Protocol of the Session on January 31, 2002

[Gelächter bei der CDU und der FDP]

Ihr heute vorliegender Antrag zugunsten eines Gustav-NoskeDenkmals bietet in seiner langatmigen Begründung ein Paradebeispiel selektiver Geschichtsbetrachtung. Die Verführung, sich mit Ihrer Argumentation bzw. Scheinargumentation en de´tail auseinanderzusetzen, ist groß. Für ein Nachhilfeseminar in puncto neuere Geschichte ist hier aber nicht der Ort.

[Hahn (FDP): Das haben Sie aber schwer nötig!]

Wenn sich bei Ihnen nicht die gute, liberale Vernunfttradition wieder durchsetzt, wird im Kulturausschuss dieses Hauses Gelegenheit genug für solche Seminare sein.

An dieser Stelle nur soviel: Der auch in der jüngsten Rede von Ihnen als Kronzeuge angerufene Berliner Historiker Heinrich August Winkler bezeichnete Ihren Antrag als abstrus und bescheinigte den Historikern der FDP-Fraktion – ich zitiere – „profunde historische Unkenntnis“.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Dem wäre nichts hinzuzufügen, röchen Ihre Absichten nicht meilenweit gegen den Wind.

[Zuruf des Abg. Hahn (FDP)]

Offensichtlich wollen Sie mangels eigener fachpolitischer Masse die Koalition mittels vordergründiger geschichtsideologischer Debatte – mit Geschichtsphilosophie, Herr Kollege Stölzl, hat das nichts zu tun – auseinander dividieren.

[Krestel (FDP): Sie müssen von Ideologie reden!]

Dass Sie damit auf die Holzhammer- Agitation des selbst ernannten Historikers Walter Ulbricht – der sah Gustav Noske als d e n – dick unterstrichen – Traditionsstifter der deutschen Sozialdemokratie – zurückgreifen, scheint Sie nicht weiter zu stören. Sie tun es trotzdem. Ich kann Ihnen aber versichern, dass dieser billige Versuch nicht gelingen wird.

Wenn Sie die Präambel unseres Vertrages aufmerksam lesen, muss Ihnen – auch Ihnen! – auffallen, dass sich sowohl die Berliner PDS als auch die Berliner SPD ernsthaft der für beide Seiten auch schmerzhaften Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte stellen. Auf das Niveau der Sozialfaschismusdebatte der Endzwanzigerjahre, verehrter Herr Kollege, lassen wir uns von Ihnen nicht zurückdrücken.

[Ah! von der CDU und der FDP]

Wenige Tage – auch das muss gesagt werden – nach dem in Lichtenberg, in dieser Stadt Berlin, von den Truppen Noskes im Herbst 1919 angerichteten Blutbad, bei dem über 1 200 Menschen – überwiegend an den Kämpfen unbeteiligte Zivilisten – starben, schrieb der kommunistischer Sympathien weiß Gott unverdächtige – lesen Sie seine Schriften, dann merken Sie es, er steht eher in der Traditionslinie Walter Rathenaus – Harry Graf Kessler in sein Tagebuch – ich zitiere:

Alle geistig und ethisch anständigen Menschen müssen einer so leichtsinnig und frech mit dem Leben ihrer Mitbürger spielenden Regierung den Rücken kehren. Die letzten acht Tage haben durch ihre Schuld, durch ihr leichtfertiges Lügen und Blutvergießen einen in Jahrzehnten nicht wieder zu heilenden Riss in das deutsche Volk gebracht.

So Harry Graf Kessler.

[Zuruf von der FDP: Den Riss, den Sie wieder in die Landschaft stellen!]

Mit diesem Antrag versuchen Sie, werte Kollegen von der FDP, diesen Riss wieder aufzureißen.

[Abg. Hahn (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ihr Antrag signalisiert nicht nur einen moralischen Tiefpunkt des deutschen Liberalismus, er ist mit dem Blutgeruch des der Revolution vom November 1918 folgenden Bürgerkrieges behaftet. Ziehen Sie ihn zurück! – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Herr Hahn, tut mir Leid! Die Rede ist nun beendet. Es sei denn, Herr Brauer, Sie möchten noch eine mündliche – – interjection: [Zurufe: Nein!]

Na, wenn Herr Hahn das noch möchte. Die Redezeit ist nicht ausgeschöpft.

[Wieland (Grüne): Es gibt doch keine Zwischenfrage mehr, wenn die Rede zu Ende ist!]

Ja, ich bin da großzügig. Herr Wieland, wir müssen doch ein bisschen flexibel sein!

So, nun war aber die Rede von Herrn Brauer abgeschlossen. Frau Ströver hat jetzt das Wort zu diesem Thema. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wahrscheinlich keine widersprüchlicheren historisch bedeutsamen Personen als Rosa Luxemburg und Gustav Noske, die beide der deutschen Sozialdemokratie entstammen. Das Schicksal dieser beiden Politiker hat sich auf tragische Weise gekreuzt. Und was die FDP als einfache Provokation sieht – was wir gerade gehört haben –, lohnt den genaueren historischen Blick.

