Protocol of the Session on July 12, 2001

Berlins Trümpfe auf dem Weg in die Wissensgesellschaft sind seine hervorragende Wissenschafts- und Kulturlandschaft, aber auch seine allgemeine Attraktivität für kreative Köpfe aus aller Welt. Die Aufgabe der Politik – jedenfalls so, wie wir sie verstehen – ist es, diese Ressourcen davor zu schützen, in den Strudel der Finanzkrise gerissen zu werden. Ich denke, auch dieser Aufgabe sind wir – vom Vertrag für die Philharmoniker bis zu den Hochschulverträgen – gerecht geworden, werte Frau Grütters. In beiden Fällen sind wir bis an die Grenze dessen gegangen, was angesichts der Berliner Haushaltskrise noch verantwortbar ist, vielleicht sogar ein Stückchen darüber hinaus.

Wenn Sie hier noch mehr verlangen, Frau Grütters und die anderen Redner und Rednerinnen der CDU, und gegen uns polemisieren, dann ist das schamlos. Ich kann Ihnen nur raten, Frau Grütters: Richten Sie Ihre Beschwerden an Klaus Landowsky, den kennen Sie doch besonders gut, und an Eberhard Diepgen, da sind Sie an der richtigen Adresse.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Niedergesäß (CDU): Ihr habt da einen Komplex!]

Damit bin ich dann auch bei Ihrem beliebten Thema, dem so genannten Zukunftsfonds – wie ich hoffe, zum letzten Mal in diesem Haus.

[Niedergesäß (CDU): Schlimm genug!]

Bezogen auf den materiellen Inhalt, um den es geht, halte ich die Diskussion, die hier geführt wird, für völlig berechtigt, um das klar zu sagen. Wie organisieren wir Wissensvorsprünge, ohne die ein Hochlohnland im internationalen Wettbewerb nicht existieren kann? Wie fördern wir die Erforschung, Entwicklung und Anwendung neuer Technologien? – Ohne hier deutliche Akzente zu setzen – keine Frage –, wird sich die Wirtschaftslage in Berlin nicht bessern. Soweit sind wir alle einig. Wenn es aber um das Finanzierungsinstrument für diese Inhalte geht – den so genannten Zukunftsfonds –, halte ich Ihre Argumentation für schlicht demagogisch. [Frau Greiner (CDU): Ach!]

Ich will Ihnen dieses harsche Urteil gern begründen: Wir stehen hier heute und ziehen einen dicken roten Strich

[Niedergesäß (CDU): Ja, rot ist er!]

unter das Resultat – verzeihen Sie, liebe Leute von der SPD – von elf Jahren großer Koalition. Dieses Resultat lautet: Wir schließen die Ära Diepgen mit einem Verlust von 75 Milliarden DM bis 80 Milliarden DM innerhalb des offiziellen Landeshaushalts ab. Und wenn wir die Schattenhaushalte hinzunehmen, kommen wir nach allen seriösen Schätzungen, die es gibt, auf rund 120 Milliarden DM.

[Niedergesäß (CDU): Ist ja irre!]

Und in dieser Situation stellen Sie sich hin und behaupten, da gäbe es noch Ersparnisse von 250 Millionen DM mit dem Namen „Zukunftsfonds“, die man nur vom Konto abzuheben brauche, um sie der Forschung zur Verfügung zu stellen? – Das ist doch absurd!

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Niedergesäß (CDU): Sie meinen, die paar Kröten machen den Kohl nicht fett!]

Herr Niedergesäß, der Volksmund würde sagen: „Fassen Sie einem nackten Mann einmal in die Tasche, da werden Sie nichts finden!“

Um das einmal auf fassliche Zahlen und auf eine Alltagssituation herunterzubrechen: Wenn ich mit 75 000 DM bei der Bank in der Kreide stünde, lachen die sich tot, wenn ich behaupte, ich hätte noch 250 DM unter dem Kopfkissen, die mir eine glänzende Zukunft bescheren würden.

[Beifall und Heiterkeit bei den Grünen und der PDS]

Ich gebe Ihnen zu: Auch unter solchen Bedingungen geht das Leben weiter, und es ist immer noch besser, einen Merkposten im Kopf zu haben, dass ich einmal für 250 DM eine neue Hose oder ein paar Schuhe kaufen wollte und auch sollte, anstatt das Geld zu versaufen.

