Protocol of the Session on April 2, 2014

Lücken zu schließen heißt aber auch, dass in den Fällen, in denen in den 1990er-Jahren keine Überprüfung der Landesbediensteten auf MfS-Tätigkeit stattgefunden hat, diese nun nachgeholt werden soll. Hierbei sollte auch der Landtag als Beispiel vorangehen und künftig seine Abgeordneten wieder auf Stasitätigkeit überprüfen.

Verbessert werden muss aus unserer Sicht auch der Zugang zu Information und Wissen über die DDR-Zeit. Dazu sollten zum Beispiel die Lehrerinnen und Lehrer weiter qualifiziert und sollte fachfremder Unterricht in Geschichte und Politischer Bildung vermieden werden. Die Weiterbildung sollte nach unserer Auffassung in der regulären Arbeitszeit möglich sein. Zusätzlich sollten die vielen regionalen Museen in ihrer museumspädagogischen Arbeit qualifiziert werden. Hier gilt für uns zwingend der Beutelsbacher Konsens mit seinem Überwältigungsverbot.

Heilungsbedarf sehen wir auch hinsichtlich der Folgen einiger LPG-Umwandlungen, die nicht immer transparent und rechtskonform abgelaufen sind. Hier ist die Landesregierung gefordert, auf die Betroffenen zuzugehen. Auch sollte sie nicht in ihrem Bemühen nachlassen, für die Grundstücke aus Bodenreformland weiterhin Erben zu suchen.

Eine weitere Lücke, die sich während unserer Arbeit offenbart hat, ist die erhebliche Benachteiligung von Ostdeutschen, speziell von Brandenburgerinnen und Brandenburgern, beim Zugang zu Spitzenpositionen im Landesdienst. Ob in Ministerien, Verwaltungen oder Hochschulen - die Eliten des Landes sind oft nicht von hier. Das hat einerseits zwar nachvollziehbare, historische Gründe, zeigt aber andererseits auch einen bedenklichen Mangel und ein großes Defizit an Gerechtigkeit. Wenn im Wissenschafts-, im Innen- und im Finanzministerium nicht ein einziger Abteilungsleiter bzw. eine einzige Abteilungsleiterin seit 1991 eine ostdeutsche Biografie hat, dann kann das nicht nur mit Qualifikation zu tun haben. Der Zugang zu diesen Ämtern muss daher für Ostdeutsche und damit

auch für Brandenburgerinnen und Brandenburger erleichtert werden.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Schließlich haben wir den Bedarf erkannt, die demokratische Kultur im Land weiter zu stärken.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Blick zurück ist immer wichtig. Daher hat die Enquetekommission, würde man ihre Arbeit bilanzieren, Wichtiges geleistet. Ihre Empfehlungen zielen darauf ab, Missstände zu beheben und die Entwicklung in Brandenburg weiter voranzubringen. Meine Erwartung an die Landesregierung ist, dass sie sich ernsthaft mit den Empfehlungen beschäftigt und sie so weit wie möglich umsetzt. Wir können unter die Aufarbeitung der DDR-Geschichte heute keinen Schlussstrich ziehen. Die Gesellschaft bleibt aufgerufen, das Erbe der DDR als das einer Diktatur kritisch zu beleuchten. Doch dabei sollte, anders als im Umgang mit dem verbrecherischen Nationalsozialismus, immer der Grundsatz gelten, dass es unterschiedliche Perspektiven auf die Vergangenheit gibt und diese auch akzeptiert werden sollen. Wir sollten nicht versuchen, eine einzige Sicht der Dinge zu oktroyieren. Ich zitiere:

„Der nun fast 20 Jahre währende Versuch einer Generaldelegitimierung der DDR nimmt selbst schon totalitäre Züge an.“

Wir sind gut beraten, diese Warnung von Friedrich Schorlemmer ernst zu nehmen. In diesem Sinne danke ich den Mitgliedern der Enquetekommission für unsere gemeinsame Arbeit und wünsche eine interessante und nachdenkliche Lektüre des Abschlussberichtes. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, FDP und B90/GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jürgens. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Teuteberg wird dies tun.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für mich persönlich ist dies heute auch eine Art Bilanz der fünf Jahre in diesem Landtag, denn die Arbeit in der Enquete war ohne Zweifel ein Schwerpunkt dieser Zeit. Und ich bin froh darüber, denn es war eine anstrengende und aufwendige Tätigkeit, aber insgesamt doch ein herausragendes Unternehmen, das - darin bin ich mir ganz sicher - Wirkung zeigt, und zwar nachhaltig. Es hat sich gelohnt.

Eine Bemerkung möchte ich doch zu meinem Vorredner machen: Ich glaube, man muss nicht delegitimieren, was nie legitim war - traurig, dass man das hier klarstellen muss.

(Beifall FDP und B90/GRÜNE)

Auch mein Dank gilt vor allem den Zeitzeugen. Ich nenne hier stellvertretend Sybille Schönemann, die heute auch hier ist, und Gerd Korsowski, die öffentliche Anhörungen in der Enquetekommission zu ihrem schweren Schicksal und damit gro

ße Anspannungen und Belastungen auf sich genommen haben. Sie haben sich um Brandenburg verdient gemacht. Sie verdienen unsere Hochachtung.

(Beifall FDP und B90/GRÜNE)

Erinnern wir uns an die Jahreswende 2008/2009: Damals begannen wir eine Debatte darüber, ob und inwieweit das Land Brandenburg einen eigenen, äußerst umstrittenen Weg fortsetzen sollte, der sich abhob von dem der anderen ostdeutschen Bundesländer. Als damals Marianne Birthler im Potsdamer Rathaus eine Ausstellung eröffnete, versprach ihr einstiger Weggefährte Matthias Platzeck Veränderungen, eine Art Anlaufstelle für einstige SED-Opfer.

