Genauso ist es, wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme zu erwarten ist. Herr Vida, ich empfehle Ihnen einen Blick auf die Zahlen. Sie haben schon ein paar vorgetragen, ich trage auch ein paar vor: Der Deutsche Anwaltsverein gibt an, dass im Jahr 2022 7 412 von insgesamt 558 208 Fällen im beschleunigten Verfahren erledigt wurden. Das sind sage und schreibe 1,33 %.
Der Grund, Herr Vida, liegt nicht in der Obergrenze, sondern vermutlich darin, dass die meisten Staatsanwaltschaften eine noch einfachere Möglichkeit wählen, nämlich das Strafbefehlsverfahren. Dadurch lassen sich genau die Fälle der leichten Kriminalität ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erledigen. Was also wirklich gegen lange Strafverfahren hilft, sind ausreichend Personal, also eine ausreichende Zahl von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, Richterinnen und Richtern sowie Mitarbeitenden
an den Gerichten, und eine angemessene technische Ausstattung, Stichwort: Digitalisierung. All das wurde genannt.
Genau das haben wir als Koalition auch umgesetzt. Herr Vida, ich weise Sie auf die Pressemitteilung des Justizministeriums hin, die Sie als Mitglied des Rechtsausschusses eigentlich auch kennen könnten. Dort ist das schön kompakt zusammengefasst - ich zitiere -:
„In den letzten vier Jahren wurden 85 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte und 116 Stellen in den nichtrichterlichen Folgediensten, d. h. insgesamt 201 neue Stellen geschaffen. Zudem wurden 274 Richter und Staatsanwälte sowie rund 473 Mitarbeiter in den Folgediensten neu eingestellt.“
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Vida, ich nehme zunächst einmal mit Freude zur Kenntnis, dass Sie die brandenburgische Justiz so positiv hervorgehoben haben, und ich verstehe jetzt auch, warum für Sie dieser Tagesordnungspunkt der Höhepunkt des heutigen Plenartages ist.
In der Sache vermag ich Ihnen allerdings nicht beizupflichten. Das beschleunigte Verfahren ist als Ausnahme konzipiert. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Justiz bei vergleichsweise geringfügigen Tatvorwürfen regelmäßig vom Strafbefehlsverfahren nach § 407 StPO Gebrauch machen - davon war hier schon die Rede -, das eine einfache, schnelle und effektive Verfahrensbearbeitung ermöglicht.
Das beschleunigte Verfahren ist dagegen nur dann durchzuführen, wenn ein rein schriftliches Strafverfahren zur nachhaltigen Einwirkung auf den Beschuldigten und zur weiteren Sachverhaltsklärung nicht ausreichend ist. Das beschleunigte Verfahren mit seinen herabgesetzten prozessrechtlichen Anforderungen eignet sich nicht für schwerere Straftatvorwürfe.
Ich pflichte Ihnen aber bei, dass wir uns darüber Gedanken machen müssen, wie wir die Strafverfahren - gerade wenn es um komplexe Tatvorwürfe geht - weniger aufwendig gestalten und vor allem schneller zum Abschluss bringen können. Ich habe schon mehrfach den Bundesjustizminister angesprochen und angeregt, gemeinsam mit den Justizverwaltungen der Länder zu überlegen, wie wir unsere Strafprozessordnung moderner gestalten und damit erreichen können, dass auch komplexe Strafverfahren zukünftig schneller abgeschlossen werden können. Denn da sind wir auch im europaweiten Vergleich nicht gut aufgestellt. Aber der Weg über beschleunigte Verfahren ist zur Erreichung dieses Ziels nicht geeignet.
Zur Frage der personellen Ausstattung der Justiz - zu diesem Änderungsantrag der AfD hat bislang niemand Stellung genom- men -: Natürlich möchte ich zu diesem Änderungsantrag der AfD auch noch Stellung nehmen. Ich möchte die falsche Vorstellung ausräumen, dass die Justiz defizitär ausgestattet sei. Das ist nicht der Fall. Wir haben es durch die vielen neuen Stellen und die vielen Einstellungen in dieser Legislatur erreicht, dass ich wirklich sagen kann, dass die Justiz in all ihren Geschäftsbereichen auskömmlich ausgestattet ist. Das lässt sich auch durch entsprechende Zahlen, die ich hier gerne noch einmal vortrage - nur kurz und wenige -, belegen: Wir hatten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die ja gerade Gegenstand unserer Erörterungen war, im Jahr 2023 einen Bedarf an richterlichem Personal von insgesamt 432 Arbeitskraftanteilen. Der durchschnittliche Personalbestand in der ordentlichen Gerichtsbarkeit lag mit 493 Arbeitskraftanteilen deutlich über dem Bedarf. Mit diesem zusätzlichen Personal wollen wir erreichen, dass möglichst schnell die in der Vergangenheit entstandenen Altbestände abgebaut werden können. Gleichzeitig wollen wir mit Blick auf die in der Justiz bevorstehenden zahlreichen Altersabgänge erreichen, dass ein sachgerechter Generationenwechsel vollzogen werden kann. Die Generationen sollen sich in den letzten Jahren überschneiden, damit der erforderliche Wissenstransfer von der alten Generation zur jungen Generation stattfinden kann. Das hat uns diese Legislatur ermöglicht. Das setzen wir momentan um.
Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei den Verwaltungs- und Sozialgerichten. Auch sie sind deutlich über Bedarf ausgestattet, um den Altbestandsabbau zu ermöglichen und Wissen an die neue Generation weitergeben zu können. Deshalb können wir auch jetzt verzeichnen, dass gerade sowohl in der Sozialgerichts- als auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit die erheblichen Bestände, die wir zu Anfang dieser Legislatur vorzuweisen hatten, deutlich abgebaut werden konnten. Und auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit befinden wir uns auf einem guten Weg. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Vielen Dank für die sachdienlichen Hinweise, die natürlich an der Notwendigkeit des Antrages nichts ändern. Was ich bemerkenswert fand - und da hätte ich auch von der Justizministerin klarstellende Worte erwartet -, war der Begriff der Klassenjustiz. Meine Damen und Herren, damit wird nicht unser Antrag abgewertet - damit könnten wir leben -, sondern in Abrede gestellt, dass nach rechtsstaatlichen Kriterien und ohne Ansehen der Person abgeurteilt wird. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, der sich so nicht aufrechterhalten lässt.
Insofern sind der hier von den Linken eingeführte Begriff der „Klassenjustiz“ und der Vorwurf, dass rechtsstaatliche Defizite bestehen, besorgniserregende Beurteilungen dessen, wie ganz
normale Strafverfahren laufen. Das würde ja unterstellen, dass die beschleunigten Verfahren verfahrensgemäße Grundrechte der Betroffenen verletzen würden. Dem ist nicht so, das ist hinreichend geprüft und seit Jahrzehnten gelebte verfassungskonforme Praxis. Insofern glaube ich, wir tun gut daran, die Justiz hier nicht schlechtzureden und nicht den Eindruck zu vermitteln, hier würden Menschen in Abhängigkeit von ihrem Geldbeutel abgeurteilt oder freigesprochen.
Das, meine Damen und Herren, muss die Quintessenz, muss der Konsens sein: dass wir hier nicht der Justiz etwas unterstellen, von dem wir wissen, dass es nicht so ist. Und wenn uns dann von denen, die den Vorwurf erheben, noch der Begriff des Populismus entgegengeschleudert wird, dann weiß man, wie man das zu nehmen hat.
In der Sache selbst möchte ich noch einmal deutlich machen, dass nicht die Strafbarkeit und die Strafe erhöht und verschärft werden, sondern man, wenn bei gleichgelagerten Fällen leichter und schnell abgeurteilt werden könnte, jedoch beispielsweise ein Strafrahmen von beispielsweise 14 Monaten droht, dann trotzdem dieses Verfahren anwendet und das nicht aufgrund der sich abzeichnenden Strafe bei gleichgelagerter Situation - mit der Einfachheit der Aufklärbarkeit des Vorganges - verlagert. Wenn die Eindeutigkeit des Falles unverändert gegeben ist, aber eine Strafe von 12 bis 24 Monaten droht, warum, bitte schön, soll das nicht möglich sein?
Die grundlegenden Überlegungen der Generalprävention - und im Übrigen auch die Überlegung, dass die Strafe auf dem Fuße folgt, damit sie eine Erziehungswirkung hat - gelten doch dort erst recht. Was ich bemerkenswert finde: Alle haben hier den Strafbefehl so sehr gelobt. 2019 handelte es sich bundesweit bei 10 % der Fälle um Strafbefehle, in Brandenburg waren es 13,5 % der Fälle - wir sprechen also in Brandenburg bereits jetzt von 22 % der Verfahren, die nicht in einem regulären Verfahren sind. 22 % der Fälle werden also nicht in einem regulären Verfahren abgeschlossen. Wer hier den Rechtsstaat gefährdet sieht, müsste bei dieser Zahl, die fast bei einem Viertel liegt, ja erst recht eine Kritik äußern. Das ist nicht geschehen. Es geht darum, Dinge, mit denen wir gute Erkenntnisse und Erfahrungen gewonnen haben, auszuweiten. Die Änderung von Bundesgesetzen können wir - erst recht als Opposition - nur über eine Bundesratsinitiative anstoßen.
