Protocol of the Session on July 12, 2001

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die hohe Dynamik und rasante Entwicklung des Standorts Berlin auf diesem Sektor zeigt sich durch eine Verdopplung der 450 Unternehmen auf knapp 900 mit ca. 10 000 Mitarbeitern im letzten Jahr und einem Umsatzvolumen von rund 1 Milliarde DM. Doch bei aller Dynamik des wirtschaftlichen Mittelstands und bei allem Einsatz der Unternehmerinnen und Unternehmer in kleinen und mittleren Unternehmen bleiben doch strukturelle Nachteile gegenüber größeren Wettbewerbern. Diese Nachteile in vertretbarem Umfang auszugleichen, ist wichtigste Aufgabe einer jeden Politik für den Mittelstand. Hierbei muss jedoch der Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe im Zentrum stehen. Es kann nicht darum gehen, Unternehmen, weil sie kleiner sind als andere, dauerhaft helfen zu wollen. Dies würde nicht nur die Kraft der Wirtschaftspolitik übersteigen, es wäre auch kontraproduktiv. Denn auch die optimale Unternehmensgröße sollte sich am Markt herausbilden und nicht von der Politik bestimmt werden. Dennoch gilt es, durch marktkonforme Maßnahmen kleine und mittlere Unternehmen an Wachstumsschwellen in die Lage zu versetzen, aus eigener Kraft leistungs- und wettbewerbsfähiger zu werden und zu wachsen.

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gräff?

Nein, im Augenblick nicht! – Hierzu dient das Wirtschaftsförderinstrumentarium des Bundes und des Landes. Während die Bundesprogramme vor allem Kapitalhilfen leisten, entweder durch Zinsverbilligungen oder Eigenkapitalhilfen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank, konzentriert sich die Wirtschaftsförderung des Landes Berlin auf die Gewährung von Investitionszuschüssen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, mit ihnen wird das Wachstum von kleinen und mittleren Unternehmen gefördert, und auf die Übernahme von Bürgschaften und Garantien, um den Kreditrahmen für Investitionsvorhaben zu erweitern. Ferner sind hier zu nennen die Innovationsförderung, um kleine und mittlere Unternehmen bei komplexen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, oftmals in Kooperation mit Wissenschaftseinrichtungen, zu unterstützen. Weiterhin gibt es die Außenwirtschaftsförderung, mit der die Exportfähigkeit des Berliner Mittelstands verbessert werden soll.

Damit kann ich auch gleich Ihre Frage 9 beantworten. Die Globalisierung betrifft nicht nur große, transnationale Unternehmen, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen. Auch der Mittelstand, der auf regionale und internationale Märkte orientiert ist, gerät zunehmend unter den Einfluss wachsender Verflechtungen der Märkte. Die Antwort hierauf kann nur lauten: Stärkung des eigenen Marktauftritts zu Hause und sich selbst der Herausfor

(A) (C)

(B) (D)

Sen Freifrau von Friesen

derung auf internationalen Märkten zu stellen und zu exportieren. Hier bietet das Außenwirtschaftsförderprogramm neue Märkte und erschließt vielfältige Möglichkeiten der Anschubfinanzierung. So kann die Teilnahme an Unternehmerreisen, Firmenpools, an Messen-, Kontakt- und Kooperationsbörsen sowie Firmen- und Produktpräsentationen im Ausland unterstützt werden. Ebenso gefördert wird die aktive Teilnahme an Fachveranstaltungen und Symposien mit internationalem Bezug. Zuschüsse können gewährt werden zu Print- und Multimediaund auch zu virtuellen Präsentationen.

Ferner gehören hierzu die Schulung von Mitarbeitern eigener Niederlassungen sowie ein Pre-Market-Check und Export-coaching, die ebenfalls unterstützt werden können.

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Was ist das denn?]

Fitmachen für den Export.

[Schlede (CDU): Dann sagen Sie das doch!]

Ich habe es zitiert aus dem Programm.

