Protocol of the Session on January 20, 2000

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Mir ist der Hintergrund dieser Frage nicht bekannt. Ich werde mich nach der Beschlusslage der seinerzeitigen Koalition erkundigen und dann gegebenenfalls das Erforderliche veranlassen.

Herr Abgeordneter, Sie werden dann informiert, denke ich! – Damit hat sich die Frage erledigt.

Wir sind wegen des Zeitablaufs am Ende dieser halben Stunde der Spontanen Fragestunde angelangt.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 2:

Erklärung des Regierenden Bürgermeisters zum Thema „Richtlinien der Regierungspolitik“

Zu Beginn weise ich darauf hin, dass Sie bereits in Kopie die Vorlage – zur Beschlussfassung – über die Billigung der Richtlinien der Regierungspolitik, Drucksache 14/123, erhalten haben. Im Laufe des heutigen Tages werden Sie noch die gedruckte Fassung auf Ihren Tischen vorfinden. Über diese Vorlage – zur Beschlussfassung – werden wir nach Aussprache in unserer nächsten Sitzung zu befinden haben.

Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass Ihnen die Tagesordnung für die nächste Sitzung ebenfalls auf den Tisch gelegt wird; das heißt, sie wird nicht versandt.

Nunmehr hat das Wort der Regierende Bürgermeister – bitte sehr, Herr Diepgen!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die deutsche Hauptstadt geht mit Zuversicht in das neue Jahrhundert. Unsere Aufgabe ist es, in der nun beginnenden Legislaturperiode weitere Grundlagen für das neue Berlin zu schaffen. Wir müssen die Stadt auf die Herausforderungen des neuen Jahrzehnts, des neuen Jahrhunderts vorbereiten.

Dafür sind die Voraussetzungen gut. Ich verweise auf jüngste bundesweite Meinungsumfragen. Sie machen deutlich, dass Berlin bundesweit an Boden gewonnen hat, akzeptiert und geschätzt wird. Berlin wird eine gestaltende Rolle im zusammenwachsenden Deutschland zugetraut. Das ist für uns alle Verpflichtung für die Zukunft. Der Senat schätzt dabei die noch offenen Probleme nicht gering, aber er vertraut auf die Kraft und die Mitarbeit der Berliner.

In der ersten Regierungserklärung nach der Vereinigung der Stadt im Jahre 1991 wurde für Berlin eine Vision formuliert, die wir in vielen Bereichen bereits verwirklicht haben, der wir sehr nahe gekommen sind: Eine Stadt der Kultur und Wissenschaft war, ist und bleibt Berlin, und mit dem Umzug von Bundestag und Bundesregierung wurde Berlin zum Zentrum der Politik. Die

Wirtschaft der Stadt allerdings muss noch Anschluss an das Wirtschaftswachstum im übrigen Deutschland finden. Das ist unser Ziel für die nächsten fünf Jahre.

Innovation und soziale Stadtgestaltung sind dabei die Leitthemen. Wir wollen die Chancen der Globalisierung nutzen und gleichzeitig die Menschen vor ihren Gefährdungen schützen.

Der Wähler hat dieser Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten einen klaren Regierungsauftrag gegeben. Die Koalitionsvereinbarungen und die Richtlinien der Regierungspolitik bilden eine tragfähige Grundlage für die Arbeit der nächsten fünf Jahre.

Zehn Jahre nach dem Mauerfall haben Bundestag und Bundesregierung, über 170 Verbände und über 100 ausländische Vertretungen ihre Arbeit in Berlin aufgenommen. Berlin wird nicht nur zum politischen Zentrum, zur Visitenkarte Deutschlands in der Welt, sondern im Rahmen ihrer globalen Aufgaben auch ein Forum für die geistige Auseinandersetzung der deutschen Nation mit ihren europäischen Nachbarn. Berlin ist wegen seiner geschichtlichen Erfahrung und der geographischen Lage das Zentrum des Dialogs zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd.

Im Herzen des Kontinents gelegen, blickt unsere Stadt über nationale Grenzen hinaus, sieht ihre Zukunft in der gleichzeitigen und sich wechselseitig bedingenden Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union. Die schnelle Erweiterung der Europäischen Union um Polen, Tschechien, Ungarn, Estland und Slowenien liegt ebenso im Interesse Berlins wie die institutionelle Reform. Hinsichtlich der geographischen Situation und unseres Interesses weise ich nur darauf hin, dass Berlin beispielsweise näher an Breslau liegt als an Hannover. Daraus wird ein Stück Entwicklungsnotwendigkeit deutlich. Zu den wesentlichen Reformen gehört die klare Benennung der europäischen Zuständigkeiten sowie eine Stärkung des Europäischen Parlamentes. Die jüngsten Diskussionen über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes über den Waffendienst der Frauen macht die Notwendigkeit einer abschließend aufgezählten abgegrenzten Zuständigkeit der europäischen Institutionen besonders deutlich. Was nicht zwingend auf der europäischen Ebene zu regeln ist, wie beispielsweise die Außen-, Sicherheits- und Währungspolitik oder die Bekämpfung der internationalen Kriminalität, wichtige Grundlagen der Wirtschaftspolitik, muss in nationaler bzw. in regionaler Verantwortung bleiben oder dorthin zurückverlagert werden.

