Protocol of the Session on March 29, 2000

[Zuruf von Sen Strieder]

und anstehende Kosten für das Olympia-Stadion, für die es keine finanzielle Vorsorge gibt. Das sind nur wenige Beispiele für die Risiken, die innerhalb dieses Haushalts existieren.

Herr Branoner! Sie haben eine Effizienzrendite über 75 Millionen DM bekommen, aber nichts davon wird erbracht werden können. Das ist mittlerweile in dieser Haushaltsberatung schon klar geworden. Das heißt, auch hier Defizite, ungedeckte Versprechen und ungedeckte Schecks.

Im Jugendressort fehlen 40 Millionen DM für die Kitakostenbeteiligung, und bis heute gibt es keinen Deckungsvorschlag. Wahrscheinlich werden Sie wieder die Effizienzrendite erhöhen. Ich will jetzt gar nicht die Liste weiter verlängern. In diesem Haushalt sind Risiken in Höhe von über einer Milliarde DM enthalten, und damit sind die von Ihnen selbst richtig benannten Risiken noch nicht eingerechnet, die sich aus der Politik der Bundesregierung für den Haushalt ergeben und die bei 1,2 Milliarden DM liegen. Wenn man einen solchen Haushalt weiterfährt, obwohl man weiß, dass das Haushaltsjahr 2001 wesentlich schwieriger und komplizierter sein wird als das Haushaltsjahr 2000, weil dann noch einmal eine Absenkung der Ausgaben um 1,2 Milliarden erfolgen muss – wir alle wissen das –, wenn man diese Realität nicht zur Kenntnis nimmt, sich nicht hinsetzt und sagt, was man wirklich ändern muss in dieser Stadt, dann läuft das gegen den Baum. Dann haben wir in einem Jahr im Gesamthaushalt die Situation, die wir heute im Kulturhaushalt haben.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Da der Anlass das Wissenschafts- und Kulturressort ist und dabei ein wesentlicher Anlass die Auseinandersetzung um betriebsbedingte Kündigungen bei der Charite´ gewesen ist, muss man auch Folgendes berücksichtigen: Was im Krankenhausbereich von Herrn Diepgen, von Herrn Orwat und von Frau Hübner an Erblast hinterlassen wurde und was hier an Haushaltsrisiken existiert, das schreit doch zum Himmel! – Erstens wurden 40 Millionen DM an Einnahmen eingestellt, von denen der Rechnungshof sagt, dass sie nicht kommen werden. Zweitens ist das Personalkonzept in Zusammenhang mit der Umsetzung des Krankenhausplanes in Höhe von 356 Millionen mitnichten ausfinanziert. Die Veränderungen, die Sie der AOK versprochen haben, werden wahrscheinlich nicht kommen, weil die Häuser dagegen klagen werden und das Vorhaben deshalb nicht umgesetzt wird. Und der Bund stellt Rückforderungen in Höhe von 146 Millionen DM in Aussicht, weil Sie sich gesetzeswidrig verhalten haben. Das ist die Realität, über die hier geredet werden muss. Mit dieser Politik muss Schluss sein!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Deshalb stelle ich fest: Die Geräuschlosigkeit, mit der der Haushalt – entgegen der sonstigen Gewohnheit – für dieses Jahr verabschiedet wurde, die Stille, die in den ersten hundert Tagen in dieser Regierung herrschte, waren der Versuch noch

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einmal hundert Tage lang die Probleme wegzudrücken. Die Probleme sind jetzt da. Sie sind offensichtlich, und Sie werden nicht die nächsten viereinhalb Jahr diese Probleme weiterhin unter den Tisch kehren können.

