Protocol of the Session on October 26, 2000

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ströver, selbstverständlich, wenn es in dieser Stadt keine finanziellen Probleme gäbe, führten wir heute eine andere Debatte. Aber es soll sich selbst in Ihrer Fraktion so langsam herumgesprochen haben, dass es finanzielle Probleme in dieser Stadt gibt. Sie werden doch wohl nicht übersehen können, in einer Situation, wo im Haushalt 2 Milliarden DM gespart werden müssen – bei sozialen Einrichtungen, bei der Arbeitsförderpolitik, auch bei der Wirtschaftsförderpolitik –, dass wir auch im Kulturbereich darüber diskutieren müssen, wie wir strukturelle Veränderungen hinbekommen, ohne dass die künstlerische Qualität geschädigt wird, und dass es nicht immer nur danach geht, alles zu bezahlen, koste es, was es wolle. Das kann nicht mehr die Politik sein. Deshalb müssen wir kreativer da herangehen.

Man vergisst es oft: Auch in den letzten Jahren hat diese Stadt wichtige kulturelle Einrichtungen neu geschaffen und auch finanziert. Ich darf daran erinnern, dass wir gerade das Filmmuseum am Potsdamer Platz eröffnet haben. Das hat eine horrende Summe gekostet, und ich bin zufrieden, dass es so schön geworden ist, dass es im Zentrum liegt, angenommen wird und zur Aufwertung dieses wichtigen Platzes in der Stadt geführt hat. Diese Leistungen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern auch in Zeiten knapper Kassen finanziert worden.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Dass dort einiges durch Altverträge schief gelaufen ist, haben wir lange diskutiert. Trotzdem bin ich zufrieden, dass es da ist. Wir haben das Jüdische Museum mit über 100 Millionen DM finanziert und gebaut, und das hat diese Stadt allein finanziert. Wir haben das Technikmuseum so weit gebracht, dass es demnächst eröffnet werden kann.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Das waren auch mehrere Hundert Millionen DM. Das löst auch Folgekosten aus, pro Jahr höchstwahrscheinlich über 7 Millionen DM, und die müssen auch finanziert werden. Das ist ein Museum, in das sehr viele Jugendliche und Kinder gehen. Sie haben dort eine Erlebniswelt und werden auf eine hervorragende Art und Weise an die Kultur herangebracht. Das muss man unterstützen. Wir haben gesagt, wir belassen es nicht beim Kellergeschoss und machen einen Deckel drauf, sondern wir bauen es weiter.

Wir haben uns bereit erklärt, die Museumsinsel zügig auszubauen. Das kostet das Land Berlin höchstwahrscheinlich eine Summe bis zu 1 Milliarde DM. Die sind nicht einfach irgendwo vorhanden gewesen oder aus dem Kulturetat erbracht worden, sondern durch Schwerpunktsetzungen im Haushalt auch zusätzlich finanziert worden.

Ich darf bei dieser Gelegenheit, weil sonst so negativ über Lottogelder diskutiert wird, darauf hinweisen: Wenn wir das zusammenrechneten, was in den letzten Jahren kulturpolitisch über Lotto finanziert worden ist, und zwar nicht im Streit, sondern auch im Interesse vieler kleiner Gruppen vor Ort, die neue Projekte hatten, dann hat diese Stadt erhebliche Leistungen kulturpolitischer Art erbracht, und es wird auch so bleiben.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wir hatten uns selbstverständlich erhofft, dass der Bund uns stärker unter die Arme greift. Ich sage es nach wie vor: Die 100 Millionen DM, die wir an Hauptstadtkulturmitteln bekommen, reichen nicht aus. Es war ein Zufall, dass die Steuerreform auf dem Spiel stand und wir so etwas für die Kultur bekommen haben. Aber mir wäre es lieber gewesen, dass die 20 Millionen DM, die Herr Naumann für seine Einrichtungen erhielt – die immerhin in Berlin liegen, und deshalb kommt es auch der Berliner Kultur zugute –, Herrn Stölzl für den Kulturetat zur Verfügung gestanden hätten. Aber ich freue mich auch, dass es ins Jüdische Museum, in die Festspiele, in das Haus der Kulturen der Welt und andere Einrichtungen hinein geht. Das kommt auch der Berliner Kultur zugute.