Frau Senatorin! Ich muss Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie grundsätzlich keine Zwischenfrage? Ich habe hier wieder eine Wortmeldung.

Ich bitte, davon abzusehen. – Mit dem heute verabschiedeten Nachtragshaushalt gehe ich davon aus, dass die Mittelsperren, die in den letzten Monaten die Auszahlung von Fördermitteln blockiert haben, aufgehoben werden.

All diese Fördermaßnahmen stehen, um Ihre Frage 8 zu beantworten, selbstverständlich auch dem Handwerk offen, das zentraler Bestandteil und in gewisser Weise das Herzstück des Berliner Mittelstandes ist, da es in fast allen Wirtschaftszweigen vertreten ist. Darüber hinaus besteht mit der Meistergründungsprämie ein speziell auf Existenzgründung im Handwerk ausgerichtetes Instrument, mit dem allein im Jahr 2000 240 Existenzgründungen gefördert werden konnten. Das Aktionsprogramm Handwerk wird fortgesetzt, um eine aktive und zukunftsorientierte Gestaltung des Wandels durch das Handwerk mit adäquaten Rahmenbedingungen zu begleiten und die Weiterentwicklung dieses Wirtschaftszweiges aus eigener Kraft zu unterstützen.

Zur Frage 10: Entscheidend für die Entwicklungsfähigkeit des Mittelstandes in Deutschland und in Berlin ist jedoch der Zugang zum Kapital. Mit rund 17 % in den alten und 14 % in den neuen Bundesländern ist die Eigenkapitalausstattung der mittelständischen Unternehmen im internationalen Vergleich deutlich unterdurchschnittlich. In den alten Bundesländern weisen 50 %, in den neuen Bundesländern sogar 70 % aller Unternehmen eine Eigenkapitalausstattung von unter 20 % auf. Im Vergleich hierzu hat ein gutes börsennotiertes Unternehmen eine Eigenkapitalquote von rund 40 %. In Berlin sind die Kennzahlen tendenziell noch schlechter. Bei 50 % der Unternehmen liegt die Eigenkapitalquote unter 10 % und nur 7 % der Unternehmen weisen eine Eigenkapitalquote von 30 % und mehr auf. Das ist bedrohlich, denn Eigenkapitalschwäche zählt neben wachstumsbedingten Managementproblemen zu den Hauptgründen des Scheiterns oder mangelnden Florierens von kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Die Diskussion um Basel II bringt hier weitere Brisanz hinein. Es gibt berechtigte Befürchtungen, dass die zu erwartenden neuen Eigenkapitalrichtlinien für die Kreditvergabe der Banken dem Mittelstand in Deutschland und damit auch in Berlin jedenfalls nach heutigem Stand den Zugang zum Kapital weiter erschweren, weil Mittelstandskredite unter dem Strich teurer werden dürften. Hier gibt es keine einfache Lösung,

[Atzler (CDU): Sondern?]

und es ist, das ist meine Überzeugung, ein Problem, das letztlich der Markt lösen muss. Bei rund 100 000 betroffenen Unternehmen allein in Berlin ist es für jedermann ersichtlich, dass direkte staatliche Hilfen schon vom Volumen her nur ein Tropfen auf den

heißen Stein sein können. Allerdings darf und wird die Politik im Interesse des Mittelstandes auch nicht die Hände in den Schoß legen und abwarten.

Ich sehe zwei Ansatzpunkte: Erstens: Es muss das auf Massengeschäft ausgelegte Förderinstrumentarium des Bundes, das jetzt bei der Deutschen Ausgleichsbank konzentriert ist, neu ausgerichtet werden. Zweitens: Die Entstehung von neuen Formen von Beteiligungskapital muss unterstützt werden. Vor allem bei letzterem können Einrichtungen wie die IBB als Landesstrukturbank Berlins eine zentrale Pionieraufgabe übernehmen. Was im Bereich des Risikokapitals bei technologieorientierten Unternehmen in Deutschland geglückt ist, der Aufbau eines breiten Marktsegmentes, muss auch für mittelständisches Beteiligungskapital gelingen. Denn letztlich kann nur hierin eine dauerhafte Lösung für die Eigenkapitalschwäche des deutschen Mittelstandes und seiner hieraus resultierenden Verwundbarkeit durch Basel II gelingen.

