Es geht hier um die geschäftsordnungsmäßige Frage, ob es sinnvoll ist, diesen Antrag vor der Wahl des Senats zu behandeln oder nicht. Das ist weder aus dem Antrag erkennbar noch aus dem Sachzusammenhang. In dem Antrag heißt es, eine Überprüfung finde statt und irgendwann werde berichtet. Sie haben hier nicht beantragt, die Senatswahl abzusetzen, das wäre auch etwas abwegig. Wir sehen deshalb keinen Grund, einer solchen Änderung der Tagesordnung zuzustimmen, die im Übrigen lange vorher diskutiert und festgelegt worden ist – auch mit Ihrer Zustimmung im Ältestenrat. Deshalb bitte ich darum, den Antrag abzulehnen.
Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Meine Damen und Herren! Von dem Kollegen Henkel ist für die Fraktion der CDU der Antrag gestellt worden, den Tagesordnungspunkt 10 D vor den Tagesordnungspunkt 1 vorzuziehen.
Wer diesem Antrag der Fraktion der CDU die Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Die Gegenprobe! – Danke schön! – Enthaltungen? – Das ist mit den Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion der Grünen und der Fraktion der PDS, bei einer Enthaltung und gegen die Stimmen der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP abgelehnt. – Bitte? – Ein paar Grüne mehr noch. Ich bitte um Nachsicht.
[Dr. Rexrodt (FDP): Der Herr Ratzmann! – Ratzmann (Grüne): Ich bin immer für eine Überraschung gut! – Dr. Rexrodt (FDP): Das weiß ich! – Ratzmann (Grüne): Ich weiß, dass Sie das wissen, Herr Rexrodt!]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, die Geschäftsordnung des heutigen Tages dahin zu ändern, dass vor Eintritt in die Wahl des Senats den einzelnen z u w ä h l e n d e n S e n a t o r i n n e n u n d S e n a t o r e n die Gelegenheit gegeben wird, eine Erklärung darüber abzugeben, ob sie mit der Ve r ö f f e n t l i c h u n g d e r E r g e b n i s s e i h r e r Ü b e r p r ü f u n g i m H i n b l i c k a u f Ve r s t r i c k u n g e n i n M f S - T ä t i g k e i t e n einverstanden sind. Wir haben eine bestehende Rechtslage – aus meiner Sicht ist es nicht notwendig, Tagesordnungspunkt 10 vorzuziehen –, die den Haken hat, dass die Veröffentlichung der Überprüfungsergebnisse von der Zustimmung der einzelnen Betroffenen abhängig ist. Deshalb halten wir es für notwendig, im Hinblick auf die Wahl zu erfahren, ob die einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten mit der Veröffentlichung einverstanden sind.
Aus unserer Sicht ist dies etwas anderes, als die CDU-Fraktion beantragt hat. Wir halten es für notwendig, die größtmögliche Transparenz vor der Wahl herzustellen, und bitten deshalb darum, diese Erklärung vor der Wahl zu erhalten. Wir brauchen nicht darüber debattieren, ob es sich herbei um ein Thema in der Stadt handelt. Es ist bereits breit behandelt worden, und die Berlinerinnen und Berliner haben gewählt in Kenntnis dieser Debatte und dieses Problems. Alle haben gewusst, dass, wer die PDS wählt, nicht nur einen Anwalt in den Senat bekommt, sondern eventuell auch noch einen „Notar“.
Es ist aber auch bekannt, wie in der Vergangenheit mit diesen Veröffentlichungen umgegangen worden ist. Deshalb ist es für uns nötig, die Sicherheit zu haben, dass Transparenz nicht in der altbekannten Weise verhindert, sondern hier klar das Bekenntnis abgegeben wird, dass die Überprüfungsergebnisse auch veröffentlicht werden können. – Danke!
Herr Ratzmann! Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es nicht unserer Beschlussgewalt unterliegt, was Senatoren oder künftige Senatoren öffentlich machen oder nicht. Damit handelt es sich nicht um einen abstimmungsfähigen Geschäftsordnungsantrag.
[Dr. Lindner (FDP): Das ist doch Unsinn! – Krestel (FDP): Das wird ja immer schlimmer! – Frau Dr. Klotz (Grüne): Es gibt auch eine Erklärung des Regierenden Bürgermeisters! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP]
Es ist eine Aufforderung an die Kandidatinnen und Kandidaten, das zu machen. Den Kandidatinnen und Kandidaten wird nachher ohnehin Gelegenheit gegeben, sich persönlich vorzustellen. Wer zu diesem Thema Stellung beziehen mag, der kann das tun. Abstimmungsfähig ist das nicht.
Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und der Bürgermeister und der weiteren Mitglieder des Senats
Bevor wir in die allgemeine Aussprache eintreten, verlese ich Ihnen ein Schreiben des Vorsitzenden der Fraktion der SPD vom 15. Januar 2002:
im Namen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei des Abgeordnetenhauses von Berlin schlage ich Herrn Klaus Wowereit für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin vor.
Damit können wir in die allgemeine Aussprache zur heutigen Wahl des Senats eintreten. Der Ältestenrat empfiehlt pro Fraktion eine Redezeit von bis zu 20 Minuten bei freier Aufteilung auf die Redebeiträge. Bei Überschreitung dieser Redezeit werden wir dies vom Präsidium aus großzügig beachten. Dazu höre ich keinen Widerspruch.
