Protocol of the Session on April 13, 2000

Allerdings ist die finanz- und wirtschaftspolitische Misere, in der Berlin steckt, weder nach dem 10. Oktober 1999 entstanden noch ist sie über Nacht gekommen. Sie ist das Resultat von neun Jahren großer Koalition und Klientelpolitik.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Bitte kommen sie mir nicht mit dem Märchen, dass die Haushaltssituation Berlins auf die Herstellung der Einheit zurückzuführen ist. Der weitaus größere Teil der Verschuldung des Landes ist das Ergebnis einer jahrelang verfehlten Prioritätensetzung in der Berliner Haushaltspolitik und Ihrer Klientelbedienungspolitik.

Wenn man sich den Einzelplan 10 im Bezug auf Schule etwas genauer ansieht – ich konzentriere mich auf einige Details –, dann fallen diverse Dinge auf. Das ist einerseits die Erhöhung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl gemäß Haushaltssanierungsgesetz. Das ist eine Maßnahme, die die Belastung der veralteten Berliner Lehrerschaft verstärkt. Zudem verhindert sie die Verjüngung der Lehrerschaft. Andererseits wurde die Lehrmittelfreiheit für die Berufsschule faktisch aufgehoben. Ferner heißt es im Haushaltssanierungsgesetz im Artikel 1 § 4:

Die Einsparungen nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 werden bei den Lehrerstellen auch durch Erhöhung von Klassenfrequenzen, Reduzierung der Mittel für Vertretungsstunden, Reduzie

(A) (C)

(B) (D)

rung von Anrechnungs- und Ermäßigungsstunden ohne Besitzstandswahrung und ohne gleichzeitige Reduzierung von mit der Fusion verbundenen Aufgaben erbracht.

Jemand aus den Reihen der Verantwortlichen möge mir erklären, wie dieser Passus zu verstehen ist! Auch wenn Deutsch nicht unbedingt meine Muttersprache ist, meine ich, diesen Passus verstanden zu haben. Für mich schließt diese Formulierung weder die Reduzierung der Ermäßigungstatbestände aus noch die der Anrechnungsstunden und auch nicht die Erhöhung der Klassenfrequenzen. Uns blühen schlechte Zeiten. Alle Schülerinnen und Schüler, alle Lehrerinnen und Lehrer und alle Eltern, die diesen Passus näher betrachten, können sehen, was auf sie zukommt. Wir lehnen das ab.

[Beifall bei den Grünen]

Ein weiteres Beispiel sind die ehemaligen Standorte des Landesschulamts in der Storkower Straße sowie Am Karlsbad. Beide werden nicht mehr genützt. Trotzdem werden für die Storkower Straße 9,4 Millionen DM Miete gezahlt. Für den Standort Am Karlsbad werden 160 000 DM Bewirtschaftungskosten aufgebracht. Hier hat jemand geschlafen, seine Hausaufgaben nicht gemacht und den Haushalt grundlos belastet. Das müsste angesichts der desolaten Situation nicht sein.

Zu den drei Sportoberschulen: Diese sind nicht ausgelastet und überproportional mit Lehrkräften ausgestattet. Das selbe gilt für die Zahl der Erzieherinnen der beiden Sportinternate. Ein weiteres Beispiel ist die Internationale Gesamtschule, an die sich die Schulverwaltung trotz erheblicher Zweifel hinsichtlich der Finanzierbarkeit klammert und die sie auf Teufel komm raus im kommenden Schuljahr gründen will.

Einige Bemerkungen zum Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm: Es wird mit Stolz verkündet, dass 100 Millionen DM für die Sanierung der maroden Schulbauten und Sportanlagen zur Verfügung gestellt werden. Dabei fällt kein Wort über die Versäumnisse der letzten Jahre und darüber, wie die Bezirke ihren Aufgaben nicht nachgekommen sind und nachkommen könnten. Weshalb sind die Anlagen in einem solch desolaten Zustand? Scheinbar haben Sie in den vergangenen Jahren Ihre Aufgaben nicht erfüllt, denn sonst hätten wir diese Situation nicht. Die 100 Millionen DM sind unzureichend. Sie verkaufen uns und der Bevölkerung das als eine Erfolgsstory. Das werden die Bürger Ihnen auf Dauer nicht abnehmen.

[Beifall bei den Grünen]

Mit unserem Dringlichkeitsantrag „Sicherstellung der Bildung und Erziehung in der Berliner Schule“ haben wir klare Vorschläge gemacht, wie der bildungspolitischen Misere entgegengetreten werden kann – beispielsweise durch die Ausfinanzierung des Lehrerstellenplans, die Einstellung von jungen Lehrkräften, die finanzielle Absicherung der Schulstationen und die Ausstattung mit Computern. Da wir kein Geld drucken können, haben wir konkrete Vorschläge gemacht, woher Geld aus dem Haushalt kommen könnte. Unsere Haushaltspolitiker haben etwa 100 Millionen DM an Kürzungsvorschlägen gemacht, die Sie abgelehnt haben. Das zeigt, wohin Sie mit Ihrer Politik wollen. Sie werden heute entscheiden, was für Berlin wichtiger ist: Jugend oder Prachtbauten und Hauptstadtwahn. Wir werden uns für die Jugend entscheiden und deshalb Ihren Haushalt ablehnen. Ich appelliere an das Haus, das ebenfalls so zu tun!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Für der SPD-Fraktion hat Frau Neumann das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Regierende Bürgermeister zitierte, nur reiche Leute könnten sich einen armen Staat leisten, und er hat Recht. Deswegen wollen wir Sozialdemokraten als Anwalt der armen Leute

