Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sondersitzung – dies ist die 18. Sitzung – des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter, die zahlreich auf den Zuhörerbänken sitzen, sehr herzlich.
Bevor wir gleich in den notwendigen politischen Streit und das Ringen der Fraktionen um den besten haushaltspolitischen Weg eintreten, möchte ich von dieser Stelle aus in Ihrem Namen und für das Abgeordnetenhaus alle Berlinerinnen und Berliner aufrufen, morgen z u r Wa h l z u g e h e n und zu wählen.
Morgen können wir alle darüber entscheiden, wer in den nächsten Jahren die Politik in unserem Land bestimmt. Wir wollen nicht vergessen, dass das Recht auf freie und geheime Wahl auf der Welt immer noch Millionen von Menschen verweigert wird. Wir aber haben dieses Recht, und niemand von uns sollte darauf verzichten, es auch wahrzunehmen. Wer nicht wählt, soll sich später auch nicht beklagen, wenn die politische Richtung von denen bestimmt wird, die er nicht haben will. Über allem Parteienstreit sollten wir nicht vergessen, dass die Bundestagswahl kein Selbstzweck ist. Unser Land wird in den nächsten Jahren schwierige Aufgaben und Zukunftsentscheidungen vor sich haben. Dafür wird es wichtig sein, dass diejenigen, die die politische Verantwortung tragen, sich auf stabile Mehrheiten stützen können. Deshalb ist ein deutliches Wahlergebnis wichtig. Alle Umfragen haben übrigens gezeigt, dass es diesmal wirklich auf jede Stimme ankommt. Im Namen des Abgeordnetenhauses rufe ich alle Berlinerinnen und Berliner auf, morgen von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und sich an den Wa h l e n z u m D e u t s c h e n B u n d e s t a g zu beteiligen.
In unserer Mitte hat der Kollege M a r i o C z a j a heute G e b u r t s t a g. Ich gratuliere ihm herzlich!
Alles Gute, Herr Czaja, und was gibt es Schöneres, als den Geburtstag im Abgeordnetenhaus zu verbringen!
Mit Schreiben vom 18. September 2002 – eingegangen beim Präsidenten um 12 Uhr – beantragt die Fraktion der CDU gemäß § 56 Absatz 1 Satz 2 unserer Geschäftsordnung die unverzügliche Einberufung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die Einladung ist Ihnen rechtzeitig am 18. September zugegangen. Die Große Anfrage der Fraktion der CDU – Drucksache 15/808 – haben Sie ebenfalls in Kopie zusammen mit der Einladung erhalten. Ich schlage Ihnen vor – und dies ist auch so verabredet –, die beiden einzigen Tagesordnungspunkte miteinander zu verbinden.
Aktuelle Stunde zum Thema „Gift für Berlin – der rot-rote Senat muss sich zu seinen Streichlisten bekennen“
Große Anfrage der Fraktion der CDU über Sarrazins Giftliste – ein tragisches Dokument ziel- und konzeptionsloser Finanzpolitik gegen die gesamte Berliner Gesellschaft
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS auf Annahme einer Entschließung über Berlins Finanzen in Ordnung bringen – Handlungsspielräume für die Zukunft sichern
Die Anträge sind in die Diskussion einzubeziehen. Wir werden dann im Anschluss an die Debatte in der Reihenfolge der Eingänge darüber abstimmen.
Die Fraktionsgeschäftsführer und der Ältestenrat empfehlen eine Gesamtredezeit von 20 Minuten pro Fraktion in freier Aufteilung auf die Redebeiträge. Nach einer ersten Fraktionsrunde erhält der Senat die Möglichkeit, die Große Anfrage zu beantworten. In der Redefolge beginnt die antragstellende Fraktion der CDU. Der Herr Fraktionsvorsitzende Dr. Steffel hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Parlamentssitzung ist notwendig geworden, weil ein Teil der vom Finanzsenator lange angekündigten Sparliste seit einigen Tagen auf dem Tisch liegt
und den Berlinerinnen und Berlinern Verunsicherung und Angst einjagt. Wie die SPD-Fraktion angesichts der Debatten in Berlin, Herr Müller, und der Berichterstattung über diese Sparliste zu der Einschätzung kommen kann, dass es sich heute hier bei der Sitzung des Berliner Parlaments um eine Showveranstaltung handelt ist, zumindest mir völlig schleierhaft und angesichts der Reaktionen aller gesellschaftlichen Gruppen in Berlin geradezu zynisch.
