Protocol of the Session on May 30, 2002

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

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Frau Sen Dr. Knake-Werner

Nun zum Skandal um Nitrofen-belastetes Futtermittel, der sich zunächst auf Bioprodukte konzentrierte: Auch nach mehreren Tagen bleiben entscheidende Fragen leider unbeantwortet. Immer noch sind Lieferwege und Erzeugerketten undurchsichtig.

[Hoffmann (CDU): Kümmern Sie sich doch darum!]

Bekannt ist allerdings, dass nur ein Teil des belasteten Weizens in Bioprodukte ging. Damit erweitert sich die Untersuchung auch auf Erzeugnisse aus konventioneller Produktion.

Eins wird daran deutlich: Vorschnelle Urteile über einzelne Betriebe oder den ökologischen Landbau insgesamt sind ebenso fehl am Platz wie der Versuch, auf der Welle dieses Skandals die Agrarwende insgesamt zu beerdigen. Eine Tageszeitung hat in dieser Woche getitelt: „Die Stunde der Scheinheiligen ist gekommen.“ – Ich glaube, da ist ein bisschen was dran.

[Beifall bei der PDS und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Notwendig ist, Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren, sie über mögliche Gefahren aufzuklären, ihnen Tipps zu geben, was sie selbst zu ihrer Sicherheit tun können. Die Verbraucherzentralen in Berlin sind diesbezüglich sehr aktiv und engagiert – die Hotline wurde bereits erwähnt.

Meine Behörde hat umgehend Kontrollen über die Lebensmittel- und Veterinärämter in den Bezirken veranlasst. Zunächst fanden diese Kontrollen in den Bioläden statt, inzwischen auch bei Produkten aus konventioneller Produktion. Bisher gibt es keine Befunde. Auf eine Rückrufaktion haben wir angesichts der unüberschaubaren Situation und auch, weil wir nicht unnötige Ängste schüren wollten, bisher verzichtet. Allerdings haben einige Bioläden Erzeugnisse wie Eier und Geflügelprodukte aus ihrem Sortiment genommen. Das ist verantwortungsvoll und verdient Respekt. Einige Handelsketten haben inzwischen nachgezogen.

Für die Lebensmittelüberwachung haben wir in Berlin eine effektive Struktur mit dem Berliner Betrieb für Zentrale Gesundheitliche Aufgaben, dem vielseits umstrittenen BBGes, und dem Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen, dem ILAT, sowie den Lebensmittel- und Veterinäraufsichtsämtern in den Bezirken. – Herr Matz, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass der Kollege Stadtrat, mit dem Sie gesprochen haben, diese Struktur nicht kennt. – Das ILAT untersucht und beurteilt jährlich an die 20 000 Proben und hat sich schon im BSE-Skandal als ein gründlich arbeitendes Labor bewährt. Der Vorteil ist – das hat schon beim BSE-Skandal eine Rolle gespielt –: Gegenüber privaten Laboren ist das ILAT verpflichtet, die zuständigen Behörden sofort und umfassend zu informieren. Dies gibt mir als Senatorin dann die Möglichkeit, rasch und auf solider Grundlage zu handeln. Deshalb sage ich: Eine notwendige Konsequenz aus diesem aktuellen Lebensmittelskandal muss sein, dass bei begründetem Verdacht von Gesundheitsgefährdung künftig nicht nur staatliche Kontrollstellen, sondern auch private informationspflichtig gegenüber den staatlichen Stellen werden. Das wäre die richtige Konsequenz.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Schon beim BSE-Skandal wurde deutlich, dass private Labore – Bayern war ein typisches Beispiel dafür – stärker kommerziellen Interessen und privatwirtschaftlichem Druck ausgesetzt sind. Das Zurückhalten von Informationen geht dabei aber zu Lasten des Verbraucherschutzes. Insofern ist hier der Ruf nach dem Staat angebracht.

Was kann der staatliche Verbraucherschutz leisten? – Verbraucherschutz kann und will Marktgesetze nicht außer Kraft setzen. Der Dreh- und Angelpunkt für den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern ist Transparenz, ist eine umfassende Information über Produkte, deren Herstellung und deren Herkunft. Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen eine solide Basis, um überhaupt eigenständig über Alternativen entscheiden zu können und ihre Rolle als Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer selbstbestimmt wahrzunehmen. Die Verbraucherpolitik in meinem Haus soll dazu beitragen, dass Menschen dem Markt

geschehen nicht wehrlos gegenüberstehen, sondern selbst zu Akteurinnen und Akteuren werden. Darauf werde ich später noch an anderer Stelle eingehen.