Bevor ich zum Schluss komme,

[Atzler (CDU): Sehr verkürzte Darstellung von Basel II!]

möchte ich Ihre Frage nach der Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes beantworten. Die von der früheren Koalition vereinbarte Prüfung, ob es die Haushaltssituation des Landes zulässt, den Gewerbesteuerhebesatz im Jahr 2003 zu senken, scheint mir aus zweierlei Gründen überholt zu sein. Ich knüpfe dabei auch an die schriftliche Beantwortung einer Mündlichen Anfrage der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses durch die Finanzsenatorin an und gehe darauf ein, weil Sie das gewünscht haben. Erstens: Mit der Unternehmenssteuerreform, die Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist, werden gerade kleine und mittlere Personenunternehmen in Bezug auf die Gewerbesteuer spürbar entlastet.

[Beifall bei der SPD und den Grünen]

Denn zusätzlich zu dem schon bisher möglichen Abzug der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe wird seit dem 1. Januar 2001 auch die Einkommensteuer des Unternehmers durch eine pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer ermäßigt. Dies führt beim Kern des unternehmerischen Mittelstandes zu einer fast vollständigen Entlastung von der Gewerbesteuer. Um es deutlich zu sagen: Die Gewerbesteuer ist damit im Grunde kein Mittelstandsthema mehr.

Darüber hinaus: Angesichts der dramatischen Haushaltssituation, die diese Regierung nicht zu verantworten hat, und angesichts der wenig befriedigenden Entwicklung der Steuereinnahmen erscheint eine Absenkung, so willkommen sie aus psychologischen Gründen insbesondere gegenüber ansiedlungswilligen Unternehmen wäre, unrealistisch.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Schon eine Absenkung um beispielsweise 20 Prozentpunkte auf 390 würde jährlich circa 100 Millionen DM Mindereinnahmen bedeuten. Dies wird sich Berlin, so fürchte ich, auf längere Zeit einfach nicht leisten können. Ich stehe aber dazu, was ich am Montag vor Unternehmerinnen und Unternehmern in Neukölln gesagt habe: Es steht auch keine Anhebung der Gewerbesteuer zur Diskussion. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Beifall des Abg. Liebich (PDS)]

In der Besprechung hat das Wort der Abgeordnete Branoner für die Fraktion der CDU. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat diese große Anfrage gestellt, um einerseits Auskunft zu bekommen von dem neuen, dem sogenannten Übergangssenat, um zu hören, welche Initiativen für die Zukunft gesehen werden, um die Berliner Wirtschaft zu stärken, um sie zu befördern und vor allen Dingen den Strukturwandel, in dem wir uns nach wie vor befinden, zu befördern, welche Initiativen beibehalten werden. Ich muss sagen, die Maßnahmen, die bisher

genannt wurden, sind zu sicherlich 90 bis 95 % als Fortführung zu sehen. Allerdings war das mehr eine Problembeschreibung denn ein entsprechender Lösungsansatz.

Die wirtschaftspolitische Lustlosigkeit des Senats auf der einen Seite, und zwar meine ich ausdrücklich als Gesamtleistung – Kollege Gräff hat darauf hingewiesen, dass dieses ja nicht nur ein Spiel einer Einzelperson innerhalb des Senats ist, sondern eine Gesamtleistung –, gepaart mit den allgemeinen, auch von dieser Bundesregierung zu verantwortenden wirtschaftspolitischen, konjunkturellen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland hat natürlich auch eine sehr deutlich negative Auswirkung auf den Standort Berlin.

[Frau Oesterheld (Grüne): Noch schlimmer geht doch gar nicht!]

