[Heiterkeit – Beifall bei der FDP und der CDU – Eßer (Grüne): Da sieht man ja, warum das nichts geworden ist!]
Bis dann das eintrat – Herr Müller, und nun bitte ich Sie einmal, besonders gut zuzuhören –, was viele erwartet hatten: Die SPD – an der Spitze Herr Strieder – hat die Verhandlungen innerhalb weniger Stunden gezielt und bewusst in die Sackgasse geführt.
Vehikel war die Forderung nach völlig unsinnigen, ausschließlich gegen Bürger mit kleinem Einkommen gerichtete Steuererhöhungen – in den Sondierungsgesprächen vorab nie erwähnt. Herr Strieder kam damit wie Zieten aus dem Busch.
So ist es ihm dann gelungen, am Ende seine Lieblingskonstellation doch noch zu gestalten: Rot-Rot – gegen die Intention der Bundes-SPD und des Bundeskanzlers, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Ob die PDS als langfristige Machtreserve der SPD betrachtet wird, sei dahingestellt. Herr Müntefering gibt jeden Tag neue Losungen aus. Da ist Vorsicht angesagt.
Es gibt keinen besseren Beleg dafür, dass die SPD bewusst auf Rot-Rot zugegangen ist, als die Tatsache, dass sie die von der FDP kompromisslos geforderte Zustimmung zu Steuererhöhungen dann in Verhandlungen mit der PDS im Kern aufgegeben hat. [Beifall bei der FDP und der CDU – Beifall des Abg. Cramer (Grüne) – Frau Senftleben (FDP): So ist es!]
Das sage ich ausdrücklich auch an diejenigen, die uns in dieser Stadt gewählt haben, um Rot-Rot zu verhindern.
Nun haben wir also Rot-Rot. Neben den politischen Abwägungen ist die Frage zu stellen, ob die Stadt damit in Sachfragen vorankommen wird. Kein Zweifel: Herr Gysi wird ein riesiges Tamtam veranstalten.
Er wird sich selbst übertreffen in Aktivität und Charme, er wird mit kleinen Hilfen und großen Worten aufwarten gegenüber Unternehmen und Unternehmern, und viele werden beeindruckt sein, obwohl sie natürlich immer erwähnen, dass sie mit den Kommunisten und der PDS nichts zu tun und gar nichts am Hut haben. Sie sind da sehr leicht – einige jedenfalls – geistig korrumpierbar. [Heiterkeit bei der PDS – Brauer (PDS): Keine Neiddiskussion! – Weitere Zurufe von der PDS]
Aber wird das alles nützen? – Berlin wäre es zu wünschen. Es ist unsere Stadt, eine gebeutelte Stadt, wie in einem Brennglas gefangen in der deutschen Geschichte. Keiner will defätistisch sein, aber Zweifel muss man dann schon haben an einem Tag wie dem heutigen. In Berlin gibt es angesichts der alles dominierenden Haushalts- und Finanzkrise drei herausragende Handlungsfelder. Es ist eine notwendige Bedingung, da zu bestehen, um die Stadt in den Griff zu bekommen – aber nicht schon eine hinreichende.
Diese drei Themen umfassen erstens die Rückführung des überhöhten Personalbestandes: Zwei Milliarden DM müssen bis 2006 eingespart werden, anderenfalls wäre das Ziel einer auf Null reduzierten Netto-Neuverschuldung bis 2009 nicht zu erreichen. – Da ist zweitens die ideologiefreie Veräußerung der umfangreichen Beteiligungen Berlins an unzähligen Betrieben und Institutionen, und da ist drittens – letztlich entscheidend – die Frage, ob es gelingt, die Wirtschafts- und Steuerkraft dieser Stadt zu stärken. Darüber hinaus gilt es dann die kulturellen und wissenschaftlichen Potentiale zu nutzen, die Stadt attraktiv zu machen für neue Bevölkerungsgruppen – darunter die besten Köpfe aus dem In- und Ausland.
Gehen wir kurz diese drei Handlungsfelder durch! Da ist zunächst das Sparziel. Was soll denn werden, wenn die 15 000 Stellen – gleich eine Milliarde DM – ausgeschöpft sind? – Man hat sich vorgenommen, mit den Gewerkschaften über die Einsparung einer zweiten Milliarde zu sprechen und Erfolg zu erzielen. Die Gewerkschaften können und werden dies nicht schlucken. Dann müssten sie sich selbst aufgeben. Was soll dann werden? – Die Realität wird ein Kompromiss sein, ein fauler Kompromiss, weit vorbeigehend an den Sparzielen.