[Beifall bei der CDU – Wieland (GRÜNE): Wollen Sie regionalen Wehrdienst haben?]

Das ist ein Kernstück für Lebendigkeit und Lebensfähigkeit eines größer werdenden Europas – wenn ich bei dieser Definition vom Westen und von der Europäischen Union ausgehe.

Unsere Stadt nimmt die Herausforderungen als Hauptstadt für Deutschland an. Die Herstellung gleicher Lebens- und Arbeitsverhältnisse ist dabei wichtigste politische Aufgabe. Dazu gehört auch ein überschaubarer Terminplan für die Angleichung der Besoldung, und für Berlin besonders wichtig der Beamtenbesoldung in Ost und West.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Wir haben dieses Thema gestern mit der Bundesregierung erörtert, und ich habe mit Zufriedenheit festzustellen, dass diese Zielsetzung geteilt wird. Berlin allerdings wird Motor sein, wird die Stadt sein, die immer wieder darauf drängt, dass die Terminplanung nicht zu weit in die Länge gezogen wird. Denn es geht um Gerechtigkeit und Chancengleichheit, um die Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe und Lebensleistungen, die im geteilten Deutschland unter ganz verschiedenartigen Lebensbedingungen entstanden sind.

Das Schlüsselwort für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft heißt Innovation. Die Erneuerung und Ertüchtigung des „Unternehmens Berlin“, seine Vorbereitung auf die globalisierte Konkurrenzsituation der Zukunft ist das wichtigste Anliegen der Legislaturperiode. Die Bewältigung des Strukturwandels der Berliner Wirtschaft, die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze haben für den Senat höchste Priorität.

(A) (C)

(B) (D)

RBm Diepgen

Für unternehmerisches selbständiges Handeln, für eigenverantwortliche Initiativen wird er die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Wir machen eine Wirtschafts- und Finanzpolitik aus einem Guss.

[Heiterkeit bei der PDS]

Auch deswegen beabsichtigen wir, ab Anfang 2003 den Gewerbesteuerhebesatz zu senken.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Das soll ein Signal für Wirtschaftswachstum sein, ein Signal für für Ausbildungs- und Arbeitsplätze.

Wichtig bleibt die Bestandspflege von Industrie und Handwerk. Aber die Schwerpunkte verlagern sich auf Dienstleistungen und neue Technologien.

Die vorhandenen Fördermittel werden wir zielgenau betrieblichen Investitionen sowie Existenzgründungen widmen. Dabei hat die Qualifizierung von Arbeitskräften, also die Investition in die Köpfe, Vorrang.

Wir werden die Innovationsfähigkeit der Berliner Unternehmen stärken durch

−Zuschüsse zur Minderung technologischer Risiken,

−Beteiligungen zur Stärkung der Kapitalkraft und auch durch

−Personalkostenzuschüsse zur Einstellung von Hochschulabsolventen.

Das alles ist zukunftsweisende Beschäftigungspolitik. Aber gerade in diesem Zusammenhang werden wir in den Zukunftstechnologien die Kompetenzen der Region weiter ausbauen. Schon heute gibt es nirgendwo in Deutschland so viele Existenzgründer wie in Berlin.

Gerade deswegen werden wir in den Zukunftstechnologien die Kompetenzen der Region ausbauen. Als Kompetenzzentrum für Verkehrstechnik, Informationstechnik und Biotechnologie hat sich Berlin bereits einen Namen gemacht.

[Cramer (GRÜNE): Hat sich einen Namen gemacht, aber was für einen!]

Für den Bereich Verkehr kommt dem „Strategiekreis Verkehr und Mobilität“ gemeinsam mit Brandenburg und dem „Forschungsund Anwendungsverbund Verkehrssystemtechnik Berlin“ eine besondere Bedeutung zu. In der Biotechnologie und Medizintechnik wird diese koordinierende und vernetzende Aufgabe in den Gesprächskreisen „Kamingespräch Biotechnologie‘‘ und dem „Aktionszentrum BioTop“ wahrgenommen.