An Wortmeldungen liegt mir vor Herr Professor Stölzl für die Fraktion der CDU. – Bitte schön, Herr Professor Stölzl!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An diesem scheinbar großen Tag der Sozialdemokratie, den wir noch gekannt haben, als er ganz klein angefangen hat, mit Wortbruch und Wankelmut, an diesem Tag, den wir einmal wiedersehen werden, wenn er wieder ganz klein ist – wonach fragen wir heute? – Wir fragen nicht nach den Winkelzügen der Tagespolitik. Wir fragen nicht nach der allzu menschlichen Dialektik von Ethik und Ehrgeiz, von Leichtsinn und Versorgungsdenken bei den Akteuren. Uns ist es heute wie gestern gleichgültig, ob die Spielmacher aus Damen- oder Herrenschuhen trinken, wenn sie einmal über die Stränge schlagen. Wir fragen nicht einmal nach den Namen, weil das Auge der Geschichte, das auf Berlin blickt, in anderen Dimensionen misst als aufgeregte Zeitungsleser. Wonach wir fragen, das ist der
historische Sinn des Moments. Was geschieht heute? – Die Zuschauer aus aller Welt antworten: Heute sperrt die Sozialdemokratie dem Kommunismus die Tür zur Macht in Deutschland wieder auf.
Aber was heißt das? Ist der Kommunismus als historische Bewegung nicht längst tot, untergegangen mit der Roten Armee, zahnlos, ungefährlich, ein Kindergespenst? – An diesem Tag, der in seiner Bedeutung schillernd ist wie noch jeder Schicksalstag, sagen wir: Mag vielleicht alles sein. Aber demokratische Politik, die den Namen verdient, fragt zuerst nach Glaubwürdigkeit und historischer Moral. Die Bewusstlosigkeit der Spaßgesellschaft ist der Tod von verantwortlicher Politik.
Und darum gilt: Solange sich Menschen mit aufrechtem Gang in Berlin erinnern, werden sie beim Wort „Kommunismus“ im Zorn zurückblicken, denn die große Erzählung von der Stadt Berlin hat ein einziges Thema, es heißt „Freiheit“. Es ist der Pulsschlag der Freiheit, es sind ihre Atemzüge, die Berlin machen. Kampfplatz der Freiheit gewesen zu sein, stellvertretend für Deutschland, das ist der Ehrentitel unserer Stadt.
Heute wählen die Sozialdemokraten eine Partei zurück an die Macht, die vor der großen Sturmflut der europäischen Freiheit im Jahr 1989 ein Bollwerk der Unfreiheit gewesen ist. Die Partei trug damals einen anderen Namen, und das Handbuch des Abgeordnetenhauses legt nahe, sich mit dem Kürzel „PDS“ zu begnügen. Aber eine Bewegung, die als Kommunismus Weltgeschichte gemacht hat, sollte eigentlich stolz darauf sein, mit dem Jahrhundertbegriff angeredet zu werden, der ihr früher heilig war. Hüten werde ich mich, die heutige Partei mit der damaligen einfach gleichzusetzen, auch wenn sie von sich selbst sagt, dass 94 % ihrer heutigen Mitglieder auch damals dabei waren. Am demokratischen Bekenntnis meiner Parlamentskollegen zu zweifeln, liegt mir fern. Aber eine große historische Partei ist viel mehr als die Summe ihrer Individuen. Sie ist kein harmloses Etikett. Sie ist ein Symbol. Sie transportiert eine tief verwurzelte Tradition. Sie wirft einen Schatten, dem niemand entrinnt, solange er nicht mit der Partei bricht.
In diesen Tagen geben Sozialdemokraten nach Jahrzehnten der Mitgliedschaft ihr Parteibuch zurück, weil ihre Partei heute mit dem Kommunismus paktiert. Vor zwölf Jahren – damals, als die deutsche Revolution binnen Wochen die Totenstarre des Sozialismus aufbrach – wäre man verlacht worden, hätte man dergleichen prophezeit.
Aber nun ist es geschehen. Wirklich erklären kann man es niemandem. Oder nur Menschen mit Kurzzeitgedächtnis, die bei den Buchstaben SPD nur an einen roten Schirm auf der Straße denken und nichts von der ehrwürdigen und ältesten deutschen Partei wissen, die mit ihrem Herzblut an unserer gemeinsamen Geschichte von Einigkeit und Recht und Freiheit mitgeschrieben hat.
Warum tun die das, ruft man uns aus Deutschland überall fassungslos zu. Und erntet Rauchzeichen aus dem politischen Kiez: Mit diesem CDU-Kopf geht es nicht, mit jenem FDP-Programm nicht, mit diesem grünen Starrsinn erst recht nicht. – Rauchzeichen, morgen verweht, gewichtslos auf der Waage der Geschichte! Steckt denn vielleicht ein heimlicher Traum vom gemeinsamen Sozialismus dahinter, die Berliner SPD als Avantgarde einer Versöhnung der seit 1919 tödlich verfeindeten Geschwister der Arbeiterbewegung? – Ach was! Gemessen am theorielosen anything goes der Berliner SPD wundert man sich fast darüber, wie viel Begründungsmühe sich die Sozialdemokratie 1987 mit ihrem SED-Annäherungspapier gemacht hat.
Was niemand versteht, legitimiert sich am besten durch Phrasen: Schlussstrich, Schwamm drüber, Tür zu, das Leben geht weiter. – Manchen Sozialdemokraten ist solche Amnesie peinlich, sie glauben dafür allen Ernstes an Entschuldigungsformulare, wo der Schlussstrich von moralischen Schnörkeln umrahmt wird.
An diesem Tag der großen Selbstbeschwichtigung sage ich: Der Geist der Geschichte pfeift auf Papiere und Entschuldigungen.
Er vergisst nichts. Kein „Schwamm drüber!“ wischt das an der Mauer vergossene Blut der Unschuldigen ab.