Wenn jemand von Ihrer Fraktion hier nach vorne geht und sagt, das sei alles korrekt gewesen und es sei wunderbar und richtig gehandelt worden – es muss nicht informiert werden –, dann tragen Sie auch die Verantwortung. – Wir sehen das völlig anders. Nach unserer Auffassung hätte man erstens die Verantwortung auf sich nehmen und der Bevölkerung sagen müssen: Hier ist etwas passiert, was unangenehm ist, was wir aber jetzt nicht vertuschen wollen. Bitte seid vorsichtig, denn es ist ein gefährlicher Mensch aus dieser Anstalt entwichen! Schützt euch in einer gewissen Zeit! Wir haben die Fahndung und polizeiliche Maßnahmen eingeleitet. Vielleicht fangen wir ihn wieder ein. – Diese Information ist absolut notwendig und der normale Bestandteil einer demokratischen Öffentlichkeitspolitik. Hier gibt es nichts zu vertuschen, hier muss aufgeklärt werden, denn nur dann gewinnen Sie Glaubwürdigkeit, wenn Sie nicht alles verheimlichen, was Ihnen peinlich ist.
Wenn also jetzt jemand von Ihnen nach vorne geht und sagt: „Das war alles ordentlich.“, dann tragen Sie das bitte hier vor. Das ist aber nicht so! – Die Mehrheit im Saal sieht das genauso, wie ich es dargestellt habe. Sie können hier herumfragen: Aus parteipolitischer Räson werden Sie sagen, das sei ein falscher Antrag von uns, aber wenn Sie es so sehen, wie ich es Ihnen vorgestellt habe, wird man eine Mehrheit im Saal finden, die eindeutig sagt: Dieses Verhalten war fehlerhaft. – Es war ein Versagen in der Amtsführung, und das kann das Parlament missbilligen. Das ist nicht die Forderung nach einem Rücktritt, es ist aber ein klares Stoppsignal – sozusagen die gelbe Karte, die sagt: Frau Kollegin Schöttler! Sie führen ein Senatsamt, das in der letzten Zeit mit Pleiten, Pech und Pannen dick gepflastert war.
Ich möchte Ihnen nicht noch die Einzelheiten aufzählen, in welchem Zustand jetzt gerade die von Ihnen beschlossene privatisierte Krankenhaus GmbH ist. Ich habe das mehrfach in der Presse gesagt: Es ist eine wunderbare Situation.
Wir gründen die größte Krankenhaus GmbH, aber wir haben keinen Vorstand. Wir haben einen pensionierten ehemaligen Staatssekretär usw.
Das möchte ich hier nicht ausführen, aber es reiht sich ein. Das, was hier gelaufen ist, ist bedeutsam. Denn so langsam sollten auch Sie das Zutrauen verlieren, dass hier alles mit ordentlichen Dingen zugeht. Diese Senatsverwaltung ist im Augenblick in einem chaotischen Zustand, so dass wir jeden Tag mit ähnlichen Pannen rechnen müssen. Ich finde, deshalb gehört an dieser Stelle wenigstens die gelbe Karte und ein deutliches Stoppschild auf den Tisch. Ich glaube, das werden die meisten Kollegen hier im Saal ähnlich sehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Politik gibt es Erfolgserlebnisse und Misserfolgserlebnisse. Zu den Erfolgserlebnissen gehört der ganze Umstand um den Ausbruch dieses Verbrechers sicherlich nicht. Es ist die Frage, wie man mit einem solchen Sachverhalt umgeht. Dass die Opposition natürlich versucht, die Koalition auseinander zu dividieren, kann ich verstehen. Das gehört zu den Aufgaben der Opposition. Wir alle wissen auch, dass es bisher keinen Justizsenator und keinen für diese Unterbringung verantwortlichen Sozialsenator gegeben hat – wir wissen das aus Brandenburg –, wo solche Umstände nicht vorgekommen sind. Die Frage ist: Hätte man so etwas verhindern können,
oder sind im Zuge dieses Vorgangs Fehler gemacht worden, die die Interessen und die Bedürfnisse der Bevölkerung beeinträchtigt haben?
Ich bin auch der Meinung, es wäre zweckmäßiger gewesen, die Öffentlichkeit sofort zu unterrichten. Ihr Pressesprecher, Frau Schöttler, hat gesagt, Sie haben den Verbrecher nicht für so gefährlich für die Bevölkerung gehalten.
Es ist kein Triebtäter und kein Psychopath gewesen. Das ist übrigens der Grund, warum wir uns einmal Gedanken darüber machen müssen, wie leicht Schwerverbrecher, die nicht krank sind, in solche Haftanstalten oder Krankenhäuser kommen. Das ist der entscheidende Punkt.
