Protocol of the Session on June 28, 2001

Untrennbar mit dem Profil unserer Stadt ist eine außerordentlich lebendige Kulturszene verbunden. Nicht nur die großen Theater und Opernhäuser mehren den kulturellen Ruf unserer Stadt, auch die Off-Theater und die unabhängigen Gruppen beeindrucken durch ihre Kreativität. Hier hat der Senat ein Signal gesetzt und trotz der angespannten Haushaltssituation eine Million DM zusätzlich für diese Gruppen zur Verfügung gestellt. Endlich wird die Flickschusterei von Herrn Stölzl ersetzt durch ein kulturpolitisches Gesamtkonzept, wie es die Stadt schon lange benötigt hat.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Frau Herrmann, Annelies (CDU): Frechheit sondergleichen! – Trapp (CDU): Peinlich!]

Neben diesem Konzept wird es zu den dringendsten Aufgaben des Kultur- und Wissenschaftsressorts gehören, die Verabschiedung tragfähiger Hochschulverträge im Einvernehmen mit den Hochschulen sicherzustellen. Dies wird uns auch – davon bin ich fest überzeugt – in den nächsten Wochen gelingen.

Der überragende Schwerpunkt sozialdemokratischer Politik ist und bleibt aber die Bildungspolitik. Hier wird nicht gespart. Wir werden u. a. dafür sorgen, dass mehr Lehrer eingestellt werden, das Schul- und Sportstättensanierungsprogramm fortgesetzt wird, den Schulen eine größere Selbständigkeit eingeräumt wird und unter Wahrung der Chancengleichheit Leistung sowohl gefördert als auch gefordert wird.

[Beifall bei der SPD]

Wir erwarten, dass sich alle Parteien auch im Wahlkampf konstruktiv um die Lösung der Probleme Berlins bemühen. Es dürfen keine neue Gräben aufgerissen werden – schon gar nicht zwischen Ost und West. Die Berlinerinnen und Berliner erwarten, dass endlich der Weg für schnelle Neuwahlen freigemacht wird. Herr Steffel redet davon nur pausenlos, aber die Beschlüsse, die das ermöglichen würden, setzt er offensichtlich in seiner Fraktion nicht durch.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Zuruf der Frau Abg. Galland (CDU)]

Maßstab für diese Festlegung des Wahltermins kann auch nicht allen Ernstes sein, wie lange die CDU in ihrer zerrissenen Fraktion gebraucht hat, um überhaupt erst einmal einen vernünftigen Vorschlag zu machen. Das ging immer hin und her über Wochen und Monate – ein unerträglicher Zustand für die Stadt.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Ha, ha! und weitere Zurufe von der CDU]

Niemand sollte sich etwas vormachen. Die Bürger dieser Stadt werden sehr genau beobachten, wer ernsthaft Sacharbeit leistet oder sich mit schierem Populismus und Showeffekten begnügt.

[Zuruf der Frau Abg. Galland (CDU)]

Die Menschen erwarten Rahmenbedingungen, die ihnen neue Chancen in der Stadt eröffnen. In dieser Stadt herrscht Aufbruchstimmung. Sie wird personifiziert durch Klaus Wowereit.

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Cramer (Grüne)]

Berlin hat endlich wieder Mut, und mit diesem Mut werden wir es schaffen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Das Wort hat nun der Abgeordnete Wolf. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des nicht mehr anwesenden Fraktionsvorsitzenden der CDU hat mich nachdenklich gestimmt.

[Hoff (PDS): Sehr demokratisch!]

