Protocol of the Session on June 22, 2023

Allein im letzten Jahr gab es in Brandenburg eine neue Höchstzahl antisemitischer Straftaten: 183. Das sind 183 Straftaten zu viel. Ich will auch gar nicht negieren, dass es auch aus anderen Gruppen Angriffe auf Jüdinnen und Juden gibt. Mir ist völlig egal, wo der Mensch, der Antisemit, geboren ist. Ob er in Königs Wusterhausen, einem anderen Land oder einer anderen Stadt geboren ist, ist mir völlig egal. Aber man muss einmal zur Kenntnis nehmen, dass von den 183 antisemitischen Straftaten 179 dem rechten Spektrum zugeordnet werden - nur vier sind nicht zuzuordnen. Auch das gehört zur Wahrheit. Deswegen: Hören Sie auf, zu diesem Thema hier zu reden!

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU und B90/GRÜNE)

Das hat nichts mit statistischen Fehlern zu tun. Allein zehn Angriffe auf jüdische Einrichtungen: In Perleberg erfolgte ein Angriff auf einen jüdischen Grabstein, in Schwedt wurde ein Stolperstein beschmiert, auch Menschen werden in diesem Land bedroht. Wir sind in der Situation, dass jüdische Einrichtungen von der Polizei geschützt werden müssen. Unsere Arbeit gegen Antisemitismus ist erst beendet, wenn jüdisches Leben in diesem Land tatsächlich frei stattfinden kann, wenn Polizistinnen und Polizisten nicht mehr jüdische Gemeindezentren, Schulen oder Kitas beschützen müssen - erst dann ist der Kampf gegen Antisemitismus Geschichte und endlich beendet.

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU, B90/GRÜNE und BVB/FW)

Dafür werden wir alles geben und auch alles tun. Deshalb ist dieser Beauftragte richtig. Er ist für uns kein Grund, sich zurückzulehnen, und er entlastet uns auch nicht, sondern der Beauftragte wird Ansprechpartner sein, unterstützen und jüdisches Leben in Brandenburg - hoffentlich - weiter, ja deutlicher ermöglichen.

Wir haben heute hier einen Änderungsantrag eingereicht, weil wir gemeinsam in der Verfassung auch den Kampf gegen Antiziganismus als Staatsziel festgelegt haben. Deshalb bitten wir dringend darum, dass Sie, liebe Koalition und liebe Freie Wähler, unseren Änderungsantrag in der Debatte ernsthaft prüfen, weil auch der Völkermord an Sinti und Roma aus demselben Motiv des Rassismus stattfand, nämlich mit dem Ziel der endgültigen Vernichtung - genauso wie bei den Jüdinnen und Juden.

Im März 1943 wurden Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert und umgebracht - auch Menschen aus Bernau, Herzberg, Wittenberge, Zehdenick, Eberswalde. Deshalb braucht auch diese Minderheit Schutz und Anerkennung und Unterstützung. Deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie uns hier die Synergieeffekte gemeinsam nutzen und endlich Antisemitismus, Antiziganismus und alle anderen rassistischen Formen gemeinsam bekämpfen. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU, B90/GRÜNE und BVB/FW)

Vielen Dank. - Wir fahren mit dem Beitrag der Abgeordneten Petra Budke fort. Sie spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön.

(Beifall B90/GRÜNE)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Landesrabbiner Kirzon! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden - Frau Sandler, Herr Kuti- kov -, auch des Instituts für jüdische Theologie und des Zentrums gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit!

Letzte Woche wurde im Hans Otto Theater in Potsdam das 29. Jüdische Filmfestival Berlin-Brandenburg sehr feierlich eröffnet. Bei dieser Gelegenheit gab es viel Musik und viele Reden, und es wurden auch fünf jüdische Kurzfilme präsentiert. Und diese Filme hatten es in sich. Ganz besonders beeindruckt hat mich ein zweiminütiger Spot von Maximilian Karakatsanis und Rosa Sadnik aus dem Jahr 2021: Gezeigt wird in diesem Film

eine junge Frau, sie steht vor dem Spiegel, sie macht sich zum Ausgehen bereit, sie macht ihre Haare, sie schminkt sich, sie legt Ohrringe und am Ende eine Kette an.

