Protocol of the Session on March 29, 2000

Ich komme zum Schluss. – Räumen Sie doch erst einmal in Ihrem eigenen Stall auf! Sie und Herr Landowsky sind manchmal schon nicht einer Meinung. Und heute entnimmt man den Zeitungen, z. B. dem „Berliner Kurier“, dass die hoffnungsfrohe Nachwuchskraft Monika Grütters sagt: „In der Charite´ gibt es keine andere Möglichkeit als Kündigungen.“ Oder Nico Zimmer, Sprecher der „Jungen Gruppe“, sagt, trotz des Wahlversprechens müsse es jetzt eine Aufhebung des „Kündigungsdenkverbots“ geben.

[Zuruf des Abg. Kittelmann (CDU)]

Herr Diepgen, Sie haben nicht einmal bei sich selbst aufgeräumt und wollen uns die Schuld in die Schuhe schieben. Wir haben eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen gemacht. Wir haben niemandem etwas vorgegaukelt und den Menschen gesagt: „Ihr müsst flexibler sein, und dazu sind Poollösungen notwendig, um Umstrukturierungen und neue Chancen zu erreichen.“ Heute gebe ich Ihnen Ihre Aufforderung zurück, Herr Diepgen. Beschäftigen Sie sich bitte endlich mit den Vorschlägen, die zumindest meine Fraktion seit Jahren macht. Berlin hat Chancen, Berlin hat Möglichkeiten.

[Kittelmann (CDU): Und Sie gehen weg!]

Und es gibt an vielen Stellen die Situation, dass der Ball quasi auf dem Elf-Meter-Punkt liegt. An vielen Stellen kann man strukturell sparen und neue Möglichkeiten eröffnen. Aber Sie machen nicht einmal den Versuch, ein Tor zu Gunsten des Landes Berlin zu schießen. Das ist unser Vorwurf.

[Beifall bei den Grünen]

Mir liegt noch eine Wortmeldung des Abgeordneten Girnus von der Fraktion der PDS vor. Sie haben bis zu sechs Minuten Zeit.

(A) (C)

(B) (D)

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Diepgen! Ich bin wirklich erschüttert.

[Oh! von der CDU]

Sie und die große Koalition – Sie auch, Herr Landowsky, und auch Herr Wowereit – haben versucht, das Problem, um das es hier heute geht, klein zu reden. Und nicht nur das, Sie haben versucht, es schön zu reden.

[Zuruf des Abg. Landowsky (CDU) – Goetze (CDU): Haben Sie überhaupt zugehört?]

Sie haben Nebelkerzen geworfen und damit von dem eigentlichen Problem bewusst abgelenkt. Sie haben keinen konkreten Vorschlag dazu gemacht, wie die Krise bewältigt werden kann – keinen Vorschlag, der nicht schon zigmal hin- und hergewendet wurde und dann abgelehnt werden musste, weil das Vorgeschlagene um das Mehrfache teurer würde als die Fortschreibung des Bestehenden.

Wenn ich ein Fazit ziehen sollte, haben Sie gesagt: „Eigentlich ist doch alles paletti.“ Die chronische Unterfinanzierung von Kultur und Wissenschaft wollen Sie in den Griff bekommen, aber mehr Geld gibt es nicht. Mit anderen Worten: Warum Frau Thoben überhaupt zurückgetreten ist, müsste uns allen ein Rätsel bleiben.

[Landowsky (CDU): Richtig!]

Ihre Berufung war ein Irrtum; sie war eine Fehlbesetzung. Und – Herr Landowsky –: Wenn Sie uns auf Kulturveranstaltungen nicht sehen, dann hat das für uns nur eine Erklärung: Entweder Sie haben ein sehr selektives Wahrnehmungsvermögen,

[Landowsky (CDU): Das ist wahr!]

oder Sie sind nicht auf diesen Kulturveranstaltungen.

[Beifall bei der PDS – Zuruf des Abg. Landowsky (CDU)]

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Am Rücktritt von Frau Thoben wird eben doch eine politische Krise des Senats offenbar. Diese ist an einer sehr sensiblen Stelle akut geworden – sensibel deshalb, weil jetzt der finanzielle Crashkurs an einer Stelle zum Bruch geführt hat, von der die Öffentlichkeit breit berührt ist und die die Öffentlichkeit deshalb sehr intensiv wahrnimmt. Und das gilt für alle Menschen, die Bildung, Kultur und Wissenschaft nicht als Ware, nicht als Event betrachten, sondern als echtes Bedürfnis und unverzichtbar für ihr Leben.

Das finanzpolitische Desaster in der Berliner Kulturpolitik – und nicht nur dort, sondern in der Berliner Politik überhaupt – ist nicht erst mit dem Rücktritt von Frau Thoben offenbar geworden, sondern es liegt am „System Diepgen“. Und das wiederum hat dessen Duzfreund Peter Radunski so perfekt beherrscht und praktiziert, dass wir heute vor einem Trümmerhaufen stehen. Dieses System der finanzpolitischen Verschleierungen, der versteckten Haushaltslöcher, Buchungstricks und Mauscheleien hat Frau Thoben zu einer Gratwanderung getrieben zwischen ihrem politischen Engagement für betriebsbedingte Kündigungen, den finanzpolitischen Zwängen und der Hinterlassenschaft ihres Vorgängers auf der einen Seite und ihrem Versprechen für den Erhalt der Berliner Kulturlandschaft in Vielfalt und Qualität auf der anderen Seite. So eine Gratwanderung ist objektiv nicht zu bewältigen. Die Probleme für Wissenschaft und Kultur waren schon vor ihrer Berufung bekannt und sind in der Presse weidlich und anschaulich vorgeführt worden. Dazu gehört die seit Jahren chronische Unterfinanzierung des Kultur- und Wissenschaftshaushalts durch die Absenkung des Etats um über eine Milliarde DM. In den Theatern wurde Personal in einer Größenordnung von 10 bis 20 % abgebaut, Vorderhauspersonal wurde ausgegliedert, technisches Personal ist so „ausgedünnt“, dass manchmal an einem Tag zugleich nicht mehr geprobt und eine Vorstellung gespielt werden kann. Chöre, Ballette, Orchester sind so weit abgebaut, dass Dirigenten und Intendanten ernsthaft daran denken, Berlin zu verlassen.

