frage. Aber es gibt, wie die Zahlen zeigen, noch Handlungsbedarf. Bedauerlicherweise ist in diesem Punkt die Meinung von Hans Eichel und anderen maßgeblich und nicht die des Kollegen Biedenkopf.

Bei diesen Kosten wird man auch auf die Erfahrungen zurückgreifen, die während der Zeit, als Bonn die Hauptstadtfunktion wahrnahm, gesammelt wurden.

Streitig bleibt, in welchem Umfang die Metropole Berlin den Bund und die Gemeinschaft der Länder für die Finanzierung ihres Haushalts in Anspruch nehmen kann. Dies gilt insbesondere für den Erhalt und die Förderung als Zentrum von Kultur und Wissenschaft. Letztlich geht es dabei um die Entscheidung der Fragen, ob und in welchem Umfang die Existenz eines kulturelle und wissenschaftlichen Umfelds und dessen Unterhalt der Hauptstadtfunktion zuzuordnen ist, in welchem

Krüger, Marian

Die Große Anfrage, die hier gestellt worden ist, beschäftigt sich hauptsächlich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Verlagerung der Regierungsfunktionen nach Berlin. Herr Wolf hat umfassend Auskunft gegeben. Das alles war auch schon in der Prognosstudie nachzulesen, die im April letzten Jahres fertiggestellt worden ist und die zu dem Ergebnis kommt, dass die Verlagerung der Regierungsfunktionen zwar nicht die strukturellen Veränderungen mit sich gebracht hat, aber doch einen deutlichen wirtschaftlichen Impuls – wie ich finde – in Berlin hinterlassen hat. 52 000 Arbeitsplätze sind kein Pappenstiel, wenn man sich die Arbeitsmarktsituation in Berlin anguckt.

Wichtig scheint mir – und das ist die spannende Frage, die sich angesichts dieses Themas stellt –: Was ist eigentlich die Hauptstadt, und wie füllen wir diese Hauptstadtfunktionen aus? – Herr Krüger, ich hatte bei Ihrem einleitenden Beitrag den Eindruck, Sie haben die Hauptstadtfrage schon ad acta gelegt. Sie haben gesagt, die Sinnfrage sei schon beantwortet. In Ihrem zweiten Beitrag haben Sie das ein bisschen anders dargestellt. Auch Herr Wolf hat zum Ausdruck gebracht, dass das eigentlich die Debatte ist, die es zu führen gilt. Auch Herr Zimmer hat deutlich gemacht, dass er diese Debatte führen will. Ich kann nur alle einladen, sich aktiv daran zu beteiligen. Es ist wichtig, dass wir von Berlin aus klar und deutlich machen, was wir für ein Angebot gegenüber den anderen Ländern mit in die Diskussion bringen wollen. Wir wollen Hauptstadt eines föderalen Staates sein. All diejenigen, die die Debatte auf die Arbeitsteilung zwischen der Bundesregierung, dem Bund, und der Stadt und dem Land Berlin reduzieren wollen, die vergessen dabei einen wichtigen Bestandteil, und das sind die Länder.

Umfang der Gesamtstaat als Nation durch Berlin repräsentiert ist und welche Kosten dafür übernommen werden.

Das macht den Problemhaushalt aus, Herr Zimmer. Lesen Sie bei Ihrem Parteifreund Biedenkopf nach!

Wir haben ein Vertragssystem – das Berlin-BonnGesetz regelt nicht die Details des Alltags –, das in seinen Grundannahmen überholt ist. Ich sprach darüber bereits in der ersten Rederunde. Berlin braucht eine dauerhafte Unterstützung vom Bund und den Ländern als Hauptstadt und als Metropole. Hierbei muss man neue gesetzgeberische Wege gehen. Es geht nicht darum, die alte Debatte über das Berlin-Bonn-Gesetz wieder anzufangen, sondern eine verfassungsrechtliche Begründung für ein neues Hauptstadtgesetz zu finden. Die CDU hat sich – – Das haben Sie in der kurzen Referierung Ihres Fünfpunkteprogramms – – Ich habe es hier auf der Rückseite einer Zigarettenschachtel komprimiert. Es hat dort Platz. Die Marke will ich mit Rücksicht auf die Kollegin Hämmerling nicht nennen. Die spannende Debatte fängt mit Kurt Biedenkopf an und geht mit Herrn Ratzmann zum Beispiel weiter.