Dann klingelt es, sie legt die Kette wieder weg, und der Abspann erscheint mit den Worten: Wenn Identität eine Frage der Sicherheit ist. - An der Kette, die sie tragen möchte und dann doch nicht trägt, ist ein Davidstern befestigt - ähnlich wie an meiner Kette, die ich heute als Zeichen der Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in diesem Land trage.

Es ist zutiefst erschreckend, dass das Tragen eines Davidsterns in Deutschland im Jahr 2023 eine Frage der Sicherheit ist, dass Jüdinnen und Juden, die sich durch das Tragen einer Kippa oder eines Davidsterns öffentlich zu erkennen geben, Angst haben müssen - Angst vor Anfeindungen oder sogar vor körperlicher Gewalt - und dadurch sogar ihr Leben in Gefahr bringen. Das zeigt, wie tief Antisemitismus in unserer Gesellschaft noch immer verwurzelt ist, und mit den Corona-Protesten und der Verbreitung rechter Verschwörungsideologien hat er in den letzten Jahren sogar noch zugenommen.

Wir haben die Zahlen bereits gehört: Im Jahr 2022 verzeichnete die Polizei 198 antisemitische Straftaten in Brandenburg. Damit ist die gemeldete Zahl gegenüber 2021 um fast 30 % gestiegen. Darunter sind drei Fälle gefährlicher Körperverletzung sowie zehn Vorfälle gegen jüdische Einrichtungen oder jüdische Veranstaltungen. Darüber hinaus gab es zahlreiche Fälle von Volksverhetzung im öffentlichen Raum, in Bussen oder Bahnen, an Gedenkorten und im Netz. Auch der Verein Opferperspektive beklagt in seiner Jahresbilanz die hohe Zahl antisemitischer Gewaltdelikte. Die angezeigten Delikte sind dabei nur die Spitze des Eisbergs; die Dunkelziffer ist sicherlich deutlich höher.

Wir alle sind gefordert, sensibel zu sein und antisemitischen Äußerungen im Alltag sofort Einhalt zu gebieten: in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, im Sportverein, in der Schule oder im Chatforum. Worte können schnell zu Taten werden. Die Bekämpfung von Antisemitismus geht uns alle an!

Vor fast genau einem Jahr haben wir hier im Landtag die Verfassung geändert und die Bekämpfung von Antisemitismus sowie die Stärkung jüdischen Lebens als Staatsziel festgeschrieben. Nun wollen wir hier im Landtag eine unabhängige Beauftragtenstelle zur Bekämpfung von Antisemitismus schaffen. Ziel ist zum einem, eine Ansprechperson für Menschen jüdischen Glaubens und für jüdische Organisationen zu installieren. Zum anderen soll die Zivilgesellschaft noch stärker als bisher für den Kampf gegen Antisemitismus sensibilisiert werden.

DIE LINKE beantragt darüber hinaus, das Amt in Personalunion auch mit dem Kampf gegen Antiziganismus zu beauftragen. Anfeindung und Ausgrenzung von Sintizze und Sinti und Romnja und Roma sind ein jahrhundertealtes und sehr ernst zu nehmendes Problem. Wir werden im weiteren Verfahren im Hauptausschuss darüber beraten.

