Protocol of the Session on September 25, 2003

[Dr. Lindner (FDP): So ist es!]

Dazu war ihnen jedes Zukunftsrisiko zu Lasten der Steuerzahler recht.

[Frau Senftleben (FDP): Genau!]

Anstatt vor dem Hintergrund der Vereinigung der Stadt und der sich abzeichnenden Haushaltsentwicklung eine knallharte Reform des Berliner ÖPNV in die Wege zu leiten, setzten die beiden großen Volksbeglückungsparteien auf eine reine Gefälligkeitspolitik gegenüber den Mitarbeitern der landeseigenen Unternehmen.

[Dr. Lindner (FDP): Hört, hört! – Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Die damalige Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus hat übrigens diesen Kurs voll mitgetragen.

[Dr. Lindner (FDP): Hört, hört!]

[Heiterkeit des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

[Heiterkeit des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Wie konnte man von der subventionsverwöhnten BVG mit ihrem bürokratischen Wasserkopf ernsthaft wettbewerbs- und marktorientiertes Verhalten, d. h. kunden- und kostenbewusstes Denken, erwarten? Nichts davon trat ein. Die BVG wirtschaftete weitgehend in alter Form weiter, baute zwar einiges Personal ab, aber das allein reicht eben nicht. Es wurden die Geschäftsfelder ausgeweitet, wie üblich bei Staatsbetrieben quersubventioniert, aber damit war natürlich das eigentliche Problem nicht behoben: nämlich der fehlende offene Nahverkehrsmarkt und die sich aus der Marktteilnahme entwickelnde eigene Wettbewerbsfähigkeit. Die Subventionen Berlins an die BVG blieben, und ihre Schulden stiegen.

Schaut man sich den Unternehmensvertrag genauer an, findet man eine Regelung, die einem bei näherem Hinsehen als geradezu grotesk anmutet. Es ist die in § 3 enthaltene Regelung über die von der BVG zu erbringenden Fahrzeugkilometer. Diese Regelung ist wirklich von allen guten Geistern verlassen, denn sie folgt dem Motto: Fährst du viel, kriegst du viel. – Die vielfachen Warmlufttransporte – wir haben vom Vorstandsvorsitzenden der BVG gehört, dass die Auslastungsquoten der Sitz- und Stehplätze sei im Durchschnitt 16 %, das sind Warmlufttransporte! – der BVG durch das Stadtgebiet gehen auf diese Bestimmung zurück, die nicht auf Kundenerfolg, also echte Leistung, abzielt, sondern auf eine Tonnenideo

Trotz dieser gewaltigen Anstrengungen und aller guten Vorsätze kann die BVG ihr Kostensenkungsprogramm, das im Sanierungskonzept BSU 2000 vorgesehen ist, nicht einhalten. Die jährlichen Personalkosten liegen 110 Millionen € über dem Plan. Die Sachkosten sind um 20 Millionen € zu hoch. Von der Einnahmenseite kommt keine Entlastung. Die Fahrgastzahlen sind durch die autofixierte Politik des Senats, verbunden mit dramatischen Tariferhöhungen, um 25 Prozent zurückgegangen.

Die Personalkosten liegen im Durchschnitt um etwa 30 Prozent über denen der Wettbewerber in Deutschland. Bezieht man die Arbeitszeit mit ein, liegen die Löhne, die Verdi mit der BVG – (Anstalt öffentlichen Rechts) – abgeschlossen hat, um mehr als 40 Prozent über dem Tarif, den dieselbe Gewerkschaft mit der BVG-Tochter BT vereinbart hat. Weil zu wenig BVG-Beschäftigte in die Tochtergesellschaft gewechselt sind, wird sich das Defizit bei den Personalkosten auf 345 Millionen € pro Jahr erhöhen. Wenn Senat und BVG heute nicht handeln, ist die BVG morgen pleite. Wir, die Fraktion Bündnis/Die Grünen, wollen das nicht.

logie. So viel zum Unternehmensvertrag, der noch so manche weitere Kuriosität enthält. Ich werde sie jetzt nicht im Einzelnen vortragen.

Dann gab es noch den Ausflug des Senats Richtung Nahverkehrsholding BVG – S-Bahn. Dieses Projekt scheiterte unter anderem am BVG-Betriebsrat, der Gefahr für den öffentlich-rechtlichen Status der BVG witterte. Auch dies war eine Fehleinschätzung, dieses Mal allerdings unter Genossen.

Der Fall BVG macht klar: 10 Jahre wurde die Reform des Berliner ÖPNV systematisch verschleppt. Nun ist dieser Staatsbetrieb finanziell am Ende, und er wird fallen, wir kennen alle die Zahlen. Ein Schuldenberg von 1 Milliarde € wird nicht so leicht auszugleichen sein, ohne dass die öffentliche Hand in Anspruch genommen wird. Dies ist einmal keine Fehleinschätzung, denn die Berliner Haushaltslage wird dazu beitragen – insofern hat sie auch etwas Gutes –, dass mit diesem Monopol der BVG ein Ende gemacht wird.

