Protocol of the Session on January 31, 2002

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich halte die Diskussion über Rolle, Stellung und Auftrag von Expertenkommissionen für müßig. Die alten Rituale laufen: Koalitionspartner werden gegeneinander ausgespielt, Schiebeverfügungen werden verlangt, man will auf Expertenratschläge

warten. Das Zerreden dieser Ratschläge würde automatisch folgen, sobald diese Vorschläge vorliegen. Ich glaube, diese alten Rituale helfen uns nicht mehr weiter und können auch nicht länger Bestand haben. Ich erwarte eigentlich auch mehr Selbstbewusstsein von allen Beteiligten. Ich glaube, Berlin muss endlich dazu kommen, den Strukturwandel mit eigenen Ideen, aus eigener Kraft und auch in eigener Verantwortung voran zu treiben. Dazu sind alle Beteiligten aufgerufen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Auch die Expertinnen und Experten der Berliner Hochschulmedizin sollten ihre Kenntnisse bei den notwendigen Strukturveränderungen einbringen und sich den Herausforderungen stellen. Dazu habe ich in den letzten Wochen, insbesondere in den letzten Tagen, die Angebote gehört. Ich bin sehr dankbar, dass auch dort eine Bewegung in Richtung einer gemeinsamen Zukunftsplanung stattgefunden hat.

Worum geht es hier eigentlich? Die Haushaltslage Berlins ist dramatisch, das ist bekannt, das bestreitet auch niemand. Einschnitte sind in vielen Bereichen notwendig, auch dies wird von wenigen bestritten. Die notwendigen Kürzungen sollen mit strukturellen Neuausrichtungen verbunden werden, soweit es möglich ist. Die Koalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung Prioritäten im Bildungsbereich gesetzt, so auch bei den Ausgaben für Wissenschaft und Forschung, die nicht absinken sollen. Aber die absehbaren Kostensteigerungen und Finanzierungslücken zwingen zu strukturellen Einsparungen.

Es gibt auch noch weitere Faktoren, die einen Handlungszwang erzeugen. Im Gesundheitswesen werden bis 2004 die so genannten Einheitspreissysteme – kurz DRGs – eingeführt. Diese führen dazu, dass die Krankenkassen mehr als 5 000 Betten in Berlin nicht mehr finanzieren werden – davon rund 1 000 im universitären Bereich. Ansonsten liefen sie Gefahr, dass sie ihre Beiträge, die Krankenkassenbeiträge für Berlin, auf über 15 % anheben müssen. Das ist wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch nicht vertretbar. Diese Entwicklung muss verhindert werden, und diese Koalition wird sie verhindern.

[Niedergesäß (CDU): Sie wollen noch viel mehr verhindern!]

Das ist unsere Pflicht, denn Wegschauen und Laufenlassen wäre angesichts dieser drohenden Entwicklung verantwortungslos.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es gibt auch noch ein Weiteres im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform. Es entsteht ein immenses Haftungsrisiko für die Träger von Krankenhäusern, in diesem Fall für die Universitäten. Die Kosten für nicht ausgelastete Kapazitäten fallen voll zu deren Lasten. Das bedeutet ein Risiko in dreistelliger Millionenhöhe. Das können wir auch nicht einfach ignorieren, sondern da müssen wir handeln. Hier muss schnell Vorsorge getroffen werden, um den Berliner Steuerzahler vor weiteren Risiken zu bewahren. Auch hier gilt: Frühzeitig gegensteuern, entschlossen handeln und nicht wegducken.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Augen zu und durch!]

Ein weiterer Aspekt der Diskussion: Alle Fraktionen dieses Hauses wollen mindestens 85 000 Studienplätze für Berlin sichern und finanzieren. Dies wird auch vom Wissenschaftsrat als zwingend angesehen, um den Hochschulstandort Berlin qualitativ zu sichern.

[Niedergesäß (CDU): Die ruiniert ihr ja gerade!]

Deshalb müssen für die verschiedenen Bereiche auch Studienplatzzahlen in Größenordnungen festgesetzt werden. Für die Medizin ist das per Gesetz bereits 1995 erfolgt, und dieses Gesetz gilt es, in die Realität umzusetzen.