[Heiterkeit bei den Grünen]

Schade, dass Sie sich da heraushalten, Kollege Zimmer! – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Krüger! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende Ratzmann. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich setze die Debatte gerne fort, auch wenn ich nicht nach Kurt Biedenkopf, sondern nach Marian Krüger zu dem Thema spreche. Aber immerhin, Sie haben die Messlatte einigermaßen hoch gelegt.

10 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz – wenn man Bilanz zieht, so werden unterschiedliche Bilanzen bzw. Ergebnisse präsentiert werden. Wenn man die Bilanz zu Grunde legt, die der Regierende Bürgermeister und die Bürgermeisterin von Bonn im Juni im „Generalanzeiger“ gezogen haben, so fällt sie durchaus positiv aus. Beide haben festgestellt, dass die Arbeitsteilung zwischen den beiden Städten fair verläuft. Beide haben für sich geltend gemacht, dass positive Ansätze aus der Verlagerung der Hauptstadtfunktionen, der Regierungsfunktionen in die Hauptstadt Berlin und auch aus dem Verorten von Bonn als Bundesstadt zu ziehen sind. Am interessantesten finde ich allerdings in diesem kleinen Interview die Aussage von Herrn Wowereit, der auf die Frage, wie er die Entwicklung Berlins prognostiziere, gesagt hat: Wir brauchen deutlich mehr Zeit, um auch wirtschaftlich wieder die Hauptstadt Deutschlands zu werden. – Wie viel Zeit, war die Frage, und da sagte er: Ab 2010 geht es aufwärts. – Wir haben also noch sechs Jahre Durststrecke durchzustehen, und dann wird es 2010 letztendlich aufwärts gehen.

All diejenigen, die sich hier hinstellen und heute vollmundig fordern, wir müssten das Berlin-Bonn-Gesetz ändern und anfangen, darüber nachzudenken, dass Institutionen aus Nordrhein-Westfalen abgezogen werden, die werden sich noch wundern, welchen Gegenwind sie bekommen werden. Ich warne davor, leichtfertig mit diesem Thema umzugehen. Es ist eine diffizile Situation. Das sage ich nicht nur angesichts des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen. Auch von den anderen Ländern werden wir sehr kritisch beäugt, was wir in diesem Zusammenhang fordern und was wir in diesem Zusammenhang an funktionaler Ausgestaltung der Hauptstadt für uns reklamieren.

Herr Kollege Ratzmann! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hahn?

Ja, Herr Hahn kann gerne fragen!

Bitte schön, Herr Hahn!

Herr Kollege Ratzmann! Meinen Sie mit dieser Warnung auch Ihre Parteifreundin Frau

Da kräuseln sich bei vielen gewaltig die Nackenhaare, und zwar nicht nur bei den Ländern bzw. bei denen noch am allerwenigsten. Deswegen ist die Berichterstattung in der Presse in jüngster Zeit nicht ganz korrekt. Auf der Länderseite – das war deutlich zu spüren – besteht mehr Übereinstimmung, als in dieser Berichterstattung zum Ausdruck kam. Es war einzig und allein Hamburg, das große Bedenken angemeldet hat. Alle anderen Länder

inkl. Nordrhein-Westfalen haben gesagt, sie könnten mit dieser Formulierung leben, wenn – das war allerdings schon eine Anmerkung, die aus Nordrhein-Westfalen kam – sichergestellt ist, dass das bestehende Berlin-BonnGesetz nicht sofort mit Implementierung dieser Regelung im Grundgesetz ad acta gelegt wird. Der meiste Widerstand kommt aus der Bundesregierung, von denjenigen, die dort Finanzverantwortung tragen. Die haben sich vorbehalten, noch einmal sehr genau hinzugucken und zu prüfen, was für Ansprüche in dieser Formulierung stecken. Wenn ich dann höre, dass Herr Zimmer vorschlägt, einen Hauptstadthaushalt aufzustellen, dann weiß ich, dass von denen sofort kommt: Leute, es ist klar, jetzt schreibt ihr ins Grundgesetz, gesamtstaatliche Repräsentation ist Aufgabe des Bundes, dann legt ihr einen Haushalt vor und sagt, das habt ihr nun irgendwie alles zu finanzieren. – Man muss, Herr Zimmer, aufpassen, dass nicht nur der Anspruch Berlins in Richtung Bund damit begründet wird, sondern dass der Bund auch sagen kann: Dann lasst es einfach sein, dann machen wir es irgendwie einfach nicht mehr. – Nicht nur wir haben zu sagen, was repräsentativ von uns geleistet wird, sondern der Bund hat auch mitzubestimmen, was in dieser Richtung in der Stadt geschieht.

