Protocol of the Session on January 17, 2002

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen. Das Ergebnis liegt vor, und ich kann es Ihnen mitteilen.

Zur Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin wurden 140 Stimmen abgegeben. Mit Ja stimmten 74 Abgeordnete, mit Nein stimmten 66 Abgeordnete. Es gab keine Enthaltungen und keine ungültigen Stimmen. Damit hat Herr Klaus Wowereit die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt.

[Anhaltender Beifall bei der SPD und der PDS]

Jetzt bitte ich Herrn Klaus Wowereit, mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. – Herr Wowereit, ich frage Sie, ob Sie die Wahl abnehmen.

Ja, ich nehme die Wahl an.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall des Abg. Dr. Rexrodt (FDP)]

Danke schön! – Ich unterbreche jetzt kurz die Sitzung, nicht nur, um die Gratulation zu ermöglichen, sondern ich brauche auch noch einen Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters für die Bildung des Senats.

[kurze Unterbrechung]

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen den vom Herrn Regierenden Bürgermeister eingegangenen Brief verlesen:

Der Regierende Bürgermeister von Berlin

An den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Herrn Walter Momper

Sehr geehrter Herr Präsident!

Auf Grund des mir erteilten Auftrags zur Regierungsbildung schlage ich gemäß Artikel 56 Abs. 2 und Artikel 58 Abs. 4 der Verfassung von Berlin vor, die nachstehend aufgeführten Geschäftsbereiche zu beschließen und die folgenden Damen und Herren zu Mitgliedern des Senats zu wählen:

zur Bürgermeisterin und Senatorin für die Senatsverwaltung für Justiz Frau Karin Schubert;

zum Bürgermeister und Senator für die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen Herrn Dr. Gregor Gysi;

zum Senator für die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Herrn Klaus Böger;

zum Senator für die Senatsverwaltung für Finanzen Herrn Dr. Thilo Sarrazin;

zur Senatorin für die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Frau Dr. Heidi KnakeWerner;

zum Senator für die Senatsverwaltung für Inneres Herrn Dr. Ehrhart Körting;

zum Senator für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Herrn Peter Strieder;

zum Senator für die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Herrn Dr. Thomas Flierl.

Ich bitte, eine Entscheidung des Abgeordnetenhauses über meine Vorschläge in seiner heutigen Sitzung herbeiführen zu wollen und feststellen zu lassen, dass der Bereich Technologie zur Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen gehört. Darüber hinaus möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass beabsichtigt ist, die Zuständigkeit für den Stellenplan und das Überhangmanagement von der Senatsverwaltung für Inneres auf die Senatsverwaltung für Finanzen zu verlagern.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Wowereit

So weit der Vorschlag des Herrn Regierenden Bürgermeisters. – Ich darf nunmehr darum bitten, dass wir eine Entscheidung über diese Vorschläge in der heutigen Sitzung treffen. Die zur Wahl vorgeschlagenen Kandidaten Peter Strieder, Erhart Körting und Klaus Böger sind Ihnen bekannt. Ich darf die noch nicht diesem Hause bekannten n e u e n K a n d i d a t i n n e n u n d K a n d i d a t e n f ü r e i n S e n a t o r e n a m t bitten, sich kurz v o r z u s t e l l e n. Dies hatten wir im Ältestenrat so vereinbart. Ich darf Sie dann bitten, jeweils ans Rednerpult zu treten, und zwar zuerst Frau Karin Schubert. – Bitte schön, Frau Schubert, Sie haben das Wort zu einer kurzen Vorstellung!

(A) (C)

(B) (D)

Frau Schubert: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin 1944 in Erfurt geboren und, Frau Dr. Klotz, ich bin in der DDR groß geworden, jedenfalls so groß wie heute, 1,74 Meter.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich habe dort auch die Schule besucht, auch die Oberschule, habe aber Abitur in Bayern gemacht. Ich habe dann Psychologie, Soziologie und Jura studiert. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Ich bin jahrelang Richterin gewesen, in fast allen Verfahrenssparten, auch in der Spezialgerichtsbarkeit. Das ist mir dadurch ermöglicht worden, weil ich nach der Wende wieder in die neuen Bundesländer zurückgekehrt bin, nach MecklenburgVorpommern, und dort naturgemäß die noch nicht neu strukturierten Gerichte geführt habe, wozu auch die öffentliche Gerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit gehörte. Ich bin 1994 Justizministerin geworden, das heißt also zwei volle Legislaturperioden mit wenigen Wochen Ausnahme. Und ich denke, was man mir hier nachgesagt hat – durchsetzungskräftig – ist notwendig, um etwas aufbauen zu können. Denn aufbauen kann man nur gegen den Willen vieler Interessentengruppen, und da braucht man schon einen starken Atem. Und ich glaube, ich habe ihn.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich möchte hier in Berlin das tun, was ich in Sachsen-Anhalt mit Erfolg gemacht habe, nämlich modernisieren und die Arbeitsabläufe optimieren, ich möchte die Verfahren beschleunigen – nicht zu verwechseln mit dem besonders beschleunigten Verfahren im Strafrecht, sondern ich möchte Rückstände abbauen lassen, und ich möchte vor allen Dingen die Wartezeiten verkürzen.

