Protocol of the Session on September 13, 2001

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 33. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie in diesen schwierigen Stunden und schwierigen Tagen als unsere Gäste, Zuhörer und Zuschauer sehr herzlich.

Ich bitte Sie, eine Minute derer zu gedenken, die durch diese schrecklichen Taten zu Tode gekommen sind.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Ich danke Ihnen!

Ich b e g r ü ß e d e n G e s a n d t e n u n d B o t s c h a f t s r a t d e r Ve r e i n i g t e n S t a a t e n v o n A m e r i k a , H e r r n D a v i d Wo l f s o n , in unserer Mitte. Seien Sie herzlich willkommen!

[Allgemeiner Beifall]

Meine Damen und Herren! Es gibt auch Geschäftliches abzuwickeln. Zu Beginn unserer Sitzung – es ist ja keine normale Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin – weise ich auf die Ihnen vorliegende K o n s e n s l i s t e und die von mir vorab bzw. vom Ältestenrat vorgeschlagenen Überweisungen hin. – Widerspruch höre ich nicht. Dann sind die Vorschläge der Konsensliste so erledigt. Die formalen I. Lesungen der Gesetzesvorlagen bzw. der Anträge haben damit stattgefunden. Ich stelle das so fest. Die ü b r i g e n Ta g e s o r d n u n g s p u n k t e der Ihnen heute vorliegenden Einladung sind v e r t a g t.

Meine Damen und Herren! Wir stehen alle unter dem Eindruck der Katastrophe, von der die Vereinigten Staaten von Amerika betroffen sind, und es fällt schwer, überhaupt Worte zu finden für das, was sich am Dienstag ereignet hat. Fassungslos und entsetzt haben wir die Bilder und Berichte zur Kenntnis genommen. Wir alle sind erfüllt von tiefer Trauer um die Opfer dieses grauenhaften und beispiellosen Anschlags. Ihre Zahl geht vermutlich in die Tausende. Fanatiker haben bisher Unvorstellbares getan. Ihre Menschenverachtung ist unfassbar.

Dies war nicht nur ein Anschlag auf Amerika, sondern ein Attentat auf die Gemeinschaft der freien Völker. Wir Berlinerinnen und Berliner sind zutiefst betroffen, denn wir sind den Vereinigten Staaten von Amerika durch die Nachkriegsgeschichte unserer Stadt besonders eng verbunden. Wir fühlen mit den Menschen in Amerika, wir teilen ihren Schmerz. Die Amerikaner haben auch in schweren Stunden mit uns gefühlt und zu uns gestanden. Wir konnten uns auf die Vereinigten Staaten von Amerika immer verlassen, nicht nur auf die jeweilige Regierung, sondern immer auch auf das Volk. Hier in Berlin – auch im wiedervereinigten Berlin – ist nicht vergessen, was wir den Vereinigten Staaten verdanken.

[Allgemeiner Beifall]

Dass die Berliner in Ost und West heute gemeinsam in Freiheit leben können, ist den Vereinigten Staaten von Amerika und den beiden anderen ehemaligen Schutzmächten – Großbritannien und Frankreich – zu danken.

In den schwierigen Jahrzehnten der Berliner Nachkriegsgeschichte haben die Amerikaner aus ihrer Grundüberzeugung heraus, dass Freiheit und Demokratie erhalten werden müssen, die Existenz und Freiheit des westlichen Teils Berlins gegen jede Bedrohung von außen verteidigt. An einer Nahtstelle des Kalten Krieges haben sie – ohne Wenn und Aber – für uns Flagge gezeigt. Wenn das freie Berlin bedroht war, haben die Amerikaner – über alle innenpolitischen Differenzen hinweg – hinter ihrer Regierung gestanden. Tagespolitische Auseinandersetzungen waren vergessen, wenn es um die gemeinsamen Werte und Überzeugungen ging.