Darüber muss man nachdenken. Das ist ein Relikt einer vermeintlichen und verbrämten humanisierenden Resozialisierungspolitik im Strafvollzug. Die Ärzte haben völlig Recht gehabt, und auch die Polizeigewerkschaften haben Recht: Der Mann hätte gar nicht nach Reinickendorf in das Krankenhaus gehört. Was wir als Konsequenz daraus ziehen müssen – wir müssen Lehren daraus ziehen –, wir müssen die Anforderungsprofile verschärfen, wann die Leute in den normalen, noch besser gesicherten Haftanstalten bleiben und wann wir sie in solche, aus medizinischen Gründen erforderlichen Einrichtungen verlegen können. Da ist offensichtlich ein Fehler passiert, der zur Folge hatte, dass ein Schwerverbrecher ausbrechen konnte.
Ich glaube nicht, dass er bei der Aufklärung der Sache groß behilflich sein kann. Deswegen möchte ich ihn bitten, selbst zu reden in der Sache, sofern die Fraktion ihm die Möglichkeit dazu gibt.
Nun hat es heute hohe Aufregung gegeben, weil der Generalsekretär der CDU gefordert haben soll, Frau Schöttler solle zurücktreten. Die wörtliche Formulierung, die solch eine Überschrift übrigens nicht rechtfertigt – ich habe es mir eben von dpa herausgesucht – lautet: „Frau Schöttler sollte kritisch darüber nachdenken, ob sie ihrem Amt noch gewachsen ist.“ Das ist die Auffassung des Generalsekretärs der CDU. Ich sage dazu: In allen Parteien gibt es scharf pointierte Formulierungen, in Ortsverbänden, in den Kreisverbänden wie in den Landesverbänden. Wir hier im Parlament haben Staatsverantwortung und haben mit Augenmaß zu prüfen, welche Vorgänge, die das Staatswesen beeinträchtigen, zu Konsequenzen führen müssen. Dazu sage ich: Ich sehe keinen Grund, Frau Schöttler zum Rücktritt aufzufordern und ich sehe auch keinen Grund, weshalb meine Fraktion einen Missbilligungsantrag, der auch noch aus völlig vordergründigen Motiven hier gestellt worden ist, zuzustimmen. Meine Damen und Herren! Auch wenn Sie noch so weinen, Ihnen wird es nicht gelingen, diese große Koalition in dieser Legislaturperiode auseinander zu dividieren.
Ich kann Ihnen eigentlich nur empfehlen: Stellen Sie öfter solche Anträge, das klärt die Verhältnisse in diesem Parlament viel besser, als manche von Ihnen meinen.
Ich möchte dennoch eine Sache ganz klar sagen: Die Senatorin muss natürlich bei ihrem unheimlich komplizierten Amt darauf aufpassen, wie bei der Krankenhausangelegenheit und jetzt in dieser Frage, ob wirklich die Anforderungsprofile richtig beachtet werden und alle Vorkehrungen getroffen sind. Ansonsten entsteht vielleicht doch der Eindruck, dass das eine oder andere für die Menschen wichtige Gebiet nicht in dem Sinne sachlich handhabbar ist, wie wir es eigentlich wünschen. Die Konsequenz muss daraus sein, wir müssen die Anforderungen an die Verlegungen in Krankenhäuser und solche Nervenkliniken neu überprüfen. Wir müssen im Zweifel eher der Sicherheit der Bürger den Vorrang geben, was die Aufbewahrung von Schwerverbrechern betrifft, als der vermeintlichen Annahme einer Erkrankung und damit einer Verlegung in eine Krankenstätte, wo man bei genauer Prüfung vielleicht hätte erkennen können, weil auf Grund eines bereits erfolgten Ausbruchversuches vor einigen Monaten eher ein Vorwand gesucht werden würde, dort noch einmal einen Ausbruch zu starten. Hier ist Leichtgläubigkeit nicht angesagt. Hier muss man an den Stellen, die darüber zu entscheiden haben, ob ein Gefangener dorthin verlegt wird, härtere Maßstäbe anlegen, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Darum bitte ich wirklich sehr herzlich.
Darüber hinaus sollten wir als Demokraten wirklich ein Offenheitsprinzip pflegen. Wenn es zu solchen Ereignissen gekommen ist, muss der Behördenapparat in der Lage sein, schnell die Menschen darüber zu informieren, dass hier ein Straftäter entkommen ist und die Bürger verstärkt aufpassen sollen, auch wenn der Pressesprecher der Sozialverwaltung annimmt, dass eine unmittelbare Gefährdung nicht vorhanden ist. Der Bürger muss aber die Gewissheit haben, dass grundsätzlich immer informiert wird, sonst hat er das Gefühl, dass nur selektiv informiert wird, das heißt, er wird nur dann informiert, wenn es dem, der informiert, Recht ist. Das können wir nicht hinnehmen. Insofern mag dieses wirklich bedauernswerte Vorkommnis für uns Grund sein, darüber noch einmal nachzudenken. Aber zu glauben, dass man mit einem Missbilligungsantrag der Sachklärung einer solchen Situation besser gerecht wird, ist falsch. Wir glauben auch nicht, dass es Ihnen gelingen sollte, hier Sand in das Getriebe dieser Koalition zu werfen. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion der PDS hat nunmehr Herr Dr. Nelken das Wort, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich glaube nicht, dass der Missbilligungsantrag der sachdienlichen Klärung der Umstände dient, die beim Entweichen des Straftäters eine Rolle gespielt haben.