Nun zum zweiten Problem: Euro – Teuro – oder wie auch immer. Die Kritik in der Bevölkerung an der Preisentwicklung nach der Euro-Umstellung ist unüberhörbar. Auch wenn nicht jede Verteuerung nach der Umstellung dem Euro anzulasten ist, ist es doch ganz klar, dass das Unbehagen in der Bevölkerung bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ernst genommen werden muss; es wegzureden, nützt gar nichts. Das Gefühl der Menschen, von der Politik im Stich gelassen zu sein, ist ernst zu nehmen. Schon vor Einführung des Euro wurde von vielen Menschen – auf der Bundesebene insbesondere – vor Preiserhöhungen gewarnt. Aber die Bundesregierung hat in diesem Fall auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen gesetzt und sich auf die Selbstregulierung durch die Marktgesetze verlassen. Beides hat so nicht funktioniert, und die Kontrollen sind im Unterschied zu unseren Nachbarländern, die ganz andere Wege gegangen sind, äußerst schwierig.

Ich nenne nur einige Daten aus der Statistik, um deutlich zu machen, warum auch ich als Verbraucherschutz- und als Sozialsenatorin hier Handlungsbedarf sehe. Man kann nicht sagen, dass ein allgemeiner Anstieg der Lebenshaltungskosten um 1,6 Prozent überdimensioniert sei. Aber man muss in dieser Situation genauer hinschauen. Überdurchschnittlich ist nämlich der Anstieg bei Nahrungsmitteln, alkoholischen Getränken und Tabakwaren in Gaststätten und Dienstleistungen. Aber das ist vielleicht noch gar nicht so brisant. Besonders auffällig sind die Preissteigerungen bei Milch, Backwaren, Kinderkost, Obst und Gemüse, also beim täglichen Bedarf von Familien. Diese sind es auch, die von Teuerungsraten zwischen 5 und 23 Prozent – Tomaten sind mit 50 Prozent Preiserhöhung der typische „Ausreißer“ – betroffen sind. Es sind also die Leute mit den kleinen und mittleren Einkommen, die täglich in ihrem Portemonnaie diese Entwicklung zu spüren bekommen und unmittelbar in ihrer Lebensführung belastet werden. Der Besuch von Restaurants und Cafe´s fällt bei ihnen inzwischen ganz aus, und auch der Friseur und andere Dienstleistungen werden gestrichen. Um zu einer realistischen Einschätzung der Preisentwicklung zu kommen, scheint es mir deshalb wichtig zu sein, dass wir eine Neuberechnung des Warenkorbs bekommen, in dem die Waren des täglichen Bedarfs ausgewiesen sind. Dann wird sich nämlich zeigen, dass es in der Tat die sozial schwächsten Schichten in dieser Gesellschaft trifft.

[Beifall bei der PDS]

Die Verpflichtung zur doppelten Preisauszeichnung, wie sie teilweise in unseren Nachbarländern von Beginn an praktiziert wurde, wäre auch jetzt noch ein wichtiger Schritt. Das schafft nämlich Transparenz und Kontrollmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbraucher. Insofern wäre Preiskontrollpolitik nicht nur Verbraucherpolitik, sondern auch Sozialpolitik.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Nachdem sich auch schon der Vorsitzende des Berliner Einzelhandelsverbands zu einer solchen Maßnahme bekannt hat, wäre es vielleicht gut, wenn der Wirtschaftssenator und ich – als Verbrauchersenatorin – gemeinsam eine solche Initiative starten würden.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Kurz zum Internet: Natürlich gibt es auch hier bereits breite Aufklärung über die Verbraucherzentralen, über die Stiftung Warentest, über Netzwerke von engagierten Nutzerinnen und Nutzern, insbesondere hinsichtlich der Probleme im Zusammenhang mit 0190er-Nummern. Ich glaube, dass das Problem hier genau richtig aufgehoben ist. Die Verbraucherzentralen leisten eine engagierte Arbeit, und die Nutzerinnen und Nutzer organisieren sich selbst. An dieser Stelle hilft Selbstorganisation und Interessenvertretung wirkungsvoller als staatliche Regulierung.

Was machen wir nun in Berlin für Verbraucherinnen und Verbraucher? – Neben dem Netz an verbraucherorientierten Beratungseinrichtungen – die Verbraucherzentralen nannte ich

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Frau Sen Dr. Knake-Werner

schon –, Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen, Initiativen und Zusammenschlüssen zur Medikamenten- und Patientenberatung und vielem mehr gibt es natürlich auch in meinem Haus und den nachgeordneten Einrichtungen eine Vielzahl an hoch qualifizierten Informations-, Beratungs- und Kontrolleinrichtungen für Verbraucherinnen und Verbraucher: Das reicht von Routineüberwachungen im Lebensmittelbereich über technische und Gerätesicherheit und Arbeitsschutz bis hin zu Arzneimittelkontrollen und die Überprüfung von Apotheken gemeinsam mit der Apothekenkammer. Die Vielzahl schon bestehender Aktivitäten zeigt, dass die Verbraucherpolitik ein äußerst weit gefächertes Arbeitsfeld ist.