Man hat den Eindruck, dass Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Kommentare der Betroffenen und die Überschriften der großen Berliner, aber auch überregionalen Tageszeitungen kalt lassen. Der DGB spricht von einem „finanzpolitischen Amoklauf“. Der IHK-Präsident schreibt sofort an den Regierenden Bürgermeister und stellt „massive Verunsicherung“ fest. Der Präsident des Landessportbundes sagt, dass Berlin „diesen Finanzsenator nicht verdient hat“. Der „Tagesspiegel“ kommentiert: „Gift für Berlin“. Die „Berliner Morgenpost“ kommentiert, dass „die Tage des politisch instinktlosen Finanzsenators gezählt sind“.
Die „Berliner Zeitung“ spricht von „Sarrazins Geiselnahme“. Die „BZ“ spricht von „einem schonungslosen Schlag ins Gesicht der Berliner“. Selbst das „Neue Deutschland“ – immerhin – vermeldet „Entsetzen über diese Vorschläge“.
Dass Ihnen die Reaktionen der Oppositionsparteien in diesem Parlament lästig und egal sind, wundert uns schon lange nicht mehr. Dass Ihnen allerdings die Reaktionen der Berlinerinnen und Berliner und fast aller gesellschaftlichen Gruppen lästig und egal sind, zeigt nur, was Sie unter Ihrem Mentalitätswechsel wirklich verstehen. [Beifall bei der CDU]
Eine Wahlkampfshow, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, veranstaltet Ihr Spitzenkandidat und Bundestagspräsident Thierse, der vollmundig verspricht, dass eine rot-grüne Bundesregierung nach einem Wahlsieg Berlin endlich das große Geld gibt. Er hat sich zwar sofort eine Absage vom Finanzminister Eichel eingefangen, aber der Regierende Bürgermeister erklärt heute, nachdem er aus dem Hamburger Nachtleben –
herzlich willkommen! – zurückgekehrt ist, er verklage den Bund – egal, wer nach der Wahl regiere. Das ist eine Wahlkampfshow, und das ist vor allen Dingen konzeptlos.
Die lange angekündigte Sparliste aus dem Hause des Finanzsenators ist kein Versehen, sondern ein wichtiges Dokument für die Zukunft Berlins. Über dieses Dokument müssen wir dringend sprechen, und zwar hier im Abgeordnetenhaus von Berlin – in aller Sachlichkeit und vor den Augen der Berliner Öffentlichkeit.
Erstens, weil der bislang eher passiv agierende Berliner Senat sich offenbar zumindest auf das Handeln vorzubereiten scheint.
Zweitens, weil die Geheimniskrämerei um diese Sparliste bezeichnend für das politische Verständnis der Berliner Sozialdemokraten ist. Der Koalitionspartner war nicht informiert. Die Betroffenen werden nicht beteiligt. Die Berlinerinnen und Berliner werden verängstigt.
Drittens, weil diese Liste so aufschlussreich ist, da sie neben Rücksichtslosigkeit und Ratlosigkeit auch ein Dokument der Gefühllosigkeit ist.
Wenn dieses Dokument der Gefühllosigkeit nur eine Liste unbedeutender, – wie Sie sagten, Herr Senator – bleicher und übelriechender Beamter wäre, dürften Sie hier und heute reden und dürften diese Liste selbstverständlich sofort zurückziehen. Aber, Herr Finanzsenator, Sie dürfen heute nicht reden. Als vor einigen Wochen, am Ende der Haushaltsberatung der Regierende Bürgermeister Sie vor aller Öffentlichkeit bloßstellte, dachten wir alle, es handele sich um einen einmaligen Vorgang. Aber, Herr Finanzsenator, dass Ihr Regierender Bürgermeister Sie heute nicht die Große Anfrage beantworten lässt, muss Sie mehr als demütigen.
[Beifall bei der CDU – Doering (PDS): Sie haben Ihre Anfrage doch an den Regierenden Bürgermeister gerichtet!]
Herr Wowereit, Sie haben gesagt, der Finanzsenator sei nur ein Teil der Landesregierung und bestimme nur zu einem Teil die Politik. Die Gesamtverantwortung – da haben Sie Recht – tragen Sie als Regierender Bürgermeister.
Ich ergänze ausdrücklich: Auch wir fühlen uns als Opposition von heute verantwortlich für gemeinsame Jahre in der großen Koalition, in denen in Berlin viel aufgebaut wurde, in denen aber auch Fehler gemacht wurden. Der schwerwiegendste Fehler verbindet uns bis heute mit der Bankenaffäre.