Protocol of the Session on November 9, 2016

Auch wenn jetzt in der nächsten Ausschreibungsrunde fünf weitere Landkreise gefördert werden sollen, blieben immer noch acht Landkreise übrig. Bis diese Landkreise Förderanträ ge gestellt haben, ist der Fördertopf des Bundes wahrscheinlich leer. Die Landesregierung hat das Thema nicht ernst genom men und sich darauf verlassen, dass die Kreise sich kümmern. Auch wenn die Verantwortung bei den Kreisen liegt, hat die Landesregierung den Breitbandausbau zur Chefsache zu ma chen, so denken wir als AfD. Selbst Herr Woidke sagte am vor letzten Wochenende in einem Interview im „Inforadio“, er hät te die Verantwortung auch lieber auf Landesebene.

Wenn sich Herr Gerber freut, dass die Beteiligung der Bran denburger Gebietskörperschaften am Bundesprogramm zum Breitbandausbau mittlerweile Fahrt aufgenommen hat, können wir seine Freude nicht wirklich nachvollziehen. Auch eine Schnecke nimmt Fahrt auf, wenn sie loskriecht. Wenn wir dann 2020 möglicherweise einen „Spitzenplatz“ gleich hinter Alba nien belegen, wird uns das vielleicht auch als Erfolg verkauft.

Deshalb fragen wir, wie hierbei das Konzept des Breitbandaus baus als Grundlage der Digitalisierung konkret aussieht. Aber halten wir die Reihenfolge ein und fragen zunächst einmal: Welches Konzept hat die Landesregierung jetzt konkret? Erst setzt sie Ziele, dann streicht sie diese. Wenn es keine Zielset zung mehr gibt, wie soll dann der Breitbandausbau ganz kon kret vorangetrieben werden? Wie sieht Plan B aus, wenn der Fördertopf des Bundes leer ist? Behalten wir in Brandenburg dann weiße Flecken auf der Landkarte des schnellen Internets? Wird das Land einspringen - wenn ja, mit welchen Beträgen?

Ich gebe zu bedenken: Vielleicht sind die Gelder, die man an derenorts für die Kreisgebietsreform ausgeben möchte, für den Breitbandausbau doch besser geeignet. Mit einer digitalen Ver waltungsreform zum Beispiel durch Einführung eines landes weiten E-Governments hätten wir zwei Fliegen mit einer Klap pe geschlagen. Ich erlaube mir an dieser Stelle, an den Vortrag von Prof. Schuppan bei der Abschlussveranstaltung zur Kreis gebietsreform in Cottbus zu erinnern. Erstens: Die ungeliebte Gebietsreform als Teil der Kreisgebietsreform wäre unnötig. Oder anders gesagt: Wir hätten einen flächendeckenden Breit bandausbau und die Digitalisierung der Verwaltung gemein sam gestemmt. Außerdem wäre die Landesregierung ihrer Vor bildfunktion für Bürgernähe und effizientes Arbeiten nachge kommen. Das wäre für uns ein Plan.

Aber auch die Risiken müssen vermittelt werden: Durch das Netz gesendete Informationen lassen sich nicht zurückholen, die Daten können missbraucht werden - alles Dinge, für die die

Bürger sensibilisiert werden müssen und die wir in ihrem Ge meinschaftsantrag auch vorfinden. Gestern Abend wurde auf N24 berichtet: 5,8 % aller Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren sind onlinesüchtig. - Die Zahl hat sich in den letzten vier Jahren verdoppelt, und ich gehe davon aus, dass das in Ihrem Antrag auch Berücksichtigung findet.

Aber womit könnten sich die Brandenburger im Rahmen von Digitalisierung und Breitbandausbau profilieren und sich einen wirtschaftlichen Standortvorteil verschaffen? Wir von der AfD sagen: mit dem Aufbau eines sicheren Datennetzes oder als si cherer Speicherstandort, ohne Datentransfer durch andere Län der, mit Abschottung gegen Spionage von NSA und Co. Das würde zusätzliche Akzente setzen und auf Brandenburg auf merksam machen.

