Doppelte Immunität des Abgeordneten und Senators Strieder darf Ermittlungen im Tempodromskandal nicht noch weiter verzögern
Für die Beratung ist nach der Geschäftsordnung eine Redezeit von bis zu fünf Minuten vorgesehen. Es beginnt die Fraktion der CDU. Darauf hat man sich verständigt. Der Kollege Wellmann hat für die CDU das Wort. – Bitte schön, Herr Wellmann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Monaten hat das Amtsgericht Tiergarten den Herausgeber einer großen deutschen Wochenzeitung zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil er mit der Verunglimpfung der Staatsanwaltschaft als „durchgeknallt“ indirekt einen Angriff auf die unabhängige Rechtspflege in Deutschland gestartet hatte. Heute diskutieren wir im Parlament einen Vorgang, den ich für gravierender halte als das, was damals passiert ist. Ein Mitglied der Landesregierung hat einen frei gewählten Abgeordneten dieses Hauses in viel gröberer Weise beleidigt, einen Abgeordneten, der zusätzlich als Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege ist.
Es ist nicht unsere Aufgabe, über die rechtliche Qualifikation – ob im strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Sinne – zu befinden. Das werden die ordentlichen Gerichte tun. Wie wir wissen, ist der betroffene Kollege auch Manns genug, sich selbst zu verteidigen. Unsere Aufgabe ist es, das erschwerende zusätzliche Moment, das dieser Fall beinhaltet, noch einmal hervorzuheben: Der Angriff eines Mitglieds der Exekutive auf ein Mitglied der Legislative ist etwas, was wir aus Selbstverständnisgründen des Parlaments nie dulden dürfen.
Ich bin persönlich sehr für das offene Wort und für eine deutliche Sprache in der Politik. Das gehört dazu. Aber Ehrverletzungen dürfen nie zum Mittel der politischen Auseinandersetzung werden.
Unser Verständnis von Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative ist ein Grundelement unseres freien Parlamentarismus. Ich habe ermittelt, dass in den letzten Jahrzehnten noch nie ein so direkter Angriff eines Landesministers auf einen frei gewählten Abgeordneten in diesem Parlament geschehen ist.
Eines muss unter Demokraten klar sein: Wir dürfen keinen Angriff der Exekutive auf die anderen verfassungsrechtlichen Gewalten unseres demokratischen Systems gestatten.
Um ehrlich zu sein: Ich hätte mir gewünscht, wenn aus Gründen der politischen Kultur zum einen der Regierende Bürgermeister eingegriffen und das unterbunden hätte.
Zum anderen finde auch – mit Verlaub, Herr Präsident –, es wäre Aufgabe des Präsidenten gewesen, in Überparteilichkeit deutlich zu machen, dass ein solcher Angriff auf frei gewählte Abgeordnete nicht akzeptabel ist.
Ich empfinde es als besonders makaber und als Ausdruck eines schlechten Gewissens, dass Herr Strieder wegen einer exklusiven Auslandsreise im vermeintlichen Interesse des Landes Berlin heute abwesend ist. Hier brennt die Luft, das Tempodrom wird in die Insolvenz geschickt, die Staatsanwaltschaft ermittelt allerorten, und Strieder weilt in Mexiko. Das zeigt, welche Prioritäten dieser Senator setzt.
Vielleicht ist der Grund für diesen Ausflug, dass Herr Strieder mit Wowereits Senatsbeschluss von dieser Woche juristisch und politisch erledigt ist. Ich sage Ihnen, warum das so ist: Strieder hat die Millionengeschenke aus Steuergeldern mit der Landesbürgschaft gerechtfertigt. Sein Argument lautete, das Land Berlin habe zubuttern müssen, weil sonst die Insolvenz des Tempodrom eingetreten und das für das Land Berlin noch teurer geworden wäre. Diese Seifenblase hat Wowereit jetzt platzen lassen. Die Millionen sind verbrannt. Das Tempodrom ist trotzdem pleite, und die Bürgschaft wird obendrein gezogen. Das optimale Debakel zu Lasten des Steuerzahlers ist tatsächlich eingetreten.
