Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich weiß, Sie haben auf den Höhepunkt des Tages lange hingearbeitet und hingebangt; jetzt haben Sie die Möglichkeit, diesen zu krönen - durch Ihre Zustimmung.
Es geht um folgendes Thema: Die Strafjustiz in unserem Bundesland hat mit massiven Problemen zu kämpfen. Seit Jahren
steigen die Verfahrensdauern. Auch die wachsende Zahl an Entlassungen aus der Untersuchungshaft wegen unverhältnismäßig langer Verfahren gibt hiervon Zeugnis. Das ist ein bundesweiter Befund - bevor sich manche erregen.
Besonders problematisch wird es jedoch dann, wenn Entscheidungsträger die Augen vor der Realität verschließen und offensichtliche strukturelle Probleme als „Einzelfälle“ beschreiben. Die Aktualität des Antrags zeigt sich auch anhand der Debatte in der jüngsten Sitzung des Rechtsausschusses. Nachdem wegen der Missstände von der 5. Strafkammer des Landgerichts Potsdam ein aufwendiges Verfahren gegen eine fünfköpfige Einbrecherbande schon am ersten Verhandlungstag unterbrochen werden musste, da den Verteidigern die Akteneinsicht nicht rechtzeitig gewährt werden konnte, berichtete Ministerin Hoffmann lediglich von einem „Einzelfall“. Jegliche Anzeichen von strukturellen Problemen werden kleingeredet. Dabei dürfte nicht nur innerhalb der Justizkreise klar sein, dass Verfahrensfehler und kontinuierlich längere Verfahren auf strukturellen Problemen beruhen.
So entsteht immer mehr der Eindruck, dass die Justiz aufgrund der engen personellen und sachlichen Ausstattung in Bedrängnis gerät. Bei einer durchschnittlichen Dauer bis zur erstinstanzlichen Strafverurteilung durch Landgerichte von mehr als acht Monaten kann schon lange nicht mehr davon die Rede sein, dass die Strafe auf dem Fuße folge. Die abschreckende Wirkung eines Strafverfahrens verliert dabei immer mehr an Eindruck. Diese Entwicklung können wir nicht einfach so weiterlaufen lassen, sondern wir müssen zügig Lösungen finden, um die Strafjustiz wieder auf einen Weg zu schnelleren Verfahren zu führen.
Meine Damen und Herren! Neben den sicherlich notwendigen zahlreichen Neueinstellungen und einer personellen Aufstockung der Strafjustiz müssen auch die bereits bestehenden Möglichkeiten, die beispielsweise die Strafprozessordnung bietet, intensiver betrachtet und genutzt werden. Deshalb ist das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. Strafprozessordnung deutlich in den Fokus zu rücken. Es ist ein Verfahren, das neben der Zustellung eines Strafbefehls eine schnelle und effektive Erledigung der Strafsache ermöglichen kann.
Nach derzeitigem Stand ist das beschleunigte Verfahren in den Fällen anwendbar, in denen ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage gegeben ist und eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr in Betracht kommt. An diesen Voraussetzungen soll - bis auf den Strafrahmen - nichts geändert werden.
Das Verfahren in seiner heutigen Form geht auf Bemühungen des Bundesgesetzgebers zurück, in einfach gelagerten Fällen oder in Fällen mit klarer Beweislage den Gerichten eine schnelle Aburteilung zu ermöglichen.
Nun werden immer wieder die Möglichkeiten der beschleunigten Verfahren bejahend hervorgehoben. In der länger zurückliegenden Vergangenheit ging es in diesem Zusammenhang vor allem um gewalttätige Ausschreitungen bei Sportveranstaltungen. In der jüngeren Vergangenheit wurde der Einsatz der beschleunigten Verfahren vor allem bei den sogenannten Klimaklebern diskutiert. Aus unserer Sicht ist aber der verstärkte Einsatz von beschleunigten Verfahren auch und vor allem ein Mittel, um überlange Verfahrenszeiten einzudämmen und für Entlastung innerhalb der Strafjustiz zu sorgen.
Dass wir mit dieser Überlegung nicht allein sind, zeigen Projekte in Baden-Württemberg. Um die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates besser demonstrieren zu können, setzt die Strafjustiz dort seit geraumer Zeit verstärkt auf den Einsatz der beschleunigten Verfahren. So wurden sowohl die Staatsanwaltschaften als auch die Amtsgerichte personell entsprechend verstärkt. Damit ist es bereits an sieben Gerichtsstandorten in Baden-Württemberg gelungen, beschleunigte Verfahren in erheblicher Zahl erfolgreich durchzuführen, wobei die Akzeptanz der Verfahrensbeteiligten sehr hoch zu sein scheint.
Der Anteil der ohne Einlegung von Rechtsmitteln rechtskräftig werdenden Entscheidungen liegt auch nach Untersuchungen in anderen Bundesländern bei beschleunigten Verfahren meist bei über 90 %. Der zeitnahen strafrechtlichen Reaktion von Angesicht zu Angesicht wohnt also im Vergleich zum Strafbefehlsverfahren ein bedeutenderes spezialpräventives Potenzial inne.
Die Möglichkeit der beschleunigten Verfahren, eine zentrale Rolle bei der Entlastung der Justiz zu spielen, hat die Landesregierung Brandenburg noch nicht in vollem Maße genutzt. Deshalb möchten wir die heutige Debatte auch dazu nutzen, die Landesregierung, insbesondere die Justizministerin, dazu aufzufordern, auf den stärkeren Einsatz von beschleunigten Verfahren zu setzen und diese Möglichkeit auch personell zu untersetzen.