Packen wir das digitale Zeitalter an und nehmen die Digitali sierung ernst! Da wir überzeugt sind, dass der Antrag den Bür gern nützt, stimmen wir ihm zu. - Vielen Dank für Ihre Auf merksamkeit.

(Beifall AfD)

Vielen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abge ordnete Loehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, zu diesem Thema einen gemeinsamen Antrag vorzulegen. Denn wir stehen hier vor einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, und das Thema ist so allumfassend, dass letztlich kein Arbeits-, ja sogar kein Lebensbereich davon unberührt bleiben wird.

Der Antrag gibt aus meiner Sicht einen kleinen Einblick in die Themenfelder, die mit der Digitalisierung verbunden sind, und vor allem in die Aufgaben, die wir als Landespolitik uns selbst stellen wollen.

Ich gehe kurz zurück in die Geschichte: Mit der ersten industri ellen Revolution im ausgehenden 18. Jahrhundert waren enor me Produktivitätsschübe möglich. Die menschliche Arbeits kraft war nicht mehr Maßstab der Dinge. Gleichzeitig kam es zu Kinderarbeit, und Rauchschwaden verdunkelten den Him mel.

Die Arbeit an den Fließbändern Ende des 19. Jahrhunderts, die zweite industrielle Revolution - unter Zuhilfenahme des elekt rischen Stroms -, hat die arbeitsteilige, uns heute bekannte Massenproduktion hervorgebracht, wieder mit enormen Pro duktivitätsgewinnen.

Seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird indus trielle Produktion zunehmend automatisiert: Maschinen und Roboter übernehmen ganze Arbeitsschritte, und der Einsatz von Computern war die Grundlage dieser dritten industriellen Revolution.

Derzeit befinden wir uns - darüber gibt es keinen Streit - sozu sagen in der vierten Phase, der digitalen Revolution, die unser Leben wie alle vorherigen Etappen nachhaltig verändern wird.

Wir reden hier von intelligenten Fabriken und der Kommuni kation zwischen Maschinen bei der Produktion sowie zur wei teren und selbstständigen Optimierung von Prozessen.

Ja, es besteht die Chance auf wirtschaftliches Wachstum bei nicht steigendem Ressourcenverbrauch, und wir haben die Chance, diese Produktivitätszuwächse gerecht zu verteilen. Aber gleichzeitig müssen wir die Frage stellen: Wo soll es Grenzen geben? Stichwort Mobilität: Unter der Überschrift „autonomes Fahren“ hat insbesondere der ländliche Raum enorme Chancen. Ich glaube, wir können Carsharing in den nächsten Jahren ganz anders begreifen, als es momentan vor allem in den Großstädten gelebt wird. Schon heute sind die Fahrzeuge in der Lage, sämtliche Daten zu erfassen, die wir mit dem Fahrzeug produzieren. Damit meine ich nicht nur die Strecken von A nach B, sondern auch die Art, wie wir fahren, wie wir beschleunigen und bremsen. Versicherungen haben In teresse an diesen Daten. Schon heute gibt es erste spezielle An gebote von Versicherungen, wenn sie auf diese Daten zugreifen können.

Im Haushalt können heute viele digitale Helferlein schon voll ständig die Regie übernehmen: von Wärme über Strom und Licht bis hin zum Einkaufen von Alltagsprodukten. Auch hier gibt es enorme Einsparpotenziale im Bereich Energie, Wärme, Strom; das können Sie sich alle vorstellen. Aber gleichzeitig frage ich: Wollen wir, das unser Strom- und Wärmelieferant weiß, wann wir aufstehen und wann wir ins Bett gehen? Wo ziehen wir die Grenze?

Ein letztes Beispiel: Gesundheit. Das Stichwort Telemedizin ist gefallen, da bestehen enorme Potenziale. Ich will ein anderes Beispiel bringen: Die Firma Proteus aus Kalifornien, die übri gens eng mit der Schweizer Firma Novartis kooperiert, hat das erste digitale Medikament der Welt hergestellt, bei dem sie sandkorngroße Sensoren in jede Tablette einbringt. Wir können also Sensoren schlucken, damit der Arzt in Echtzeit die korrek te Medikamenteneinnahme überprüfen kann. Wollen wir das wirklich?