Aber einen Unterschied möchte ich noch deutlich machen: Alle haben den Strafbefehl gelobt. Beim Strafbefehl haben Sie den gleichen Strafrahmen wie beim beschleunigten Verfahren, dabei haben Sie beim Strafbefehl keinerlei Verhandlungssituation, beim beschleunigten Verfahren aber sehr wohl. Wenn Sie also im beschleunigten Verfahren deutlich mehr Rechte und Interaktionsmöglichkeiten gegenüber dem Strafbefehl haben, dann ist es auch gerechtfertigt, hier den Maximalrahmen höher zu setzen. Es ist weniger als im Hauptverfahren, das ist richtig, aber deutlich mehr als in einem Strafbefehlsverfahren. Dann den gleichen Maximalrahmen zu haben - das ist in sich nicht stimmig, daher rechtfertigt dies einen höheren Rahmen im beschleunigten Verfahren.
Zum Abschluss noch, weil der Einwand kam, wie es bei Kneipenschlägereien sei und wie viele Leute sich da prügeln und wie ich da die Lage beurteile: Sehen Sie es mir nach, weder ich noch
meine Abgeordnetenkollegen von BVB / FREIE WÄHLER kennen uns mit Kneipenschlägereien aus; wir verkehren nicht auf SPD-Parteitagen. - Danke schön.
(Beifall BVB/FW Gruppe - Scheetz [SPD]: Die Partei, die für Kneipenschlägereien bekannt ist, sitzt links neben Ihnen!)
Wir sind damit am Ende der Rednerliste. Ich schließe die Aussprache … - Frau Ministerin, Sie haben jederzeit die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen, dann haben aber alle Fraktionen ebenfalls die Möglichkeit, noch zu sprechen.
Herr Vida ermuntert mich immer zu Widerworten. Ich möchte hier einfach nur richtigstellen: Sie stellen hier den Vergleich zu Strafbefehlsverfahren an. Diese Strafbefehlsverfahren sind aus guten Gründen auf ein Jahr Freiheitsstrafe beschränkt. Sie wollen jetzt das beschleunigte Verfahren auf zwei Jahre Freiheitsstrafe erhöhen. Damit sind wir im Bereich von schwereren Straftaten, von schwereren Delikten, die sich schlicht nicht dafür eignen, hier im Schnellverfahren Urteile zu sprechen.
Ich bin doch mit Ihnen einig, dass wir zusehen müssen, Wege zu finden, zukünftig die Strafverfahren zu beschleunigen - aber nicht im Wege des jetzt in der StPO geregelten beschleunigten Verfahrens.
Die Vorwürfe, die von Frau Block zur „Klassenjustiz“ kommen, kann ich vor diesem Hintergrund auch nicht wirklich ernst nehmen. Wir haben eine gut funktionierende Justiz in Brandenburg, die es auch nicht nötig hat, sich gegen solche Vorwürfe zur Wehr zu setzen.
Nun stellt sich die Frage, ob eine der Fraktionen die hinzugewonnene Redezeit nutzen möchte. - Das Problem ist, dass Frau Block vorhin schon überzogen hat. Sie hätten jetzt sieben Sekunden.
Ich denke, da kann sich kein Gedanke entfalten. Ich denke, wir haben in dieser Legislaturperiode noch einige Sitzungen des Rechtsausschusses, die öffentlich sind, in denen Sie sich noch dazu austauschen können.
Jetzt sind wir am Ende der Rednerliste, da mir sonst kein Redewunsch angezeigt wird. Ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der AfD-Fraktion, Drucksache 7/9420, „Entlastung der Justiz durch dauerhafte auskömmliche Ausstattung aller Gerichtszweige“, Änderung des Beschlusstextes, abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. -
Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei vier Stimmenthaltungen ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt.
Zweitens komme ich zum Antrag der Gruppe BVB / FREIE WÄHLER, Drucksache 7/9185: Justiz entlasten und Dauer der Strafverfahren verkürzen - Strafobergrenze bei beschleunigten Verfahren erhöhen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag ohne Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Bevor ich an den Vizepräsidenten übergebe, möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer darauf verständigt haben, dass der Tagesordnungspunkt 13 auf die Sitzung im April verschoben wird. Gibt es dagegen Einwände? - Das ist nicht der Fall. Insofern übergebe ich jetzt an den Vizepräsidenten.