Zur Beratung bzw. Besprechung empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von bis zu zweimal 10 Minuten – also insgesamt 20 Minuten. Nach der ersten Fraktionsrunde erteile ich Herrn Senator Wolf das Wort zu seiner Stellungnahme und zur Beantwortung der Großen Anfrage.
Die Wortmeldungen beginnen nach interfraktioneller Vereinbarung in der ersten Rederunde mit der SPDFraktion. Frau Grosse hat das Wort. – Bitte schön!
Das ist eine erschreckende Zahl, die mehr als den Verweis auf die weltwirtschaftliche Lage verlangt. Deshalb muss das Ziel aller politischen Kräfte in unserer Stadt der Abbau der Arbeitslosigkeit sein. Schuldzuweisungen, Herr Wegner – ach, der ist gerade nicht im Saal –, helfen den Betroffenen nur wenig. Wir alle gemeinsam sind gefordert, diesen Prozess zu begleiten und voranzutreiben.
Peter Hartz hat in seinem Bericht den Beitrag der Profis der Nation eingefordert. Je mehr den Kampf gegen Arbeitslosigkeit zur eigenen Sache machen, je mehr sich auf ihr spezifisches Können und auf die eigenen Stärken konzentrieren, desto schneller werden wir das Problem der Arbeitslosigkeit überwinden. – So Peter Hartz.
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen allein werden aber nicht ausreichen. Wir benötigen eine Kombination von wirtschafts-, struktur- und arbeitsmarktpolitischen Schritten.
Ein kommunales Investitionsprogramm wurde bereits von den Arbeitsministern der neuen Bundesländer – darunter auch unser Senator – und den arbeitsmarktpolitischen Sprechern der SPD-Fraktionen gefordert. Das nun vom
Hinzu kommt die Zuweisung in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Sie soll in der Regel nur noch sechs Monate betragen. Angesichts dieser Tatsachen hat die Koalition heute einen Dringlichkeitsantrag in das Parlament eingebracht. Dieser Dringlichkeitsantrag war notwendig, weil offenbar in der Bundesanstalt für Arbeit die wirkliche Situation auf dem Arbeitsmarkt in Ostdeutschland – und dazu gehört Berlin nun einmal – nicht hinreichend bekannt ist. Aber wir werden und müssen dafür sorgen, dass in der Arbeitsmarktpolitik wieder mehr Politik für Ostdeutschland stattfindet.
Mehr Arbeitsmarktpolitik für den Osten heißt, dass gerade da, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist, nicht die Maßstäbe angelegt werden, die dem westdeutschen Niveau entsprechen. Es kann doch nicht angehen, dass durch die neuen Maßnahmen die Lage auf dem ostdeutschen und auf dem Berliner Arbeitsmarkt verschärft wird. Schon jetzt ist deutlich zu erkennen, dass die Zuweisung zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vorrangig den Arbeitslosengeldempfängern bewilligt werden. Das stellt Hartz auf den Kopf, und das ist so nicht hinnehmbar.
Die Personalserviceagenturen – kurz PSA genannt – wird es geben; die nach dem Gesetz vorgeschriebenen Ausschreibungen sind in jedem Arbeitsamtbezirk abgeschlossen. Die Auswertung für die Vergabe findet zurzeit in allen Berliner Arbeitsämtern statt. Zum 1. April wird es je Arbeitsamtbezirk eine Personalserviceagentur geben. Sie sollen und sie werden eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein. Dafür müssen aber gerade Betriebe bereit sein, ihre bezahlten Überstunden abzubauen und dafür Menschen aus den Personalserviceagenturen zu entleihen. Das Prinzip des Förderns und Forderns gilt nicht nur für Arbeitslose, sondern gleichermaßen auch für die Arbeitgeber in dieser Stadt. Deshalb mein Appell von dieser Stelle: Der Abbau der Massenarbeitslosigkeit kann nur gelingen, wenn jede und jeder ihren bzw. seinen Beitrag dazu leistet. Dazu gehören auch die Arbeitgeber und die Betriebsräte und Betriebsrätinnen unserer Stadt.
Bundeskanzler für morgen angekündigte Investitionsprogramm wird ein Aufbruch für eine wirtschaftliche Offensive sein, das wir hier ausdrücklich schon begrüßen.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Heiterkeit bei der CDU – Czaja (CDU): Ach, was Sie alles wissen! Ich glaube, Sie halten die Rede gerade!]
Danke, dass Sie mich so hoch einstufen! Schönen Dank! – Wachstum und Beschäftigung sind nun einmal die Grundvoraussetzung für die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme.
Mit den ersten beiden Hartz-Gesetzen – den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – hat die Bundesregierung einen wichtigen und richtigen Beitrag für mehr Dynamik auf dem Arbeitsmarkt geleistet. Mit dem ersten Gesetz werden die Rahmenbedingungen für eine rasche und nachhaltige Vermittlung in Arbeit neu geregelt, Wege in die Selbstständigkeit, zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und für Dienstleistungsbeschäftigung in privaten Haushalten aufgezeigt.