Doch das eine ist die Nutzung des beschleunigten Verfahrens, das andere ist die konkrete Ausgestaltung der Verfahrensart. Eine Stärkung des beschleunigten Verfahrens darf nicht nur eine verfahrensökonomische Zielrichtung verfolgen, sondern muss das Verfahren insgesamt praxisgerechter gestalten. Zentraler Ansatzpunkt hierfür ist zunächst die Erhöhung der Strafobergrenze von einem Jahr auf zwei Jahre Freiheitsstrafe.
Entgegen dem zunächst schriftlich durchgeführten Strafbefehlsverfahren läuft das beschleunigte Verfahren nach den Grundregeln einer gängigen Hauptverhandlung ab; die Rechte des Angeklagten werden nicht geschmälert. Es geht auch nicht darum, eine höhere Strafe zu verhängen, sondern um die Möglichkeit, bei dieser Prozessform in einem höheren Strafrahmen urteilen zu können. Daher erscheint es als gerechtfertigt und angemessen, bei materiellrechtlich einfach gelagerten Fällen mit klarer Beweislage eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren aussprechen zu können.
Meine Damen und Herren, mit dieser Erweiterung der Strafobergrenze soll den Staatsanwaltschaften die häufigere Anwendung des beschleunigten Verfahrens ermöglicht werden, was aufgrund der kurzen Verfahrensdauer zu einer Entlastung der Justiz und, beim Vorliegen der materiellen Voraussetzungen, zu einer zeitnahen Bestrafung des Täters führen kann - mit der entsprechenden präventiven und gesamtgesellschaftlichen Wirkung, mit der entsprechenden Möglichkeit, die Justiz zu entlasten. Insofern danke ich Ihnen für die höfliche Aufmerksamkeit
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Vida, der Titel Ihres Antrags klingt vielversprechend - zumindest der erste Halbsatz. „Justiz entlasten und Dauer der Strafverfahren verkürzen“ - wer will das nicht? Da wird es keinen Widerspruch geben. Aber die Frage ist natürlich: Was tun? - Das eine, was Sie gesagt haben, ist: Wir brauchen mehr Personal. - Ich sage: In dieser Legislaturperiode haben wir Personal eingestellt; der Richterwahlausschuss tagt und tagt. Ich finde, an der Stelle haben wir einen riesigen Schritt gemacht.
Die StPO kennt ein besonderes Verfahren, nämlich genau das, das Sie angesprochen haben: das beschleunigte Verfahren. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Instruments sind in der StPO - in den §§ 417 ff. - geregelt: ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage und ein Strafmaß, das unter einem Jahr liegt. Die typischen Delikte, die darunterfallen, sind Diebstahl, leichte Körperverletzung, Sachbeschädigung
Sie haben auch recht, Herr Vida, wenn Sie sagen, dass das in der Praxis wenig angewendet wird. Dafür gibt es einen Grund: Es ist kein Allheilmittel, sondern diese Form des Verfahrens stellt eine unheimliche organisatorische Herausforderung für die Beteiligten dar, weil innerhalb weniger Wochen das Ermittlungsverfahren abgeschlossen, das Hauptverfahren vorbereitet sein muss. Das heißt, man braucht einen Termin vor Gericht, Verteidiger, eventuell Dolmetscher. Das setzt voraus, dass es den Ermittlungsbeamten möglich war, die Beweise zu sichern und zu sichten und die Zeugen zu befragen - denn Sie wissen ja sicherlich, Herr Vida, dass das Gericht auch schriftliche Protokolle verlesen kann. Und weil es verkürzte Verteidigungsmöglichkeiten gibt, ist besondere Sorgfalt erforderlich.
Das heißt - ich wiederhole es noch einmal für Sie -: Das beschleunigte Verfahren ist nicht das Allheilmittel, als das Sie es hier darstellen, und es findet in der Praxis wenig Anwendung.
Sie sagen: Das ist eine gute Sache, dieses beschleunigte Verfahren, da sollen mal - zack, zack - der Bundesrat angerufen und
das Strafmaß erhöht werden. - Aber hier zeigt sich in Bezug auf die Voraussetzungen - wir brauchen einen einfachen Sachverhalt, wir brauchen eine relativ schnelle, klare Beweisaufnahme mit einem Strafmaß von bis zu zwei Jahren - doch ein Widerspruch; das passt doch nicht wirklich zusammen.
(Vida [BVB/FW Gruppe]: Natürlich, wenn er entsprechende Vorstrafen hat! - Gegenruf des Abgeordneten Bretz [CDU])
Ich will es für Sie noch etwas handfester machen: Wenn man Ihrem Vorschlag folgen würde, fielen auch Delikte wie eine klassische Kneipenschlägerei darunter - vielleicht habe ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit wieder; es ist ja Ihr Antrag.
(Vereinzelt Beifall SPD sowie des Abgeordneten Bretz [CDU] - Zuruf des Abgeordneten Vida [BVB/FW Gruppe])
Jetzt bemerkt man den Fehler in Ihrem Antrag. Das Strafmaß könnte geringer als zwei Jahre sein, aber die Frage ist: Haben wir einen klaren Sachverhalt? Haben wir eine einfache Beweislage? Sagen wir mal, bei dieser Kneipenschlägerei haben wir 5 Leute, die sich schlagen,
und wir haben 15 andere Leute, die in dieser Kneipe sind. Was müsste jetzt passieren, Herr Vida? 5 und 15 macht 20, also müssten 20 Aussagen aufgenommen und bewertet werden. Dazu sage ich: Dass das nun alles einfach, dass das nun alles unkompliziert ist, dass es keine Widersprüche gibt, dass man das innerhalb dieser kurzen Zeit schafft, denke ich eher nicht. Deswegen sagen wir zum zweiten Halbsatz im Titel des Antrages - „Strafobergrenze bei beschleunigten Verfahren erhöhen“ - Nein und lehnen Ihren Antrag ab.