[Beifall bei der FDP]

Wir Liberale werden die BVG nicht schonen, und wir werden auch diesen Senat nicht schonen, weil er nichts unternimmt, weil er auch in Sachen BVG jede wirkliche Reform verschleppt. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege von Lüdeke! – Die Redeliste in der ersten Runde wird beschlossen durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Kollege Cramer hat das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die BVG sitzt auf einem Schuldenberg von 800 Millionen € und droht an den Zinszahlungen zu ersticken. Wenn die Talfahrt so weitergeht, wird die BVG 2008 etwa die Hälfte ihres Eigenkapitals verbraucht und knapp 2 Milliarden € Schulden aufgehäuft haben. Das bedeutet jährliche Zinszahlungen von über 100 Millionen €. Wenn 2008 der Nahverkehr ausgeschrieben wird und er sich dem europäischen Wettbewerb stellen muss, droht der BVG unter diesen Bedingungen der Bankrott. Das kann niemand wollen, deshalb muss heute gehandelt werden.

[Beifall bei den Grünen]

Die Beschäftigten der BVG haben in den letzten zehn Jahr viel geleistet. Bei gleich bleibender Jahreskilometerleistung wurde das Personal von 28 000 auf heute 13 500 halbiert. Nicht nur die Produktivität, auch der Kostendeckungsgrad wurde verdoppelt. Die Zuwendungen des Senats wurden von 750 Millionen € auf 420 Millionen € ab 2000 gesenkt. Weitere Reduzierungen sind vorgesehen. Das alles haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVG geleistet. Dafür gebührt ihnen Dank auch dieses Hauses.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

[Dr. Lindner (FDP): Ha, das ist doch nicht Ihr Ernst! Die Autofahrer sind doch hier der Buhmann!]

Will die BVG nicht noch mehr Kunden verlieren, verbieten sich weitere Fahrpreiserhöhungen.

[Beifall bei den Grünen]

Die Verantwortlichen für das Schuldendesaster kann man benennen. Der Senat und die Geschäftsführung der BVG formulierten 1999 in einem Unternehmensvertrag, der die Zuschüsse an das Unternehmen regelte, in § 14 Folgendes:

Zwischen den vertragschließenden Parteien besteht Einverständnis darüber, dass die Zahlungsverpflichtungen des Landes aus diesem Vertrag nicht ausreichen, um für die Vertragslaufzeit eine ausgeglichene Gewinn- und Verlustrechnung zu gewährleisten.

Das heißt, dem Senat war klar, dass die BVG mit den gekürzten Zuschüssen nicht auskommen kann und deshalb die Schulden wachsen würden. De facto wurde ein Schattenhaushalt gebildet. Das war keine Sanierung, sondern Bilanzkosmetik des Landeshaushalts zu Lasten der BVG.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Trapp (CDU)]

Heute – nach vierjährigem Desinteresse des Senats – lässt sich die Krise nicht mehr weiter verschweigen. Der Senat hat als Eigentümer die Karre sehenden Auges in den Dreck gefahren und bis heute keine Idee, wie sie wieder herausgezogen werden kann. Deshalb, meine Herren Senatoren, auch Herr Senator Sarrazin: Die BVG wird nur dann überleben, wenn Sie als Eigentümer für das Unternehmen Planungssicherheit schaffen. Hier sind Sie, alle drei Senatoren, in der Pflicht, und zwar gemeinsam und nicht gegeneinander.

Auch die Weigerung des Senats, die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen für die BVG attraktiv zu gestalten, machen dem Unternehmen zu schaffen. Herr Sarrazin, wo bleibt eine Ihrer schönen Folien mit den Parkgebühren in New York und London? – Sie wissen, dass in allen Metropolen der Welt die flächenhafte Park

raumbewirtschaftung und die angemessenen Parkgebühren die Stellschrauben sind, um die Städte vor dem Verkehrsinfarkt zu bewahren und das Umsteigen auf Bus und Bahn zu befördern. In dieser Situation will der Senat die ersten 30 Parkminuten auch noch umsonst anbieten. Sind Sie sich im Klaren, dass damit fehlende Einnahmen verbunden sind und zudem noch mehr Autos in die Innenstadtbezirke fahren? Dass dann noch mehr Leute von Bus und Bahn auf das Auto umsteigen? – Wer die BVG kaputtmachen will, muss mit solchen Rezepten kommen. Wir wollen das nicht und sagen Ihnen: Stoppen Sie diese verkehrspolitische Geisterfahrt!