Selbstverständlich dürfen wir nicht nur über die sogenannte Hochkultur, die großen Häuser reden. Es ist eine fatale Situation, weil diese andere Artikulationsmöglichkeiten haben. Selbstverständlich müssen wir auch über die Basiskultur und die vielen freien Gruppen sprechen. Ohne diese lebendige Basiskultur könnte sich keine Hochkultur erhalten. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Nicht jeder kommt als Stardirigent auf die Welt, er hat auch irgendwo einmal angefangen. Selbstverständlich müssen diese Gruppen erhalten bleiben. Ich sage für meine Fraktion: Wir werden es bei den Haushaltsberatungen nicht hinnehmen, dass der Zuschuss für das Tacheles gekürzt oder gestrichen worden ist; wir nehmen es auch nicht hin, dass bei der Ufa-Fabrik, bei der hervorragenden Arbeit dort, die Streichung eintritt. Herr Senator, ich muss Sie auch einmal kritisieren: Ihre Ausführungen im Ausschuss zur Frauenkultur waren unter Nullniveau. [Beifall bei der SPD und den Grünen]

Auch dort kann man die erfolgreiche Arbeit nicht einfach streichen. Das muss ausgewogen sein.

Trotzdem werden wir die Strukturreform angehen müssen, weil ein Haus mit 80 Millionen DM Zuschuss, das nächste Haus mit 84 Millionen Zuschuss und das dritte mit 61 Millionen DM Zuschuss einen Großteil des Kulturetats ausmachen. Da müssen wir heran. Es hilft nichts, hier zu lamentieren und zu sagen, das tue jemandem weh. Natürlich tut es jemandem weh. Es wird unsere Aufgabe sein, klar zu machen, dass die Fusion zwischen Deutscher Oper und Staatsoper keine feindliche Übernahme und keine Auflösung der Staatsoper sein kann, sondern dass beide Kräfte in einer gemeinsamen Leitung mit unterschiedlichen künstlerischen Profilen an zwei Standorten zusammengeführt werden sollen. Wenn das geschafft ist, wird sich zeigen, dass es sich auch künstlerisch auszahlt. Ich hoffe, Herr Stölzl, dass der Mut Sie nicht verlässt, aber ich hoffe auch, dass die Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Sie nicht verlässt. Wenn am Schluss bei Ihrem Strukturpapier herauskommt, dass es ein Spiel mit viel Lärm um Nichts war, dann wäre es schade.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Landowsky (CDU): Aber Sie dürfen ihn auch nicht verlassen! – Wowereit (SPD): Ich bin immer bei ihm!]

Für die Fraktion der PDS hat der Abgeordnete Brauer das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Wowereit, die bisherige Debatte hat seitens der Koalition nichts substantiell Neues gebracht. Das Opernstrukturpapier hat sich als genau so hohl wie ihre gesamte bisherige Kulturpolitik erwiesen. Offen ist als wichtigste Frage die Leitung des künftigen „Opernkombinates“.

[Heiterkeit]

Die beabsichtigten Einsparmöglichkeiten – das ist en de´tail vorgerechnet worden – sind widersprüchlich und äußerst unklar, der Zeitrahmen ist kaum nachvollziehbar. Und, Herr Senator, ein Hinweis sei mir gestattet: Eine Statistik den eigenen Bedürfnissen anzupassen, macht die Wirklichkeit in der Kulturlandschaft noch längst nicht besser. Betrieben wird auch im Kulturbereich die allseits bekannte diepgen-landowskysche Politik nach Gutsherrenart. Die im Lottorat herrschende undurchsichtige Willkür wird peu a` peu auf die gesamte Kulturlandschaft übertragen.

[Niedergesäß (CDU): Jetzt ist es aber genug!]

Es ist jetzt genug! Herr Niedergesäß, Sie haben Recht!