[Gelächter bei den Grünen]

dem Staat seine finanzpolitische Handlungsfähigkeit zurückerobern. Herr Müller-Schoenau, Sie können ganz sicher sein, dass wir das im Sinne von und mit Frau Fugmann-Heesing machen. Dies erfordert Härte. Klaus Wowereit hat dargelegt, wen diese Härte alles trifft. Diese Härte trifft auch die Lehrer

[Frau Martins (Grüne): Und die Schüler!]

und dies durchaus in besonderem Maß.

Sie wehren sich dagegen. Wenn dieses Wehren allerdings mit Rechtsbruch und mit der Instrumentalisierung von Kindern geschieht, dann müssen wir das scharf verurteilen, Herr Mutlu.

[Beifall bei der SPD]

Wir können keinen Rechtsbruch unterstützen. Zusätzlicher Stundenausfall und Standespolitik sind keine Bildungspolitik. Eltern haben das erkannt. Herr Böger hat keinesfalls gesagt: Erst die Stundenerhöhung und dann Ruhe oder Stillstand, wie Sie meinen, es verstanden zu haben, Herr Wolf, sondern jetzt müssen auf dieser Grundlage der besser gesicherten Unterrichtsversorgung die entsprechenden Gesetzesvorhaben vorangetrieben werden.

Wir, die SPD, erwarten, dass ein Schulreformgesetz in Angriff genommen wird. Es sollte etwa zu Beginn des Jahres 2001 hier vorliegen.

[Hoff (PDS): Erst müssen Sie sich in der Koalition einigen, da haben Sie schon 4 Jahre lang versagt!]

Nicht schneller, denn wir wollen mit den Betroffenen die Gesetze formulieren und deren Einwände auch berücksichtigen.

[Beifall bei der SPD]

Allerdings erwarten wir, dass bereits im Dialog vielleicht bis Ende Mai die ersten Ziele formuliert sein müssen und werden, denn man braucht zuerst eine Zielstellung und dann die Konkretisierung und Umsetzung.

Es wird nicht reichen, die Reformen nur gedanklich zu formulieren, nein, sie müssen auch umgesetzt werden. Dazu – da haben Sie Recht, Herr Müller-Schoenau – brauchen wir selbstverständlich die Lehrer. Wir brauchen die Professionalität und die Erfahrung von Eltern, Kindern und Lehrern.

[Beifall bei der SPD]

Sie haben Recht, Herr Schlede, wir müssen die Sorgen der Letzteren ernst nehmen.

[Mutlu (Grüne): Dann machen Sie doch etwas! – Hoff (PDS): Davon müssen Sie den Senator überzeugen!]

Ich denke, er ist schon überzeugt, ich muss ihn keinesfalls hier überzeugen. Wir sind in einem ständigen Dialog und möchten ihn nur erweitern. Wir möchten gern, dass die Lehrer wieder von der Straße in die Räume kommen, Unterricht machen und in der Diskussion mitmischen, denn die sind die Vertreter der Professionalität, und wir brauchen sie.

Herr Dr. Steffel hat darauf hingewiesen, welches Fehlverhalten hier vorliegt. Wir dürfen aber nicht nur auf das Fehlverhalten der Lehrer sehen, sondern müssen auch auf das sehen, was sie täglich arbeiten und leisten. Sie haben eine Herkulesaufgabe abzuarbeiten, wobei Herkules, obwohl auch mit Muskeln und Kräften begabt, bisweilen auch phantasievoll und kreativ gehandelt hat. Man denke nur an die Ausmistung des Augiasstalls. Wir brauchen auch entsprechende Phantasie und Kreativität. Da kann ich der Opposition nur Recht geben. Wir müssen den Lehrern Unterstützung und Ermutigung geben. Wir müssen sie in ihrer schweren Herkulesarbeit unterstützen.

[Beifall bei der SPD]

Das wird auch mit dem Umfeld zu tun haben. Wir haben in dem Zusammenhang einen Fehler, den wir gemacht haben, zu korrigieren begonnen. Der Ansatz für die Schulsekretärin wird nicht bei 30 Stunden liegen. Das war einfach zu niedrig. Es ist nicht nur für die Schüler, sondern auch für die Lehrer wichtig, dass dort eine kompetente, sachkundige Assistentin und Ansprechpartnerin vor Ort ist. Die Lehrer müssen von fachfrem

den Tätigkeiten entlastet werden. Da das Ganze unter der Überschrift Haushalt diskutiert wird, kann man auch darauf hinweisen: Ein Teil davon wird durchaus Geld sparen, denn Lehrer sind teuer. Ein einzelner Lehrer kostet zwischen 12 000 DM und 15 000 DM im Monat. Wir müssen darüber hinaus Systembetreuer installieren, denn die Lehrer sollten morgens nicht vor dem Computer und dem Fotokopierer stehen und damit ihre Zeit verbringen. Da brauchen sie Unterstützung. Das Ganze wird allerdings am Maßstab der Chancengleichheit zu messen sein.