Das zweite Hartz-Gesetz befasst sich unter anderem mit der Regelung der Ich-AGs. Das ist zwar kein gutes Wort, aber ein gutes Konzept. Es ist ein Instrument gegen die Schwarzarbeit, und es ist ein Weg aus der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit. In Berlin sind bereits zahlreiche Anträge bewilligt worden. Allein im Arbeitsamtbezirk Berlin-Nord haben ca. 40 Arbeitslose eine Ich-AG gegründet. Als flankierende Maßnahme werden mit der vierten Fortschreibung des Berliner arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramms Existenzgründerinnen und Existenzgründer, die wegen ihrer eingeschränkten Bonität keine Kredite bekommen würden, gefördert.
Die Umsetzung des Hartz-Konzeptes kann und wird nicht an einem Tag erfolgen. Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit wird erstmals seit 10 Jahren ohne einen Zuschuss des Bundes auskommen müssen. Hinzu kommt die geänderte Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit, so dass in der öffentlichen Wahrnehmung zurzeit leider nur die Einsparungen bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten überwiegen. So sind auch in Berlin diese Einsparungen und Leistungskürzungen Stein des Anstoßes.
Die Kritik entzündet sich an der Neuausrichtung der Förderung der beruflichen Weiterbildung. Dabei beruht die Kritik nicht auf dem Gesetz, sondern auf einer viel zu starr angesehenen Verbleibsquote von 70 % als alleinigem Kriterium für die Zulassung von Maßnahmen. In Berlin wurden die Qualifizierungsprojekte daraufhin untersucht und ca. ein Drittel gestrichen. Das hat zur Folge, dass bereits bewilligte Projekte zurückgenommen wurden. Das trifft besonders die Alleinerziehenden, die Frauen und vor allem die Migrantinnen. Deshalb fordern wir, dass für bereits bewilligte Maßnahmen eine Übergangsregelung gefunden werden muss.
Mit dem Aufbau von Jobcentern haben der Berliner Senat und das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg schon Mitte des Jahres 2002 begonnen – selbstverständlich nicht als Jobcenter, sondern mit der Einführung gemeinsamer Anlaufstellen von Arbeits- und Sozialämtern. Sie sind die Vorläufer der jetzt einzurichtenden Jobcenter.
Einen nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit können wir nur erreichen, wenn wir den Aufbau von mehr Beschäftigung und die Verringerung der Arbeitslosigkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen.
Die derzeitige Politik der Arbeitsämter ist hinreichend beschrieben. Die Forderung der 70-prozentigen Eingliederungsquote hat meine Vorrednerin hier auch kritisiert. Und das in der Berliner Situation. Das muss man sich mal vorstellen! – Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in vergangenen Jahren um 14 % gestiegen. Das sind über 110 000 Personen. Es sind 39 000 Arbeitslose, die unter 25 sind; von den Langzeitarbeitslosen haben 41 % keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das heißt, wir haben hier nicht nur ein Arbeitsmarktproblem, wir haben auch ein Qualifizierungsproblem. Das kann man in Zukunft doch nicht allein den Sozialämtern überlassen.
Ich finde es schon bemerkenswert, wie der positive Ansatz der Bildungsgutscheine derzeit ins Gegenteil verkehrt wird. Statt Zertifizierung, Wettbewerb und Transparenz sind es jetzt wieder die Arbeitsämter, die allein und selig machend über eine Bewilligung entscheiden oder auch nicht entscheiden und damit auch über das Schicksal der Teilnehmerinnen.
Ich sage noch einmal: Was derzeit passiert, ist nur zum geringsten Teil durch die Haushaltskürzungen verursacht, auch wenn ich persönlich die beabsichtigte Kürzung des Bundeszuschusses auf null für nicht richtig halte. Es ist ein Politikwechsel der Bundesanstalt, der durch keine politische Entscheidung, keinen Kabinettsbeschluss, keinen Koalitionsbeschluss gedeckt ist und der deshalb zu Recht in der Kritik steht und das gestern auch bei allen Fraktionen im Ausschuss gestanden hat.
Deshalb richte ich meinen Appell auch an die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Ich sage Ihnen: Schluss mit der Polemik! Hören Sie auf, ständig von der rot-roten Laterne zu reden! Sie schaden der Stadt, demotivieren die Menschen in dieser Stadt und schüren Ängste. Lassen Sie uns gemeinsam die Arbeitslosigkeit bekämpfen! Die Berlinerinnen und Berliner haben es verdient. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht kein Zweifel, Reformen am Arbeitsmarkt sind notwendig, Veränderungen bei der Vermittlung sind überfällig. Das wissen wir alle spätestens seit dem Vermittlungsskandal bei den Arbeitsämtern. Und es war – ich erinnere daran – im Übrigen auch der Auftrag der Hartz-Kommission, die Vermittlung in Arbeit zu verbessern, zu entbürokratisieren und zu beschleunigen. Die Vermittlung dauert in Deutschland nämlich im Durchschnitt 33 Wochen, in anderen europäischen Ländern ist es nur die Hälfte der Zeit.