Zu den Finanzen: Es bleibt das Grundproblem des fehlenden Tarifausgleichs. Im Theaterfinanzierungskonzept wurde dieser seinerzeit zugesichert, aber bis heute nicht eingehalten. Und das Strukturkonzept formuliert diese Problematik auch nur im zahlungsunwilligen Konjunktiv. Ganz konkret: Allein die Deutsche Oper wird im nächsten Jahr mit insgesamt 6,4 Millionen DM dadurch belastet sein. Diese Mittel sind von diesem Haus aus eigener Kraft nicht zu erbringen. Allerdings, Herr Senator, lassen

Ihre Zahlen den Schluss zu, dass die Wahrnehmung der Arbeitgeberverpflichtungen durch das Land Berlin, vor der sich dieser Senat immer noch drückt, auch die defizitäre Situation der Häuser beheben würde. Wenn das so ist – und da traue ich Ihren Berechnungen –, was ist dann noch der Sinn Ihrer sogenannten Reform? Die künstlerische Zielsetzung ist mehr als vage, darauf wurde schon verwiesen, und die banausenhafte Zuteilung von Repertoirelinien vom grünen Verwaltungstisch aus – was dann anschließend noch durch Gesetzgebungsakt festgeklopft werden soll – geht zu Lasten tatsächlicher Entwicklungspotentiale der Häuser und hauptsächlich des Publikums. Die Entstehungsbedingungen von Oper werden ganz ignoriert. Oper ist klassische Ensemblekultur, und wer deren Zerschlagung ausgerechnet unter Berufung auf Klemperer und Felsenstein betreibt, der handelt mehr als scheinheilig.

[Beifall bei der PDS]

Was soll mit der Rechtsformänderung eigentlich bewirkt werden? – Den Nachweis, dass Reformen unter den Bedingungen von Landeshaushaltsbetrieben nicht funktionieren, bleibt der kraft vorläufiger Hauswirtschaft de facto Generalintendant Stölzl bis auf den heutigen Tag schuldig. Vor der GmbH-Lösung sind Sie offensichtlich zurückgewichen; der Gegenwind war wohl zu groß, der Hinweis, dass nach fünf Jahren Landeshaftungen erlöschen und Insolvenzverfahren möglich wären, zu offensichtlich. Jetzt favorisieren Sie die Anstalt öffentlichen Rechts. Die aktuelle Situation der Bäderbetriebe – darauf sei mir zu verweisen gestattet – beweist die durchschlagende Tauglichkeit dieser Rechtsform. Nach einer gewissen Karenzzeit will der Senat anscheinend den Beweis erbringen, dass dieses Konstrukt nicht funktioniert, um dann eine knallharte Privatisierungslegitimation zu bekommen und klassische Konkursverfahren eröffnen zu können. Es bleibt nur eine einzige Zielsetzung: Geschützte sollen in ungeschützte Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden, das Hire-and-fire-Prinzip auch im Kulturbereich gelten. Stattdessen wollen Sie dann noch über 10 Millionen DM „disponible Mittel“ – wie Sie es nennen – u. a. für den Gästeetat einsetzen. Jetzt muss ich die Koalitionspolitiker ansprechen: Weshalb Sie da nicht stutzig werden, ist mir ein großes Rätsel. Gerade einen angeblich übertriebenen Gästeetat haben Sie in den letzten Monaten immer wieder heftigst attackiert. Jetzt wollen Sie ihn selbst.

Dem entspricht auch die beabsichtigte Festsetzung der Staatsoper auf Belcanto und der oktroyierte Verzicht der Komischen Oper auf die „spezifische italienische Gesangstradition“ – wie Sie es formulieren –. Damit ist allerdings wohl weniger die Originalsprache als Italiens hoch entwickelte Gesangs- und dramaturgische Kultur gemeint. Was hier läuft, ist ein Widerspruch des Ansatzes der ehemaligen Kroll-Oper. Ich zitiere eine Selbstdarstellung dieser Einrichtung:

Die Musik durfte dem Sänger nicht den Vorwand liefern, seine schöne Stimme auszuströmen oder private Gefühle auszuleben.

Hans Stuckenschmidt beschreibt dieses Konzept etwas näher:

Hier war ja nicht nur ein europäischer Herzschlag zu hören, und zwar ein anderer als der des merkantilen Kosmopolitismus, der im Konzertbetrieb herrscht; hier wurden ästhetische und geistesgeschichtliche Fragen des Tages und der Epoche in Tat und Anschauung umgesetzt.

Genau dieser auch heute noch zukunftsweisende Ansatz wird durch dieses Strukturkonzept aufs Spiel gesetzt. Berlin, Herr Wowereit, wird allenfalls noch mit Posemuckel konkurrieren, aber nicht mehr mit New York oder anderen Metropolen.