[Frau Birghan (CDU): Was ist denn das für ein Wort?]

Soweit gebe ich Ihnen das zu. Merkposten im Kopf: Zukunftsfonds. Wenn ich jetzt aber feststelle, dass ich inzwischen – und dabei sind wir ja – Probleme mit der Mietzahlung habe und die Bewag mir droht, den Strom abzustellen, dann werde ich nicht mehr die gesamten 250 DM auf einen Schlag für eine eigentlich sinnvolle Anschaffung abzweigen können. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als eine solche Anschaffung auf Raten vorzunehmen. Und genau in dieser unangenehmen Situation befindet sich das Land Berlin. Es ist nicht mehr in der Lage, die 250 Millionen DM an die Technologiestiftung Berlin, die einmal Rücklage für den Zukunftsfonds hießen, auf einen Schlag zu liefern. Das wird bestenfalls in Raten von – ich würde es mir wünschen – 20 Millionen DM auf die nächsten Jahre verteilt möglich sein.

[Atzler (CDU): Das ist doch Unsinn!]

Herr Atzler, die erste Rate dieser Lieferung steht im Nachtragshaushalt. Und wir, das kann ich Ihnen hier versprechen, werden dafür kämpfen, dass durch Umschichtungen im Haushalt auch in Zukunft Jahr für Jahr ähnliche Beträge in die Förderung von Zukunftstechnologien fließen werden.

[Zuruf des Abg. Eyck (CDU)]

Mehr ist realistischerweise nicht drin, das wissen Sie alle. Deshalb, meine Damen und Herren von der CDU, habe ich Ihre Polemik vorhin etwas drastisch – aber wie ich finde treffend – „demagogisch“ genannt.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

Die bittere Wahrheit ist, Herr Atzler, aber auch Frau Krajewski, Berlin befindet sich in einer extremen Haushaltsnotlage im Sinne von Artikel 107 Grundgesetz. Verzeihen Sie, Frau Krajewski, wenn ich das ganz anders sehe als Sie, ich sehe das wie der für seine Unbestechlichkeit bekannte Rechnungshof.

[Zuruf der Frau Abg. Birghan (CDU)]

An eine Sanierung aus eigener Kraft bis zum Ende des Jahrzehnts ist hier nicht mehr zu denken. Stattdessen stehen uns 10 bis 15 Jahre Aufräumarbeit ins Haus,

[Czaja (CDU): 100 Jahre!]

die selbst bei härtestem Sparen nur mit Hilfe des Bundes bewältigt werden können. Das sind unsere klaren und ehrlichen Aussagen, die wir, wenn es sein muss, auf Heller und Pfennig belegen können. Für die stehen wir ein, auch wenn uns manche Verdrängungskünstler dafür beschimpfen.

Kern jeder Sanierungsstrategie muss nach unserer Vorstellung sein, die Produktivität der Verwaltung und der öffentlichen Betriebe zu steigern. Nur auf diesem Weg lässt sich diese Haushaltsnotlage beseitigen, ohne die Stadt kaputtzusparen. Nur aus einer durchgreifenden Modernisierung des öffentlichen Sektors können wir die finanziellen Gestaltungsräume gewinnen, über die wir hier gesprochen haben und die wir brauchen, um die Zukunft der Stadt zu sichern.

Das betrifft zuvörderst die Verwaltung und das scheinbar allseits geteilte Ziel, hier bis Ende des Jahrzehnts eine Personalkosteneinsparung von mindestens 1 Milliarde DM jährlich zu erreichen. Das kann aber keinesfalls alles sein. Wir müssen auch an

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das verhängnisvolle Westberliner Erbe heran, das hier in Berlin die Wände zwischen Politik und Wirtschaft dünner sind als anderswo.

Aus unserer Sicht gilt es, die klebrigen staatskapitalistischen Strukturen aufzubrechen, die sich immer wieder – in den 80er Jahren, in den 90er Jahren und jetzt – als Einfallstor von Filz und Korruption erwiesen haben und in denen Milliardenbeiträge nutzlos versickert sind – egal, ob sie Bankgesellschaft, Entwicklungsgebiete, Bäderbetriebe oder Wohnungsbaugesellschaften heißen. Dieses angebliche Unternehmertum, das sich wahlweise als sozial, ökologisch oder zukunftsträchtig drapiert, uns dabei stets das Blaue vom Himmel verspricht und hinterher allzu oft sagt, dumm gelaufen, und die Verluste sozialisiert und dem Steuerzahler aufhalst, diese Sorte von Staatsunternehmertum muss ein Ende haben.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wenn der Kampf gegen den Berliner Filz mehr sein soll als moralische Attitüde, dann müssen wir da ran.

