Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Haushaltsberatungen habe ich an dieser Stelle zu der Frage, ob es sinnvoll ist, erneut gegen den Haushalt zu klagen, gesagt: Wir Grünen haben mit der letzten Klage zwei Ziele verfolgt. Wir wollten den Senat erstens dazu treiben, den Haushaltsnotstand zu erklären und in Karlsruhe Bundeshilfe für Berlin einzuklagen, und wir wollten zweitens jeden Rückfall in die finanzpolitischen Exzesse der 90er Jahre unmöglich machen. Beide Ziele haben wir erreicht. Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen. Und was Ihr Lob angeht, Herr Liebich: Ihr Dankeschön für unsere Politik teilen offensichtlich viele Wählerinnen und Wähler. Die Europawahl hat das gezeigt. Weitere Wahlen in Berlin werden das bestätigen.
Allerdings hatten wir zu diesem Zeitpunkt hier im Parlament eine Verabredung miteinander, nämlich die, einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2005 aufzustellen, sowie uns von Experten in einer Enquetekommission beraten und die Ergebnisse in den Nachtragshaushalt einfließen zu lassen. Nicht umsonst wurden alle Fraktionsvorsitzenden dieses Hauses in diese Kommission entsandt. Inzwischen kann ich mich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie, meine Damen und Herren von der SPD und PDS, Ihr Wort nicht halten wollen. Der Finanzsenator erklärt in der Zeitung, er würde den mit einem Nachtragshaushalt verbundenen Aufwand lieber vermeiden – verwaltungstechnisch verständlich. Ihre Mitarbeit in der Enquetekommission glänzt auch nicht gerade durch Engagement und Esprit, und insbesondere Sie, Herr Liebich, der Sie vorhin so dicke Töne gespuckt haben, sind mir dabei nicht durch besonderen Ideenreichtum aufgefallen. Da hat eher schon Frau Freundl den einen oder anderen vernünftigen Vorschlag gemacht.
Wenn ich mir den Hauptausschuss betrachte, fällt auf, dass der Umgang mit den Steuergeldern und dem Haushaltsrecht zunehmend schlampiger wird. Ihr gesamtes Verhalten deutet darauf hin, dass Sie sich mit einer Politik der ruhigen Hand – sprich: des Nichtstuns – an den Wahltag heranschleichen wollen und dabei die unverändert dramatische Finanzlage der Stadt ihrem Schicksal überlassen oder dem Bundesverfassungsgericht vor die Füße legen. Ich finde das rundum verantwortungslos. Denn in der Zwischenzeit – das können wir in diesem Jahr sehen – versickert insbesondere in den Beteiligungen das Geld: Aus dem halben Jahr ergeben sich 100 Millionen € Einnahmeverzicht bei der Berlikomm, 230 Millionen € Einnahmeverzicht bei Vivantes und 1,1 Milliarden Einnahmeverzicht bei der Bankgesellschaft. Ich habe ausgerechnet, dass die hochsymbolischen Symphoniker mit dem Geld, das Sie in den Beteiligungen versenkt haben, 543 Jahre weiterspielen könnten.
Wir stehen alle in der Pflicht, unermüdlich nach Wegen aus der Finanzkrise zu suchen, neue Ideen zu entwickeln und diese frühestmöglich umzusetzen. Man kann nicht mit dem Hinweis auf ein vor über einem Jahr be
Zudem läuft das gegenüber der Berliner Bevölkerung auf einen gigantischen Wahlbetrug hinaus. Vor der Wahl wird wahrheitswidrig suggeriert, alle Haushaltsprobleme seien im Prinzip gelöst. Und am Tag nach der Wahl werden dann die Grausamkeiten auf den Tisch gepackt.
Am schwersten aber wiegt der Versuch, dem Bundesverfassungsgericht die Probleme zuzuschieben. Es ist zynisch, das Gericht die Drecksarbeit in Form zusätzlicher Sparauflagen machen zu lassen. Sie glauben doch nicht, dass die Richter in Karlsruhe diesen Zynismus einer Regierung, die ihre Verantwortung nicht wahrnimmt, nicht bemerken. Sie spielen an diesem Punkt mit dem Feuer. Sie riskieren dadurch, dass uns das Bundesverfassungsgericht ohne Anspruch auf Bundeshilfen wieder nach Hause schickt.