[Beifall bei der PDS – Zuruf des Abg. Wowereit (SPD)]

Die künstlerischen Auswirkungen – von den haushaltspolitischen, das wissen Sie so genau wie ich, Herr Wowereit, lohnt es sich überhaupt nicht zu reden; sie sind mehr als zweifelhaft und schlampig nach dem Pi-mal-Daumen-Prinzip kalkuliert –: Musiktheater wird endgültig zu einer höchst elitären Angelegenheit mit mäßiger künstlerischer Qualität verludert. Senator Stölzl bewegt sich hier auf derselben Linie, die Herr Diepgen im Frühjahr

dieses Jahres skizzierte, als er von „abgelatschten und abgetanzten Mimen“ parlierte. Senator Stölzl bescheinigt den Bühnen seinerseits auf eine ziemlich arrogante, ignorante Weise schon jetzt eben jenes Mittelmaß, auf das er sie mit seiner sogenannten Reform zurechtstutzen will. Anstatt die Chancen einer großartigen, historisch gewachsenen Kulturlandschaft zu nutzen, wird sie nur noch als Last empfunden. Das Fehlen kulturpolitischer Visionen wird mit vermeintlichen Sparzwängen verdeckt, das sogenannte Bühnenstrukturkonzept ist in realiter nichts anderes als das stille Eingeständnis des Scheiterns eines weiteren, im Sumpf der großen Koalition versunkenen Kultursenators.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Christoph Stölzls Antrittsrede vor einem guten halben Jahr in diesem Hause sollte Optimismus verbreiten. Es war eine gute Antrittsrede, aber aus heutiger Sicht war es wohl doch nur das berühmte „Pfeifen im Walde“.

Herr Abgeordneter! Sie müssen zum Schluss kommen!

Ich komme zum Schluss. – Herr Senator, Sie werden hoffentlich nicht als „der Plattmacher“ in die Berliner Kulturgeschichte eingehen wollen!

[Zuruf des Abg. Landowsky (CDU)]

Ihr Papier ist stark korrekturbedürftig. Verweigern Sie sich dieser Korrektur nicht. Beziehen Sie endlich den künstlerischen Sachverstand in die Konzeptfindung mit ein, und machen Sie diesen bitte nicht nur zum Vollzugsgehilfen eines katastrophalen Papiers. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS – Zurufe von der CDU]

Für die Fraktion der CDU hat das Wort die Frau Abgeordnete Grütters. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die destruktive und negative Polemik meines Vorredners einzugehen lohnt sich nicht.

[Beifall bei der CDU]

Aber ich frage Sie, Frau Ströver: Was ist mit Ihnen geschehen? Wer hat Ihnen diese Rede geschrieben? Sie haben wahrlich schon bessere Auftritte gehabt. Sie waren im Kulturausschuss am Montag noch wesentlich konstruktiver. Ein Papier einfach wegzuwerfen – das ist kein konstruktiver Beitrag zu einer Debatte, die schwierig genug ist.

Wir müssen schließlich eines sehen: Mit Senator Stölzl ist der erste Senator hier für die Kultur verantwortlich, der einen Vorschlag für die Neustrukturierung vor dem Hintergrund der Existenz dreier Häuser macht. Alle anderen Amtsinhaber vor ihm haben das nicht getan, sondern lediglich mit der Schließung eines Hauses gedroht. Stölzl hat nicht nur in kürzester Zeit ein Analysepapier vorgelegt, eine Bestandsaufnahme, sondern in noch kürzerer Zeit einen Strukturvorschlag als Diskussionsvorlage hier eingebracht.

[Beifall des Abg. Landowsky (CDU)]

Dabei finde ich es nahe liegend und vernünftig, die zwei großen Häuser zunächst einmal unter einem Dach zu formulieren, das heißt, unter einer gemeinsamen Leitung arbeiten zu lassen, damit endlich eins klar ist, nämlich dass die Spielpläne miteinander abgestimmt und harmonisiert werden müssen. Nur so können wir Abgeordneten die Existenz dreier Häuser gegenüber dem Steuerzahler überhaupt rechtfertigen.

[Beifall des Abg. Landowsky (CDU)]