[Frau Buchholz (CDU): Ach je!]

Das gilt auch für das Berliner Kombinatsmodell, das – so sage ich immer – nach dem System russische Puppe funktioniert. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das wir alle kennen. Da haben wir ein traditionsreiches Unternehmen, ein Kulturgut geradezu, in unserem Bestand: die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur. Diese KPM macht seit Jahren Verlust. Eigentlich ist hier eine Änderung der Geschäftspolitik fällig. Da würde es um das Design gehen, um Formen und Farben des Porzellans, das sie herstellen, es könnte das Marketing in Frage stehen, da kann es um das Firmenimage gehen gegenüber der Kundschaft. Warum Meißen läuft und KPM nicht – das alles müsste diskutiert werden. Weil aber der großen Koalition dazu überhaupt nichts einfiel, haben Sie diese KPM, erfolglos und unverändert wie sie ist, für einen Euro an die Gewerbesiedlungsgesellschaft, die GSG verkauft – erste Puppe in die andere.

[Branoner (CDU): Stimmt nicht! – Zuruf der Frau Abg. Birghan (CDU)]

Die GSG hat selbst ihre Probleme, das wissen wir alle, mit Leerstand in ihren Gewerbehöfen, die wir so nicht hätten bauen sollen, und Technologieparks und den fehlenden Mieteinnahmen. Also stopfen wir die GSG, samt der KPM darin, in die IBB, in unsere Investitionsbank Berlin. Das muss die EU jetzt noch genehmigen, dann machen wir das. Geändert hat sich bis auf diese Stufe weder bei der KPM noch bei der GSG am wirtschaftlichen Erfolg irgendetwas. Jetzt ist das Ding in der IBB.

[Zuruf der Frau Abg. Birghan (CDU)]

Die IBB, so wie wir sie bereits kennen, ist eine Abteilung der Landesbank. Und die Landesbank wiederum ist Teil der krisengeschüttelten Bankgesellschaft.

[Zuruf des Abg. Kittelmann (CDU)]

Ja, man sieht, die Methode hat System. Statt die wirtschaftlichen Probleme zu lösen, die der jeweilige Betrieb dem Land Berlin macht, stecken wir die Verlustbringer einfach in den nächsten greifbaren Betrieb rein, so lange, bis auch der rote Zahlen schreibt, wenn er das nicht ohnehin schon tut.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Sie verstehen jetzt vielleicht, dass es uns sehr ernst ist mit unseren Einwänden dagegen, etwa die BVG und die S-Bahn zu verschmelzen oder auch der BSR das Abfallmonopol auf Jahrzehnte zuzuschanzen. Auch bei der BVG, das wissen wir, ist das alte Personalkonzept nicht aufgegangen. Was müsste also passieren? – Es muss ein neues gemacht werden. Wir brauchen auch dort eine neue Politik dahin gehend, dass sie uns nicht gegen die Wand fährt an dem Tag, an dem die EU uns die Liberalsierung im öffentlichen Nahverkehr auferlegen wird, dass sie dann wettbewerbsfähig ist.

[Beifall bei den Grünen]

Das ist unsere Aufgabe, und nicht stattdessen die BVG zu nehmen und zu sagen, schieben wir sie bei der Deutschen Bundesbahn rein, die hat sowieso große Probleme, da verschwindet das dann irgendwo. Das ist eben nicht die Lösung, wie wir einen wirklich gesunden und wettbewerbsfähigen Betrieb bekommen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Beifall des Abg. Czaja (CDU)]

Deswegen sagen wir auf diesem Feld schon lange programmatisch: Unser Ziel ist Wettbewerb und Sanierung der Eigenbetriebe und nicht die Sammlung verlustreicher Kombinate und Monopole. Unser Ziel ist ein moderner Staat, der seine Dienstleistungen über Auftragsvergabe politisch steuert und durch Dritte erledigen lässt, aber nicht mehr selbst in der Verlustzone herumrudert.

Damit bin ich hier am Ende,