Protocol of the Session on November 16, 2000

Wir kommen nun zur

lfd. Nr. 7 F, Drucksache 14/798:

Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung vom 18. Oktober 2000 und des Hauptausschusses vom 15. November 2000 zum Antrag der Fraktion der Grünen über Solidaritäts-Sonderabgabe für Professoren der Universitätsklinika bis 2004, Drucksache 14/362

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Die Ausschüsse empfehlen einstimmig bei Stimmenthaltung der Oppositionsfraktionen im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung die Annahme des Antrags in neuer Fassung. Wer gemäß der Beschlussempfehlung Drucksache 14/798 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen, auch hier der Oppositionsfraktionen, ist dies so beschlossen.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 7 G, Drucksache 14/799:

Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten vom 23. Oktober 2000 und des Hauptausschusses vom 15. November 2000 zum Antrag der Fraktion der PDS über Sicherung des Theaterpädagogischen Dienstes Berlin, Drucksache 14/615

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Die Ausschüsse empfehlen einstimmig die Annahme des Antrags in neuer Fassung. Wer so gemäß der Beschlussempfehlung Drucksache 14/799 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist dies so beschlossen.

Wir sind damit bei der

lfd. Nr. 8, Drucksache 14/714:

Die Besprechung erfolgt auf Antrag der Fraktion der PDS. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von bis zu fünf Minuten pro Fraktion empfohlen. Eine Überschreitung wird auch zugelassen. Wir wollen großzügig verfahren. Für die Fraktion der PDS hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Lötzsch, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal in der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses über die Ehrenbürgerschaft von Nikolai Bersarin, den ersten Stadtkommandanten von Berlin nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus. Eigentlich bedürfte es dieser Diskussion gar nicht mehr, hatte doch das Abgeordnetenhaus am 13. Juli dieses Jahres mit Mehrheit beschlossen:

Das Abgeordnetenhaus fordert den Senat auf, den ersten Stadtkommandanten von Gesamtberlin, Nikolai Bersarin, wieder in die Liste der Ehrenbürger Berlins aufzunehmen.

[Beifall bei der PDS]

Mit diesem Beschluss schien nun endlich eine eklatante politische Fehlentscheidung aus dem Jahr 1992 korrigiert zu sein. Im Plenum und im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses, in öffentlichen Veranstaltungen zum 55. Jahrestag der Befreiung, in zahlreichen Tageszeitungen und im Fernsehen wurden viele Informationen über die Tätigkeit des ersten Stadtkommandanten öffentlich gemacht. Ich will das an dieser Stelle gar nicht alles wiederholen. Häufig wurde natürlich auch der CDU-Politiker und Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen Ernst Lemmer zitiert, der Nikolai Bersarin folgendermaßen charakterisierte. Er sagte:

Nichts schien ihm wichtiger zu sein, als diese Stadt wieder lebensfähig zu machen. Er nahm seine Aufgabe so ernst und hielt sie für so selbstverständlich, als hätte er sie im eigenen Land durchzuführen.

So also der CDU-Politiker Ernst Lemmer.

Weder der Mehrheitsbeschluss des Abgeordnetenhauses noch die öffentliche Debatte beeindruckten allerdings den Regierenden Bürgermeister Diepgen. Er leitete dem Parlament ein abschließendes Schreiben zu, in dem er die Wiederaufnahme von Bersarin in die Ehrenbürgerliste ablehnt. Einer der inhaltlichen Kernsätze sei hier zitiert. Ich zitiere aus dem Schreiben:

Bei dieser Entscheidung hatte sich der Senat auch von der Tatsache leiten lassen, dass einerseits das Verhalten des sowjetischen Militärs in der unmittelbaren Nachkriegszeit bei zahlreichen Berlinern nicht nur positive Erinnerungen auslöst und andererseits alle Stadtkommandanten in den verschiedenen Teilen der Stadt nach dem Völkerrecht eine Pflicht zur Versorgung der Bevölkerung hatten.