Meine Damen und Herren, der Kampf gegen Antisemitismus bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich wünsche mir, dass Jüdinnen und Juden ohne Angst in Brandenburg leben und ihre Kippa oder ihre Kette mit dem Davidstern tragen können, wann sie möchten.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, CDU, DIE LINKE und BVB/FW)

Vielen Dank.- Wir fahren mit dem Beitrag der Fraktion BVB / FREIE WÄHLER fort. Für sie spricht der Abgeordnete Vida zu uns. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Gäste der jüdischen Gemeinde! Es ist ein großer Moment für Brandenburg, der hier eingeläutet wird, und wir als BVB / FREIE WÄHLER sind stolz, daran mitwirken zu können, denn das hier behandelte Anliegen war uns von Anfang wichtig - das wissen Sie. Deswegen ist es gut, dass wir nun diesen Gesetzesvorschlag vorliegen haben.

(Beifall BVB/FW, SPD, CDU, B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Uns verbindet mit der jüdischen Gemeinschaft sehr viel, sei es historisch - über Jahrhunderte -, sei es in manchen Fragen religiös oder auch politisch - wir stehen aufgrund der jüngeren Geschichte natürlich in der politischen Verantwortung. Auch ganz aktuell wird der kulturelle Austausch in verschiedenen Bereichen im Land in Projekten und besonderen Formen der Zusammenarbeit gepflegt. Ich denke da an fantastische Projekte im Landkreis Barnim, in deren Rahmen nicht nur innerhalb der jüdischen Gemeinde, sondern auch interkulturell und interreligiös Aktivitäten und Veranstaltungen durchgeführt werden und damit ganz besonders für Frieden und Verständigung geworben wird. Gerade in dem Landkreis, aber auch im ganzen Land ist all das untrennbar mit dem Namen Diana Sandler verbunden, die diese Debatte heute hier verfolgt.

(Beifall BVB/FW, B90/GRÜNE und DIE LINKE sowie ver- einzelt SPD)

Meine Damen und Herren, ich mache das deswegen so deutlich, weil es bei diesen Aktivitäten nicht nur um die jüdische Gemeinde selbst geht; durch die vielen Veranstaltungen, die immer große Zahlen an Besuchern anlocken und sich einer großen Aufmerksamkeit und einer regen Teilnahme erfreuen, entsteht auch eine Verbundwirkung - eine Wirkung, die weit über die jüdischen Gemeinde hinausreicht, die zu Integration, Toleranz und Friedfertigkeit beiträgt und damit uns allen eine Orientierung für das friedliche Zusammenleben bietet.

(Beifall BVB/FW und CDU sowie des Abgeordneten Kel- ler [SPD])

Schon allein das rechtfertigt die Vorlage dieses Antrags. Aber es gibt in unserer Gesellschaft auch Schattenseiten, die die Notwendigkeit dieser einzurichtenden Stelle erklären. Die Zahl antisemitischer Straftaten befindet sich auf einem Rekordniveau; das haben hier viele Vorredner gesagt. Ich finde es kleinkariert - es ist ein Ablenkungsmanöver und ein Vernebelungsversuch -, einen einzelnen Vorgang und die Richtigkeit dessen statistischer Eingruppierung in eine Excel-Zelle zu diskutieren, während wir mit Händen greifen können, dass wir ein Problem, ein wachsendes Problem haben;

(Beifall BVB/FW, SPD, CDU, B90/GRÜNE und DIE LINKE)

wir haben neue Rekordzahlen erreicht, und das Ganze ist oft mit Verschwörungserzählungen verbunden, die einen antisemitischen Kern haben. Neben der plumpen Gewalt gegen einzelne

Personen - was schlimm genug ist - haben wir es also in vielen Bereich mit einer Klimavergiftung durch antisemitische Dampfwolken - so will ich es einmal nennen - zu tun, die leider an zu viele Stellen hinziehen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gänze gefährden.

(Beifall BVB/FW, SPD, CDU, B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Genau deswegen, weil es über den Einzelfall, über die einzelne Person hinausgeht, müssen wir handeln.