Die Medien haben in der sich entwickelnden Dienstleistungsgesellschaft eine wachsende Bedeutung. Das gilt vor allem für Berlin, das zu Recht als „capital of talent“ bezeichnet wird. „Capital of talent“ – das ist die Zusammenfassung von Ausbildung und von verschiedenen Institutionen der neuen Medien. Verschiedene Technologien fließen immer mehr in einen einheitlichen Multimedia-Bereich zusammen. Berlin wird hier das ganze Spektrum seines Förderinstrumentariums nutzen, um Starthilfe zu geben und die Entwicklung und die Anziehungskraft gerade für junge Leute weiter zu steigern.

[Wieland (GRÜNE): Das haben Sie vor vier Jahren auch schon versprochen!]

Dass zu diesem Sektor der Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und auch der werbefinanzierte private Rundfunk gehören, gehört zur Selbstverständlichkeit. Aber wenn man von Medien und von dem besonderen Medienstandort redet, dann nenne ich hier auch die Eröffnung des Filmhauses am Potsdamer Platz mit der Stiftung Deutsche Kinemathek, der Deutschen Filmund Fernsehakademie, die Internationalen Filmfestspiele, und ich nenne auch ausdrücklich die Zielrichtung, dass die Filmförderung auf hohem Niveau fortgeführt wird.

[Frau Ströver (GRÜNE): Wo bleibt die Mediathek?]

Die neuen Medien müssen verstärkt Eingang in die Berliner Schulen und in die Berliner Verwaltung finden. Die Landesinitiative „Projekt Zukunft – Der Berliner Weg in die Informationsgesellschaft“ wird weiterentwickelt, das Stadtinformationssystem berlin.de wird in Public-Private-Partnership ausgebaut.

Doch ganz allein wird Berlin, regional begrenzt, im weltweiten Wettbewerb um Märkte und Methoden nicht bestehen können. Die Kooperation mit Hamburg, insbesondere in den Bereichen Tourismus, Medien und Verkehr hat bereits große Fortschritte gemacht, ebenso die Zusammenarbeit mit Brandenburg, beispielsweise in den schon genannten Sektoren der Biotechnologie, der Verkehrstechnik und der Medien. Diese zusammenwachsende Wirtschaftsregion werden wir auch verkehrstechnisch weiter verzahnen – in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, der Bundesbahn, aber auch anderen Verkehrsträgern beispielsweise durch schnelle Bahnverbindungen. Ich sage auch hier angesichts der aktuellen Diskussion: vorzugsweise auch mit dem Transrapid.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von den GRÜNEN – Doering (PDS): Mit wem denn?]

In zehn Jahren wird es nichts Ungewöhnliches sein, in Hamburg zu wohnen und in Berlin zu arbeiten und umgekehrt. Wir jedenfalls werden und müssen alles daran setzen, dass in den nächsten 20 Jahren neben dem erfolgreichen Wirtschaftsgebiet von Amsterdam über Düsseldorf und Köln bis nach Frankfurt am Main das Einzugsgebiet von Hamburg, Berlin, Dresden bis Breslau zu einem weiteren wirtschaftlichen Rückgrat Europas wird. Dabei wissen wir um die Probleme. Manche statistischen Angaben sind etwas problematisch, weil sie nie das gesamte Ballungsgebiet Berlin erfassen, sondern an den Grenzen der Stadt orientiert sind. Das Ballungsgebiet selbst entwickelt sich positiv, auch wenn die Zahlen für Berlin allein nicht zufriedenstellend sind. Es macht vielleicht fiskalisch, nicht aber wirtschaftspolitisch Sinn, das Wirtschaftswachstum der Stadt Berlin isoliert in den Stadtgrenzen zu betrachten. Die nach der Wende mit hohem Tempo nachgeholte Kern-Rand-Wanderung ist ein Stück Normalität – Gott sei Dank heute ein Stück Normalität – und Nachholbedarf für viele Berlinerinnen und Berliner. Es ist eine Wanderungsbewegung, die immer mehr durch Gegenseitigkeit geprägt ist. Wir sollten also auf diese Bewegungen mit Gelassenheit reagieren und gerade bei der Beurteilung von Wirtschaftswachstumsraten im Ballungsraum jeweils das Ganze betrachten.

Die besonderen Chancen der Berliner Industrie in der Region liegen in hochspezialisierten, modernen Technologien, in der hohen Dichte von Geist und Wissen und der engen Verknüpfung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Sie werden besonders augenfällig im Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Adlershof und am Biomedizincampus Berlin-Buch. Adlershof wächst bereits aus eigener Kraft, auch in Buch haben sich in den letzten Jahren bereits 35 biomedizinische Firmen mit ungefähr 330 Mitarbeitern angesiedelt.

[Zuruf des Abg. Hoff (PDS)]