Ich sehe meine vorrangige Aufgabe zurzeit darin, die bisherige Ressortaufsplittung in meinem Haus aufzuheben und den Verbraucherschutz aus seiner bisher eher marginalisierten Rolle herauszuholen, die vorhandene Kompetenz zu bündeln und damit den Verbraucherschutz insgesamt zu stärken.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Neu ist in unserem Haus – und soll dort auch mit hoher Qualität weiterentwickelt werden – der gesundheitliche Verbraucherschutz. Dazu werden wir Patientenrechte stärken und Patientinnen- und Patientenfürsprecher in den Krankenhäusern schaffen. Wir wollen das Beschwerdemanagement in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer und den dort arbeitenden Selbsthilfeinitiativen ausbauen. Das gilt auch für den Bereich der Pflege.

Der Giftnotruf soll als führendes Giftnotzentrum in der Bundesrepublik gestärkt werden. Ebenso werde ich mich bei der Ende Juni stattfindenden Gesundheitsministerkonferenz in Düsseldorf dafür einsetzen, dass bei der Beratung über die Giftwirkungen auf Embryonen das sich sehr kompliziert nennende, aber sehr wirkungsvolle Institut in Berlin, nämlich das Embryonal-Toxikologische Zentrum, als nationales Referenzzentrum anerkannt wird.

Schließlich wird in meinem Haus derzeit daran gearbeitet, über das Internet einen Wegweiser zur qualifizierten Verbraucherinformation zu erstellen, denn auch für Verbraucherinformationen gilt: Klasse ist mehr als Masse. – Genau das wollen wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern anbieten. Wir arbeiten zurzeit an einer Gesamtübersicht über in Berlin vorhandene Beratungsangebote. Auch diese soll zur Vernetzung und Bündelung von Kompetenz beitragen und helfen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher eine wirklich kompetente Grundlage für Marktentscheidungen bekommen.

Auch in meinem Haus – das wurde vorhin schon gesagt – wird Verbraucherpolitik kein Randaspekt sein, sondern sie wird mit klarem Profil ausgebaut ausdrücklich als Dienstleitungsangebot für Bürgerinnen und Bürger. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Schönen Dank, Frau Senatorin! – Wir kommen nun zur zweiten Rederunde mit fünf Minuten pro Fraktion. Für die CDU-Fraktion tritt Herr Wegner ans Pult. – Bitte, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hertlein, es geht hier nicht um „Wünsch dir was!“ – mitnichten.

[Zurufe von der PDS und den Grünen]

Es geht darum – deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt –, eine besorgte, verständlicherweise verunsicherte Bevölkerung zu informieren, aufzuklären und zu schützen. Das ist unser Anliegen. Es geht weder um „Wünsch dir was!“ noch um Märchen.

Nur über Umwege hat die Bevölkerung erfahren, dass seit Jahren verseuchtes Futtermittel mit hoher krimineller Energie vertrieben wurde und in die Lebensmittelproduktion gelangte. Abgesehen von der völlig unzureichenden Informationspolitik des zuständigen Verbraucherschutzministeriums waren bereits Mitte März – also vor zwei Monaten – in einigen Bundesländern

Hinweise auf Nitrofen aufgetaucht. Heute muss ich aktuell sagen, dass das Ausmaß des neuerlichen Skandals überhaupt noch nicht absehbar ist. Rückblickend ist es offenbar nach dem BSE-Skandal nicht gelungen, ein wirksames Prüfnetz aufzubauen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoff?

Nein. – Dennoch besteht die Notwendigkeit, frühzeitig die Öffentlichkeit bei Gesundheitsgefährdungen zu warnen. Deshalb kann man hier nur von verantwortungsloser Schlamperei in diesem Ministerium sprechen.

[Zurufe von der PDS und den Grünen]

Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass wir nachher den Antrag – und natürlich auch den im Bundesrat – ablehnen.

[Zurufe und Gelächter von der PDS und den Grünen]

Warum tun wir das? – Frau Knake-Werner hat mit „Klasse statt Masse“ abgeschlossen. Genau so ist es. Dieses Gesetz ist viel Masse und hat keine Klasse. Das Verbraucherinformationsgesetz von Frau Künast ist ineffizient, nur bürokratisch. Wir brauchen keine neuen, zusätzlichen Vorschriften. Wir brauchen keine Masse, sondern Qualität. Es kommt auf die Qualität von Informationen an. Machen Sie nicht nur populistische Ankündigungen, sondern tun Sie endlich etwas – auch von Seiten der Bundesregierung!

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Zum sogenannten Teuro: Die Preise sind uns allen bewusst. Es ist präsent, was die Dinge kosten. Natürlich stehen wir als Union zu dem Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft, in dem Angebot und Nachfrage den Preis regulieren. Die wirksamste Waffe gegen den sogenannten Teuro ist der Verbraucher. Wir rufen ihn auf, den Mut zu haben, das Speiserestaurant auch einmal zu verlassen oder den schon gefüllten Einkaufswagen im Supermarkt stehenzulassen, wenn er überhöhte Preise feststellt.