Protocol of the Session on June 17, 2004

[Niedergesäß (CDU): Die Verantwortung bleibt beim Planer!]

Auf der anderen Seite möchte man, dass solche Sachen mehr privatrechtlich geregelt werden. Aber Sie haben selbst in Ihrer Begründung gesagt: Wegen nicht ausreichender Erfahrung möchten Sie sich nicht ganz von der Schlusspunkttheorie verabschieden.

Auch die Schlusspunkttheorie hatte für die Bauherren immer einen Vorteil. In dem Moment, in dem sie diesen Stempel hatten, war ihnen klar, alle Genehmigungen sind erteilt. Das werden wir in Zukunft, bei Genehmigungsfreistellung, den Privaten übertragen müssen.

Wir müssen genau aufpassen, dass die Verantwortung ebenfalls bei den Privaten liegt. Da geht es mir auch um die Evaluation. Es muss nicht überall so sein wie bei dem

ersten Haus, das in Berlin ohne Baugenehmigung gebaut wurde. Dieses Haus ist jetzt eine Ruine und muss abgerissen werden. Es ist vergiftet. Ich will nicht über die Bauherrin reden, die darunter zu leiden hat. Es muss klar sein, dass man hinterher nicht der öffentlichen Hand die Schuld dafür gibt, sondern dass die Architekten die Verantwortung tragen. Die Architekten müssen entsprechende Versicherungen abschließen. Das ist der zweite Punkt. Sie sagen selbst: Die notwendigen Rahmenbedingungen für die Entlastung der Bauaufsichtsbehörden durch Etablierung von anerkannten Sachverständigen ist zu schaffen. In der Tat müssen bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Architekten und Ingenieure in Zukunft in der Lage sind, es so zu machen, wie wir es wollen – auf eigene Verantwortung.

Dann stellt sich immer wieder die Frage nach der Zeit, die die Erteilung der Baugenehmigung benötigt. Herr Nelken hatte schon gesagt, wenn jemand investieren will, dann investiert er, ob die Erteilung der Baugenehmigung eine Woche länger dauert oder nicht. Die Auseinandersetzung, ob die Verwaltung oder die Bauherren so langsam sind, wird schon ewig geführt. Wir haben aber immer wieder das Problem, dass die Bauunterlagen nicht korrekt sind. Das beste Beispiel, das ich erlebt habe: Der Bauherr beraumt eine Pressekonferenz an, nach dem Motto: Ich habe immer noch keine Baugenehmigung. – Hinterher stellte sich heraus, dass er noch gar keinen Bauantrag gestellt hatte. Man schlägt in dieser Hinsicht immer gern auf den Sack. Man sollte ein bisschen vorsichtiger sein.

Ich persönlich bin dafür, dass die Bauordnung vereinfacht wird. Ich bin auch dafür, dass sie demokratischer und transparenter wird. Und als Grüne finde ich, dass sie auch ökologische Aspekte beinhalten sollte. Aber es ist sinnvoll, das im zuständigen Ausschuss zu diskutieren und nicht im Plenum. Ich würde alle Anwesenden langweilen, wenn ich Paragraph für Paragraph durchginge.

Mir ist aufgefallen – dafür gibt es in Ihrem Entwurf gar keine Begründung –, dass Sie plötzlich das Eigentum einführen. Sie haben nicht erklärt, warum es Ihnen so wichtig ist.

Das Wichtigste der Bauordnung ist: Sie muss eindeutig sein. Zunehmend machen die Gerichte Politik, weil unsere Gesetze nicht präzise formuliert sind. Es sollten keine unpräzisen Begriffe verwendet werden wie beispielsweise „angemessen“ oder „sachgemäß“, sondern Begriffe, die so eindeutig sind, dass Klagen überflüssig werden.

Last but not least: Ich wundere mich, dass auch die FDP diese Art Freistellung will. Für die Bauherren waren die Schlusspunkttheorie und die Baugenehmigung immer sehr günstig. Das Produkt Baugenehmigung ist mit Abstand das preiswerteste im Verhältnis zu den anderen Produkten der Verwaltung, inklusive Brandschutz, den sich fast alle Architekten einzeichnen lassen, weil sie selbst nicht in der Lage dazu sind. Ich habe mich immer gefragt,

warum die Verwaltung sich das nicht bezahlen lässt. Wenn die Verwaltung in Zukunft mehr beraten muss, dann sollte sie sich das auch bezahlen lassen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Oesterheld! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr. Die CDU bittet um zusätzliche mitberatende Überweisung an den Wirtschaftsausschuss. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Die lfd. Nrn. 5 und 6 sind bereits durch die Konsensliste erledigt.

Lfd. Nr. 7:

Wahl

Zwei Personen zur Vertretung der Interessen von Frauen und der Umweltbelange – sowie deren Stellvertreter/-innen – zu Mitgliedern des Kuratoriums der Technischen Universität Berlin

Wahlvorlage Drs 15/2887

Wir kommen zur einfachen Wahl durch Handaufheben. Die Kandidatinnen und Kandidaten entnehmen Sie bitte der Anlage der Drucksache. – Wer die dort Genannten zu wählen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann sind die Genannten gewählt. Wir wünschen ihnen Weisheit und Freude an ihrem Amt.

Lfd. Nr. 8:

Wahl

a) Ein Bürgerbeauftragter,

b) ein Vertreter der Berliner Gewerkschaften,

c) eine Vertreterin einer Organisation, die die Interessen von Frauen vertritt, sowie ein Vertreter für Umweltbelange

zu Mitgliedern des Kuratoriums der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin sowie deren Stellvertreter

Wahlvorlage Drs 15/2888

Wir kommen wiederum zur einfachen Wahl durch Handaufheben. Die Kandidatinnen und Kandidaten entnehmen Sie bitte der Anlage der Drucksache. – Wer die Genannten zu wählen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? – Keine. Dann sind die Genannten einstimmig gewählt. Wir wünschen ihnen Freude an ihrem Amt.

