Protocol of the Session on November 28, 2002

Zur Verkehrspolitik, ein ganz zentrales Thema, die Flugverbindungen, Direktverbindungen, wird im Anschluss mein Kollege von Lüdeke noch Stellung nehmen. Aber auch hier, nur kurz: Es ist unsinnig, hier ständig vom vorzeitigen Schließen des Flughafens Tempelhof zu schwafeln, statt den Unternehmen wie beispielsweise SN Brussels, die im Gefolge der Sabena die Direktverbindung nach Brüssel wenigstens aufrechterhalten wollen, jede Möglichkeit, sinnvoll zu investieren, zu nehmen. Es war übrigens bemerkenswert, dass dort außer meiner Fraktion bei der Präsentation keine einzige der hier im Abgeordnetenhaus vertreten Parteien anwesend war.

[Pewestorff (PDS): Wenn Sie keiner lobt, loben Sie sich selbst!]

Das interessiert Sie nicht, das weiß ich schon.

[Gaebler (SPD): Sollen wir mal aufzählen, wo Sie überall nicht sind?]

Sie sollten mal dorthin gehen, wo es wirklich darum geht, diesen Wirtschaftsstandort nach vorn zu bringen.

Ich bin jetzt bei dem wesentlichsten Thema, das ist Deregulierung und Verwaltungsreform. Auch hier hat man in Berlin nichts als Gerede und keine Ergebnisse bisher zu verzeichnen. Ich mache Ihnen einmal ganz konkrete Vorschläge zum Thema Deregulierung. § 23 des Ladenschlussgesetzes erlaubt eine Öffnung bzw. ein gänzliches Abschaffen der Ladenschlusszeiten, wenn es im öffentlichen Interesse ist. Und wir haben einen Haushaltsnotstand , sodass es durchaus im öffentlichen Interesse ist,

[Pewestorff (PDS): Flughafen!]

hier von dieser Ausnahmeregelung sofort Gebrauch zu machen.

[Beifall bei der FDP]

Und außerdem können Sie sich der Initiative von Sachsen-Anhalt, einem wirtschaftlich vernünftig regierten Land, zur Abschaffung des Ladenschlussgesetzes jederzeit anschließen. Außerdem eine Bundesratsinitiative zur Lockerung des Kündigungsschutzes, um insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen wieder eine Perspektive zu schaffen, Leute einzustellen und nicht nur zu entlassen.

Und dann sind wir beim wesentlichen Thema, das ist die Verwaltungsreform. Auch hier, jedes Mal, wenn es konkret wird: versagen, verschieben, verhindern. Ein ganz gravierendes Beispiel ist diese unselige One-StopAgency, never ending story, die niemals zu einem vernünftigen Abschluss kommen wird, und ein weiteres ganz trauriges Kapitel ist das, was gemacht wird mit den Vorschlägen der Scholz-Kommission Staatsaufgabenkritik. Sie haben zwar im Kapitel Justiz das übernommen, was wir in den Ampelverhandlungen damals in die Präambel hereingenommen hatten, nämlich die Bemerkung, dass beschleunigte Verfahren in der Justiz ein eminenter Wirtschaftsstandortfaktor sind. Aber ich durfte neulich im Rechtsausschuss erleben, was Sie tatsächlich darunter verstehen, hier diese Vorschläge umzusetzen: Das ist das, was Sie am besten können, nämlich eine neue Kommission zu bilden, Laufzeit Minimum 3 Jahre; und dann das übliche Geschwafel, was Sie draufhaben: Alle müssen mitgenommen werden, Konsens und sonstiges Blabla. Was wir in Berlin brauchen, sind nicht neue Kommissionen und neue Gutachten, sondern einen Senat und einen Regierenden Bürgermeister an der Spitze, der den Mumm hat, die diversen Gutachten, die in den Archiven vor sich hin schimmeln und ein Schweinegeld gekostet haben, endlich mal umzusetzen. Ich rede von Scholz, von Boston Consulting, von Roland Berger und allen anderen, die sich hier bereits versucht haben, und zwar um- und durchzusetzen, auch gegen den Widerstand von Lobbygruppen, von Verbänden, Gewerkschaften und anderen Verhinderern und Besitzstandswahrern in unserem Land.

[Beifall bei der FDP]

Nicht neue Gremien, runde Tische etc., sondern ein bisschen Margaret Thatcher braucht dieses Land und braucht diese Stadt.

[Gelächter – Beifall bei der FDP]

Die FDP-Fraktion macht Ihnen konkrete Vorschläge heute unter TOP 4 zur Deregulierung und zur Verwaltungsreform, die nicht nur zu einer Entlastung des Haushalts führen, sondern den Menschen und Unternehmen wieder das zurückbringen, was sie zum Arbeiten und Leben brauchen: die Freiheit!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Lindner! – Das Wort hat nunmehr für die SPD-Fraktion der Kollege Krug! – Bitte schön, Herr Krug!