Wollen wir, dass unsere Krankenkasse weiß, ob wir täglich Sport treiben und wo wir abends essen gehen, weil zum Bei spiel der Tarif dann günstiger ist? Wir sind heute grundsätzlich in der Lage, alle Daten zu erfassen und zu verwerten. Aber wo und wie wollen wir hierfür die gesetzlichen Grenzen ziehen? Die Politik steht hier in der Verantwortung, den richtigen Rah men zu schaffen. Und dieser Rahmen muss ständig verändert und aufs Neue überprüft werden. Der Europäische Gerichtshof hat diesbezüglich - Stichwort Vorratsdatenspeicherung und Google-Suche - erste Entscheidungen getroffen, die nach mei nem Dafürhalten als Grenzziehung zu verstehen sind. Ich möchte an das wichtige Grundsatzurteil vom Mai 2014 unter dem Stichwort „Recht auf Vergessen im Internet“ erinnern. Wir brauchen in Europa klare gesetzliche Regelungen zur Netzneu tralität.

Zum Abschluss: Nur mit klaren politischen Leitplanken kann sich die Digitalisierung auch zum Vorteil der Beschäftigten und vieler Menschen auswirken. Die Digitalisierung kann, wenn sie sinnvoll gestaltet wird, zur Entlastung, einem höheren Grad an Selbstbestimmung und mehr Arbeits- und Lebensqua lität für die Menschen führen. Dazu braucht es klare gesetzli che Leitplanken in Deutschland und Europa. Die fortschreiten de Digitalisierung wird zu einer Steigerung der Produktivität

und der Wertschöpfung führen. Die entscheidende Frage bleibt, wem dieses Wachstum zugutekommt.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten, dass möglichst viele Menschen von der Digitalisierung profitieren. Wir wollen ge stalten, nicht verhindern. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, begrü ße ich auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder. Herzlich will kommen im Landtag Brandenburg!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Ab geordnete von Halem.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Und noch einmal: Liebe Gäste!

Vielleicht brauchen wir in den Städten bald gar keine Autos mehr zu besitzen, weil autonome Fahrzeuge auf Abruf überall verfügbar sind. Plötzlich haben wir wieder mehr Platz für Parks, und Kinder können auf den Straßen spielen - statt des sogenannten ruhenden Verkehrs der Blechlawinen vor unseren Haustüren.

Auch die Familie meines Kollegen Benjamin Raschke in dem schönen Spreewalddorf braucht vielleicht künftig nicht mehr so viele Autos, weil sie sich über Apps Mitfahrgelegenheiten organisieren oder auch welche anbieten kann und Sammeltaxis und Rufbusse digital verfügbar sind. Lehrpersonen haben viel leicht künftig mehr Zeit, um einzelne Kinder individuell zu fördern, weil die anderen Schülerinnen und Schüler sich in Gruppen je nach ihrer Lerngeschwindigkeit mit digitalen Ma terialien Inhalte selbst erarbeiten können.

Vertretungsunterricht wird so oft hier in Brandenburg als gro ßes Problem beschrien. Vielleicht wird der Vertretungsunter richt künftig landesweit oder - noch sinniger - mit Berlin ge meinsam in Echtzeit über Internetplattformen organisiert. Das hieße, dass die Schulleiterinnen und Schulleiter künftig nicht mehr mühselig Vertretungen herantelefonieren müssen.

Wir können so vieles in unserem Leben besser, effizienter und ressourcenschonender organisieren. Das sind keine Luftschlös ser. Trotzdem sieht das echte Leben in Brandenburg - das wur de vorhin schon gesagt, wir bleiben eben in Brandenburg - an ders aus. Nur ein paar Stichpunkte, ich habe ja nur fünf Minu ten: Der European Digital Progress Report der Europäischen Kommission vom Mai 2016 sieht Deutschland beim Angebot öffentlicher Dienstleistungen auf Platz 20. Brandenburg liegt bei der Breitbandverfügbarkeit mit mindestens 50 Mbit auf dem viertletzten Platz im Bundesvergleich mit 57 % der Haus halte.