Wir fordern Sie auf, Ihr Wort zu halten, bis 2005 einen Nachtragshaushalt vorzulegen und die Arbeit der Expertenkommission nicht ins Leere laufen zu lassen. Das wäre auch gegenüber den Experten unerhört.
Offene Fragen, die man entscheiden muss, gibt es genug. Ich kann sie hier gar nicht alle aufzählen, bringe aber erneut eine Äußerung des Finanzsenators aus den Haushaltsberatungen. Dort hat er zum vorliegenden Doppelhaushalt 2004/2005 gesagt:
Mehr Einsparungen hätten bedeutet, dass der Senat seine politische Entscheidungsgrundlage verändert, indem er zum Beispiel sagt: Wir brauchen doch keine drei Universitäten, vielleicht reichen zwei. Wir brauchen doch keine drei Opern, vielleicht reicht eine. Wir brauchen doch nicht so viele Krippen in Ostberlin, vielleicht machen wir es wie in Oberbayern.
Da sage ich zu Ihnen, Herr Wieland, Sie haben das falsch ausgedrückt, zum Thema „mit einer Zunge reden“: Dieses müssen Sie doch zunächst einmal bei sich in den Fraktionen, in der Koalition und im Senat klären, was es bedeutet, mit einer Stimme zu sprechen. Teilen Sie diese Ansicht des Finanzsenators oder nicht? Teilen Sie seine Ansicht, eine Milliarde bei Kultur, Wissenschaft, Schule einzusparen, oder nicht? Oder stehen Sie stattdessen auf der Seite der Enquetekommission, die in ihrem Entwurf eines Zwischenberichts etwas völlig anderes geschrieben hat? – Ich zitiere:
Die bisherige Konsolidierungspolitik zielt primär auf eine Absenkung der Ausgaben mittels linearer, proportionaler Kürzungen in allen Bereichen. Damit droht in vielen Bereichen eine Schädigung der Wirtschaftspotentiale und künftigen Entwicklungschancen Berlins. Bisher fehlt ein ressortübergreifendes gesamtstädtisches Entwicklungskonzept für Berlin, auf das die Finanzpolitik abzustimmen ist.
Ja, da bin ich einmal gespannt, ob Sie dann aus dem Busch kommen und plötzlich sagen: Dieser Konsens, was alle Experten gesagt haben, ist nicht gültig. – Da bin ich gespannt, ob Sie sich auf die Seite derer stellen, die sagen: Ausschließlich über Ausgabenkürzungen geht es. – Über Ausgabenkürzungen allein Konsolidierung des Haushalts zwingt logischerweise auch dazu, die Zukunftspotentiale der Stadt nicht zu schonen.
Da sind wir gespannt: Was ist eigentlich Ihre gemeinsame Politik, verehrte Abgeordnete von SPD und PDS, wenn Sie nicht bereit sind, einen Beschluss in dieser Richtung zu fassen?
Ja, da schließt sich dann ein Kreis zu dem, was ich vorhin gesagt habe: In der Haushaltspolitik weitermachen wie bisher, einen Nachtragshaushalt verweigern, die Klage in Karlsruhe damit gefährden und die Arbeit der Enquetekommission nach dem Motto „Schön, dass wir einmal grundsätzlich geredet haben!“ leer laufen lassen – das ist ein verantwortungsloser Kurs, auch ein schäbiger Umgang mit dem Urteil des Landesverfassungsgerichts, das wir ursprünglich in einem gemeinsamen Prozess ausdeuten und erfüllen wollten.
Wir haben von Ihnen immer wieder gefordert, ein verfassungsfestes Sanierungsprogramm vorzulegen, das über den Tellerrand des Jahres 2007 hinausweist.
Sie aber entwickeln das Jahr 2007 zu einer geradezu fixen Idee. Bis 2007 reichen Ihre Konsolidierungsmaßnahmen. Bis 2007 wollen Sie keine Vermögensaktivierungen mehr machen. 2007 wird die Bankgesellschaft verkauft. Und seit gestern wollen Sie 2007 prüfen, ob die IBB dann zusätzliches Kapital benötigt, und so weiter und so fort. Nach 2007 bricht Ihre Haushaltskonsolidierung ab. Da gähnt ein schwarzes Loch. Bis 2007, wenn es nach Ihnen geht, gibt es nichts Neues mehr. Was an Problemen deutlich wird, wird auf 2007 verschoben. 2007 wird bei Ihnen gewissermaßen ein magisches Datum. Das Zauberhafteste daran ist, dass Sie eigentlich den Tag nach der Wahl im Oktober 2006 meinen, wenn Sie 2007 sagen. Sähen Sie auch nur einen Tag über diesen Tellerrand hinaus, fiele der Blick auf mindestens drei große, unangenehme Probleme:
Erstens beschert uns der degressive Abbau des Solidarpakts einen Einnahmeverlust von 2 Milliarden € bis 2020.
