Protocol of the Session on August 26, 2004

Und, Herr Meyer, wir sollten auch berücksichtigen, dass die Vermerke, die wir jetzt alle gelesen haben, nicht für die öffentliche Debatte im Parlament bestimmt waren. Dem von Ihnen, Herr Braun, in Ihrer Rede herangezogenen Strafrechtsvermerk habe ich auch nur entnommen, dass die Bearbeiterin der Ansicht war, die ihr bekannten gegenwärtigen Ermittlungsergebnisse würden eine Anklage nicht tragen. Das ist im Übrigen etwas anderes, als dass das Verfahren zwingend einzustellen sei. In der Tat kann für weitere Ermittlungen, auch in andere Richtungen, ein hinreichender Tatverdacht bestehen. Man könnte auch sinnieren, ob nicht irgendwo noch Betrug, Unterschlagung oder sonst etwas begangen wurde. Das kann es alles geben. Wenn es einen Tatverdacht gibt, muss ermittelt werden. Gegebenenfalls ist hier jetzt zu ermitteln – ob sich weitere Anhaltspunkte ergeben oder nicht.

Nichts anderes enthält das öffentlich gewordene Schreiben der Aufsicht an die Generalstaatsanwaltschaft, die im Übrigen auch nicht die Ermittlungen führt. Es ist nicht Aufgabe der Fachaufsicht, sich mit eigenen Ermittlungen an die Stelle der Staatsanwaltschaft zu setzen, zumal die Fachaufsicht dazu weder Kapazitäten noch strafprozessuales Instrumentarium besitzt. Die Staatsanwaltschaft wird damit umzugehen wissen. Sie können es offenbar nicht, sonst würden Sie nicht fahrlässig oder gar bewusst wahrheitswidrige Behauptungen aufstellen – für diejenigen, die keine Juristinnen oder Juristen sind: das sind Lügen – und damit Spielmasse für die Demontage der Justizsenatorin zu generieren versuchen.

eine fachaufsichtliche Positionsmitteilung. Und die Kritik, die Sie immer wieder in die Welt streuen, verehrter Herr Kollege Braun, wurde von Herrn Generalstaatsanwalt Neumann so nicht erhoben. Herr Neumann hat die Äußerungen mancher Senatsmitglieder scharf kritisiert, die sich auf die staatsanwaltschaftliche Arbeit bezogen haben. Herr Neumann hat auch gesagt, dass das Schreiben der Justizverwaltung zur falschen Zeit gekommen sei. Das mag man so sehen, nachdem jeder Schritt der Ermittlungsbehörden vorher wochenlang presseöffentlich begleitet worden war und dabei in der Tat nicht nur guter politischer Stil eine Rolle gespielt hatte. Aber Herr Neumann hat auch eingeräumt, dass er sich von Frau Senatorin Schubert in dieser Sache nicht im Stich gelassen gefühlt hat. Dass Sie nun Frau Schubert stellvertretend für verschiedene andere tatsächlich kritikwürdige Äußerungen aus der Berliner Politik anzugreifen versuchen, zeigt mir eher, dass Sie auf der erhebliches öffentliches Interesse hervorrufenden Tempodrom-Affäre und der damit verbundenen Pressewelle gern noch ein Weilchen reiten möchten. Sie sollten aber nicht glauben, dass es Ihnen auf Dauer politisch nützt, wenn Sie nun Ihrerseits die Geschehnisse um die Ausreichung von ca. 1,5 Millionen € durch die IBB an die Stiftung Neues Tempodrom instrumentalisieren. Schon mancher Wellenreiter hat die Balance verloren und ist nass geworden.

Herr Neumann hat im Ausschuss bewiesen, dass die Staatsanwaltschaft keine selbst ernannten Anwälte braucht, die ihre vermeintlichen Belange im Parlament vertritt; das kann sie ganz gut selbst.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Ich bin auch ausgesprochen zuversichtlich, dass Berlins Staatsanwälte, durch ihren Beruf gewöhnt, sich in diffizilen, öffentliche Aufmerksamkeit erregenden und unter Umständen auch sehr strittigen Ermittlungskomplexen zu bewegen, sich von einer schriftlich mitgeteilten Äußerung des Fachreferats nicht „aus den Latschen hauen“ lassen, sondern wie Juristinnen und Juristen mit juristischen Argumenten umgehen. Sie werden sie würdigen, für leicht oder schwer befinden, aufnehmen oder unberücksichtigt lassen.