Wir erinnern uns: 2012 gab es ein Konzept der Landesregie rung, das hieß „Glasfaser 2020“. In diesem Konzept steht, dass

Brandenburg bis 2014 75 % der Haushalte mit 50 Mbit errei chen wollte. Da ist also nichts von „wir spielen an der Spitze mit“, Herr Barthel.

Vor zwei, drei Jahren gab es eine internationale Studie darüber, inwieweit Kinder mit Computern und Informationstechnologi en umgehen können, Achtklässler wurden da untersucht, die so genannte ICILS-Studie. Deutschlands Ergebnis war so schlecht, dass eine der Hauptherausgeberinnen und Wissenschaftlerin nen, die diese Studie erstellt haben, gesagt hat:

„Wir vergeuden das Potenzial einer ganzen Schülergene ration.“

Viertens: Wirtschaftlichkeit von Open Data. Es gibt verschie dene Studien, die die Potenziale von Open Data für Deutsch land mit 12 bis 130 Milliarden Euro jährlich errechnen. Warum dümpelt dieses Thema hier seit Jahren? Wir haben immer wie der davon geredet, es tut sich wenig.

Beim Breitbandförderprogramm des Bundes hat MecklenburgVorpommern sich in den ersten beiden Runden mit 80 Förder anträgen beteiligt, Sachsen-Anhalt immerhin mit sieben und Brandenburg mit einem einzigen. Jetzt liegen dem Bund im merhin 31 Beratungsvorgänge aus Brandenburg mit einem Fördervolumen von insgesamt einer guten Million vor. Bei Ge samtsummen im Milliardenbereich ist auch das nicht der große Schluck aus der Pulle.

(Loehr [DIE LINKE]: Sie haben das Programm nicht ver standen!)

- Danke.

2016 - schon im Juni dieses Jahres - ist die Störerhaftung abge schafft worden. Warum gibt es eigentlich immer noch kein Konzept für freies WLAN im ÖPNV, in öffentlichen Gebäuden und zentralen öffentlichen Räumen?

(Zuruf der Abgeordneten Muhß [SPD])

Es gibt Menschen, die sehen die Digitalisierung wie eine Welle auf sich zukommen und denken an den Kauf von Gummistie feln. Aber so hohe Gummistiefel gibt es gar nicht.

Jetzt liegt dieser Antrag vor, und vieles darin sind Themen, über die wir hier schon lange geredet haben. Zugegeben, es hat mich etwas überrumpelt und ich bin sehr erfreut darüber, dass der Antrag jetzt tatsächlich von den Koalitionsfraktionen mit getragen wird, wenn auch etwas geändert. Einige Sachen sind anders, der Digitalrat, den die CDU vorgesehen hat, heißt hier strategische Schnittstelle. Herr Homeyer, Sie haben die beiden Begriffe synonym verwendet. Ich vermute, dass mit der strategischen Schnittstelle beabsichtigt ist, nicht so viel externes Fach wissen in die Staatskanzlei zu holen. Aber vielleicht werden wir noch darüber aufgeklärt, wie das im Einzelnen sein soll.

Ich muss ehrlich sagen: Diese vorgeschlagene Strategie finde ich in Gänze gut, wir werden dem Antrag auch zustimmen, aber in einzelnen Punkten ist sie durchaus diskussionswürdig. Zum Beispiel müssten wir uns als Land nicht in die Anpassung von Ausbildungsberufen einmischen; das macht die Industrie schon ganz gut und vielleicht macht sie es auch schneller als das Land.

Zur ressortübergreifenden Strategie: Warum muss eine Schnitt stelle eine Strategie entwickeln, die sich dann um die Entwick lung eines E-Government-Gesetzes kümmert? Auch das haben wir hier schon mehrfach gehabt. Unter Softwareentwicklern wird zunehmend über agile Methoden geredet, das heißt, nicht Entwicklung umfangreicher großer Strategien, sondern kleine re Schritte, kurze Planungsphasen …

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

… ständige Kundenkontakte und schnelle Umsetzung. Viel leicht passt uns das besser.

Lassen Sie uns nicht an Gummistiefel denken, sondern lieber an ein Surfbrett und es dann mit Erich Kästner halten:

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“