Zweitens endet im Jahr 2009 der Berliner Tarifvertrag im öffentlichen Dienst. Damit stellt sich die Frage, wie es dann mit den Personalkosten und dem Kündigungsschutz weitergeht.
Drittens ist doch auch Ihnen klar, dass die Senkung der Investitionen und der baulichen Unterhaltung, die Sie derzeit betreiben, nicht auf Dauer sein kann. Denn ob wir ein Loch in der Haushaltskasse oder Löcher in den Dächern unserer Schulen haben, läuft auf das Gleiche hinaus. Das eine ist so wenig nachhaltig wie das andere.
Wenn ich diese drei Problemkomplexe zusammennehme und eine einigermaßen optimistische Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit und der Einnahmen gegenrechne, komme ich zu dem Resultat, dass auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2015 noch ein Loch von rund 1 Milliarde € klafft, das geschlossen sein will. Zumindest die Haushälter aller Fraktionen wissen das sehr genau und der Senat auch. Mit diesem Milliardendefizit beim Bundesverfassungsgericht anzutanzen, ohne eine Idee zu seiner Bewältigung, das ist verantwortungslos.
Ja! – Sie riskieren sehenden Auges, aus wahltaktischen Gründen und um Diskussionen in der Koalition zu vermeiden, dass die Richter Berlin ohne Entschuldungshilfe lassen und Sie stattdessen an Ihre Hausaufgaben und Ihre Regierungsverantwortung erinnern.
Ich habe mit einem Verweis auf meine Rede zum Abschluss begonnen und höre damit auch auf. Damals, bei den Haushaltsberatungen, habe ich gesagt: Ergreifen Sie den Strohhalm der Enquetekommission, entwickeln Sie eigene zusätzliche Ideen, legen Sie mit dem Nachtragshaushalt ein schlüssiges Sanierungsprogramm vor. – Wir sind gespannt, ob Sie noch die Kurve kriegen. Ich sagte in der Fraktion voraus, Sie machten es nicht, Sie hätten die Arroganz der Macht. Da hat mich der Kollege Cramer korrigiert. Er meinte, dies sei die Arroganz der Ohnmacht, geboren aus Ratlosigkeit. Herr Liebich, wenn ich heute Ihre Rede höre, dann hatte Herr Cramer Recht.
Vielen Dank, Herr Kollege Eßer! – Wir kommen zur Wortmeldung des Senats. Herr Senator Dr. Sarrazin hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich das hier anhört, was man eben so gehört hat, dann fragt man sich, ob alle in diesem Raum immer zuhören.
Ich bin schon daran gewöhnt, dass ich bestimmte Dinge immer in einem Maße wiederhole, das mich selbst schon langweilt. Aber es ist einfach notwendig, bestimmte Dinge immer wieder zu sagen, weil sie für alles die gemeinsame Basis sind. Sie werden aber bei einigen bewusst oder vielleicht unbewusst, weil es taktisch nicht so passt, immer wieder vergessen. Deshalb sage ich zu Beginn noch einmal einiges, das ich schon relativ oft gesagt habe.
Zunächst zu Herrn Zimmer: Vielleicht komme ich manchen bisweilen etwas hochmütig vor. Wenn dies so ist, dann bitte ich um Verständnis. Es ist keine Absicht. Eines aber weise ich zurück, kurzfristig denke ich nicht. Kurzfristig ist mir relativ egal. Mir ist sogar ziemlich egal, ob wir in diesem Jahr 3,8 Milliarden € Schulden haben oder 4,1 Milliarden €. Mir ist wichtig, wo wir im Jahr 2007 oder 2010 oder 2020 ankommen. Alles, was ich sage, rechne ich von dort zurück. Und so ist auch die Sanierung angelegt. 500 Millionen € haben wir in den letzten beiden Jahren bereits abgebaut, die sind im Ist vollzogen.