Wir kommen zur

Frau Oesterheld

lfd. Nr. 9:

a) Große Anfrage

Förderung des Fahrradverkehrs in Berlin

Große Anfrage der SPD und der PDS Drs 15/2810

b) Antrag

Förderung des Fahrradverkehrs

Antrag der SPD und der PDS Drs 15/2811

c) Antrag

Berlin kommt auf Touren – ein „Entwicklungskonzept Fahrradverkehr“ für Berlin

Antrag der FDP Drs 15/2871

Für die Begründung der Großen Anfrage erhält nun die Fraktion der SPD das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege Gaebler – zu Fuß, ohne Fahrrad!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spätestens am 6. Juni war das Thema Fahrrad wieder in aller Munde, als 250 000 Menschen auf zwei Rädern durch die Stadt gefahren sind, auf der größten Fahrradsternfahrt, die in Berlin in dieser Form je stattgefunden hat. Es war ein eindrucksvolles Signal, dass das Fahrrad aus dem Nischendasein, das es zwischenzeitlich scheinbar gefristet hatte, deutlich wieder herausgefunden hat. Es handelt sich hier nicht um ein „grünes“ oder „Spinnerverkehrsmittel“. Historisch gesehen, ist das Fahrrad eigentlich ein proletarisches Verkehrsmittel. Nach der Industrialisierung war es Grundlage, um zum Arbeitsplatz zu gelangen, und für viele ein wichtiges Mittel zum Broterwerb. Über die Jahre, mit der zunehmenden Motorisierung, hat sich das etwas geändert. In dem Film „Immer die Radfahrer“ mit Heinz Erhardt waren es eher die älteren Herren, die als „Pensionisten“ Ausflüge damit machten, während die jungen Leute mit Autos durch die Gegend fuhren. Dann, in den 70er Jahren, kam der Imagewechsel, als die Ökologen, die Grünen, das Fahrrad wieder aufgebracht haben. Aktuell wird das Fahrrad in allen Schichten der Gesellschaft genutzt. Es ist – zumindest mental –zu einem gleichberechtigten Verkehrsmittel geworden – und auch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor, sowohl, was den Tourismus, als auch, was die Fahrradindustrie, aber auch, was den Dienstleistungssektor betrifft.

In Berlin haben wir gute Ausgangsbedingungen für den Fahrradverkehr und für die Fahrradnutzung. Die Topographie ist überschaubar. Die Witterung ist im Vergleich zu mehr nördlich gelegenen Gebieten Deutschlands relativ regenarm. Wir haben relativ breite Straßen. Deshalb ist heute ein guter Zeitpunkt, mit der Großen Anfrage einmal die Eckdaten abzufragen. Welches sind die Ausgangsdaten? Was unternimmt der Senat? Wie nutzen wir das? Mit welchen Rahmenbedingungen können wir das nutzen? Wir verbinden die Große Anfrage mit der Beratung der dazu eingebrachten Anträge, auf die ich in der Aussprache eingehen werde. Wir können damit Forderungen für die Zukunft verknüpfen.

Zum Fahrradverkehr gibt es mehrere Aspekte: Umwelt, Stadtverträglichkeit von Verkehr, Flächenverbrauch und nicht zuletzt Gesundheit. Studien haben ergeben: Wer eine halbe Stunde täglich Fahrrad fährt, lebt länger,

[Heiterkeit bei der SPD]

hat weniger Kreislaufprobleme und fühlt sich insgesamt deutlich besser. Deshalb müssen wir mehr tun, um noch mehr Anreize zu bieten, um den Fahrradverkehr voranzubringen. Ich lese ein paar Forderungen dazu vor: Das bestehende Radwegenetz muss überprüft und nach dem besten Stand der Technik gestaltet werden. Die Kommunen müssen geeignete benutzerfreundliche Abstellanlagen für Fahrräder anbieten. Ein eigenständiges Wegweisungssystem für Radfahrer muss für Kommunen zum Standard werden. Auch die kostenfreie Mitnahme von Fahrrädern im ÖPNV und Radfahrstreifen als kostengünstige und sichere Alternative zu konventionellen Radwegen werden gefordert.

Diese Aufzählung – man höre und staune – stammt nicht aus dem Jahresbericht des Fahrradclubs, sondern aus einer Broschüre des ADAC – des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs. Wenn auch der ADAC inzwischen solche Forderungen für den Stadtverkehr stellt und den Fahrradverkehr als gleichberechtigten Partner anerkennt, sollten wir das erstens positiv aufnehmen. Zweitens zeigt es auch, dass die gesellschaftliche Diskussion wesentlich weiter ist, als es bei manchen politischen Diskussionen den Anschein hat.

[Beifall bei der SPD – Beifall der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Da wir heute noch einen besonderen Moment haben, weil sich einer der stärksten Protagonisten eines umweltfreundlichen Verkehrs, Michael Cramer, aus diesem Parlament verabschiedet,

[Schruoffeneger (Grüne): Großer Verlust!]

ist diese Große Anfrage eine gute Gelegenheit, erstens dieses kurz zu würdigen und zweitens zu zeigen, dass auch nach dem Abgang von Michael Cramer aus diesem Hause – er bleibt uns in der Berliner Politik ja wahrscheinlich erhalten – der Fahrradverkehr bei Rot-Rot in guten Händen ist. Die Senatorin wird in ihrer Antwort auf die Große Anfrage dazu sicherlich etwas sagen. Ich freue mich auf die anschließende Aussprache. – Vielen Dank!