Das Datum 1995 zeigt auch: Die Diskussion um die Hochschulmedizin ist nicht neu, und sie ist auch nicht mutwillig von der SPD oder der PDS oder anderen angezettelt worden.

Warum wird denn diese Diskussion seit Jahren geführt? Sie wird geführt, weil in der Hochschulmedizin besonders hohe Kosten entstehen. Ein Viertel der gesamten Zuschüsse, die das Land Berlin an seine Hochschulen bezahlt, geht an die medizinischen Fakultäten. Es muss erlaubt sein, hier zu hinterfragen, wofür das Geld ausgegeben wird und ob in anderen Strukturen und mit geringerem Finanzeinsatz vergleichbare oder sogar bessere Leistungen für die Stadt erzielt werden können. Dazu hat es in den vergangenen Jahren viele Vorschläge gegeben, von denen nur wenige umgesetzt worden sind. So kann es aber nicht weitergehen. Wenn sämtliche Strukturvorschläge immer wieder zerredet werden, ohne Alternativen aufzuzeigen, ist das unverantwortlich. Wir erwarten deshalb von den Kritikern der Koalitionsvereinbarung eigene Vorschläge.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niedergesäß?

Nein! Ich glaube auch, dass der Kollege Niedergesäß nicht unbedingt der Experte für diesen Bereich ist.

[Beifall bei der SPD]

Ich werde aber gerne hinterher mit ihm darüber diskutieren. Ich glaube nicht, dass es zur Versachlichung der Debatte hier beitragen würde. Vielleicht darf ich an der Stelle einmal etwas zur CDU sagen: Was Sie in den letzten Tagen veranstaltet haben und auch, was Sie mit Ihrem Antrag heute hier wieder veranstalten – –

[Wellmann (CDU): Es geht erst los!]

Ja, es geht erst los, das hatte ich schon befürchtet. Aber wenn das Ihre neue Oppositionsrolle ist, dann kann ich Ihnen nur sagen: Was ist daran eigentlich neu? Das, was Sie hier machen, ist verantwortungsloser Populismus landowskyscher Schule.

[Pewestorff (PDS): Sie werden nicht besser! – Beifall bei der SPD und der PDS]

Sie wissen ganz genau: Die radikalen Änderungen, die ich hier beschrieben habe, sind absehbar, die können Sie auch nicht wegdiskutieren. Sie wissen auch, was geschieht, wenn wir nichts tun. Trotzdem legen Sie hier einen Antrag vor, in dem Sie den Senat auffordern, alles uneingeschränkt zu erhalten und von allen Planungen Abstand zu nehmen. Wenn das Ihre konstruktive Oppositionsrolle ist, meine Damen und Herren von der CDU, dann weiß ich nicht, ob Sie damit wirklich Punkte beim Wähler machen können. Für die Zukunft der Stadt machen Sie damit jedenfalls nichts. Opposition hat auch Verantwortung, und wenn Frau Grütters in der Abendschau sagt, Sie werden keine eigenen Vorstellungen präsentieren, dann heißt das, Verantwortung so zu verstehen, dass Sie auf der Zuschauerbank sitzen und mal den Daumen hoch und mal hinunter halten. Ich kann nur sagen: Das ist nicht das, was eigentlich in einer parlamentarischen Demokratie die Aufgabe der Opposition ist. Sie stehlen sich aus der Verantwortung, die das gesamte Haus in diesen Strukturfragen hat.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Zurück zum Handlungsbedarf: Schmerzhafte Schnitte und Veränderungen sind auch im Bereich der Hochschulmedizin notwendig. Ich möchte es aber noch einmal ganz deutlich sagen: Die SPD und die gesamte Koalition ist gesprächsbereit und für Alternativvorschläge offen.

[Beifall bei der SPD – vereinzelter Beifall bei der PDS]

An diejenigen gerichtet, die ernsthaft solche Vorschläge machen wollen:

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Wir sind keine Phantasten. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass schon im Jahr 2006 der volle Betrag von 100 Milliarden Euro eingespart werden kann. Dies ist ein längerer Prozess, der aber jetzt und unumkehrbar angeschoben werden muss. Uns

geht es um bessere und zukunftsfähigere Strukturen, die die Leistungsfähigkeit der Hochschulmedizin bei sinkenden Zuschüssen sichern und ausbauen.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne) – Czaja (CDU): Verhaltener Applaus bei dem Abgeordneten Benneter!]