[Beifall bei der SPD]

Denn Berlin hat Vorbildfunktion. Berlin ist die Hauptstadt, und dazu gehört auch, dass dort eine Justiz angesiedelt ist, die Vorbildfunktion hat. Und Vorbildfunktion heute, im 21. Jahrhundert, ist Technisierung, ist Onlinevernetzung mit Behörden, die mit ihr zusammenarbeiten. Dazu braucht man im Anfang etwas Geld, Herr Finanzsenator.

[Heiterkeit links]

Wer zuerst investiert, kann hinterher sparen. Ich denke, das ist der richtige Weg.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Frau Schubert! Das war ja schon eine halbe Regierungserklärung und der erste Teil der Haushaltsdiskussion. Das war gar nicht gefordert, wenn ich das mal so sagen darf, aber doch interessant.

Herr Dr. Gregor Gysi hat nunmehr das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Gysi!

[Zuruf von der CDU: Muss nicht sein!]

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin 1948 in dieser Stadt, in Berlin, geboren worden. Meine Familie väterlicherseits ist acht Generationen vorher aus der Schweiz direkt nach Berlin übergesiedelt und lebte seitdem auch in Berlin, zunächst als Bäder, dann als Ärzte. Mein Vater war dann der Erste, der dieses Studium nicht mehr ergriff. Herr Stölzl, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Es ist immer schwer, im Rahmen parteipolitischer Auseinandersetzungen Geschichte zu betreiben, weil sie dann notgedrungen auch einseitig wird. Sehen Sie, als mein Vater sich zum Beispiel entschloss, Kommunist zu werden aus Überzeugung, das war im Jahr 1928, glaube ich, das war natürlich zu einer Zeit, als man damit ja keine Karriere machen konnte. Es müssen also ganz andere Motive gewesen sein, die ihn dazu bewegt haben. Sicherlich glaubte er in erster Linie, damit seine Vorstellungen einer wirklich sozial gerechten Gesellschaft umsetzen zu können. Er hat dann aktiv gegen die Nazis gekämpft. Und ich muss Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen, weil Sie die bürgerliche Mitte so ausschließlich gewürdigt haben, zur deutschen Geschichte gehört natürlich

auch, dass in dieser Zeit SPD und KPD den aktiven Widerstand gegen das Naziregime leisteten, während eben die bürgerliche Mitte ihn so gut wie nicht leistete, von Ausnahmen abgesehen,

[Beifall bei der PDS und der SPD]

was die Machtergreifung der Nazis wesentlich erleichtert hat.

[Dr. Rexrodt (FDP): 20. Juni!]

Auf der anderen Seite, das ist eine Wahrheit, überall dort, wo Kommunistinnen und Kommunisten dann die Macht ergriffen, haben sie sie missbraucht. Sie können das doch einfach nicht leugnen. – Dass es in der bürgerlichen Mitte welche gab, habe ich doch gar nicht bestritten. Aber in ihrer großen Mehrheit gingen sie diesen Weg leider nicht mit, sondern das waren Ausnahmen, die diesen Weg gingen. – Und als dann die Kommunistinnen und Kommunisten irgendwo zu staatlicher Macht kamen, da allerdings haben sie dann Grundrechte von Freiheit und Demokratie verletzt, selbst Unrecht begangen und auch Verbrechen. Das ist überhaupt nicht zu leugnen, und das bedarf der in jeder Hinsicht kritischen Aufarbeitung. Ich sage das aber dennoch, weil ich glaube, dass nur, wenn wir so gerecht mit Biographien und auch mit Parteien und ihren Schicksalen umgehen, wir zu einer inneren Verständigung und damit auch Einheit kommen.

Bei meiner Mutter war das anders, auch wieder interessant, weil es auch deutsche Geschichte ist; ihr Vater war ja Deutscher, und sie lebten in Petersburg. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden sie feindliche Ausländer und mussten deshalb nach Deutschland zurückkehren, und so kamen sie auch nach Berlin.

Also 1948 geboren, damals wohnten meine Eltern übrigens in Schlachtensee; geboren wurde ich allerdings im Krankenhaus in Lichtenberg, und 1949 zogen sie in den Ostteil der Stadt um. Ich habe mir natürlich manchmal überlegt: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn wir nicht umgezogen wären? – Das weiß ich nicht, und deshalb spekuliere ich auch nicht. Aber eins weiß ich: Es gemahnt mich umgekehrt zur Vorsicht. Weil ich es nicht weiß, erlaube ich mir auch kein Urteil, welche Entwicklung ich denn genommen hätte, wenn ich im Westteil der Stadt aufgewachsen wäre. So war es nicht. Ich habe die Schule besucht, ich bin – darauf wurde heute schon hingewiesen – auch zum Facharbeiter für Rinderzucht ausgebildet worden, während der Schulzeit. Ich habe dann Jura studiert, wurde Rechtsanwalt und war viele Jahre bis heute als Rechtsanwalt tätig.

In die Politik bin ich 1989 gekommen, so ab Herbst des Jahres, im engeren Sinne. Ein politisch motivierter denkender Mensch war ich schon immer, aber im engeren Sinn Politiker bin ich in dieser Zeit geworden. Und ich muss auch sagen, dass mich das sehr geprägt hat, was in dieser Zeit geschehen ist, auch nach der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Ich auf jeden Fall habe in diesen Jahren viel dazugelernt und will das nicht missen.

[Zuruf von der FDP: Immer oben!]

Ich war in der Politik immer als Generalist tätig, weil ich mich als Partei- oder Fraktionsvorsitzender mit allen Feldern zu beschäftigen hatte. Eine konkrete Ressortzuständigkeit ist für mich eine völlig neue Herausforderung.