Wir erinnern uns an die Luftbrücke der drei Westalliierten, als 1948 die damalige Sowjetunion durch Sperrung der Landwege zum Westteil Berlins eine Blockade verhängte. Von Juni 1948 bis Mai 1949 brachten Flugzeuge tonnenweise Versorgungsgüter in die Stadt, deren Freiheit dadurch bewahrt werden konnte. Viele Piloten und Helfer der Luftbrücke kamen dabei ums Leben. In Amerika, Großbritannien und Frankreich hörte man die Worte

Ernst Reuters auf dem Platz der Republik am 9. September 1948: „Ihr Völker der Welt,... schaut auf diese Stadt... Helft uns nicht nur mit dem Dröhnen eurer Flugzeuge, nicht nur mit den Transportmöglichkeiten, die Ihr hierher schafft, sondern mit dem standhaften und unzerstörbaren Einstehen für die gemeinsamen Ideale.“ – Die drei Mächte – an ihrer Spitze die Vereinigten Staaten – haben diese Standfestigkeit vielfach und erfolgreich bewiesen.

In der Zeit der Blockade und der Luftbrücke ist in Berlin im gemeinsamen Kampf um die Freiheit jene tiefe Freundschaft gewachsen, die seither Amerikaner und Deutsche verbindet. Ein politisches Ziel und gemeinsame Ideale wurden in beiden Ländern zur Herzensangelegenheit. Das eindrucksvolle Symbol dafür ist die Freiheitsglocke. Sie war das Geschenk von 16 Millionen Bürgern der USA an die Berliner für das Durchhaltevermögen und den Freiheitswillen während der harten Blockademonate. Die Freiheitsglocke war aber auch ein Bekenntnis zur Zukunft des freien Berlin. Denn die 16 Millionen Amerikaner hatten einen Freiheitsschwur unterzeichnet, der mit der Glocke nach Berlin geschickt wurde.

Unvergessen ist auch der Bau der Mauer im August 1961 – die wohl größte Herausforderung der Nachkriegszeit für alle Berlinerinnen und Berliner. Die Amerikaner konnten den Mauerbau nicht verhindern. In klarer Abwägung der komplizierten Vertragssituation in Berlin bewahrten sie aber ihre Rechte in der Stadt und ihre Anwesenheit, die allein die Freiheit garantierte.

Dann – im Juni 1963 – der Besuch von John F. Kennedy in Berlin: Hunderttausende an den Straßenrändern, Stunden der Euphorie, des Jubels und der Erleichterung. Schließlich Kennedys Worte vor dem Rathaus Schöneberg: „Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt Westberlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner!“ – Ein Besuch, der den Berlinerinnen und Berlinern Mut gab und die Gewissheit, dass sie auch weiterhin auf den Schutz der Weltmacht USA vertrauen konnten.

Aber es gab auch in Westberlin eine Zeit, in der die Politik der USA nicht ungeteilte Zustimmung fand. Während des Vietnamkrieges fanden auch hier antiamerikanische Demonstrationen statt. Diese Kritik hielt sich bis in die achtziger Jahre. Doch es war eine Minderheit, die sich daran beteiligte. Die große Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner war auch in dieser Zeit den Vereinigten Staaten freundschaftlich verbunden.

1983 war der Besuch des damaligen Präsidenten und unseres späteren Ehrenbürgers Ronald Reagan von Demonstrationen begleitet. Dennoch hat sich Präsident Reagan nicht davon abhalten lassen, uns 1987 erneut zu besuchen und hier für die Einheit einzutreten. Seine Ansprache vor dem Brandenburger Tor war ein eindrucksvolles Zeugnis der deutsch-amerikanischen Verbundenheit. Unvergesslich sind seine Worte vor dem Brandenburger Tor: „Mister Gorbachev, open this gate! Mister Gorbachev, tear down this wall!“

Wichtige Repräsentanten dieser Freundschaft waren übrigens die Soldaten der Alliierten in Berlin. Wie sehr sie mit den Berlinern verbunden waren, zeigte sich bei ihrem Abschied von der Stadt, der vielen Berlinerinnen und Berlinern auch persönlich sehr nahe ging.

Nahezu symbolisch für die Verbundenheit zwischen Amerikanern und Berlinern war es schließlich, dass 1990 der damalige Präsident der USA und unser heutiger Ehrenbürger von Berlin, George Bush, es war, der durch sein klares Eintreten für die Einheit unseres Landes den Zweiflern einen klaren Weg vorgab.