Rosa Luxemburg gehörte zweifelsohne zu den orthodoxen Marxisten, die für eine Räterepublik in den revolutionären Wochen 1918/1919 eintraten. Immerhin waren ihre Vorstellungen vom Sozialismus jedoch deutlich unterschieden vom Bolschewismus sowjetischer Prägung. So war sie zeitlebens im

(A) (C)

(B) (D)

Konflikt mit Lenin, dessen automatisches Setzen auf eine Kaderparteistruktur ihr zutiefst zuwider war. Sie hatte die vielleicht illusionäre Vorstellung von der Selbstbestimmung der Arbeiterklasse und war aber doch auch von einem tiefen Humanismus an die Deutschen geprägt und war diejenige, die am heftigsten und öffentlich die Antikriegspolitik unterstützt hat.

Rosa Luxemburg gehört zu den bedeutenden theoretischen Führungspersönlichkeiten, deren Wirken aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung nicht wegzudenken ist. Rosa Luxemburg lässt sich nicht bloß in die antidemokratische Ecke drängen, meine Damen und Herren von der bürgerlichen Seite dieses Hauses, denn dies Persönlichkeit ist weitaus vielschichtiger. Und – an Sie gerichtet – so ist es auch kaum anzunehmen, dass es Rosa Luxemburg gefallen hätte, sich von der SED-Führung in 40 Jahren DDR für einen derartigen Personenkult funktionalisieren zu lassen, um auch etwas zu dieser Seite des Hauses zu sagen. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der FDP]

Rosa Luxemburg wurde als einer der führenden Köpfe der revolutionären Umbruchphase im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik Opfer eines meuchelmörderischen Attentats in Berlin. Das war die Zeit, als der Sozialdemokrat Gustav Noske zunächst Volksbeauftragter für Heer und Marine und später erster Reichswehrminister war.

Noske war im Einverständnis mit Scheidemann und Ebert dazu ausersehen, die Revolution in Berlin niederzuschlagen, wie er es bereits bei den Matrosenaufständen in Kiel getan hatte. In seiner fünfzehnmonatigen Amtszeit war es Noske, der alle seine weit reichenden Machtinstrumente nutzte, um die schrittweise Restauration des Militärs nach dem Debakel des ersten Weltkrieges und Zusammenbruch des Kaiserreiches zu befördern. Eine fatale Maßnahme, die die gesamte Weimarer Zeit schwer belastete und so bereits in den Anfängen das Scheitern der Weimarer Republik in sich trug.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Dass Noske der Retter Deutschlands war und dass ohne ihn die Republik in einem bolschewistischen Rätesystem versunken wäre, das darf heute getrost als Popanz bezeichnet werden. Längst ist den Historikern klar, dass der Spartakistenaufstand nicht die gesellschaftsverändernde Durchschlagskraft hatte.

Es war Gustav Noske, der die Regierungstruppen hinter sich versammelte und zur Bildung von Freikorps aufrief. Diese schlugen mit brachialer Gewalt die revolutionären Aufstände nieder. Er gefiel sich darin, als starker Mann zu gelten. „Einer muss der Bluthund werden. Ich scheue die Verantwortung nicht“, ist seine überlieferte Selbsteinschätzung.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hahn?

Bitte!

Bitte, Herr Kollege Hahn!

Danke schön! – Frau Ströver! Wären Sie denn bereit, zuzugestehen, dass auch 1917/1918 in Russland die kleine Anzahl der Bolschewiken, die es damals gab, für viele Beobachter den Anschein hätte erwecken müssen, dass diese eine vorübergehende, kurze Erscheinung sein würden

[Gaebler (SPD): Frage!]

und dass aus der Erfahrung Sowjetrusslands heraus in der Sicht von 1919 – anders als aus heutiger Sicht – ein Sieg des Rätesystems in Deutschland als ebenso wahrscheinlich gelten musste wie in Russland?

Bitte schön, Frau Kollegin!

Doch! Es war zu erkennen, und es ist vollkommen klar, dass selbst Rosa Luxemburg in den Diskussionen immer wieder auf die Schwäche der Arbeiterbewegung hingewiesen hat und natürlich auch zu denjenigen gehörte, die dann letztendlich gesagt haben, dass sie doch die Wahl zur Nationalversammlung unterstützen. Also dann bitte politisch und auch historisch korrekt!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Aus der Gardekavallerie-Schützendivision heraus wurde am 15. Januar 1919 der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verübt. Diese war Noske direkt unterstellt. Und so wundert es nicht, dass es Gustav Noske als Oberbefehlshaber für die Militärstrafgerichtsordnung war, der die schändlichen Skandalurteile, die mit geringen Strafen und vielen Freisprüchen endeten und die wirklichen Täter wie den Divisionsführer Pabst völlig ungeschoren ließen, bestätigte.

Die blutigen Auseinandersetzungen im Januar 1919 ließen die politische Gegnerschaft zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten zur offenen Feindschaft werden. Welche Folgen das für die Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nazis hatte, brauchen ich hier im Detail wohl nicht auszuführen.

Wem gebührt also ein Denkmal? An Rosa Luxemburg wird in Berlin an vielen Stellen erinnert. Es wird auch im Ausschuss zu fragen sein, welcher Erkenntnisgewinn in einem weiteren Denkmal liegt. Zu dem FDP-Antrag für ein Noske-Denkmal ist zu sagen: Es ist wichtig, sich mit der unrühmlichen historischen Rolle von Gustav Noske zu befassen, denn seine weitreichende politische Wirkung muss beleuchtet werden. Die Schlussfolgerung aber ist klar: Dem Bluthund gebührt kein Denkmal!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Ströver! – Der Abgeordnete Dr. Gysi von der Fraktion der PDS möchte jetzt eine Kurzintervention machen.