Von der Verantwortung für die bezirkliche, dezentrale, Kulturarbeit hat man sich auf Senatsseite ganz verabschiedet. Musikschulen sollen auf das bundesweit niedrigste Niveau zurechtge

stutzt werden. Öffentliche wie wissenschaftliche Bibliotheken können Bücher und Zeitschriften nur noch begrenzt anschaffen. Die Förderung der multikulturellen Projekte bewegt sich inzwischen im unteren Promillebereich. Freie Träger und kleine Kulturprojekte sind permanent durch Haushaltssperren und Kürzungen in ihrer kontinuierlichen Arbeit behindert. Und wie oft wird ein Projekt von Arbeitslosen weitergeführt, um die Zeit der Not zu überbrücken! Statt Arbeit im Kulturbereich zu schaffen, werden Arbeitsplätze in Frage gestellt. Und wie sind wir alle an der Nase herumgeführt worden, wenn es wieder ein Versprechen zur Wiedereröffnung des Metropol-Theaters gab! Der Etat des geschlossenen Theaters wurde dreimal ausgegeben, ohne dass sich seit 1997 einmal der Vorhang gehoben hat.

Die Berliner Kultureinrichtungen und Hochschulen sind zu Strukturreformen bereit. Sie müssen nur zu dem Ziel führen, Planungssicherheit zu gewährleisten. Dafür haben wir mit unserem Antrag notwendige Schritte vorgeschlagen. Voraussetzung für das Greifen ist allerdings der radikale Bruch mit dem „System Diepgen“, mit dem System der großzügigen Versprechung „Lass mal, wir werden das schon richten!“ Und wenn es „dumm“ läuft, dann heißt es eben „Bemühenszusage“. Voraussetzung für das Greifen unserer Vorschläge ist ein radikaler Bruch mit der Politik des Laisser-faire und des Weiterwurstelns.

Herr Abgeordneter! Sie müssen zum Schluss kommen!

Solange Sie das praktizieren, wird es Nachahmer und Trittbrettfahrer geben. Dazu abschließend ein Beispiel: Vor wenigen Jahren wurde an der Technischen Universität ein Frankreich-Zentrum gegründet. Dem lag ein geisteswissenschaftlich wirklich innovatives Konzept zu Grunde. Genutzt haben es karrierebewußte Akademiker, um in Zeiten des beruflichen Überlebens zunächst die Initiatoren hinauszudrängen, dann konservative Inhalte zu etablieren, damit die Innovation zu zerstören und schließlich das Ganze so gegen den Baum zu fahren, dass der Wissenschaftsrat demnächst die Schließung des Frankreich-Zentrums empfehlen wird. Aber das reicht noch nicht; jetzt kommt das „System Diepgen“. In dieser verfahrenen Situation beschließen die TU-Spitze und die Wissenschaftsverwaltung gegen das Votum des akademischen Senats, eine C 4-Professur für ein Fach in dieses Zentrum zu berufen, für das es überhaupt keinen Bedarf gibt. Und sie versprechen dazu eine heute extraordinär luxuriöse Amtsausstattung mit drei Assistenzstellen, davon eine C 1/C 2-Stelle für einen Anglisten, vier Tutoren, 80 000 DM für Literaturbeschaffung, 25 000 DM für Informationstechnik.

Das ist die Fortsetzung des Systems Diepgen in nachgeordneten Einrichtungen. Warum soll dort nicht getrickst und geschoben werden, nicht anders als im Senat?

Herr Girnus! Ich habe Ihnen jetzt genügend Redezeit gegeben, Sie hatten mir gesagt,

[Kittelmann (CDU): Er hat nichts gesagt!]

dass Sie zum Schluss kommen wollen. Nun bitte ich Sie, wirklich zum Ende zu kommen!

Geben Sie sich einen Ruck, machen Sie mit diesem System Schluss, dann wird Ihnen auch die wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz nicht davonrennen, dann hat Berlin wirklich einen Gewinn davon. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall von der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Goetze (CDU): Ist das hier ein Stasikulturhaus?]

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, damit ist die Aktuelle Stunde erledigt.

(A) (C)

(B) (D)

Präsident Führer

Wir haben heute noch zwei Anträge vorliegen: einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachennummer 14/299 und einen Antrag der Fraktion der PDS mit der Drucksachennummer 14/303.

Hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung beider Anträge an den Kulturausschuss und an den Hauptausschuss. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist das so überwiesen.

Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Die nächste und neunte Sitzung ist am Donnerstag, den 13. April und beginnt um 9.00 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.

[Schluss der Sitzung: 11.11 Uhr]

Druck: Verwaltungsdruckerei Berlin, Kohlfurter Straße 41/43, 10999 Berlin