Protocol of the Session on November 30, 2000

Die materielle Absicherung des Studiums ist Voraussetzung für eine breite Bildungsbeteiligung. Die von der Bundesregierung beschlossenen Änderungen zur Ausbildungsförderung kehren den Trend des stetigen Rückgangs der Leistungen der CDUBundesregierung seit Anfang der neunziger Jahre um. Die Einkommensgrenze wird steigen, das Kindergeld wird generell nicht mehr auf das Einkommen angerechnet, die Fördersätze werden erhöht, BAföG Ost und West werden angeglichen.

Wir wollen ein schlankes, klares und verständliches Hochschulgesetz. Das Gesetz soll insbesondere in Organisationsfragen auf wenige Grundsätze und Rahmenlegungen beschränkt sein, innerhalb derer die einzelnen Hochschulen im Sinne der bisherigen Erprobungsklausel Gestaltungsmöglichkeiten auf Grund eigener interner Willensbildung haben. Wir wollen leistungsorientierte Kriterien für die Zumessung der Finanzen an die Hochschulen und innerhalb der Hochschulen. Die größere Autonomie bedingt auch öffentliche Evaluation und Rechenschaft. Im Rahmen des immer wichtiger werdenden lebenslangen Lernens können die Hochschulen nicht auf die Erstausbildung beschränkt bleiben.

Die Hochschulverträge sind ein wichtiges Instrument zur politischen Steuerung der Hochschulen. Ihre Verlängerung steht an. Auf Ihre Eckpunkte hierzu warten wir noch, Herr Senator.

Wir wollen, dass die Hochschulen Körperschaften des öffentlichen Rechts bleiben,

[Beifall bei der SPD]

für deren Mitglieder die demokratische Teilhabe an der Selbstverwaltung zu sichern ist. Die Hochschulen haben gesamtgesellschaftliche Verpflichtungen. Der Staat – dazu gehört auch das Parlament – darf sich aus seiner Verantwortung für die Hochschulen nicht wegstehlen.

Im Übrigen, Frau Grütters, hat die Diskussion im Wissenschaftsausschuss gezeigt, wie fern von der Realität Ihre Schnellschüsse in der Sommerpause hierzu waren.

[Zuruf der Frau Abg. Grütters (CDU)]

Innerhalb der Hochschule sollen weiterhin Grundsatz- und Richtungsentscheidungen durch Gremien getroffen werden, in denen alle Mitglieder und Gruppen stimmberechtigt mitwirken. Diese Gremien wählen jeweils Leitungen, deren Kompetenz gestärkt werden soll und die gegenüber dem jeweiligen Wahlgremium rechenschaftspflichtig sind.

Die Autonomie der Hochschulen wollen wir weiter ausbauen und die Detaileingriffe der Senatsverwaltung abbauen.

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Hoff (PDS)]

Für die Hochschule insgesamt soll es bei den Kuratorien als Aufsichtsgremium mit externen und internen Mitgliedern bleiben. Wie die Aufgaben und die Zusammensetzungen endgültig zu regeln sind, in welchem Umfange es zentrale Vorgaben gibt oder nicht, ob die internen Mitglieder direkt oder indirekt vertreten sind, wer das Vorschlagsrecht hat, kann erst nach Auswertung der Erfahrungen mit den laufenden Modellversuchen entschieden werden.

Ein Landeshochschulrat zur Beratung von Senat, Parlament und Hochschulen sowie als Ort der Koordination und Entscheidungen bei Konflikten wird von uns befürwortet. Ein zukünftiger Hochschulrat in Berlin hätte allerdings eher die Kärrnerarbeit der laufenden Hochschularbeit zu bewältigen. Wenn sich erneut grundsätzlicher Beratungsbedarf stellt, so können wir Ad-hocKommissionen einsetzen, wie es auch andere Bundesländer tun und wir bisher auch in Berlin praktiziert haben.

Die von der Bundesregierung geplante Dienstrechtsreform wird die Leistungs- und Innovationsfähigkeit der Hochschulen steigern. Die Juniorprofessur wird es jungen Wissenschaftlern gestatten, unabhängig zu lehren und zu forschen. Die Abschaffung der Habilitation verkürzt die Zeit bis zur Berufung, ohne die Qualität zu senken. Die Einführung eines Grundgehalts mit Zulagen wird zur Leistung motivieren. Wir begrüßen die grundsätzliche Gleichstellung der Professorenbesoldung an Universitäten und Fachhochschulen.

Studienreform ist eine der wichtigsten inhaltlichen Reformprojekte. Der Konsens der Hochschulminister der Europäischen Union zur Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen, von Studienmodulen und Credit points ist nicht nur ein Beitrag zur Internationalisierung, sondern möglicherweise auch ein neuer Anlauf zur inhaltlichen Studienreform in Deutschland.

In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Entscheidung der Bundesregierung, die BAföG-Stipendien auch im europäischen Ausland voll nutzen zu können. Hier hat Deutschland eine europaweite Führungsrolle übernommen.