Durch seine Nachkriegsgeschichte ist Berlin mit dem amerikanischen Volk stärker verbunden als jede andere Stadt in unserem Land. Die Chronik dieser Freundschaft umfasst Jahrzehnte gemeinsamer Herausforderungen, gemeinsamer harter Prüfungen und gemeinsamer Erfolge. Ich scheue mich nicht, die Verbundenheit der Berlinerinnen und Berliner mit den Amerikanern eine Herzensangelegenheit zu nennen. Wer die schweren Zeiten unserer Stadt miterlebt hat, weiß, dass hier etwas gewachsen ist, das uns auf Dauer verbindet. Dies muss man wissen, um zu verstehen, dass die Bilder und Nachrichten von dem grauenhaf

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Präsident Führer

ten Verbrechen in den USA die Berlinerinnen und Berliner bis ins Mark getroffen haben. Leid, das unseren Freunden zugefügt wird, ist auch unser Leid.

Aber die Menschen in unserer Stadt fragen jetzt auch danach, wie es nun weitergehen wird. Sie haben die Sorge, dass auch unser Land von Terroranschlägen betroffen sein kann oder dass es nach dem Anschlag von Dienstag nun Reaktionen und Gegenmaßnahmen geben könnte, an denen wir beteiligt werden. Dass auch Berlinerinnen und Berliner Angst haben, ist verständlich. Wir müssen diese Probleme und Sorgen ernst nehmen.

Nach dem grauenhaften Anschlag auf die USA ist nichts mehr so, wie es war. Wir müssen nun – noch entschiedener als früher – gemeinsam gegen Hass, Gewalt und Extremismus vorgehen, denn sie sind oft die Saat solcher Taten. Auch wenn nach den ersten Untersuchungen die Anschläge aus dem arabischen Raum zu kommen scheinen, ist es unsere Pflicht, pauschalen Verurteilungen deutlich entgegenzutreten.

[Allgemeiner Beifall]

Wir müssen auch im Alltag all jenen widersprechen und entgegentreten, die – offen oder verdeckt – Hass predigen und Gewalt für ein zulässiges Mittel zur Lösung von Problemen halten. Wir müssen die jungen Menschen in unserem Land immer wieder darüber informieren, wie verhängnisvoll Extremismus jeder Art ist. Gerade Deutschland hat dies in der Vergangenheit schmerzlich erfahren. Wir müssen unseren Kindern und Jugendlichen wieder Werte vermitteln: Toleranz, Nächstenliebe, Achtung der Menschenwürde, Gerechtigkeit.

Noch immer sind die Ereignisse vom Dienstag für uns alle unfassbar. Das Abgeordnetenhaus von Berlin trauert um die Opfer des Anschlags. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen, wir stehen an ihrer Seite. Viele Berlinerinnen und Berliner haben in den vergangenen zwei Tagen an vielen Stellen der Stadt ihre große Anteilnahme gezeigt.

Morgen werden wir noch einmal bekunden, dass wir an der Seite des Volks der Vereinigten Staaten von Amerika stehen. Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben für Freitag, 17.00 Uhr, vor dem Brandenburger Tor zu einer großen Kundgebung unter dem Motto „Keine Macht dem Terror – Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ aufgerufen. Ich rufe alle Berlinerinnen und Berliner im Namen aller Fraktionen dieses Hauses auf, daran teilzunehmen. – Ich danke Ihnen!

[Allgemeiner Beifall]

Zu einer

Regierungserklärung

hat nun der Regierende Bürgermeister Wowereit das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Gesandter! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vereinigten Staaten von Amerika waren am Dienstag Schauplatz eines entsetzlichen Verbrechens und einer menschlichen Tragödie. Unsere Gedanken sind beim amerikanischen Volk.

Wir trauern um die Menschen, die dem Terror zum Opfer gefallen sind. Niemand weiß, wie viele es schließlich sein werden.

Wir denken in diesen schweren Stunden vor allem an die vielen Hinterbliebenen und diejenigen, die seit Dienstag nicht wissen, ob ihre Verwandten, Freunde oder Bekannten noch leben. Mit dieser Ungewissheit müssen in diesen Tagen Tausende von Menschen in aller Welt leben, auch in Berlin.