Dass ausgerechnet Sie, Herr Braun, der Sie – insbesondere im Rechtsausschuss, das Protokoll gibt das ganz schön wieder – mit einem inquisitorisch unfehlbaren, schwer zu ertragenden und über den Dingen stehenden und vor allem immer alles schon vorher wissenden moralisch anklagenden Habitus es hier und in Ihrem Antrag mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, ärgert mich allerdings.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Im Rechtsausschuss wurde von den zwei Vermerken berichtet – anders, als Sie sagen. Diese Vermerke fanden sich in einer Akte, die Sie und Herr Gram kennen und die ich kenne. Sonst kennt sie kaum jemand. Sie behaupten, es habe dieses oder jenes darin gestanden, und Frau Schubert habe gelogen. Warum sollte Frau Schubert eigentlich lügen, wenn wir uns am Anfang der Ausschusssitzung

einig darüber waren, dass alle in die Akten gucken dürfen? Sie würde sofort überführt werden. Sie ist schließlich Juristin und weiß, wie das geht.

[Heiterkeit bei der PDS und der SPD]

Ich bin dankbar, dass die spekulative und nur auf Effekthascherei zielende Debatte mit dem Titel: „Kommt die Anklage, oder kommt sie nicht?“ ersetzt wurde durch den Austausch von juristischen Argumenten. Dass das, Herr Braun, was Sie vor zwei Wochen noch für „juristisches Geschwätz“ hielten, heute plötzlich – Sie erörtern es in Ihrem Antrag ausführlich – große Relevanz für Sie besitzt, wie der Vermerk, weil er nach Ihrer – öffentlich nicht zu widerlegenden – Behauptung in Ihren politischen Kompass passt, ist Bigotterie. Das wird meine Fraktion nicht mitmachen. – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Lederer. – Es folgt die Fraktion der Grünen. Das Wort hat der Kollege Ratzmann. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Lederer! Ich bin nicht froh, dass der Austausch von juristischen Argumenten die Debatte ersetzt hat, sondern ich glaube, dass es angebracht und angezeigt ist, die ganze Auseinandersetzung politisch zu bewerten. Und genau vor diesem Hintergrund wollen wir zu dem heute von der CDU gestellten Misstrauensantrag Stellung nehmen.

Bankenskandals, wollen und müssen uns klarmachen,

Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Abstimmung über diesen Misstrauensantrag wird am Montag, den 30. August 2004 um 9 Uhr morgens erfolgen. Die Einladungen zu dieser Sitzung wurden Ihnen heute schon auf die Tische gelegt.

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Für die Beratung steht den Fraktionen nach der Geschäftsordnung jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kollege Ratzmann hat wieder das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das eigentlich Bedeutsame und das, was in dieser Affäre „Politische Einflussnahme in der Strafsache Dr. Thilo S.“ hervorzuheben ist, sind die klaren Worte des Herrn Generalstaatsanwalts Neumann in der Rechtsausschusssitzung am 19. August 2004. Er sagte – ich zitiere:

Wir stimmen mit der CDU darin überein, dass das Verhalten der Senatorin für Justiz im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen Dr. Thilo S. einer Bewertung und auch einer Diskussion bedarf. Keine Frage, das ist geschehen, das haben wir auch kritisch getan. Und wir haben – genauso wie andere Fraktionen in diesem Haus – zum Ausdruck gebracht, dass wir das Verhalten für politisch ungeschickt und auch für schädlich halten. Damit ist es aber auch getan.

Keine Frage, die Äußerungen, die insbesondere der Generalstaatsanwalt im Rechtsausschuss erhoben hat, sind massiv. Wir werden sie nachher im Zusammenhang mit unserem Antrag noch zu debattieren haben. Sie sind besonders deshalb so bedeutsam, weil Berlin sich in einer besonderen Situation befindet. Wir befinden uns in der Situation, dass wir das politische Fehlverhalten der vergangenen Jahre durch diese Staatsanwaltschaft juristisch aufarbeiten lassen müssen. Vor diesem Hintergrund ist das gute, alte Prinzip, dass die Exekutive sich geflissentlich aus laufenden Ermittlungsverfahren herauszuhalten hat, umso bedeutsamer.