Nichts anderes im zweiten Handlungsfeld – den Vermögensveräußerungen! Schon in den „Ampel“-Verhandlungen wurde offensichtlich, dass die SPD mit äußerst spitzen Fingern an dieses Thema geht: Bei den Wohnungsbaugesellschaften nur einige wenige, bei der Krankenhausgesellschaft gar nicht, bei den Verkehrsbetrieben – übrigens das größte Milliardengrab in dieser Stadt – am liebsten auch nicht. – Überall sitzt die eigene Klientel. [Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]
Wichtigste Aufgabe ist die Stärkung der Wirtschaftskraft durch Erweiterung vorhandener und Ansiedlung neuer Betriebe. Dazu stehen in Zukunft weniger Fördermittel bereit. Aber das ist nicht das Wichtigste. Wirtschaft investiert da, wo sie ein für sich günstiges Umfeld findet – politisch und kulturell – und wo Optimismus und positive Zukunftserwartungen vorherrschen. Niemand vermag auszuschließen – ich habe es schon gesagt –, dass der eine oder andere Mittelständler oder Gründer tief beeindruckt sein wird von der anstelligen Wendigkeit des Herrn Gysi. Ausreichend wird das bedauerlicherweise nicht sein, um das Kapital in die Stadt zu bringen – eine Stadt, die im Wettbewerb steht mit hundert anderen und die von einer Partei regiert wird, die noch vor wenigen Jahren die bestimmende Kraft in der DDR war. Da sind Zweifel angebracht. Alte Geschichte hin oder her: So lange die PDS das marktwirtschaftliche System, das sie nun zu stützen als Tagesgeschäft betreibt, eigentlich überwinden will, braucht sich niemand zu wundern, wenn diese Zweifel so laut geäußert werden.
Am Ende bin ich aber dann doch sehr hoffnungsvoll. Unsere Bundesrepublik – auch ihre Hauptstadt Berlin – verkörpert trotz aller aktuellen Mängel und Unzulänglichkeiten eine offene und starke Gesellschaft. Es ist eigentlich nicht zu erwarten, dass sich diese Gesellschaft von einer PDS, die für eine gescheiterte Ideologie steht, mehr beeinflussen lässt als eben diese Partei von der starken und offenen Gesellschaft. Das alles wir mühsam sein und lange dauern, aber es ist naheliegend.
Wir Liberale wünschen es unserer Gesellschaft – vor allem unserem gebeutelten, armen und doch so großartigen Berlin, der Stadt, die wir lieben und für die wir – auch als Opposition – unser Bestes tun werden. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nach den ersten beiden Redebeiträgen der Vertreter der neuen Opposition den Eindruck, dass Sie zu Koalitionsvereinbarungen nichts zu sagen haben – bis auf ein paar wenige Anmerkungen.
Es gibt für Sie offensichtlich nur ein Thema, nämlich PDS. Ich glaube, dieses Thema wird die Oppositionsarbeit nicht über fünf Jahre lang tragen können. Sie müssen in der nächsten Zeit noch einiges zulegen, wenn Sie in der politischen Auseinandersetzung hier im Haus und in der Stadt bestehen wollen.
Sie haben sich etwas intensiver mit dem historischen Sinn dieser Koalition beschäftigt. Herr Stölzl hat explizit die Frage gestellt, was der historische Sinn dieses Ereignisses ist. – Herr Stölzl, Sie wissen, dass ich Sie als klugen Diskussions- und Gesprächspartner schätze. – Er hat die Antwort gegeben, dass dem Kommunismus die Tür aufgesperrt wird. Das ist doch nicht im Ernst Ihre Auffassung? Sind Sie doch selbst nicht davon überzeugt, dass es hier darum geht.
Der historische Sinn der heutigen Veranstaltung, der Tatsache, dass heute in Berlin eine Koalition zwischen SPD und PDS zustande kommt, besteht darin – wenn man nach einem tieferen historischen Sinn fragt –, dass wir in einer Situation sind, wo die Schlachtordnung, die Auseinandersetzung zwischen den Ideologien des letzten Jahrhunderts und der letzten Jahrzehnte nicht mehr funktionieren. Davon müssen wir uns verabschieden – auch das bürgerliche Lager.
Ich kann mich gut erinnern, dass ein Fraktionsvorsitzender der CDU zu Beginn der letzten Legislaturperiode in einer durchaus bemerkenswerten Rede genau das angekündigt hat, nämlich dass man sich am Beginn des 21. Jahrhunderts von diesen alten Schlachtordnungen verabschieden muss, wenn man eine Zukunft für die Stadt haben will – gerade in der Stadt, die von Lager und Blockdenken so gebeutelt wurde und darunter gelitten hat –. Darum geht es in dieser Auseinandersetzung.
Wer Zukunft haben will, der muss sich natürlich auch der Vergangenheit stellen. Ohne, dass man dies tut, wird man in der Tat keine Zukunft gewinnen können.