Ich habe in den letzten Wochen das Gerede der CDU davon, dass es schrecklich wäre, wenn die PDS in die Regierung eintritt, für Unsinn gehalten. Nach dieser Rede von Herrn Steffel bin ich tatsächlich nachdenklich geworden und überlege mir, ob es nicht sinnvoll wäre, dass wir in der Opposition bleiben, weil diese Stadt eine bessere Opposition verdient als das, was Herr Steffel hier präsentiert hat.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Das fängt damit an, dass man als Fraktionsvorsitzender einer Oppositionsfraktion, nachdem man seine Rede abgeliefert hat, nicht den Saal verlässt, wenn dann die stärkste Regierungsfraktion redet. Und schließlich sollte man auch einmal überlegen – den Ratschlag gebe ich als jemand, der schon etwas länger Oppositionspolitik in diesem Haus macht –, ob man sich mit der Maßlosigkeit der Kritik, die man übt, nicht der Lächerlichkeit preisgibt und damit der Kritik völlig die Wirkung nimmt. Das hat Herr Steffel heute ziemlich deutlich gemacht.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Er ist in den letzten Tagen gelegentlich mit einem großen amerikanischen Politiker verglichen worden. Ich muss sagen, der große amerikanische Mann, der mir bei seiner Rede einfiel, war nicht John F. Kennedy, sondern Jerry Lewis.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen – Heiterkeit]

Er hat mit seiner Bemerkung, dass Klaus Wowereit heute zwei Regierungserklärungen in einer gehalten hat – seine erste und seine letzte –, in einem Punkt Recht gehabt: Es war seine erste. Das ist unbestritten, das geben auch wir zu. – Ob es seine letzte gewesen ist, das werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden, wenn Sie den Wählerinnen und Wählern dann irgendwann einmal die Möglichkeit geben, sich dazu zu äußern. Es ist auf jeden Fall eines klar: Herr Steffel wird nicht in die Verlegenheit kommen, jemals in diesem Hause eine Regierungserklärung abgeben zu müssen.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Wer nach all dem, was in den letzten Wochen und Monaten passiert ist, hier eine Rede hält und kein einziges Wort sagt zur eigenen Verantwortung für die Situation, in der sich die Stadt heute befindet, der macht deutlich, dass er das fortsetzt, weshalb diese große Koalition gescheitert ist und weshalb Sie zu Recht abgewählt worden sind.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Wenn Herr Steffel die Frage stellt, wer Herrn Wowereit Vertrauen schenken solle, dann empfehle ich Ihnen, sich die Meinungsumfragen anzusehen – aber das ist jetzt nicht so sehr mein Problem. Die Berliner CDU versucht noch nicht einmal, verlorenes Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern zurückzugewinnen, sondern sie macht deutlich, weshalb es richtig ist, ihr weiterhin Vertrauen zu entziehen und sie nicht wieder in Verantwortung kommen zu lassen, weil Sie nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen für Ihre Vergangenheit. Deshalb darf man Ihnen auch keine Verantwortung für die Zukunft dieser Stadt übergeben.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen – Zimmer (CDU): Damit haben Sie Erfahrung!]

(A) (C)

(B) (D)