Bei uns in Berlin sieht es anders aus als in anderen Städten. Das Busspurnetz wird nicht erweitert, obwohl Senator Strieder zusätzliche 50 Kilometer angekündigt hatte. Vor Jahren schon wurde die Busbeschleunigung versprochen, die allenfalls im Schneckentempo realisiert wird. Die kontraproduktive Entscheidung des begnadeten Verkehrspolitikers Ingo Schmitt,

die Busspur am Kurfürstendamm erst ab 9 Uhr morgens gelten zu lassen, hat auch unter Rot-Rot immer noch Bestand. Jeder weiß genau, dass Busse, die in der morgendlichen Rushhour im Stau stehen, Geld kosten, das die BVG nicht hat. Warum tun Sie nichts, Herr Strieder? – Wir jedenfalls wollen, dass Busse und Taxis auch in der morgendlichen Rushhour von der Busspur am Kurfürstendamm profitieren.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Wir, Bündnis 90/Die Grünen, lehnen es entschieden ab, die Finanzprobleme der BVG auf dem Rücken der Kunden zu lösen. Linien zu streichen und Taktzeiten zu verlängern, bis die Stadt quietscht, ist nicht nur unsozial und umweltfeindlich, sondern das führt auch immer tiefer in das finanzielle Desaster. Wenn der öffentliche Nahverkehr stetig unattraktiver wird, steigen noch mehr Menschen auf das Auto um, wobei immer höhere Kosten für den Straßenverkehr die Folge sind. Das kann niemand wollen, und zudem löst das auch kein Problem. Wir jedenfalls wollen das nicht.

[Beifall bei den Grünen]

Deshalb ist zuallererst das Personalkostenproblem der BVG zu lösen. Es war ein schwerer Fehler, dass PDS und SPD die BVG beim Solidarpakt mit dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen haben. Die dramatische Finanzsituation der BVG ist seit Jahren bekannt, wurde vom Senat aber immer wieder schöngeredet. Auch heute noch lehnen Senator Strieder und die SPD den Solidarpakt für die BVG ab. Das ist unverantwortlich. Deshalb fordern wir, dass er auch auf die BVG übertragen wird.

[Gaebler (SPD): Auf dem Rücken der Kunden!]

So schmerzhaft das für die Beschäftigten auch ist, Herr Gaebler, zur Rettung der BVG ist das notwendig. Denn es wäre verantwortungslos, den größten Nahverkehrsbetrieb Europas sehenden Auges in die Pleite zu führen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir erwarten, dass Senat, Gewerkschaften, Vorstände und Beschäftigte der BVG sich dieser Verantwortung bewusst sind und gemeinsam ein Zukunftskonzept entwickeln, dass die BVG sichert und nicht zerstört. Das Ziel muss die Wettbewerbsfähigkeit der BVG im Jahr 2008 sein. Das geht nur, wenn die Personal- und Sachkosten das Durchschnittsniveau der Wettbewerber erreichen. Wer heute die notwendigen Anpassungen verweigert, wird bei der Pleite morgen gar nichts mehr bekommen, und das wollen wir nicht.

[Beifall bei den Grünen]

Die BVG leidet aber nicht nur unter den finanziellen Belastungen, sondern auch unter den verkehrspolitischen Fehlleistungen des Senats. Während der BVG-Fahrschein heute mehr als doppelt so viel kostet, wurden die Parkgebühren seit 1990 konstant gehalten. Allein durch die Tariferhöhungen bei Bus und Bahn und gleichzeitiger Förderung des motorisierten Individualverkehrs ging der BVG jeder vierte Fahrgast verloren – und damit Jahreseinnahmen in Millionenhöhe.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

[Wieland (Grüne): Ha!]

[Beifall bei den Grünen – Reppert (CDU): Fahren Sie doch mal auf dem Kurfürstendamm!]

Dann ist noch Ihre chaotische Investitionspolitik zu nennen, Herr Senator Strieder! Sie als Meister der halben Sachen sind mitverantwortlich dafür, dass die BVG in Berlin keine Chance hat. Dazu ein Beispiel: Die Straßenbahnverlängerung Alex II war eigentlich nie umstritten, wenn man von der Autofahrerpartei FDP einmal absieht. Das Planfeststellungsverfahren war abgeschlossen, die Bauarbeiten hatten begonnen, und 5 der 20 Millionen € waren bereits ausgegeben. Die BVG erwartete die Inbetriebnahme für Ende dieses Jahres und rechnete mit Einsparungen in Höhe von 3 Millionen € pro Jahr an Betriebskosten. Wie aus heiterem Himmel, Herr Senator Strieder, kam Ihnen in den Sinn, den Baustopp zu verhängen.

[Zuruf des Abg. Krestel (FDP)]