Nun laufen - das erkenne ich, erkennen wir an - landauf, landab Projekte; es gibt in der Zivilgesellschaft großes Engagement und eine hohe Akzeptanz für diese Veranstaltungen und Aktivitäten - keine Frage. Aber: Wir als Land Brandenburg haben - auch in Würdigung der Verfassungsänderung - ein Interesse daran, dies planvoll von Amts wegen zu unterstützen. Ich glaube, dass hier ein Beauftragter die nötigten Schritte und Maßnahmen ergreifen kann.

Dabei sage ich für unsere Fraktion ganz klar: Die Hinweise der jüdischen Gemeinde, die wir diese Woche bekommen haben, müssen wir im Rahmen der künftigen Beratungen und Anhörungen berücksichtigen und in die Ausgestaltung der Stelle sowie in die operativen Schritte, die bei der Besetzung der Funktion eine Rolle spielen werden, einfließen lassen. Es ist also wichtig, die Hinweise, die uns hier an die Hand gegeben worden sind, einzuarbeiten.

(Beifall BVB/FW und CDU sowie vereinzelt SPD, B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Denn es soll - das war auch der Hinweis der jüdischen Gemeinde - nicht nur darum gehen, eine Stelle für die Bekämpfung des Antisemitismus zu schaffen, sondern eine Stelle, die die jüdische Gemeinschaft auch in ihrer Arbeit, in ihrer Aktivität und in ihrem kulturellen Leben sozusagen supportet. Ich glaube, da können wir noch ein bisschen nachsteuern; da werden wir die wertvollen Hinweise einfließen lassen, und ich vernehme aus den Rückmeldungen, dass die weiteren Antragseinreicher dem aufgeschlossen gegenüberstehen.

Ich bin auch dankbar, meine Damen und Herren, dass ein wichtiges Ansinnen unserer Fraktion geteilt wurde und wird, nämlich, dass die Stelle unabhängig - am Landtag und nicht als ein Referat oder eine Unterabteilung irgendwo in der Landesregierung - angesiedelt wird. Ich glaube, dies wertet das Amt auf und bietet die Möglichkeit, eine unmittelbare Verbindung zur jüdischen Gemeinschaft zu halten - das ist ja vielen wichtig -, dass da eine direkte Kommunikation erfolgen und die Expertise unmittelbar einfließen kann. Damit ist das Amt ein starkes Sprachrohr für die Juden,

(Beifall BVB/FW und CDU sowie vereinzelt SPD und B90/GRÜNE)

und es ermöglicht, direkt mit den Gruppen zu arbeiten und immer und stets den Mund aufzumachen. Darum geht es den Antragsstellern und den vielen, die uns in diesem Ansinnen bekräftigen und unterstützen: nicht wegzuschauen, den Mund aufzumachen und Dinge positiv zu verändern - für eine starke, geschützte und prosperierende jüdische Kultur auch bei uns in Brandenburg. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BVB/FW, SPD, CDU, B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Die Landesregierung hat Redeverzicht erklärt. Damit sind wir am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Die einbringenden Fraktionen beantragen die Überweisung ihres Gesetzentwurfes auf Drucksache 7/7846, „Gesetz über die Beauftragte oder den Beauftragten zur Bekämpfung des Antisemitismus im Land Brandenburg (Brandenburgisches Antisemitis- musbeauftragtengesetz - BbgABG)“ an den Hauptausschuss. Ich darf Sie fragen, wer der Überweisung zustimmt. - Gegenprobe! -

(Bretz [CDU]: Das ist ja unerhört!)

Enthaltungen? - Damit ist mehrheitlich zugestimmt worden. Es gab keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/7953, Neudruck, gilt als mit an den Ausschuss überwiesen. Ich schließe somit Tagesordnungspunkt 8.

Bevor ich Tagesordnungspunkt 9 eröffne, begrüßen wir auf der Besuchertribüne Mitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem Landkreis Potsdam-Mittelmark, die auf Einladung des Abgeordneten Thomas von Gizycki hier sind. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf.

TOP 9: Für gute Arbeit, gute Löhne und mehr Mitbestimmung der Beschäftigten - Tarifbindung stärken!