Ich sehe die rote Rose und beende meine Ausführungen, deswegen: Beginnen wir mit den Dialog unter der Überschrift Chancengleichheit! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD]

Nunmehr hat Frau Dr. Barth das Wort für die PDS-Fraktion. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahrelang wurde nicht nur für die Schulpolitik eine verfehlte Finanzpolitik betrieben; gleichermaßen trifft das auch auf die Jugendpolitik zu. Auch hier hat sich über die Jahre ein tiefes Loch aufgetan. Es hat mich nicht verwundert, als im vorigen Jahr der Senat sich neu bildete und Ihnen, Herr Böger, dieses Ressort nicht gerade von anderen streitig gemacht wurde. Keiner wollte dieses sogenannte Elendsressort haben – so wurde es von der „Berliner Morgenpost“ bezeichnet, was mich schon erschreckt hat. Aber es ist klar geworden: Defizitverwaltung macht keinen Spaß, und Lorbeeren kann man in diesem Bereich nicht ernten. Doch statt die Herausforderung anzunehmen und die vom Senat einst beschlossenen Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt zur Richtschnur eigenen Handelns zu machen, stehen Sie, Herr Senator Böger, mit Ihrem Haushaltsentwurf für das Kapitel 10 00 in der sozialdemokratischen Tradition Ihrer glücklosen Vorgängerin. Denn die Bedingungen für junge Menschen und Familien mit Kindern in Berlin werden sich mit diesem Haushalt weiter verschlechtern, und das gerade in Bereichen, in denen es um allgemeine Förderung geht, um den Abbau von Benachteiligungen, um Chancengleichheit und Prävention, um den Einstieg ins Berufsleben.

Meine Damen und Herren von der SPD und der CDU, ich vermisse, dass Sie Verantwortung für diesen Bereich übernehmen und Prioritäten für junge Menschen und ihre Familien in dieser Stadt setzen. Wer von sozialer Stadtentwicklung redet, muss zur Kenntnis nehmen, dass in Berlin ca. 100 000 Minderjährige von Sozialhilfe leben. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass der neueste Sozialstrukturatlas bestätigt hat, dass Familien mit Kindern die Stadt verlassen. Dort steht es schwarz auf weiß. Er muss zur Kenntnis nehmen, dass zu wenig Grün in dieser Stadt ist, dass zu wenig Spiel- und Sportplätze vorhanden sind – wir kommen über die 50 % Ausstattung nicht hinaus – und dass es zu wenig Betreuungs- und Freizeitangebote nach der Schule gibt, ob es die Schülerclubs oder die Schulstationen sind. Und schließlich haben Familien in dieser Stadt schlechte Lebensbedingungen und werden im Freizeitbereich zur Kasse gebeten. Der Familienpass macht diese Defizite bei weitem nicht wett.

Besonders am Herzen liegt mir die Förderung von Kindern und Jugendlichen. In Höhe von insgesamt ca. 18 Millionen DM hat unser Senator einen Teil der Regelfinanzierung in die Hände der Lottospielergemeinde gegeben, die jetzt neben Berliner Arbeitsämtern zu den Hauptsponsoren für außerschulische Bildungsarbeit und Freizeitangebote gehören wird. Im Haushaltssanierungsgesetz stellen Sie die Weichen, die Regelfinanzierung weiter einzuschränken, wenn die Zuwendungssummen jährlich pauschal um 5 % weiter gekürzt werden sollen. Das ist unverantwortlich.

Die PDS-Fraktion fordert mehr Regelfinanzierung statt Ausstieg aus der Regelfinanzierung und verlässliche Rahmenbedingungen, Planungssicherheit und mehr und gerechtere Mittelzuweisungen in die Bezirke, damit diese ihrer gesetzlichen Verantwortung nachkommen können. Die PDS-Fraktion schlägt Ihnen deshalb auch vor, die Mehreinnahmen aus unserem Antrag auf Erhöhung der Vergnügungsteuer, der heute in den Haupt

ausschuss überwiesen wurde, sollten zweckgebunden für Kinder- und Jugendarbeit in die Bezirke gegeben und da auch zur Verfügung gestellt werden, exakt pro Kopf der 6- bis 27-Jährigen, damit Verteilungsgerechtigkeit herrscht und nicht diejenigen Bezirke bestraft werden, die bisher Prioritäten für Kinder und Jugendliche gesetzt haben.

Ich möchte zum Schluss sagen: Wenn Sie unsere Anträge abstimmen, sehen Sie sich diese bitte noch einmal genau an. Wir sind davon überzeugt, dass Sie für die Kinder und Jugendlichen dieser Stadt dann etwas Gutes tun, wenn Sie ihnen zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]