Wenn Sie sagen, von Aufbruchsstimmung sei hier bei der Regierungserklärung nichts zu spüren gewesen, dann muss ich sagen, die Regierungserklärung von Klaus Wowereit hat zumindest bei Ihnen dazu geführt, dass die Opposition deutliche Reaktionen gezeigt hat. Ich muss Ihnen gestehen, die Regierungserklärungen von Eberhard Diepgen in der Vergangenheit haben es uns schwer gemacht, überhaupt darauf zu reagieren. Sie haben uns einfach nur ermüdet, es kam nichts Neues, seit zehn Jahren immer nur das Gleiche. Jetzt kommen endlich einmal ein paar neue Töne, jetzt wird darüber gesprochen, dass die Wahrheit in dieser Stadt gesagt werden und dass man die Zukunftsaufgaben in der Stadt anpacken muss. Diese Aufbruchsstimmung mag man bei Ihnen in der CDU nicht spüren, im Rest der Stadt spürt man diese Aufbruchsstimmung.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Diese Regierungserklärung ist eine besondere Regierungserklärung insofern, als Regierungserklärungen normalerweise abgegeben werden für eine ganze Legislaturperiode. Das ist eindeutig nicht der Fall. Dieser Senat hat sich erklärtermaßen das Ziel gesetzt, nur 100 Tage zu amtieren und den Weg zu Neuwahlen frei zu machen. Wir sind aber paradoxerweise in der Situation, dass die stärkste Oppositionsfraktion in diesem Haus die Fraktion ist, die am meisten dafür tut, dass die Amtszeit dieses Senats unnötig verlängert wird. Allein damit diskreditieren Sie sich schon, wenn Sie einerseits erklären, dieser Senat sei der Untergang des Abendlandes, Sie aber auf der anderen Seite seine Amtszeit permanent verlängern. Das macht deutlich, dass Sie keinerlei Stringenz in Ihrer Argumentation haben.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Es war notwendig, diesen Übergangssenat zu wählen, weil die alte große Koalition nicht mehr handlungsfähig war, weil der Regierende Bürgermeister, weil die CDU-Mitglieder des Senats, weil die CDU-Fraktion nicht in der Lage waren, die notwendigen Konsequenzen aus der Bankenkrise zu ziehen. Deshalb ist Ihr ganzes Geschrei über Wortbruch, das sie hier veranstalten, einfach Unsinn. Es ist Verantwortung übernommen worden für die Stadt, indem ein handlungsfähiger Senat installiert und die Voraussetzung dafür geschaffen worden ist, dass möglichst schnell die Wählerinnen und Wähler ein Votum abgeben können. Deshalb kann ich nur sagen: Geben Sie den Weg dafür jetzt endlich frei!

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Weil es sich um einen Übergangssenat handelt, können wir auch vieles, was in dieser Regierungserklärung steht, milde betrachten, weil vieles von dem, was uns teilweise nicht gefällt, in der Amtszeit dieses Senats nicht umgesetzt werden wird und nicht umgesetzt werden kann. Aus unserer Sicht hat dieser Senat drei große und zentrale Aufgaben. Er hat erstens die Aufgabe, die Handlungsfähigkeit der Regierung von Berlin in dieser Übergangszeit zu sichern, er hat zweitens die zentrale Aufgabe, die Sanierung der Bankgesellschaft anzugehen und damit die Sicherung der Arbeitsplätze und des Wirtschaftsstandortes Berlin zu betreiben und er hat drittens die große und wichtige Aufgabe, einen Kassensturz vorzunehmen, alle Risiken offenzulegen und mögliche Szenarien für eine Haushaltskonsolidierung und damit die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die öffentliche Hand überhaupt wieder handlungsfähig wird. Aus diesen Gründen haben wir diesen Senat gewählt. Aus diesen Gründen werden wir den Richtlinien zur Regierungspolitik auch unsere Unterstützung geben, ungeachtet von Kritikpunkten im Detail.

Die wesentliche und zentrale Aufgabe dieses Senats besteht aus unserer Sicht darin, die Sicherung und Sanierung der Bankgesellschaft anzugehen. Die Situation ist nach wie vor dramatisch. Wir mussten gestern die Erhöhung der Netto-Kreditaufnahme beschließen. Um das noch einmal deutlich zu sagen: Unter normalen Verhältnissen ist eine Erhöhung der Netto-Kreditaufnahme um 6 Milliarden DM ein unglaublicher Skandal. Dazu kommen die Belastungen, die deshalb in den Folgejahren auf uns zukommen. Dies sind auf Grund der Krise der Bankgesellschaft 600 Millionen DM zusätzliche Kosten für den Landes

haushalt, die nicht mehr für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu Verfügung stehen. Deshalb wird es eine der wesentlichen Aufgaben dieses Senats sein, ein Sanierungskonzept für die Bankgesellschaft zu entwickeln und zu sehen, dass starke Partner für die Bankgesellschaft gefunden werden, die auch bereit sind, finanziell mit einzusteigen, damit ein Teil des Geldes für die Kapitalerhöhung wieder zurückfließen kann in das Land Berlin. Das halte ich für eine der zentralen Aufgaben dieses Landes, die angegangen werden müssen.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Ich appelliere in diesem Zusammenhang auch an die Mitgesellschafter der Bankgesellschaft, an die Nord LB und an Pari`on, sich der Verantwortung an der Kapitalerhöhung zu beteiligen, nicht zu entziehen. Gestern hat Herr Sanio, der Präsident des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen, dazu deutliche Worte gesprochen. Auch diese Aktionäre stehen mit in der Verantwortung. Deshalb sage ich: Es ist eine ihrer Aufgaben, sich mit zu beteiligen an der notwendigen Kapitalerhöhung und der Sanierung der Bankgesellschaft, wobei gleichzeitig die Bereitschaft des Landes Berlin existiert, wenn sie es nicht tun, in voller Höhe einzusteigen.