1,8 Milliarden € bauen wir weiter bis zum Jahr 2007 ab. Außerdem bauen wir weitere 700 bis 800 Millionen € ab. In der Summe unserer Programme handelt es sich um 3 Milliarden € Ausgabenabbau, die erst langfristig wirken. Ich nenne Beispiele: Wir haben in diesem Jahr nicht bei den Hochschulen gekürzt, sondern ihnen bis 2009 einen Raum gegeben, wo sie sich an unsere insgesamt maßvollen Kürzungen anpassen können. Wir haben bei der Anschlussförderung harte Entscheidungen getroffen, die uns langfristig im Jahr 1 Milliarde € bringen, allerdings erst 2019, und jetzt im Augenblick 40 bis 50 Millionen € pro Jahr. Wir haben beim Personal auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet. Sie wären sowieso nicht durchsetzbar gewesen, Herr Lindner, in diesem Umfeld. Wir haben jedoch ein langfristiges Konzept, welches – da gebe ich Ihnen Recht – zu Einsparungen von 40 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen wird, allerdings erst im Jahr 2013, denn eher geht es nicht. So ist unsere gesamte Politik angelegt. So ist auch der gesamte Haushalt angelegt. Wir haben einen Haushalt, der im vergangenen Jahr erstmals seit vielen Jahren wieder auf der Ausgabenseite eingehalten, sogar unterschritten wurde. Wir werden den Haushalt in diesem Jahr in den Ausgaben und Einnahmen ebenfalls einhalten und nach meiner Einschätzung auch im nächsten Jahr. Wir haben eine Planung bis zum Jahr 2007, die so tief unterlegt ist wie bisher überhaupt keine Finanzplanung in diesem Land. Sie ist auch schon größtenteils mit Maßnahmen unterlegt. Es gibt dort auch Risiken. Das ist klar. Das ist auch unvermeidlich.
Natürlich haben wir auch Pläne über das Jahr 2007 hinaus, bloß haben wir im Augenblick eine geltende Finanzplanung bis zum Jahr 2007. Im nächsten Jahr beraten wir den nächsten Doppelhaushalt, dann haben wir eine Finanzplanung bis zum Jahr 2009. Die haben wir vor der Wahl, weil wir sie da auch aus gesetzlichen Gründen schon haben müssen. Es ist aber so auch richtig.
Was ist geschehen im Haushalt? – Wir haben das, was rechtlich möglich ist, jetzt abzubauen oder im Abbau zu entscheiden. Was nicht unsere wichtigen politischen Bereiche betrifft – da gibt es gewisse Ausnahmen, das ist richtig, darauf werde ich auch noch kommen –, da haben wir alle nur denkbaren Entscheidungen getroffen. Aus dem Thema Verwaltungsreform, Herr Lindner, ist kosten- und ausgabenmäßig nicht mehr herauszuholen als am Ende der Personalabbau. Dieser Personalabbau ist auch poli
tisch entschieden und in den Haushalt eingestellt. Die Verwaltungsreform muss dies unterlegen. Sie wird aber zusätzlich nichts einsparen.
Die Vermögensaktivierung ist aus meiner Sicht wichtig, mag der eine oder andere auch etwas andere Ansichten haben, das ist auch nicht weiter schlimm. Nur eines sage ich ihnen: Die Vermögensaktivierung ist nicht das Thema des Haushalts. Berlin hat in den vergangenen Jahren für 8 Milliarden € Vermögen aktiviert und ist parallel immer weiter in die Krise gerutscht, weil Vermögensaktivierung Ausgabenkürzungen nicht ersetzt. Sie ist wichtig, und wir müssen uns immer wieder Gedanken machen, welches Vermögen wir noch brauchen. Dazu muss man nicht alles heute entscheiden. Solange wir das Landesvermögen gut bewahren, pflegen und fördern, ist es auch oft positiv, nicht jetzt zu verkaufen, sondern etwas später.
Zu den Beteiligungen, weil das einige – auch Herr Eßer – ansprachen: Herr Eßer, Ihre Zahlen sind wunderbar, aber Sie mischen alles durcheinander:
Buchungsvorgänge, Bereinigung von Altlasten und Ausgaben, völlig unterschiedliche Dinge. BerliKomm, eine Bereinigung politischer Altlasten, überfällig,
von vergangenen Regierungen versäumt, keine Ausgabe; dass die Zweckrücklage der IBB jetzt bei der Bank verbleibt, das ist keine Ausgabe,