Wenn wir von Studienreform und neuer Studienorganisation reden und neuen Formen der Qualitätssicherung, sollten wir uns auch einmal genau ansehen, ob nicht auch konservative Zöpfe, die aus Kaisers Zeiten stammen, wie Staatsexamen und Referendariat, abgebaut werden können.

[Beifall bei der SPD]

Ein Lehrer braucht heute 8 Jahre, bis er fertig ist. Und wir erleben gerade, wie wenig flexibel diese Art von Ausbildung ist.

Wir haben im Übrigen mit Freude zur Kenntnis genommen, dass auch der Senator sich für die Gebührenfreiheit des Erststudiums entschieden hat, im Gegensatz zur CDU-Fraktion, wenn wir uns noch einmal vergegenwärtigen, was Frau Grütters hier erzählt hat. Sein Vorschlag, Langzeitstudierende mit hohen Gebühren zu belegen, ist nicht zu Ende gedacht. Es liegt nicht nur am bösen Willen. Viele Studierende studieren bewusst

neben einer Berufstätigkeit oder neben den Belastungen einer Familie wie Kindererziehung. Die FU hat sich genauer angesehen, wer die Studienzeit erheblich überzieht. Es sind die Lehramtsstudierenden. Sie liegen an der Spitze. Und da hat der Senat eine Mitschuld, weil er eine total überfrachtete Prüfungsordnung erlassen hat, aber auch die Hochschulen, die nicht in der Lage sind, die verschiedenen Studienanteile ordentlich zu koordinieren.

[Beifall bei der SPD]

Herr Kollege, würden Sie bitte zum Schluss kommen?

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident! – Die SPD-Fraktion ist bereit zum konstruktiven, ergebnisorientierten Dialog mit dem Senator, mit unserem Koalitionspartner, mit allen Fraktionen und der Öffentlichkeit.

[Hoff (PDS): Wir auch!]

Das Ergebnis muss eine Wissenschafts- und Bildungspolitik im breiten gesellschaftlichen Konsens sein. Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken und handeln, für die Zukunft der Wissenschaft und für die Zukunft unserer Stadt!

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Brauner (CDU) – Hoff (PDS): Nachdenken ist gut!]

Danke schön, Herr Schuster! – Nunmehr hat für die Fraktion Bündnis 90/Grüne Herr Weinschütz das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Grütters! Ihr Antrag auf die Aktuelle Stunde hat bei uns so ein bisschen wie ein Paukenschlag eingeschlagen. Ich gebe es gerne zu. Wir haben uns dann sehr viel davon versprochen und uns gefragt, was damit gemeint sei. Als Sie vorhin begründet haben, es gehe Ihnen im Wesentlichen darum, die Haushaltsdebatte vorzuziehen, weil der Einzelplan 17 nicht mehr während der Fernsehzeit besprochen wird, fand ich das etwas enttäuschend. Davon hätte ich mir schon etwas mehr versprochen. Und auch als Sie das Thema jetzt inhaltlich durchgegangen sind, war ich etwas enttäuscht. Ich gebe Ihnen, Frau Grütters, in zwei Punkten vollständig Recht. Das eine ist: Wissenschaft ist das Zukunftsthema für Berlin.

[Molter (CDU): Na, also!]

Und ich gebe Ihnen in einem zweiten Punkt Recht: Es wird in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen.

[Molter (CDU): Sehen Sie!]

Aber alles, was danach kam, ging meines Erachtens an der Realität sehr stark vorbei.

[Zuruf des Abg. Kittelmann (CDU)]

Frau Grütters, Sie haben ausgeführt, Berlin sei Weltspitze, aber alle Probleme haben Sie ignoriert und verschwiegen. Wenn man sich wirklich Sorgen um die Zukunft der Wissenschaft macht, dann muss man erkennen, was heute die Probleme sind, und muss diese Probleme angehen und nicht einfach nur alles gesundloben.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Hoff (PDS)]

Probleme haben wir in Berlin im Wissenschaftsbereich genug, auf allen Ebenen. Wenn man sich überlegt: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ferner Zukunft müssen vorher auch einmal Nachwuchskräfte gewesen sein, die müssen promoviert haben und die müssen vorher auch einmal studiert haben, ja die waren vorher sogar an der Schule. – Da fängt das Problem schon an. Schülerinnen und Schüler brauchen Lehrerinnen und Lehrer. Die werden an den Hochschulen ausgebildet. Aber die Lehrerausbildung liegt bei uns schon sehr im Argen.

Die Studiengänge sind mit unnötigen Inhalten überfrachtet und völlig praxisfern. Die Vorbereitung auf die heutige Realität in Schulen findet kaum statt, z. B. auf die in Berlin so notwendige interkulturelle Erziehung. Lehramtsabsolventinnen und -absolventen brauchen bis zum Abschluss im Schnitt drei Semester länger als andere Universitätsabsolventinnen und -absolventen, die zweijährige Referendarzeit nicht eingerechnet, die die Ausbildung erst abschließt. Bei der Anmeldung zu den Prüfungen gibt es lange Wartezeiten. Von der Wissenschaftsverwaltung hört man dazu nichts, von der Schulverwaltung vorsichtige Andeutungen, die Einführung von Bachelor und Master könne das schon richten, aber so richtig das Staatsexamen abschaffen will man auch nicht, also: kein Konzept da.