Eichstädt-Bohlig, die genau diesen Regierungsumzug schon vor einem Jahr verlangt hat?

Herr Kollege Ratzmann! Fahren Sie bitte fort!

Ich meine all diejenigen, die sich leichtfertig und vollmundig hinstellen und meinen, man müsste jetzt in die Vollen gehen und sagen: Wir wollen diese ganzen Institutionen nach Berlin holen. – Wenn Sie mich noch einen Satz hätten sagen lassen, Herr Hahn, dann hätten Sie gemerkt, dass ich dieses Thema damit nicht ad acta legen will. Ich glaube nur, dass wir mit Nordrhein-Westfalen und mit den anderen Ländern – denn auch die gucken auf Berlin als Hauptstadt und die Forderungen, die hier erhoben werden – sehr genau darüber reden werden müssen, wie sich in der Bundesrepublik die Regierungsverantwortung und die Regierungsinstitutionen in einem föderalen System verteilen werden. Da wird ein Teil sicherlich nach Berlin gehören. Es wird aber auch ein Teil in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern verbleiben. Es wird sicherlich auch damit zusammenhängen, inwieweit sich Bonn nach dem Wegfall der Bundeshilfe weiter als internationale UN-Stadt etablieren und letztendlich einen weiteren Veränderungsprozess im Regierungsumzug mit voranbringen kann. Wir alle wissen, dass die Warnungen gerade von denjenigen kommen, die sehr genau auf die Steuern gucken und immer auf die Verwendung öffentlicher Mittel hinweisen, die da sagen: Leute, überlegt euch das genau, das sind weitere Milliarden, die auf uns zukommen, wenn wir diese Veränderung, diesen Umzug tatsächlich vonstatten gehen lassen wollen. – Es ist erforderlich, darüber zu reden, wie Arbeitsteilung und Regierungsarbeit sinnvoll gestaltet werden, aber nicht in dieser vollmundigen Art, wie Herr Zimmer es heute gemacht hat.

Zur Hauptstadtklausel will ich noch anmerken: Es ist richtig, dass von denjenigen, die in der Föderalismuskommission für diese Klausel streiten, weitgehende Übereinstimmung erzielt wurde, dass man einen Kompromiss, den Kompromiss, den Herr Neumann vorgeschlagen hat, mittragen soll. Wir reden hier – um das klar zu sagen – über drei Sätze, die ins Grundgesetz eingefügt werden sollen. Der erste Satz heißt:

Berlin ist die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.

Das ist Konsens bei allen Beteiligten. Es gibt einen weiteren Satz, und das ist der strittige, der soll heißen:

Die gesamtstaatliche Repräsentation in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes.

Der für uns wichtigste Punkt ist der dritte Satz:

Das Nähere regeln Bundesgesetze.

Da sind wir wieder mit Ihnen und mit Herrn Krüger einer Meinung, dass das Dickicht der Verträge, Verwaltungsvereinbarungen oder Staatsverträge, so sie das Licht der Welt erblickt haben, endlich entrümpelt und Finanzierung und Aufgabenzuschreibung auf einfachgesetzlicher Grundlage geregelt werden müssen. Wenn wir Klarheit über eine gesetzliche Regelung hinbekommen, sind wir ein ganz schönes Stück weiter. Das sollte auch das Ziel von allen sein, gerade diesen Prozess offen zu halten und zu sagen, das ist das Wichtige, was wir brauchen. Wir brauchen die gesetzliche Regelung und nicht unbedingt das Verhakeln in Formulierungen im Grundgesetz, bei dem alle anderen meinen, wir hielten hier nur die Hand auf und wollten das Geld aus dem Bund abziehen. Ich bin guter Hoffnung, dass wir aus der Projektgruppe VII etwas Vernünftiges vorlegen können. Ich teile die Skepsis nicht, die in der Presse zu lesen war. Die Übereinstimmung war groß. Ich glaube, wenn wir alle an einem Strang ziehen, werden wir diese wichtige Verankerung im Grundgesetz hinkriegen. Es geht nicht nur um die finanziellen Ansprüche, es geht auch darum, die Bedeutung der Hauptstadt aufzuwerten und die Diskussion gegenüber den Ländern zu führen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Das Wort für die Fraktion der FDP hat nunmehr Herr Hahn. – Bitte schön, Herr Hahn!