Dazu ist Folgendes zu sagen: Diese Mitteilung – zur Kenntnisnahme – ist ebenso lapidar wie erhellend. Sie ist erstens erhellend, was das Verständnis des Umgangs des Regierenden Bürgermeisters mit Beschlüssen des Parlaments betrifft. Der Beschluss vom 13. Juli 2000 war schließlich nicht irgendeiner, der vielleicht spätnachts durch Unaufmerksamkeit einiger Abgeordneter zustande gekommen ist. Nein, ganz im Gegenteil: Das Parlament hatte wochenlang, ja monatelang intensiv debattiert.

Zweitens war erhellend, was den Umgang des Regiermeisters mit der SPD-Seite im Senat betrifft. Dass die SPD-Senatoren aus der Zeitung von diesem angeblichen Senatsbeschluss erfahren hatten, ist in den öffentlichen Reaktionen von Herrn Bürgermeister Böger in der Spontanen Fragestunde vom 12. Oktober und in Fernsehinterviews von Senator und SPD-Landesvorsitzendem Peter Strieder deutlich geworden. Drittens ist auch der kulturpolitische Sprecher der Fraktion der CDU, Herr Dr. Lehmann-Brauns, um die von ihm ausdrücklich gewünschte Diskussionszeit betrogen worden. Herr Dr. Lehmann-Brauns hatte in der Sitzung des Kulturausschusses, in der die Reise nach Moskau und St. Petersburg ausgewertet wurde, von seinem Treffen mit dem letzten Moskauer Gesandten in Berlin aus den Jahren

1987 bis 1992 berichtet und erklärt, dass er noch Zeit für die Diskussion innerhalb der CDU brauche. Herr Diepgen! Also ist auch Ihr Parteikollege Lehmann-Brauns, von Ihnen düpiert worden.

Aber Kern der Geschichte ist wohl der Satz in der Mitteilung – zur Kenntnisnahme –, dass man sich von den Erinnerungen an das Verhalten des sowjetischen Militärs habe leiten lassen. Hierzu muss ich selber gar nichts ausführen, sondern kann – mit Erlaubnis des Präsidenten – die Ausführungen des Journalisten Andre´ Mielke zitieren, der in der „Berliner Morgenpost“ den Kern der Angelegenheit richtig beschrieben hat:

So sind die bösen Russen ein gutes Stück des alten WestBerlin. Die Berliner CDU hat ein untrügliches Gefühl dafür. „In 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm“, hat Udo Lindenberg einmal gefrotzelt. Manche scheinen zu befürchten, dass mit einem Ehrenbürger Bersarin es doch noch so weit kommen könnte, jetzt, nachdem die PDS gerade in Kreuzberg einmarschiert ist.

[Heiterkeit und Beifall bei der PDS]

Ich denke, dass Sie, Herr Regierender Bürgermeister – so schätze ich Sie jedenfalls ein –, als politischer Mensch und als Staatsbürger ganz gut mit einem Ehrenbürger Bersarin leben könnten. Allerdings haben Sie eben diese Furcht, Ihnen könnte eine Klientel verlorengehen, auf die Sie immer gebaut haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Haben Sie doch mehr Mut! Der Vorsitzende Ihrer Fraktion, Klaus Rüdiger Landowsky, hat in einem „Tagesspiegel“-Interview, das er zusammen mit Gregor Gysi geführt hat, sehr zu Recht die Meinung vertreten, dass sowohl die PDS im Osten als auch die CDU im Westen die Veranlassung und die Aufgabe hätten, voranzugehen und aus den Gräben des Kalten Krieges herauszukommen. Den Menschen sollte man also nicht sagen: „Bleibt mal dort!“ – Haben Sie mehr Mut, haben Sie mehr Vertrauen in Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger!

[Wieland (Grüne): Dann koaliert doch endlich!]