Zu den Begleiterscheinungen dieser Diskussion: Was mir persönlich Sorge bereitet, ist, dass hier von einigen ein künstlicher Ost-West-Gegensatz konstruiert wird. Dies ist verantwortungslos, es ist Gift für das Zusammenwachsen der Stadt, und es geht an denTatsachen vorbei.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Die Charite´ ist keine Ost-Institution. Ihre Tradition reicht weit zurück ins 19. Jahrhundert und verbindet sich mit Namen wie Rudolf Virchow und Robert Koch.

[Niedergesäß (CDU): Und Friedrich dem Großen!]

Der größere Teil der Charite´ liegt im Stadtteil Wedding am Standort Virchow-Klinikum. Trotz der gerade stattgefundenenBezirksfusion mit Mitte lag Wedding westlich der Mauer. Ich glaube, das sollten auch Sie wahrnehmen und solche Diskussionen wirklich lassen. Ich bitte Sie, keine neuen Legenden zu bilden, sondern gesamtstädtisch zu denken und zu handeln.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Eine weitere Legende möchte ich heute auch widerlegen. Der Bestand einer Universität und die wissenschaftliche Gesamtreputation können nicht am Vorhandensein einer medizinischen Fakultät festgemacht werden. Von 70 Universitäten in Deutschland hat nur etwa die Hälfte eine medizinische Fakultät. Auch die anderen Bundesländer führen Diskussionen über Anzahl und Umfang der medizinischen Fakultäten und der Universitätsklinika. Es ist keine Berliner Spezialität.

Einer dritten Legende, der Unsumme von Investitionen, die zurückgezahlt werden müssen, möchte ich auch entgegentreten. Angeblich will der Bund sämtliche Mittel, die er in das Universitätsklinikum Benjamin Franklin investiert hat, zurückfordern. Die Gesamthöhe wird – mit täglich steigender Tendenz – zur Zeit mit 190 Millionen Euro angegeben. Unabhängig von der Höhe der Summe, die sich bei genauerem Hinsehen deutlich reduziert – ein Blick ins Gesetz erleichtert die Tatsachenfindung –, wird laut Gesetz die Hälfte des Verkehrswertes – –

[Wieland (Grüne): Rechtsfindung! Tatsachen findet man nicht im Gesetz!]

In diesem Fall die Tatsachenfindung. Es geht um die Tatsache, was tatsächlich zurückgefordert werden kann. – Laut Gesetz wird die Hälfte des Verkehrswertes der finanzierten Einrichtung zurückgefordert. Es geht um die Hälfte des Verkehrswertes. Der Verkehrswert ist aber nicht die Summe der über 30 Jahre getätigten Investitionen.

Das einfachste Verfahren zur Ermittlung der tatsächlichen Werte ist ein Bieterverfahren für die Übernahme der entsprechenden Bereiche durch private Träger. Ein entsprechendes Angebot und der anschließende Verkauf würden zur Folge haben, dass die Hälfte des Verkaufspreises als Rückzahlung an den Bund ginge, die andere Hälfte als zusätzliche Einnahme beim Land Berlin bliebe. Somit besteht hier tatsächlich kein Finanzierungsrisiko für das Land Berlin, sondern eine zusätzliche Einnahmemöglichkeit, wenn man das in die Tat umsetzen will.

Ich möchte noch ein Wort zur Abstimmung mit Brandenburg sagen, was in den letzten Tagen auch stark die Diskussion bestimmt hat.

[Niedergesäß (CDU): Ihr grenzt sie aus!]

Wir wollen die Fusion Berlin-Brandenburg vorantreiben. Darin sind sich der Berliner Senat, die brandenburgische Landesregierung und die Länderparlamente einig. Das war jedenfalls bisher Konsens. Von Brandenburger Seite wird aber deutlich gemacht, dass geordnete Berliner Finanzen eine wichtige, wenn nicht sogar zwingende Voraussetzung für das Zustandekommen der Fusion sind. Soweit sind die Brandenburger Forderungen gut und berechtigt.