[Hoffmann (CDU): Jetzt kommt endlich wieder eine ordentliche Rede von der FDP!]

Wem die Nation nichts bedeutet, der kann eben auch mit der Hauptstadt wenig anfangen. Damit komme ich zum engeren Thema. Wenn wir darüber klagen, dass dieses Land seine Hauptstadt zu wenig unterstützt, noch immer kein rechtes Verhältnis zu dieser Stadt findet, ihre Möglichkeiten nicht erkennt, geschweige denn ausschöpft, dann liegt das eben daran, dass diese Nation kein rechtes Verhältnis zu sich selbst gefunden hat, zu wenig Stolz auf das Erreichte zeigt, eben zu wenig Patriotismus kennt.

Was soll, was könnte uns die Hauptstadt bedeuten? Welche Chancen ergeben sich für Deutschland als Ganzes daraus, dass es mit Berlin eine Hauptstadt hat, die durchaus mit anderen europäischen Metropolen konkurrieren könnte, wenn sie denn in den Stand dazu versetzt würde, wenn diese Stadt dazu befähigt würde? – Diese Debatte wird noch kaum geführt. Immerhin hat Herr Senator Wolf das Problem jetzt angesprochen. Aber zehn Jahre nach dem Berlin-Bonn-Gesetz müssen wir feststellen, dass die Bereitschaft, dieser Stadt zu helfen, nicht zunimmt, sondern eher im Abnehmen begriffen ist. Das muss uns doch mit Sorge erfüllen. Insbesondere deshalb, weil die Erwartungen zur Entwicklung Berlins, die noch vor zehn Jahren bestanden, bei weitem nicht aufgegangen sind.

(D

Ich möchte hier das zitieren, was der Finanzsenator kurz zusammengefasst bei der Einbringung des Berliner Doppelhaushalts dazu gesagt hat:

Danke schön, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die „Bild-Zeitung“ von heute meldet: „Schockumfrage: Jeder fünfte Deutsche will die Mauer wiederhaben“. Ich zitiere:

Fast 14 Jahre nach der Wiedervereinigung wünschen sich 21 Prozent der Deutschen die Mauer zurück, ergab eine Forsa-Umfrage für den „Stern“.

[Hoffmann (CDU): Aber nicht die Berliner! – Pewestorff (PDS): Aha, daran sind Sie mit schuld!]

Nur 12 Prozent der Bundesbürger meinen, die innere Vereinigung sei weitgehend gelungen.

Diese Umfrage zeigt: In diesem Land, das dem Patriotismus weitgehend ablehnend gegenüberstand und -steht, gibt es erschreckend wenig inneren Zusammenhalt. Die Umfrage spiegelt den inneren Zustand einer in Gruppenegoismen zerfallenden Gesellschaft. Wo Patriotismus fehlt oder zu schwach ist, ist die Bereitschaft zum Teilen, zur Solidarität, zur Hilfsbereitschaft nicht kräftig genug.

[Zillich (PDS): Das ist ja richtig liberal!]

Dagegen weist das Allensbach-Institut seit Jahren auf einen festen inneren Zusammenhang der Werte Patriotismus, Zukunftsbejahung, Optimismus, hohe Arbeitmotivation, Kinder- und Familienfreundlichkeit hin. Umgekehrt: Da, wo Patriotismus keinen hohen Stellenwert hat, ist Optimismus wenig verbreitet, Zukunftsbejahung schwach entwickelt, Arbeitsmotivation deutlich niedriger und die Familienbindung auch viel schwächer. Der Blick ins europäische Ausland bestätigt diesen Befund. Nationen mit ausgeprägtem Patriotismus haben eine deutlich positivere Einstellung zur Zukunft, Optimismus, Arbeitsfreude und – am Beispiel Frankreichs ließe sich das nachweisen – auch eine kinderfreundlichere Gesellschaft. Unser Land krankt an mangelndem Patriotismus.