Man kann zu Hartz unterschiedlich stehen, aber eins kann man ihm und seiner Kommission wirklich nicht vorwerfen: Dass er schuld ist an der gegenwärtigen Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit, am Abbruch von Weiterbildung und der Ausgrenzung von Langzeitarbeitslosen. Das ist eine andere Baustelle, die mit Innovation, mit Integration nichts, aber auch gar nichts zu tun hat und die deshalb zu Recht in der öffentlichen Kritik steht.
Reformen in der Arbeitsmarktpolitik müssen im Kern drei Ziele haben: Es muss die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitslosen entweder erhalten oder wiederhergestellt werden. Deshalb müssen aktivierende Leistungen Vorrang haben vor passiven Leistungen.
Es braucht zweitens nach Möglichkeit eine dauerhafte Vermittlung. Das ist natürlich abhängig von der regionalen Situation. Und es braucht zum Dritten Transparenz, Qualität und Rechtssicherheit bei den Leistungen und einen gleichberechtigten Zugang von allen Arbeitslosen zu Förderung und Unterstützung.
Das ist die Messlatte, die bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe anzulegen ist, und das ist auch die Messlatte, die bei der Bundesanstalt anzulegen ist. Für beide gilt: Leistungskürzungen allein sind noch keine Reformen; Einsparungen allein sind noch keine Reformen. Deshalb kann die pauschale Kürzung des Arbeitslosengeldes auf 12 Monate auch keine Antwort auf die Praxis von Arbeitgebern sein, ältere Beschäftigte exakt 32 Monate vor dem Renteneintrittsalter zu entlassen.
Herr Senator Wolf! Ich finde aber nichtsdestotrotz, Kritik allein reicht nicht wirklich aus, und Sie werden als Arbeitssenator hier in Berlin dafür bezahlt, dass Sie Politik gestalten, dass Sie in wirklich schwierigen Zeiten und unter schwierigen Bedingungen innovative Ideen entwickeln. Berlin hat – daran will ich einfach einmal erinnern – in der Arbeitsmarktpolitik durchaus mal eine führende Rolle gespielt. Ein Modell wie die Jobrotation, das Beschäftigung und Qualifizierung miteinander verbindet, ist hier modellhaft erprobt worden unter Christine Bergmann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, und ist dann ins Bundesgesetz übernommen worden. Ich finde Ihre Antworten, Herr Wolf, auf unsere Große Anfrage wirklich in Bezug auf Innovation, auf Ideen mehr als bescheiden.
Ich will einen Vorschlag herausgreifen, den wir gemacht haben. In Berlin werden ca. 67 Millionen Überstunden geleistet. Würde man nur ein Drittel davon in Arbeitsplätze umwandeln, so ergäbe das rechnerisch 16 000 Arbeitsplätze. Nun haben alle Appelle der Vergangenheit an die Unternehmen, daraus feste Stellen zu machen, nicht viel gebracht – aus Gründen des realen oder gefühlten Kündigungsschutzes, dazu will ich mich gar nicht auslassen, oder aus Gründen der konjunkturellen Situation. Es hat jedenfalls keine neuen Stellen gegeben. Warum also nicht die Personalserviceagenturen, warum
Der Senat wird die landesseitigen Möglichkeiten zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung stimulieren und ausschöpfen.
Von wegen ausschöpfen! Das Gegenteil ist der Fall. Die Realität sieht so aus, dass der Senat da, wo er öffentliche Nachfrage und Investitionen selbst auslösen könnte – also das, was er von der Bundesregierung verlangt –, das in einer Größenordnung von 120 Millionen € nicht tut. 120 Millionen €, die schon verfallen sind oder die noch zu verfallen drohen, aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe und aus Mitteln der Europäischen Regionalförderung. Damit könnte beispielsweise ein Bauvorhaben wie die Sanierung von Oberstufenzentren vorgezogen werden. Oder es könnte in die touristische Infrastruktur investiert werden. Oder es könnten Energieeinsparmaßnahmen finanziert werden. Das würde dann – auch wenn Keynes tot ist, Herr Lehmann – für Handwerksbetriebe Aufträge auslösen. Wir meinen, wer nach dem Geld der Bundesregierung ruft, der muss erst einmal das eigene in Berlin vorhandene Geld vernünftig ausgeben können.
Vorhandenes Geld, landesseitig kofinanziertes, im Haushalt ausfinanziertes europäisches Geld: Das steht im Haushalt, und Sie geben es nicht aus. Das ist das Problem.
nicht die Zeitarbeitsunternehmen genau dafür nutzen, diese Überstunden in Beschäftigung umzuwandeln? – Und was antwortet Herr Senator Wolf auf diesen Vorschlag? – Ich zitiere:
Der Senat begrüßt es, wenn die Betriebe das Potential bezahlter Überstunden in zusätzliche Beschäftigung umwandeln.