Es fällt schwer, über das zu sprechen, was am Dienstagmorgen in New York und in Washington passiert ist. Wir alle spüren das. Und die Berlinerinnen und Berliner haben es auf ihre Weise ausgedrückt. Auch wo es sonst hektisch zugeht, herrschte

bedrückte und ernste Stimmung. Sie war geprägt durch Anteilnahme und durch spontane, tief empfundene Solidarität mit dem amerikanischen Volk. Auf vielen Plätzen und Straßen der Stadt kamen Menschen zum stillen Gedenken zusammen und bildeten Lichterketten. Gottesdienste boten einen würdigen Rahmen für Besinnung, Gebet und Trauer. Wir erleben in diesen Tagen eine beeindruckende Welle der Hilfsbereitschaft und der Solidarität mit den Menschen in den USA.

Die Berlinerinnen und Berliner – das wird in diesen Tagen deutlich – fühlen sich den Vereinigten Staaten von Amerika fest verbunden, fester denn je. Dies habe ich eben auch noch einmal mit meinem Eintrag in das Kondolenzbuch in der US-Botschaft und in einem Gespräch mit dem Botschafter, Herrn Coats, persönlich zum Ausdruck gebracht.

Die Vereinigten Staaten waren es, die unsere Freiheit im Westteil Berlins garantierten. Und jetzt sind es die Vereinigten Staaten, deren freiheitliche Werteordnung zum Ziel eines terroristischen Anschlags geworden ist. Aber: Getroffen wurden nicht allein die Vereinigten Staaten. Auch wir wurden getroffen. Es ist auch unsere Freiheit, es ist auch unsere Offenheit der Gesellschaft. Letztlich sind es unsere Werte vom zivilisierten Zusammenleben in einer Demokratie. Wir teilen sie mit den USA. Deswegen ist unser Gefühl auch mehr als Mitleid mit den Opfern und Solidarität mit einem betroffenen Land.

In vielen von uns läuft in diesen Tagen eine Art innerer Film ab. Wir erinnern uns an zwei Ereignisse, die wir Berlinerinnen und Berliner nicht vergessen werden: an die Luftbrücke, mit der das Überleben der Westberliner Bevölkerung während der sowjetischen Blockade ermöglicht wurde, und an die Rede von John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus, mit der er den Berlinerinnen und Berlinern in einer schweren Zeit den Rücken stärkte und Mut machte.

Das amerikanische Volk hat stets fest zu Berlin gestanden. Über Jahrzehnte hinweg waren es die USA, die maßgeblich dazu beitrugen, die Hoffnung der Berlinerinnen und Berliner in beiden Teilen der Stadt auf eine Wiedervereinigung am Leben zu halten. Heute, ein gutes Jahrzehnt nach der Vereinigung, ist es eine Selbstverständlichkeit für alle Berlinerinnen und Berliner, dass dies auch umgekehrt gilt, dass wir fest zum amerikanischen Volk stehen.

Ich freue mich, dass es gerade auch die vielen Schülerinnen und Schüler sind, die auf Straßen und Plätzen Berlins und in den Schulen ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Auch das zeigt, wie tief die Verbundenheit mit dem amerikanischen Volk in Berlin ist.

Noch am Tage der Anschläge habe ich im Namen des Senats dem Präsidenten der Vereinigten Staaten geschrieben und ihm sowie den Angehörigen der Opfer dieser terroristischen Anschläge und dem gesamten amerikanischen Volk unser tief empfundenes Mitgefühl versichert.

Für Spekulationen über die Urheberschaft der schrecklichen Attentate ist jetzt nicht die Zeit. Unabhängig davon steht fest: Die Attentate sind nicht anders zu verstehen als eine Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt.

[Allgemeiner Beifall]

Sie sind ein fundamentaler Angriff auf die Grundwerte nicht nur der US-amerikanischen Werteordnung. Sie sind ein Angriff auf das freiheitliche Gesellschaftssystem. Sie sind ein Angriff auf eine Werteordnung, der die Menschenrechte und die Würde des Menschen zu Grunde liegen.

Landesbischof Huber hat gestern als Theologe klargestellt, dass es keinen Glauben an Gott gebe, auf den man sich zur Rechtfertigung solcher Verbrechen berufen könne.