Nicht nur qualitativ, auch quantitativ gibt es da Probleme. Bisher haben alle Sparwellen die Lehrämter in der Regel überdurchschnittlich getroffen. Berufsschullehrerinnen und -lehrer sind schon jetzt Mangelware. Auf Grund des Durchschnittsalters der Berliner Lehrerschaft und der bald einsetzenden Pensionierungswelle gibt es einen absehbaren Lehrermangel. Trotzdem wollen die Wissenschaftsverwaltung und der Senator dem Gutachten des Wissenschaftsrats folgen und z. B. an der TU die Lehramtsausbildung drastisch einschränken. So wird heute die Zukunft der Wissenschaft von übermorgen verspielt, weil es morgen nicht mehr genug Lehrerinnen und Lehrer mit einer den heutigen Anforderungen entsprechenden Qualifikation gibt. Herr Stölzl, bitte schauen Sie hier nicht mehr länger tatenlos zu!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Zukunft werden auch studieren müssen. Was wird ihnen hier in Berlin geboten? – 85 000 Studienplätze für 130 000 Studierende! Da ist es in manchem Hörsaal eng, die Dozentin vielleicht gerade noch mit dem Fernglas zu erkennen. Seminare sind hoffnungslos überfüllt. Persönlicher Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden ist fast unmöglich. Doch statt für eine bessere Ausstattung der Hochschulen zu sorgen, gibt es nun ein Studierwilligenabschreckungsprogramm. So wollte Anfang des Jahres der Senat den Hochschulzugang nach dem Abitur durch Auswahlgespräche an den Hochschulen erschweren und konnte nur durch Hinweise aus den Hochschulen selbst, dass es dafür an Kapazitäten mangelt, zu einer Einschränkung seiner Pläne – Frau Grütters, ich sage, glücklicherweise – veranlasst werden. Jetzt will Herr Stölzl Langzeitstudiengebühren einführen, unter Bruch der Koalitionsvereinbarung versteht sich, mit der erst alle in Sicherheit gewiegt wurden. Na, vielen Dank! In dem Ziel, dass die Studierenden in vernünftiger Zeit zum Abschluss gelangen können sollen, da sind wir uns einig, aber dann – bitte schön! – muss man die Ursachen langer Studienzeiten bekämpfen und nicht die Studierenden.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wenn die Studierenden bisher so lange brauchen, weil sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, werden sie mit Studiengebühren sicher nur noch länger brauchen, weil sie eben noch mehr arbeiten müssen. Das ist kontraproduktiv. Sofern es an der Ausbildung liegt, muss man diese verbessern, z. B. Studiengänge von unsinnigen Anforderungen entrümpeln, bessere Studienberatung, besser Betreuung ermöglichen. Dann, Herr Stölzl, werden die Studienzeiten sinken.

Was sollen diese Abschreckungsszenarien? – Im europäischen Vergleich – so die jüngste OECD-Studie – liegt die Hochschulabsolventenzahl in Deutschland schon jetzt deutlich unter dem Durchschnitt. Die Erfahrungen in Baden-Württemberg zeigen, dass mit Langzeitstudiengebühren die Studierendenzahlen sinken. Also noch weiter in den Keller mit Deutschland? – Der kürzlich veröffentlichte Abschlussbericht der TIMMS-Studie, also des internationalen Leistungsvergleichs zwischen Schulen, zeigt Folgendes: Je mehr Schülerinnen und Schüler in die gymnasiale Oberstufe eintreten, desto besser sind die Aussichten auf Spitzenleistungen. Auf eine Formel gebracht: Unter 1 000 Schülerinnen und Schülern findet sich eher ein Einstein als unter 100. – Breite Berge werden höher. – Das gilt entsprechend für die Hochschulen. Wenn wir auf viele Spitzennachwuchswissen

schaftlerinnen und -wissenschaftler Wert legen, dann brauchen wir einen breiten, offenen Zugang zum Hochschulstudium und keine Abschreckung. Die negative soziale Auslese, die Studiengebühren mit sich bringen, will ich hier nur erwähnen. Im Interesse der Wissenschaft der Zukunft, Herr Stölzl, legen Sie diese kontraproduktiven Studiengebührenpläne schnellstens beiseite, vergessen Sie es!

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir werden in dieser unseligen Diskussion auch die SPD genau beobachten, ob sie standhält oder umfällt. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, haben nächstes Frühjahr Ihren Bildungsparteitag. Ich befürchte das Schlimmste. Wir ermahnen Sie: Halten Sie Ihre Versprechungen, bleiben Sie Ihrem Programm treu, keine Studiengebühren!