[Beifall bei den Grünen]

Und es wird noch bedeutsamer, wenn das Verhalten in diese Richtung von den eigenen Interessen geleitet ist, von den eigenen Schutzinteressen für Parteifreunde, wenn es pro domo geschieht. Dass es hier so war, ist offenbar.

Aber dieser Antrag, werter Kollege Braun, geht am Kern der Sache vorbei. Es gibt ein altes Sprichwort – das bitte ich nicht wörtlich zu verstehen –, das heißt: „Wer den Esel meint, soll nicht den Sack schlagen.“

[Dr. Lindner (FDP): Wer ist denn der Esel?]

Mit Ihrem Antrag sind Sie diesem Prinzip fälschlicherweise gefolgt. Der Kernsatz Ihrer Antragsbegründung heißt:

Die Berliner Justizverwaltung hat auf diese Weise die ihr obliegende Fachaufsicht missbraucht, um unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Objektivität Einfluss auf die Staatsanwaltschaft in einem missliebigen Verfahren zu nehmen.

Damit reduzieren Sie das ganze Problem darauf, dass der Vermerk einer Referentin aus dem Hause der Senatsverwaltung für Justiz nicht vollständig in einen Brief Eingang gefunden hat, den dieselbe Referentin im Übrigen auch geschrieben hat. Sie fokussieren damit die ganze politische Dimension dieser Sache am Kern vorbei auf die falsche Person. Ich glaube, dass wir im Abgeordnetenhaus vor dem von mir skizzierten Hintergrund mit dieser Affäre, mit diesem Verhalten so nicht umgehen können.

Deswegen: Weil Sie ein Verhalten in Ihrem Antrag mit aufgreifen, das auch wir sehr fragwürdig finden, werden wir den Antrag am Montag nicht ablehnen, aber eine Zustimmung zu dem Antrag können Sie von uns bei der Sachlage jedenfalls nicht erwarten. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Wir kommen damit zur

lfd. Nr. 51B:

Dringlicher Antrag

Missbilligung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit

Antrag der Grünen und der FDP Drs 15/3105

Ich verhehle nicht, dass es mich sehr bedrückt, heute hier in diesem Rechtsausschuss Dinge zu sagen, die ein Leiter einer Behörde gegenüber seiner eigenen Senatsverwaltung nicht sehr gerne sagt. Ohne Zweifel fühlt die Staatsanwaltschaft sich ganz erheblich unter Druck gesetzt. Nicht durch dieses Schreiben – das will ich ausdrücklich betonen! Was mich umtreibt, ist dieses Verfahren Tempodrom – und ich meine jetzt den Gesamtkomplex. Seit dem März dieses Jahres ist die Staatsanwaltschaft einem Sammelsurium von Angriffen ausgesetzt, jeweils nach unterschiedlicher Interessenlage derjenigen, die das inszenieren, mit einem einzigen Ziel, die Staatsanwaltschaft letztlich in einer Form dahin zu bringen, dass eine Anklage vermieden wird – bis hin zum Regierenden Bürgermeister, der meinte, öffentlich erklären zu müssen – im RBB, und das ist nachher in den Medien gedruckt worden: „Das, was die Staatsanwaltschaft hier als Rechtsgrundlage hat, ist nicht tragfähig.“

Diese Äußerungen sind der eigentliche Skandal in dieser ganzen Affäre politischer Einflussnahme.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, was das bedeutet. Seit dem Sturz der großen Koalition kämpfen wir in diesem Hause und mit Unterstützung dieses Hauses um die juristische Aufarbeitung des

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist vor allem dazu geeignet, die Ehrfurcht vor Juristen doch etwas in Frage zu stellen.

Ich sage das mal als Nicht-Jurist – ganz ausdrücklich. Gerade als Nicht-Jurist meint man, Juristen seien Leute, die sich die Sachen nüchtern angucken, sie durchsehen, selbstverständlich prüfen, was sie davon in ihrer Richtung als Anwalt oder Staatsanwalt entsprechend ausnutzen können, aber dann zu einem relativ nüchternen Urteil kommen und dieses auch so darstellen können.