Ich kann Ihnen eines sagen: Der Oberstaatsanwalt Brocher ist übergeschnappt vor Freude, als er das in dieser Woche in der Zeitung gelesen hat.
Und der Regierende Bürgermeister, Herr Gaebler, schiebt jetzt die heiße Kartoffel Herrn Strieder zu, aber wir werden nicht vergessen, wer noch verantwortlich ist, nämlich dieser Regierende Bürgermeister und dieser Finanzsenator. Die haben mitgemacht.
Zum Schluss noch ein Wort zur Immunität: Ich empfinde es als unsäglich, dass Senator Strieder uns und dem Land Berlin zumutet, dass der Deutsche Bundestag seine Immunität für die Bundesversammlung aufheben muss.
Das ist heute im Bundestag geschehen, wie die meisten von Ihnen wahrscheinlich noch nicht wissen. Gleichwohl ist unser Antrag nicht erledigt, weil sich die Verfassungsjuristen streiten, ob der Bundestag das überhaupt kann.
Ich stelle mir das peinliche Verfahren vor, wenn in der Bundesversammlung vor der Wahl unseres neuen Bundespräsidenten diskutiert wird, ob die Immunität eines Berliner Senators aufgehoben werden soll oder nicht. Das ist peinlich. So etwas kannte man in der Bundesversammlung bisher nicht. Das ist ein Präzedenzfall.
So weit hätte man es nie und nimmer kommen lassen dürfen. Das hätten die SPD und der Regierende Bürgermeister in jedem Fall verhindern müssen. – Ich danke Ihnen!
Bevor ich Herrn Kollegen Gaebler das Wort erteile, habe ich noch eine Korrektur zur Abstimmung über den Rückspiegel –
also dem Antrag über den Rückspiegel an Lkw auf Drucksache 15/2697 (neu) – anzubringen: Auch die Fraktion der FDP hat zugestimmt bzw. wollte zustimmen. Also haben alle Abgeordneten diesem Antrag zugestimmt. So weit die Korrektur.
Doch noch etwas Erfreuliches zu später Stunde, was man von dem eben gehaltenen Redebeitrag ja nicht sagen kann.
Es ist zwar richtig, dass heute der 1. April ist, aber dieser Gipfel der Heuchelei, den Herr Wellmann eben aufgeführt hat, ist selbst als Aprilscherz nicht tragbar.
Ich kann verstehen, wenn der Ex-Anwalt von Herrn Landowsky Rache nehmen will für das, was seiner Meinung nach Herrn Landowsky angetan worden ist – in ganz anderen Zusammenhängen und ganz anderen Dimensionen.
Aber ein bisschen Contenance und Konzentration auf die Tatsachen wäre an dieser Stelle angebracht gewesen.
Wenn man hier eine Äußerung von Peter Strieder, dem Landesvorsitzenden der Berliner SPD, als einen Frontalangriff des Senats auf frei gewählte Abgeordnete uminterpretiert, so ist das – vorsichtig gesagt – ziemlich krude. Ich will jetzt nicht das Wort „übergeschnappt“ benutzen, das Sie eben gegenüber dem Staatsanwalt Brocher verwendet haben – interessanterweise. Das müsste eigentlich der Präsident rügen, dass Sie einen Staatsanwalt als übergeschnappt bezeichnen – wenn auch vor Freude.
[Hoffmann (CDU): Sie haben wohl nicht zugehört! – Weitere Zurufe von der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Nein! Schauen Sie einmal in das Protokoll. Ich habe genau zugehört, was Sie gesagt haben. – Aber wie gesagt, ich werde das hier von Ihnen nicht sagen. Ich habe allerdings schon den Eindruck, dass Sie da etwas aus dem Ruder gelaufen sind.