Protocol of the Session on May 18, 2000

Frau Künast, bei Ihnen und Ihresgleichen fällt eine ganz offensichtliche Immunschwäche gegenüber Repräsentanten des linken Totalitarismus auf

[Beifall bei der CDU – Zurufe von links]

und eine Gleichgültigkeit gegenüber solchen Menschen, die im Dienst der Demokratie oder der Menschenrechte Opfer wurden.

[Zuruf der Frau Abg. Künast (Grüne)]

Deshalb stände es uns und diesem Parlament besser an, zu überlegen, welche Ehrung wir Leuten wie Kopelew oder Sacharow oder Solschenizyn angedeihen lassen,

[Beifall bei der CDU – Zuruf der Frau Abg. Künast (Grüne]

die seelisch und körperlich für diese Werte standen, die Sie ab und zu als Phrasen im Mund führen, Frau Künast.

Und wenn Ihnen Kopelew und Sacharow und Solschenizyn zu weit sind, dann sage ich: Denken Sie mal an die russischen Soldaten, die sich am 17. Juni 1953 weigerten, die Menschen niederzuwalzen. [Beifall bei der CDU – Frau Abg. Künast (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Das sind Leute, die unseren Beistand und unsere Ehrung verdienen. Deshalb glaube ich – jedenfalls für diese Fraktion, der ich mit Stolz angehöre –, dass es wichtiger ist, die Menschen zu ehren, die im Kampf für Demokratie und Menschenrechte ihr Leben ließen, als solche, deren Biographie jedenfalls heutzutage nicht voll, klar und eindeutig ist.

Herr Kollege Lehmann-Brauns, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Künast?

Bitte schön!

Bitte, Frau Kollegin!

Herr Lehmann-Brauns, bei der Definition, die Sie hier gegeben haben und bei der Sie meinen, dass wir sie nicht trügen – verstehe ich Sie richtig, wenn Sie an den einfachen Soldaten denken, dass Sie jetzt anregen, dass einige von den Soldaten, die Berlin befreit haben, zu Ehrenbürgern gemacht werden sollen – zum Beispiel der, der die Fahne auf dem Reichstag gehisst hat? interjection: [Beifall der Frau Abg. Anding (PDS)] Ist es das, was Sie meinen? – interjection: [Zurufe] Sie werden es nicht glauben: Wir machen es mit! Aber dann sagen Sie es und werfen Sie keine Nebelkerzen.

Ich glaube, ich habe mich klar genug ausgedrückt, Frau Künast. Ich bin der Auffassung, dass es an der Zeit wäre, die russischen Soldaten zu ehren und möglicherweise posthum als Gruppe zu Ehrenbürgern dieser Stadt zu machen, die sich geweigert haben, die Menschen niederzuwalzen, die am 17. Juni 1953 für Freiheit und Menschenrechte aufgestanden sind. interjection: [Beifall bei der CDU] Das und nicht mehr ist mein Petitum. Und im übrigen: Wer bin ich, um über Herrn Bersarin den Stab zu brechen? Deshalb meine ich, wir sollten die Sache weiter aufklären. Für mich ist die Zeit zu früh. Ich finde die Tatsache, dass ein wichtiger Platz nach ihm benannt ist, interjection: [Frau Anding (PDS): Nicht Ihr Verdienst!] kommt im Augenblick einer fairen Bewertung seiner Leistungen 1945 näher, als ihm eine Ehrenbürgerschaft zu geben. – Vielen Dank! interjection: [Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege! – Das Wort hat nun für die Fraktion der PDS die Frau Kollegin Dr. Lötzsch. Bitte schön! interjection: [Dr. Steffel (CDU): Das kann doch zu Protokoll gegeben werden, das wissen wir doch!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. Mai dieses Jahres hat Gerhard Schröder, der deutsche Bundeskanzler, als erster deutscher Bundeskanzler diesen Tag als Tag der Befreiung gewürdigt. Ich denke, er hat wahrscheinlich bei der Würdigung mehr darüber nachgedacht, als zumindest Ihrem Redebeitrag zu entnehmen war, Herr Kollege Dr. Lehmann-Brauns, warum die Rote Armee überhaupt nach Berlin gekommen ist. Diese Reflektion war bei Ihnen überhaupt nicht zu entnehmen. Sie haben augenscheinlich vergessen, dass Hitler-Deutschland einen mörderischen Krieg angefangen hat und dass die Sowjetunion über 20 Millionen ihrer Bürgerinnen und Bürger verloren hat. interjection: [Niedergesäß (CDU): Die Sowjetunion hat sich aber der Kumpanei schuldig gemacht!] Die Berliner Medien – Herr Cramer hat einige angeführt – und auch Medien von außerhalb haben im Augenblick eine große Einigkeit: Bersarin muss wieder Ehrenbürger von Berlin werden. Der „Tagesspiegel“ hat am Sonntag Pro und Kontra gefragt, und 60 % der „Tagesspiegel“-Leser haben es eindeutig befürwortet. interjection: [Zuruf des Abg. Kittelmann (CDU)]