Deshalb haben wir in der Koalitionsvereinbarung und in den Debatten im Vorfeld über Beschlüsse des Landes- und Bundesparteitags seitens der PDS deutlich gemacht, dass wir uns der Verantwortung bewusst sind, die eine Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin, der Stadt, durch die die Mauer ging, in der das Leid, die Drangsalierung – wie Sie richtig sagten –, die Erniedrigung, die mit der deutschen Teilung, den Menschenrechtsverletzungen und den Schüssen an der Mauer verbunden waren. Es ist unsere Verantwortung, deutlich zu machen, dass wir als PDS mit dieser Vergangenheit der SED unwiderruflich gebrochen haben. Wir müssen durch unsere Praxis und unser politisches Handeln – nicht nur durch Präambeln – auch gegenüber denjenigen, die dieser Koalition und unserer Regierungsbeteiligung skeptisch oder ablehnend gegenüber stehen, den Nachweis erbringen, dass dieser Bruch mit der Vergangenheit unwiderruflich ist, wir uns gegen jedwede Menschenrechtsverletzung aussprechen und unsere Lektion aus der Geschichte gelernt haben.
Man muss es als historischen Fortschritt begreifen, dass sich die alten Lager auflösen und es von unserer Seite dieses klare Bekenntnis zur Verantwortung gibt. Das ist ein Beitrag zum Zusammenwachsen innerhalb der Stadt. Dazu gehört nicht nur die Anerkennung von Schuld, sondern auch die Möglichkeit zur Versöhnung. Die Aufgabe, der wir uns stellen müssen, ist eine doppelte: das Anerkennen von Schuld und das Arbeiten an der Versöhnung zwischen Ost und West, zwischen denjenigen, die Unrecht begangen haben, und denen, die Unrecht erlitten haben. Das ist eine schwere Aufgabe, aber wir müssen uns ihr stellen, wenn wir Ost und West zusammenführen wollen. Deshalb ist es nötig, sich der Verantwortung zu stellen und sich von der Rhetorik des Kalten Kriegs zu verabschieden.
Wenn wir über Verantwortung hinsichtlich der Vergangenheit reden, muss ich darauf hinweisen, dass es ein Paradoxon ist – dem auch Sie sich stellen müssen –, dass es ausgerechnet die CDU und das bürgerliche Lager waren, die eine Politik gemacht haben, die dem Regierungseintritt der PDS den Weg bereitet hat. Das gehört zu den Sachverhalten, die man hier offen aussprechen muss. Das ist die Verantwortung, die Sie tragen. Wie kam es zu dem Zustand, den Sie jetzt beklagen? Sie haben ihn ganz wesentlich verursacht. Damit müssen Sie zu Rande kommen, wenn Sie eine Chance haben wollen, den beklagenswerten Zustand des bürgerlichen Lagers in der deutschen Hauptstadt zu überwinden und zu besseren Verhältnissen zu kommen.
Diese Stadt befindet sich in einer mehr als schwierigen Situation. Diese Regierungskoalition tritt ein mehr als schweres Erbe an. Die Finanzen dieser Stadt sind ruiniert.
Zu diesem Zwischenruf muss ich eine Anmerkung zu dem machen, was Sie zu Beginn der Sitzung aufgeführt haben, machen. Herr Zimmer, das war deutlich unter Ihrem Niveau. Ich mache immer noch einen deutlichen Unterschied – das sollten auch Sie tun, wenn Sie intellektuell redlich sind – zwischen jemandem, der einen Fonds auflegt und ihn so ausgestaltet, dass der öffentlichen Hand erhebliche Risiken entstehen, und jemandem, der einen solchen Fonds in aller Öffentlichkeit – sie sind ja
öffentlich angeboten worden – zeichnet. Wenn Sie daraus Filz und Korruption machen, meine Damen und Herren von der CDU, dann ist das die Vertuschung von Verantwortlichkeit und der Versuch, Sparen zu verwischen. Das ist absolut unredlich. Ich rate Ihnen, diesen Stil der Auseinandersetzung zu unterlassen.
Die Stadt ist nicht an den Fondszeichnern zu Grunde gegangen, sondern die Stadt leidet darunter, dass unverantwortlich gehandelt wurde und dass in der Bankgesellschaft ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit existierte. Zudem leidet die Stadt daran, dass die große Koalition in der Vergangenheit nicht in der Lage war, frühzeitig die Alarmzeichen der finanziellen Krise zu erkennen, gegenzusteuern und die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen wurden immer wieder vertagt. Von Herrn Diepgen wurden stattdessen weiße Salben und beruhigende Worte ausgeteilt. Das ist der Grund für die derzeitige Situation. Diese Koalition steht vor der Aufgabe, diesen Zustand zu beenden, die notwendigen Entscheidungen anzugehen und zu treffen.
Wir werden Herrn Görler in den Untersuchungsausschuss einladen. Sie wissen, dass ich auch der Meinung bin, dass Herr Görler ein gerüttelt Maß an Verantwortung trägt. Und da werden wir rangehen. Das ist doch völlig unbestritten. Warum regen Sie sich denn auf? Das machen wir alle hier zusammen, davon gehe ich mal aus.