[Pewestorff (PDS): Der muss vorher Propagandist gewesen sein bei irgendeiner Kaffeefahrt!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neue Wege braucht das Land, ist der letzte Teil Ihrer Großen Anfrage, Herr Dr. Lindner. Und ich denke aber, nun wollen wir doch noch mal zu Sony kommen und Ihrer Fliegerei. Nachdem nun Sony hier ist und Ihre Gründe, die nicht vorhandene Direktverbindung, offensichtlich gar nicht mehr zählen, haben Sie doch hierzu eigentlich die Krise. Man hat es gehört. Und Sie haben nicht nur die Krise mit der Fliegerei, sondern ich denke, Sie haben vorwiegend eine Krise auch mit einem Flugblatt. Das sollte man hier auch mal sagen und feststellen.

[Beifall bei der SPD und der PDS Denn so weit holen Sie aus. Und ich denke, das ist doch nicht hier der richtige Platz. Hier geht es um ein Berliner Problem, und es geht um die Berliner Wirtschaft – lassen Sie sich das doch mal sagen –; um in der Berliner Wirt- schaft erfolgreich zu sein, braucht man – das ist etwas, was Sie vielleicht nicht so ganz kennen – gutes Vertrauen und ein gutes Klima. Zu diesem Klima muss auch die Opposition beitragen. Sie als selbst ernannter Gralshüter sollten doch wissen, dass man spätestens seit Ludwig Er- hard die Erkenntnis gewonnen hat, dass Psychologie und gutes Klima schon die halbe Miete in der Wirtschaftspoli- tik sind. [Ritzmann (FDP): Nur die halbe!]

Das gilt auch für Sie. Und jetzt kann ich ja vielleicht sagen: Mr. Thatcher, ich bin ganz gerührt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wer die Wirtschaftspolitik gerade in Berlin losgelöst von den finanziellen Rahmenbedingungen diskutiert, ist ein Phantast. Auch das müssen Sie sich sagen lassen. Unser Schuldenstand ist innerhalb der letzten zehn Jahre von 7 auf 46 Milliarden Euro angewachsen.

[Dr. Lindner (FDP): Haben wir da regiert oder Sie?]

Sie haben da auch schon eine ganze Zeit mitgemacht. – Unsere eigenen Einnahmen belaufen sich auf 8 Milliarden Euro, und das geben wir fast alles für die Personalkosten

aus. Fehler haben viele gemacht. Aber hier muss auch festgehalten werden, dass uns der Bund nach der Wende sehr schnell im Stich gelassen hat, und er kannte sehr genau die katastrophale Wirtschaftsstruktur der ehemaligen beiden Stadthälften.

[Beifall bei der SPD]

Wir haben aus all dem die Konsequenzen gezogen. Natürlich müssen wir auch in den Bereichen kürzen – das ist das Thema, mit dem Sie sich etwas näher befassen könnten –, aber wir kürzen mit klaren Prioritäten und mit sozialer Verantwortung.

[Ritzmann (FDP): Bei allem ein bisschen!]

Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo wir breite Solidarität einfordern müssen – das gilt auch für die Gewerkschaften –, um die erforderlichen Einsparungen zu erzielen. Alternativen hierzu gibt es nicht. Aber jammern hilft auch nicht. Berlin konnte sich eben nicht wie andere Standorte harmonisch in Jahrzehnten entwickeln, und es sind Brüche, die man keinem anderen Standort wünschen möchte, die wir hier zu bewältigen haben.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Deswegen sage ich auch ganz klar: In einer schwierigen Zeit wie der jetzigen gibt es hervorragenden Leistungen, die Tausende von kleinen und mittleren Unternehmen in Handel, Gewerbe, Industrie und Handwerk vollbringen. Tatsache ist, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Berliner Wirtschaft trotz aller Probleme nachhaltig gestiegen ist und dass wir unter den schwierigen Bedingungen des Strukturwandels unserer wiedervereinigten Hauptstadt viel Beachtliches geschafft haben. Aber insgesamt, um an das Ziel zu kommen, brauchen wir Zeit und Geduld.