Eine Stadt, in der wie am vergangenen Donnerstag 200 000 Menschen für Menschlichkeit und Toleranz aufstehen, braucht keine Geschichtsklischees aus den Zeiten des Kalten Krieges und kann sehr gut einen Ehrenbürger Bersarin vertragen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Uwe Lehmann-Brauns!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Frau Lötzsch! Es macht Ihnen Freude, mit dem Thema „Bersarin“ ein bisschen in der großen Koalition herumzustochern. Das ist doch völlig klar, und das nehme ich Ihnen gar nicht übel. Bei Ihnen steckt wahrscheinlich auch der Versuch dahinter, den Schaden und das Ungemach, die Ihre Partei seit 1945 über dieses Land und über diese Stadt gebracht hat, mit diesem Thema zu relativieren.

[Beifall bei der CDU – Zuruf der Frau Abg. Anding (PDS)]

Ich glaube, in der Beziehung sind Sie auch nicht belehrbar.

Der Diskussionsstand in dieser Debatte ist bekannt. Neues wird sich heute nicht ergeben. Die CDU hat sich gegen eine Zurückverleihung der Ehrenbürgerschaft an Bersarin ausgesprochen, denn wir haben die Vermutung nicht ausschließen können, dass Bersarin, der seine Pflicht in der Stadt getan hat – allerdings eine Pflicht, die das Völkerrecht von ihm verlangte und die auch andere vor ihm so erfüllt haben –, die Absicht verfolgte, die damals gedemütigten Deutschen

[Brauer (PDS): „Gedemütigt“ – das ist stark!]

so wie die anderen Völker Mittel- und Osteuropas im Sowjetblock zu vereinnahmen – von anderen Vorfällen in seinem Umfeld einmal ganz abgesehen. Das war doch die Linie der Sowjetunion

damals. Wir haben darüber hier auch schon gesprochen. Herr Wieland hatte mir damals mit Recht das Zitat zugerufen: „Die Hitlers kommen und gehen, aber Deutschland bleibt bestehen!“ – Das war Stalins Taktik, und in diese Taktik war auch Herr Bersarin eingespannt. Glauben Sie doch nicht im Ernst, verehrte Frau Lötzsch oder meine Damen und Herren von der Linken, Stalin hätte es zugelassen, dass einer seiner Repräsentanten einen anderen Kurs eingeschlagen hätte als den, den er vorgegeben hat. Das ist doch naiv.

Dennoch haben wir nicht den Stab über die Person Bersarin brechen wollen. Dazu liegt die Zeit auch zu lange zurück, als dass wir uns heute hier ohne wissenschaftliche Begleitung ein Urteil erlauben könnten. Aber wir verstehen nicht den Eifer der Antragsteller, der hinter diesem Antrag steckt. Warum muss das jetzt sein? Warum kann man über diese Frage nicht lange diskutieren und irgendwann einmal, wenn die Archive geklärt sind und sich die Wissenschaftler damit befasst haben, ein Urteil fällen? Weshalb ist das jetzt erforderlich?

[Frau Seelig (PDS): Weil es einen Beschluss gibt!]

Diese Begründung sind Sie der Öffentlichkeit bisher schuldig geblieben.

Inzwischen hat es aber doch Recherchen von einer unverdächtigen Seite gegeben. Ich meine die Recherchen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

[Heiterkeit bei der PDS]

Die haben ergeben, dass die Vermutungen der CDU über die Person Bersarin keinesfalls an den Haaren herbeigezogen waren, sondern offenbar in das Schwarze trafen. Denn diesen Untersuchungen zufolge war Bersarin eben nicht der „Gutmensch“, zu dem Sie ihn im Moment machen wollen,

[Wieland (Grüne): Ach!]

sondern er war eingespannt in die Strategie Stalins. Herr Wieland! Walter Ulbricht – das steht im Bundesarchiv, nachzulesen in der Nachlassakte Ulbricht und Arthur Pieck – –

[Wieland (Grüne): Das wissen wir!]

Das wissen Sie. Dann finde ich es um so unerfreulicher, dass Sie offenbar immer noch hinter diesem Antrag stehen. – Bersarins Programm in Berlin war programmiert von Walter Ulbricht. Und wenn Sie konsequent wären, müssten Sie heute auch noch die Ehrenbürgerschaft für Walter Ulbricht beantragen, meine Damen und Herren!