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass der Mittelstand auch in Berlin eine herausragende Bedeutung hat: 75 % der Arbeitsplätze werden gestellt, 80 % der Lehrstellen, 80 % übrigens des gewerblichen Steueraufkommens, 56 % der Investitionen. Um Rathenau zu zitieren, der gesagt hat, die Wirtschaft ist unser Schicksal, ist eine Konsolidierung des Haushalts in der Tat durch höhere Einnahmen zu erzielen, und nicht, was Sie bisher in der Vergangenheit gemacht haben, denn Sie haben das Vertrauen – und ich glaube, dass Wirtschaftspolitik Vertrauen braucht – in den wenigen Tagen Ihrer Amtstätigkeit erheblich verspielt. Sie werden es sicher auch weiter verspielen.

Es ist falsch zu sagen, dass die Gewerbesteuer kein Thema ist. Die CDU-Fraktion fordert nach wie vor und nachdrücklich eine Reduzierung der Gewerbesteuer unter 400 %.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Denn es ist in der Tat falsch, nur die Personengesellschaften zu betrachten, wo jemand Einkommensteuer bezahlt. In vielen Fällen ist es so, dass sie gar keine Einkommensteuer haben. Dann ist die Gewerbesteuer eine zusätzliche Belastung für Unternehmen. Sie haben die Eigenkapitalsituation der Unternehmen in Ostdeutschland und in Berlin ausdrücklich dargestellt. Es ist vor allen Dingen auch ein psychologisches Element.

Der Senat hat aus meiner Sicht auch noch etwas falsch gemacht. Sie haben angekündigt, der Verpackungsverordnung zuzustimmen. Wenn es Ihnen darum geht, Arbeitsplätze in der Region zu schaffen und zu halten, kann man nicht negieren, dass allein in der Recyclingwirtschaft mindestens 300 Arbeitsplätze, aber im Einzelhandel 2000 Arbeitsplätze dadurch verloren gehen. Wenn Ökologie und Umweltschutz in den Vordergrund gestellt werden sollen und kritisiert wird, dass der vorherige Senat nichts Ausreichende getan hat, würde ich an der Stelle mit dem Kollegen Strieder sprechen und ihm sagen, was man im Bereich Umweltpolitik und Umweltschutz tun kann.

Das Thema Nachhaltigkeit in der Wirtschaft ist zwischenzeitlich weitestgehend ein Allgemeingut geworden. Es ist, was die ISO-Zertifizierung angeht, ein wichtiger Bestandteil. Es wird bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Tat und in der Regel bereits als eine Art von Vorbedingung gefordert. Deswegen ist es richtig, wenn Sie an der Stelle Zweifel haben. Offensichtlich hat man sich – zumindest der Senat – nicht zugetraut, das zu realisieren, was angekündigt wurde: Ökonomie, Umweltschutz und Ökologie zusammenzufügen, sondern bei Herrn Strieder zu belassen und dieses als Gesamtsenat einmal zu erörtern.

Es gibt noch einen dritten Fall, bei dem Sie einen finanzpolitischen, bauwirtschaftlich politischen – auch wenn der Kollege Strieder auch diesem Teil der Debatte nicht zuhört – deutlichen Fehler begangen haben. Es ist der Verzicht auf den Weiterbau der U-Bahnlinie 5. Dieser bedeutet für die Berliner bauwirtschaftlich eine Arbeitslosigkeit. Sie haben leider die Bauwirtschaft in Ihrer Antwort nicht erwähnt. Mit über 40 % ist sie besonders gebeutelt.

[Beifall bei der CDU]

Es wäre ein ganz wichtiger Auftrag gewesen. Ohne Not wird der Bauwirtschaft in diesem Zusammenhang ein Auftrag genommen.

Das ist finanzpolitisch von der Auftragslage her und verkehrspolitisch falsch.

[Eßer (Grüne): Hat Herr Kurth doch selbst schon gestrichen!]

Herr Eßer, regen Sie sich nicht auf! Sie waren doch in Irland und müssen sich so gut erholt haben. Bleiben Sie an dieser Stelle doch ruhig!