Bei allem Jammern haben Sie, Herr Dr. Lindner, vergessen, dass wir eine Reihe wichtiger zentraler großer Firmen hier in Berlin haben. Natürlich können Sie die nicht aufzählen. Natürlich kann und wird der Regierende Bürgermeister noch für mehr sorgen und seinen roten Teppich überall bereit halten. Das wissen wir doch, und das macht er doch auch mit dem Wirtschaftssenator. Ich denke, er macht das gut.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Die Orientierung auf wissensbasierte Bereiche zeigt Wirkung. Für Biotechnologie und Elektronik, Bereiche, die den Austausch von Wirtschaft und Wissenschaft pflegen, ist Berlin ein gutes zu Hause. Sehen Sie denn das nicht? – Samsung, Daimler-Chrysler, BMW, Bombardier, Lufthansa, Schering, Siemens, Deutsche Bahn, alle haben ihren Sitz in Berlin und haben wichtige Investitionen getätigt.

[Ritzmann (FDP):Sie sind ein Schauredner!]

Nehmen Sie das doch zur Kenntnis und gehen Sie doch auch auf diese Firmen ein.

[Beifall bei der SPD]

Wir vergessen nicht, dass in der Medienbranche in den letzten Jahren knapp 10 000 zukunftsorientierte Arbeitsplätze entstanden sind. Nicht zuletzt wird auch die Musikwirtschaft immer mehr eine Berliner Domäne. Berlin kommt da auch voran. Vielleicht hören Sie nicht genug Musik, aber darin ist viel Musik. Und in der Verkehrstechnik, die Sie auch angesprochen haben, können wir noch ein bisschen mehr erzählen: Da kann Berlin auf eine ganz besondere Kompetenz verweisen. Hier sagen wir auch, hier können wir noch einen Zahn zulegen. Wir haben in Berlin viele Chancen für die Investoren. Wir haben den Regierungs- und Parlamentssitz. Wir haben viele freie Flächen. Wir haben günstige Mieten. Wir haben ein faszinierendes Kulturangebot. Alles das sind Standortfaktoren, auf die wir stolz sein können, und es zeigt auch, dass diese Stadt dynamisch und kreativ ist. Schließlich verfügt Berlin mit über 27 000 Betrieben und 200 000 Arbeitsplätzen über eine Handwerksstruktur, die sich sehen lassen kann. Auch die können Sie sehen. Auch die können Sie erwähnen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Aktive Wirtschaftspolitik heißt auch, die ansässigen Unternehmen zu betreuen und für diese da zu sein. Deswegen zollen wir dem Mittelstand als der tragenden Säule der Berliner Wirtschaft viel Aufmerksamkeit

[Niedergesäß (CDU): Ihr ruiniert ihn!]

Herr Niedergesäß, ich glaube, das ist nicht das, was die Situation beschreiben kann. Natürlich wissen wir, dass der Mittelstand eine geringe Eigenkapitalquote hat, dass Banken zögerlich sind. Und deswegen sind wir aktiv mit dem Kleinstkreditprogramm.

Wir sind uns alle einig, dass wir die Rahmenbedingungen so gestalten müssen, dass die Berliner Wirtschaft mehr Arbeitsplätze und Einkommen schafft, und dabei spielt der Tourismus eine herausragende Rolle. Der Bürgermeister hat mit der Einberufung des Runden Tisches einen ganz entscheidenden Schritt in diese Richtung getan.

[Dr. Lindner (FDP): Schon wieder einer!]

Ja, natürlich! – Aber das bringt auch Erfolge. Das können Sie wahrscheinlich nicht nachvollziehen.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Das bringt doch nichts! – Ritzmann (FDP): Am Runden Tisch wird nichts produziert!]

Tourismus wird und muss in Berlin Chefsache sein, um die führende Stellung von Berlin in dieser Branche, aber auch bei Messen, Kongressen und in der Werbung besser zu vernetzen. Berlin ist das Tor zum Osten. Auch das sehen Sie offensichtlich nicht in Ihrer Verbohrtheit, wenn Sie bundespolitische Themen hier auf diesen Tisch bringen. Wir brauchen die Länderfusion, um hier besser im Wettbewerb gerüstet zu sein. Das gilt auch für die Damen und Herren von der CDU, wenn wir über Fusion reden. Ja, Herr Dr. Steffel, Sie können nachher noch etwas sagen. Sie können sich auch einmal klar dazu bekennen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das Thema der Aktuellen Stunde lautet: Neue Wege braucht Berlin. – Selbstverständlich ist das kein Zustand, dass wir in der Fliegerei keine Direktverbindungen haben. Ich kenne das. Da gibt es nichts zu beschönigen. Es liegt auch an den Airlines, einen profitablen Direktflugverkehr zu entwickeln. Die Aufgabe der Politik – hören Sie doch einmal hin – ist es, dass wir mit dem Bau des internationalen Flughafens Schönefeld die technischen und strukturellen Voraussetzungen dafür schaffen.

[Beifall bei der SPD – Dr. Lindner (FDP): Es liegt an Ihren Gebühren!]