Und wenn wir wissen, dass der „Tagesspiegel“ vor allem im Westteil der Stadt gelesen wird, dann, glaube ich, hat diese Befürwortung ein besonderes Gewicht. [Beifall bei der PDS und den Grünen]

Das Berlin-Fernsehen B1 hat Montagabend einen Dokumentarfilm ausgestrahlt – um 23.19 Uhr, aber man kann das auch auf Video aufnehmen und sich später anschauen –: „Der Kommandant“. Da sind sehr einleuchtende Argumente vorgebracht worden, warum Bersarin die Ehrenbürgerwürde verdient. Er hat innerhalb dieser kurzen Zeit, in der er Stadtkommandant von ganz Berlin war, Wesentliches geleistet, Erstaunliches in der kurzen Zeit. Wolfgang Leonhardt hat sich in diesem Film geäußert und hat mehrmals betont, dass Bersarin alles tat, um Exzesse von Soldaten zu verhindern, die ja nach dem, was vorgefallen war – so Leonhardt –, nur zu verständlich gewesen sind. Er hat sofort begonnen, die Verwaltung aufzubauen und eben nicht nur Kommunisten, sondern in der Minderzahl Kommunisten als Bürgermeister in den Berliner Bezirken einzusetzen. Er hat sich sofort um die Versorgung der Berliner Bevölkerung gekümmert, und er hat die Kritik aus den eigenen Reihen, aus den Reihen der Sowjetischen Armee – wo nämlich gefragt wurde: Warum werden die Deutschen besser behandelt als wir? Warum bekommen sie zu essen, warum bekommen sie Gesundheitsversorgung? – zurückgewiesen und diese Versorgung gewährleistet. Was hätte er denn – wenn man Ihrer Logik folgte, Kollege Dr. Lehmann-Brauns, „er hat Kreide gefressen“, „er ist den Deutschen sozusagen um den Bart gegangen“ – nach Ihrer Meinung tun sollen? – Wenn er anders gehandelt hätte, so wie Sie es suggeriert haben, wie sollte man denn heute darüber denken? Ich verstehe wirklich dieses Verständnis von diesem Handeln, diesem sofortigen Einsetzen von Gesundheitswesen, vor allem nicht. [Zurufe von der CDU]

Bereits kurz nach dem 8. Mai gab es Treffen mit Künstlerinnen und Künstlern – da haben wir in Berlin ja im Augenblick große Defizite. Bereits am 12. Mai wurde die erste Sendung vom Haus des Rundfunks in der Masurenallee ausgestrahlt, also in kurzer Zeit Wesentliches geleistet. Ich weiß ja nicht, wo die Herrschaften, vor allem die Älteren hier im Haus, die Zeit nach dem Krieg, nach dem Tag der Befreiung verbracht haben. – Sie brauchen mir gar nicht den Vogel zu zeigen, Herr Landowsky, das finde ich an dieser Stelle wirklich kulturlos!

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Ich weiß aus meiner eigenen Familie – meine Mutter hat als 10-Jähriges Kind das Kriegsende hier in Berlin erlebt –, wie notwendig das Handeln Bersarins war. Sie selbst hatte Scharlach und ist sofort ins Krankenhaus eingewiesen worden und ist dort gut versorgt worden.

[Zuruf des Abg. Landowsky (CDU)]

Jetzt, denke ich, sollten wir ein paar Dinge aufklären. Herr Dr. Lehmann-Brauns, Sie haben vom Bersarinplatz gesprochen. Die unabhängige Kommission zur Umbenennung von Straßen hatte vorgeschlagen, diesen Platz umzubenennen. Ihre Fraktion hat dem damals ausdrücklich zugestimmt. Wenn Sie Ihre Meinung dazu jetzt geändert haben, dann konstatieren wir das, dann begrüßen wir das. Aber tun Sie nicht so, als hätten Sie sich damals für den Erhalt des Namens Bersarinplatz in Friedrichshain ausgesprochen.