Wir stimmen Frau Thoben zu, die sagte: „Die Zeit der Rechenkünstler ist vorbei.“ Jawohl, man kann sich nicht mehr mit Rechentricks über die Runden retten! Es muss darum gehen, dass endlich in dieser Stadt eine realistische Bestandsaufnahme gemacht wird. Wir brauchen einen ernsthaften Kassensturz, nicht fiktive Finanzplanung, nicht den Verzicht auf Investitionsplanung. Die Wahrheit muss auf den Tisch kommen, und auf dieser Grundlage muss man darüber diskutieren, was man sich in dieser Stadt noch leisten kann, wie man mit dieser Misere umgeht. Wir sind bereit, dabei mitzuwirken, aber nur unter einer Voraussetzung: Erst einmal muss die Wahrheit auf den Tisch, und der Offenbarungseid dieser Koalition und der Politik der letzten neun Jahre, die Sie weiter fortführen, muss erst geleistet werden. Aber dann muss man an die Aufräumarbeit gehen!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Frau Richter-Kotowski (CDU): Das ist ja unglaublich!]

Für die Fraktion der CDU hat das Wort der Abgeordnete Landowsky!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wolf, Sie haben so freundlich die letzten neun Jahre angesprochen. Ich weiß, wir kamen in ganz Berlin damals aus goldenen Zeiten. Und nun geht es Ihnen ganz schlecht – insbesondere denjenigen, die Sie vertreten.

Die Haushaltsdebatte werden wir morgen in zwei Wochen führen. Sie haben einen großen Teil Ihrer Rede schon vorweggenommen; was wollen Sie eigentlich dann noch sagen?

[Beifall und Heiterkeit bei der CDU]

Aber bitte – jeder macht das so, wie er es will. Ich werde heute zu dem aktuellen Anlass ein paar Worte sagen. Ich glaube, die anderen sehen das genauso; nach mir spricht die Miss Marple der Kultur, Frau Ströver.

[Beifall und Heiterkeit bei der CDU]

Kultur ist heute auch das Thema.

Ich sage auch etwas zum Rücktritt der Kultursenatorin. Ich habe mich bis heute mit offiziellen Stellungnahmen sehr zurückgehalten. Ich sage heute ganz deutlich: Ich bedauere den Rücktritt außerordentlich. Und für nahezu alle meine Kolleginnen und Kollegen ist es auch eine tiefe persönliche Enttäuschung, dass Frau Thoben ihr Amt in Berlin abgegeben hat. Kultursenatorin in Berlin zu sein, ist ein schwerer Job. Deswegen haben wir uns bei der Wahl derjenigen Person, die wir mit dieser Aufgabe betrauen, außerordentliche Mühe gegeben. Wir haben gefragt: Welches Persönlichkeitsprofil muss jemand haben, der eine solche Aufgabe übernimmt? Es gibt immer zwei Möglichkeiten: Entweder ich nehme jemanden mit Affinität zu Kunst, Kultur und Wissenschaft, oder ich nehme wegen der wirtschaftlichen Probleme, die auch das Kulturressort hat, jemanden mit Managementfähigkeiten, die er in der Wirtschaft bewiesen hat. Wir haben deshalb auf gute Namen wie Wolf Lepenies, Monika Grütters, Erich Thies oder Christoph Stölzl verzichtet

[Heiterkeit bei den Grünen – Zurufe von den Grünen]

und einer Frau die Verantwortung gegeben, die ihre wirtschaftliche Erfahrung über Jahre bewiesen hat.

Heute, hundert und ein paar Tage später, merken wir: Es war ein Irrtum. Der Rücktritt war nicht zwingend. Er war für uns auch überraschend. Und er war deswegen auch nicht zwingend,

[Zurufe von den Grünen]

weil wir im Kreis der Koalition alles daran gesetzt haben, diesem Kultur- und Wissenschaftshaushalt eine Ausgeglichenheit zu geben. Wir werden in 14 Tagen einen Kulturhaushalt verabschieden, der sogar um 67 Millionen DM höher als der letzte ist. Wir