Wie mir überhaupt, Herr Köppl, Ihre Forderung, man solle doch jetzt nicht parteitaktisch denken, wenn man über diesen Antrag debattiert, etwas zwiespältig aufgestoßen ist. Ich habe das Gefühl, auch mit Ihrer summarischen Begründung, die Sie in Ihrer Rede angeführt haben, dass eigentlich hier nur ein Anlass gesucht worden ist, um andere Konflikte und vielleicht auch Gründe, die es gibt, um die Arbeit von Frau Schöttler zu missbilligen, hieran aufzuhängen. Das ist meines Erachtens ausgesprochen misslich. Es gibt eine Reihe von Dingen, das ist auch in der eigentlich sehr missbilligenden Rede von Herrn Landowsky überdeckt worden, die in diesem Zusammenhang aufgeklärt werden sollten und die leider in dem Alarmismus, der hier an den Tag gelegt wird, untergehen.
Zum Beispiel wird immer davon gesprochen, dass der Entwichene ein verurteilter Straftäter sei. Das Problem besteht darin, dass der entwichene Igor P. freigesprochen worden ist. Er ist freigesprochen worden. Er ist sozusagen mit Auflage des Gerichts in den Maßregelvollzugs eingewiesen worden. Wenn er denn, Herr Köppl, nicht in das Krankenhaus gehörte, weil er nicht krank ist, dann gehört er auch nicht in das Gefängnis, dann hätte man ihn freilassen müssen.
[Wieland (Grüne): Es gab Haftbefehle inzwischen, haben Sie schon davon gehört, weil er inzwischen unter Mordverdacht steht.]
Auch ein nettes Problem, dass es Haftbefehle gibt. Aber Sie wissen sehr genau, worin das Problem in diesem Fall bestand. Der Entwichene wurde von Polen ausgeliefert, auf Grund eines Rechtshilfeersuchens, worin es darum ging, dass er wieder in den Maßregelvollzug einzuweisen wäre. Das wäre ein zusätzliches Problem, aber darum geht es hier nicht.
Offensichtlich werden hier verschiedene politische Süppchen gekocht. Ich denke, man sollte einige Fragen doch durchaus klären. Zwar nicht in dem Sinne, wie sie Herr Landowsky hier angesprochen hat mit seiner Äußerung, dass es hier eine Fehlentwicklung durch zu humanistischen Umgang mit kranken Menschen gibt. Hierüber sollte man sachlich reden, auch was Informationspolitik betrifft, wer hier für welche Information zuständig ist. Aus meiner Sicht wäre es deshalb ganz sinnvoll, sich mit diesen Fragen in den zuständigen Ausschüssen zu befassen. Meine Fraktion beantragt deshalb, dass dieser Antrag sowohl in den Rechts- als auch in den Gesundheits- und Sozialausschuss überwiesen wird, um dort die zu klärenden Fragen zu diskutieren. Vielleicht würde so trotz des politischen Alarmismus doch noch etwas Sachdienliches geschehen. – Ich danke!
Danke schön, Herr Kollege! – Das Wort hat nunmehr für die Fraktion der SPD der Fraktionsvorsitzende, Herr Wowereit! Bitte schön, Herr Wowereit!
Ach, Frau Ströver! Ich habe mich ja daran gewöhnt, dass Ihr Kollege Herr Müller-Schoenau mit Herrn Schmitt Koalitionsgespräche vorbereitet. Daran habe ich mich gewöhnt. Dass Sie aber mit Herrn Müller-Schoenau und Herrn Schmitt Missbilligungsanträge einbringen, daran muss ich mich allerdings erst noch gewöhnen, das ist etwas Neues.
Vielleicht sollte er sich im Fitnessstudio lieber um seinen Körper kümmern und nicht um die Politik.
Ich muss auch ganz deutlich sagen, ich habe mich über den Vorgang in der Tat geärgert, unabhängig von dem Vorgang, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Das, was Herr Schmitt macht, ist das eine, das kann ich nachvollziehen, dass aber die Grünen in diesem Stil es hier tun, das wundert mich doch sehr. Wo war denn Ihre Erklärung, als am 1. Januar der Mörder, für den Herr Diepgen zuständig ist, im Justizbereich, von seinem Freigang nicht zurückgekommen ist und neun Tage die Gegend unsicher gemacht hat? Wo war Ihre Reaktion? Die habe ich überhaupt nicht gehört.