Eine zweite Korrektur, die geht allerdings auch an die Adresse von Herrn Cramer, an die Begründung Ihres Antrages: Im vergangenen Jahr hat ein Historiker die Frage – allerdings im Zusammenhang mit einer anderen historischen Persönlichkeit, mit Friedrich Ebert – recherchiert, wie denn die Streichung aus der Ehrenbürgerliste erfolgte. Und zwar war es so, dass im Sommer 1992 in einer Sitzung des Senats außerhalb der Tagesordnung beschlossen wurde, dass sich die geltenden Richtlinien für die Ehrenbürgerschaft bewährt hätten und die Ehrenbürgerliste West uneingeschränkt zu bestätigen wäre. Für Berlin-Ost gäbe es ja keinerlei Richtlinie. Dann folgte eine lapidare Ablehnungsbegründung, ohne auf einzelne einzugehen: Eingedenk der Opfer der Berlinblockade, des 17. Juni 1953 und der Mauer verbietet sich die Übernahme in die Gesamtliste.

Verzichtet werden sollte auf Ehrenbürgerschaften, die rein politischer Natur waren. Solche politischen sind schon von Herrn Cramer genannt worden: Ronald Reagan, Helmut Kohl

und ähnliche. Aber, und das gehört zur historischen Wahrheit, damals war der Vorwurf gegen Bersarin, was das Baltikum betraf, überhaupt noch nicht erhoben worden! Man hat sich ohne dieses Problem – das ist erst später in die Debatte gebracht worden, 1994, 1995 im Zusammenhang auch mit dem Bericht der Unabhängigen Kommission und anderen Diskussionen; ein Kollege, der jetzt nicht mehr der CDU-Fraktion angehört, hat sich da entsprechend hervorgetan – –

Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluss kommen, weil die Redezeit abgelaufen ist!

Ich komme zum Schluss: Das ist der zweite Skandal in dieser Sache: Man hat ohne historische Begründung, ohne die einzelnen Persönlichkeiten zu prüfen, ohne über sie nachzudenken, sie gestrichen mit dem dumpfen Gefühl: ja, da war ja der Russe, und den Russen müsste man herausstreichen. – Es ist mir besonders wichtig, festzuhalten: Diese Vorwürfe, die jetzt revidiert worden sind, gab es damals nicht, sie sind später erhoben worden, und trotzdem ist die Streichung erfolgt.

Frau Kollegin, ich möchte Sie wirklich bitten, zum Schluss zu kommen.

Das ist mein letzter Satz: Das Museum Karlshorst hat hervorragende Aufklärung geleistet; die Ausstellung ist jetzt in Dahlem zu besichtigen. Ich bitte Sie, schauen Sie sich, wenn Sie nicht den Schritt nach Karlshorst tun, das Alliiertenmuseum in Dahlem an! – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der PDS und bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Kittelmann (CDU)]

Danke schön, Frau Kollegin! – Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Landowsky das Wort. Bitte schön, Herr Landowsky!

Dass Deutschland am 8. Mai von den Alliierten und auch von den Russen befreit wurde, ist ein Satz von Richard von Weizsäcker, zu dem die CDU auch uneingeschränkt steht.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der SPD]

Den Einmarsch und die Verhältnisse, die mit dem Einmarsch der sowjetischen Soldaten in Berlin verbunden sind, anschließend zu glorifizieren, empfinde ich als würdelos in Anbetracht der vielen Morde und Hundertausenden von Vergewaltigungen deutscher Frauen.

[Anhaltender Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

Frau Kollegin Lötzsch! Möchten Sie dazu Stellung nehmen? – Bitte schön!

Hier hat sich gerade ein Geist offenbart, Herr Kollege Landowsky, von dem ich dachte, dass es ihn nicht mehr gebe.

[Beifall bei der PDS und den Grünen – Zurufe von der CDU]

Sie haben sich gerade zum Tag der Befreiung bekannt

[Zurufe von der CDU]

bzw. zu dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Ich hatte aber vom deutschen Bundeskanzler gesprochen. Vor Gerhard Schröder gab es keinen Bundeskanzler, der

sich zum Tag der Befreiung bekannt hat. Wenn Sie versuchen, die historischen Tatsachen auf den Kopf zu stellen, wenn Sie uns eine Glorifizierung von Ereignissen unterstellen wollen

[Allerdings! von der CDU]

und wenn Sie überhaupt nicht bereit und in der Lage sind, über das zu reden, worüber wir reden – über den Stadtkommandanten Bersarin –, sollten Sie in sich gehen und sich selbst fragen, inwieweit Ihr erster Satz – Sie bekennen sich zum Tag der Befreiung – durch das, was Sie danach gesagt haben, absolut revidiert wurde.

[Beifall bei der PDS und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin! – Das Wort hat nunmehr die Frau Kollegin Dr. Rusta für die Fraktion der SPD. Bitte schön!