Wenn ich heute insbesondere von Herrn Braun, aber auch von Herrn Ratzmann höre, wie hier etwas instrumentalisiert und verbogen wird, was eigentlich eine völlig normale Diskussion ist, die es in einer so politisierten Frage in der Öffentlichkeit gibt, dann meine ich, dass wir alle einmal darüber nachdenken müssen, ob das der Stil ist, in dem wir in den nächsten zwei Jahren noch miteinander und gegeneinander Politik machen wollen.

kenskandals, wollen und müssen uns klarmachen, dass das Prinzip: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen!“ in Berlin keine Anwendung mehr findet. Es geht um die Hinterlassenschaften einer großen Koalition, an der auch die SPD beteiligt war. Diese SPD ist verantwortlich für die Bankgesellschaft, für das Tempodrom, für die Schulden bei der BVG und bei den öffentlichen Unternehmen. Diese SPD stellt sich hin und sucht jede Überlegung zu strukturellen Änderungen in den öffentlichen Unternehmen als neoliberale Finsternis zu desavouieren. Diese SPD erodiert langsam weg und gibt aus Angst vor dem populistischen Erfolg ihres Koalitionspartners jeden politischen Willen zur Veränderung vollständig auf. Diese SPD geht mit den Institutionen der öffentlichen Hand und mit staatlichen Institutionen um, als seien es ihre eigenen Erbhöfe. Und in dieser Situation maßt sich diese SPD an, Zeugnis über die Arbeit der Staatsanwaltschaft im Fall Dr. Thilo S. abzulegen.

Noch bevor die Verteidigung des Dr. Thilo S. auch nur ein Wort zu den Ermittlungsergebnissen gesagt hat, wissen Sie schon, dass das alles abenteuerliche Konstruktionen sind, wie auch der Fraktionsvorsitzende der PDS, Herr Liebich, betonen muss. Das mag sogar tatsächlich so sein, aber die Exekutive hat sich – noch dazu, wenn es um sie selbst geht – mit Ausnahme des Betroffenen – das sei hier ausdrücklich betont – fein zurückzuhalten. Wie wollen Sie das Vertrauen in die Justiz herstellen, die das größte Wirtschaftsstrafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik zu stemmen hat, wenn der Regierungschef sich in Amigo-Manier hinstellt und ihre Arbeit aus der Pose der Macht heraus abqualifiziert?

[Zurufe von der SPD]

Der einzig richtige Satz eines Regierungschefs in so einer Situation kann doch nur lauten: Wir haben eine gut funktionierende Justiz in Berlin, die rechtsstaatlich handelt und die das richtige Ergebnis auch zu Tage fördern wird. – Herr Wowereit! Es gibt noch ein Gericht, das letztendlich über die Zulassung dieser Anklage entscheiden wird, und Sie haben mit Ihren Äußerungen im RBB deutlich gemacht, dass Sie auch in diese Instanz der Justiz kein Vertrauen haben. Mit Ihrem öffentlichen Auftreten in diesem Ermittlungsverfahren Dr. Thilo S. haben Sie dem Ansehen Berlins sowie der Aufarbeitung und der Chance, die in dieser Aufarbeitung liegt, großen Schaden zugefügt.

[Zuruf des Abg. Krüger (PDS)]

Deshalb haben wir heute diesen Missbilligungsantrag – und zwar an die richtige Adresse gerichtet – in diesem Haus zur Abstimmung gestellt. Ich bitte Sie alle – und zwar auch für das Land Berlin und für das Vertrauen, das wir für die Justiz herstellen müssen –, diesem Missbilligungsantrag zuzustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Unruhe]

Das Wort hat nun Herr Gaebler. – Nachdem der Lärmpegel gar zu hoch ist, bitte ich doch dringend um Aufmerksamkeit. – Bitte schön!

[Beifall bei der PDS – Dr. Lindner (FDP): Die hatten Sie nie! – Eßer (Grüne): Ehrfurcht? – Am Ende entscheidet ein Gericht! – Weitere Zurufe]