haben auch Mittel bereit und in Aussicht gestellt, die wir eigentlich für Außenfinanzierung für die eine oder andere Aktivität vorgesehen hatten. Das heißt, die finanzielle Lage des Haushalts 2000 kann nicht der Grund gewesen sein, denn wir werden mit wenigen noch zu klärenden Facetten diesen Haushalt verabschieden. Es ist ein Haushalt, der die finanziellen Möglichkeiten des Landes Berlin ausreizt und eine Erhöhung gegenüber dem Vorjahr darstellt. Das ist eine Leistung der großen Koalition.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Wenn Sie heute sagen, Herr Wolf, betriebsbedingte Kündigungen reichten nicht aus, ist das eine Buchhalterdiskussion. Entweder Sie haben einen Gelddrucker – den werden Sie nicht haben –, oder Sie verschleiern vor den Menschen draußen, dass Sie Einrichtungen schließen wollen. Und wir wollen keine Kultureinrichtung schließen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir wollen – und das ist das Ziel der CDU und auch dieser Koalition –, dass Berlin die Stadt der Forschung, der Wissenschaft, der Kunst und der Kultur bleibt. Das ist das einzige asset, das diese Stadt als Vorteil gegenüber allen anderen Regionen der Bundesrepublik hat. Und das bleibt auch so erhalten.

[Beifall bei der CDU – Hoff (PDS): Sagen Sie doch mal, wie!]

Schreien Sie doch bei dem Thema Kultur nicht so!

[Doering (PDS): Uns ist die Kultur wichtig!]

Ein bisschen mehr Sensibilität könnte Ihnen gut tun!

[Zuruf von den Grünen: Die merkt man bei Ihnen an „Miss Marple“!]

Humor war nie Ihre starke Seite, das gebe ich zu. Aber als Kulturmensch müssten Sie doch schon einmal im Kino gewesen sein! Oder? Sie nicht? – Nein, Sie nicht!

[Heiterkeit bei der CDU]

Was ein ernsthafter Einwand ist: Wenn wir jetzt den Haushalt verabschieden und damit in 104 Tagen dieses neuen Senats die Analysen durchgeführt haben werden, bedauere ich es ganz besonders, dass wir nun mit der Senatorin nicht mehr an die Lösung der Probleme für den Haushalt 2001 gehen können. Wir haben gestern noch einmal festgelegt, dass auch die fehlenden 25 Millionen DM für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bereitgestellt werden. Das sind Leistungen, die an die Grenze des Landes gehen. Deswegen: Es war kein Abgang mit Grandezza. Das Modell Lafontaine und Thoben sollte nicht Beispiel in der Republik machen.

[Cramer (Grüne): Warum ist sie denn nun zurückgetreten?]

Wir haben in einem Ausmaß an Solidarität – das sage ich persönlich –, keiner mehr als der Regierende Bürgermeister und Finanzsenator Kurth, hinter der Kultursenatorin gestanden. Jeder, der die Materie kennt, weiß das ganz genau.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von den Grünen – Frau Künast (Grüne): Mit dem Colt!]

Ich habe mich bisher zurückgehalten, aber nun habe ich in den letzten vier Tagen einmal in die Zeitung geguckt. Es ist unglaublich, was dort berichtet wurde. Erst spielte das Panikorchester auf, dann kamen die ganzen Klageweiber, und jetzt ist inzwischen Schlaumeierzeit.

[Cramer (Grüne): Der größte steht da vorn!]

Das ist nun einmal so: Es war vier Monate Ruhe, da haben Sie ganz Recht. Und nun, auf einmal, ist die Kiste aufgemacht. Ich kann das verstehen; es war eben nicht allzu viel los.

[Doering (PDS): Erst muss jemand zurücktreten!]

Einen Vorteil hat die ganze Sache: Die Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland ist überhaupt nicht gefährdet. Es darf unverändert bösartig und auch beleidigend berichtet wer

den, insbesondere zu Ungunsten des Regierenden Bürgermeisters. Sachlich und tatsächlich zutreffend war in manchen Berichterstattungen kaum etwas. Aber das ist das Schöne an der Kultur: Da gibt es nur Fachleute! Im Kino war jeder schon einmal und im Theater auch. Es gibt eine kleine Widerstandsgruppe, die geht auch noch in Opern.

[Heiterkeit bei der CDU]