Wir brauchen eine Neustrukturierung, wie brauchen eine Konzentration des Geschäfts auf die eigentliche Zukunftsstärke der Bankgesellschaft, das Retailbanking, und es müssen alle Risiken, die im Immobilienbereich noch vorhanden und noch nicht wirklich eingegrenzt sind, erfasst und in ein Zukunftskonzept gebracht werden. Nur unter dieser Voraussetzung wird es vor dem Berliner Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu rechtfertigen sein, dass diese 4 Milliarden DM angefasst, in die Kapitalerhöhung umgesetzt werden. Nur mit einem solchen Konzept, in dem Risiken nicht verschoben, sondern angegangen werden, wird es möglich sein, Arbeitsplätze zu erhalten und Zukunftsfähigkeit für die Bankbegesellschaft zu begründen.

Die zweite große Aufgabe ist das Thema Kassensturz. Es muss endlich Schluss sein mit der Politik der Vergangenheit, indem virtuelle Haushaltskonsolidierung betrieben wird, indem Risiken in Schattenhaushalte verschoben und Risiken vertuscht werden. Deshalb ist die Tatsache, dass dieser Senat sich diese Aufgabe vorgenommen hat, endlich ein ungeschöntes Bild zu erstellen, eine der zentralen Aufgaben, die die Voraussetzung dafür schafft, dass die Wählerinnen und Wähler auf der Grundlage einer klaren Bestandsaufnahme Entscheidungen treffen können. Dazu gehören nicht nur die Risiken unmittelbar im Landeshaushalt, dazu gehören eine Vielzahl von Risiken im Bereich der Schattenhaushalte, aber auch im Bereich der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Es ist dringend notwendig, dass ein Sanierungskonzept für diese Wohnungsbaugesellschaften und eine ungeschönte Bestandsaufnahme ihrer wirtschaftlichen Situation vorgelegt werden. Dazu gehört das Thema BVG, das ist in der Regierungserklärung angesprochen. Die Konzeption für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit greift offensichtlich nicht, hier muss dringend etwas unternommen werden, um die Zukunft der Berliner Verkehrsbetriebe zu sichern.

Wir müssen auch an Bereiche herangehen und dort Bestandsaufnahmen vornehmen, die bisher immer unter dem Motto Zukunftssicherung, Zukunftsaufgabe, Zukunftsprojekt gehandelt worden sind. Ich nenne ein Beispiel: die WISTA GmbH. Wir wissen, dass in der WISTA GmbH erhebliche Risiken liegen. Insofern begrüße ich es sehr, dass sich in den Richtlinien zur Regierungspolitik eine Aussage findet, dass die Projekte Adlershof und WISTA in eine Situation gebracht werden müssen, in der sie eigenfinanziert ihren Zukunftsaufgaben nachkommen können und wegkommen von der Subventionsmentalität und dem Eigenkapitalverzehr, der zurzeit stattfindet.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Deshalb ein Wort an die Wirtschaftssenatorin. Mir wurde berichtet, dass Sie unlängst vor Unternehmern erklärt haben, dass Sie die Wirtschaftspolitik von Wolfgang Branoner fortsetzen wollen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das die Unternehmer erschreckt oder erfreut hat. Ich kann auf jeden Fall sagen:

(A) (C)

(B) (D)

Wir wollen nicht, dass die Wirtschaftspolitik von Wolfgang Branoner bruchlos fortgesetzt wird, sondern wir wollen auch hier einen Neuanfang.