Aus diesem ersten Impuls einer bescheidenen Kehrtwende ist eine wichtige und große Unternehmung geworden. Sie führte dazu, dass wir heute mit Frau Poppe eine weit über Brandenburg hinaus anerkannte und geschätzte Frau als Landesbeauftragte haben. Obwohl ich ansonsten nicht zu seinen Anhängern zähle: Rainer Speer hat ein Lob dafür verdient, dass er mithalf, Ulrike Poppe für Brandenburg zu gewinnen.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Sie ist mir in den letzten Jahren zu einer wichtigen Gesprächspartnerin geworden, gerade auch wenn sie über das Leben in der DDR redet, ohne Bitternis oder gar Rachegefühle, aber doch viel präziser, viel genauer als viele andere - nicht so sehr über Kirsch-Cola. Vergesslichkeit gesellt sich offenbar auch gern zur Scham.

Als Axel Vogel, Johanna Wanka und Hans-Peter Goetz im Namen der Oppositionsfraktionen dieses Hauses die Enquetekommission initiierten, war entgegen mancher Behauptung dies nicht bloß ein Reflex auf eine bestimmte Koalitionsbildung und neue Stasifälle in einer Fraktion. Es war eine notwendige Reaktion unter anderem auf die fortlaufenden Stasienthüllungen im Bereich der Brandenburger Polizei und die dazu regierungsamtlich verordnete Versöhnung.

Für die SPD war es sicherlich trotz mancher denkwürdig missratener Stellungnahmen ihres damaligen Fraktionsvorsitzenden und heutigen Ministerpräsidenten auch von einem gewissen Wert, dass sich die Diskussion leider vor allem auf den neuen Koalitionspartner und sein Personal konzentrierte. Es lenkte auch gut ab von eigener innerer Zerrissenheit, zum Beispiel vom Widerspruch eigener Vertreter, wie Dagmar Ziegler, die heute in der Bundespolitik ihre Rolle spielt.

Wir haben uns in der Enquetekommission nicht in erster Linie mit der DDR beschäftigt, sondern mit dem Umgang mit dem Erbe der DDR. Wir sind dabei sehr zurückhaltend mit der zentralen Auseinandersetzung dieser Zeit - dem Fall Stolpe - umgegangen. Wir haben uns unabhängig von Herrn Stolpe vornehmlich um die Jahre 1990 bis 1994 Gedanken gemacht. Viele von Ihnen hier waren auch damals schon aktiv. Ich glaube, Herr Ness war damals auch schon zugezogen.

(Heiterkeit FDP, CDU und B90/GRÜNE)

Damals haben Sie sich sicherlich gedacht, dass dieses - Ihr Neuland jetzt den Sozialdemokraten gehörte.

(Anhaltender Beifall FDP, CDU und B90/GRÜNE)

Die ersten Jahre endeten auch mit einem grandiosen Wahlerfolg Ihrer Partei. Doch wenn Ihnen jemand gesagt hätte, dass eines Tages Joachim Gauck Bundespräsident und Angela Merkel Kanzlerin sein würde, vielleicht hätten Sie da Ihr besonderes Lächeln aufgesetzt, mit dem Sie Milde ob des Geisteszustandes Ihres Gegenübers signalisieren wollen. Gauck und Merkel - wo Stolpe doch solche Erfolge feierte! Ja, die beiden sind jetzt auch mit Stimmen von Brandenburger Sozialdemokraten in ihre Ämter gekommen - auch eine Biege des Brandenburger Weges?

Für mich taugt ein Bild vom schmelzenden Eisblock besonders für die Bilanz der Enquetekommission: Wenn das Eis zu Wasser wird, kommt Bewegung in die Sache, und aus einer festen kalten Masse wird etwas, das fließt, sich eigene Wege sucht und nicht länger zu kontrollieren ist. Auch das ist für mich das Resultat dieser Enquetekommission. Jetzt werden die Dinge ihren eigenen Lauf nehmen, und keiner wird so einfach mit kalten Sprüchen von all den Fragen ablenken können, die mit dem Neubeginn dieses Landes verbunden sind.

Heute ist Brandenburg bei seinem Blick auf die eigene Entstehungsgeschichte freier von Glaubensdogmen. Es war vor 1989 in den drei DDR-Bezirken vieles nicht gut und im gesellschaftlichen Kontext viel zu viel schlecht. Das neu gebildete Land wurde auch in den Jahren danach in vielem nicht den neuen, aus der friedlichen Revolution geborenen Ansprüchen gerecht. Meine Generation hatte dafür zumeist nur eine vage Vermutung. Aber wir haben doch sehr wohl gespürt, dass ein selbstgerechter, kritikloser Umgang mit der Vergangenheit gewissermaßen regierungsamtlich wurde.

Die Enquetekommission hat dieser parteiübergreifend weit verbreiteten Lesart des Neuanfangs etwas entgegengesetzt, was ich eine erste, vorsichtige Annäherung an die Wirklichkeit nennen möchte. Denn Diktaturen hinterlassen Lügen. Sie dominieren auch im Nachhinein noch die Überlieferung und die Erinnerung. Exil und Widerstand hatten nun einmal kein Staatstheater.

Wir wissen heute, dass es zu dem, was an den Schulen, in den Redaktionen, in den Betrieben - insbesondere den landwirtschaftlichen -, in der Justiz, überhaupt in allen Bereichen des Landes zwischen 1990 und 1994 geschah, auch denkbare Alternativen gab. Es ist nach der fundierten Einsicht unserer wissenschaftlichen Zuarbeiter einiges falsch gelaufen. Es kann daraus auch heute noch so manche Konsequenz gezogen werden. Wer will, kann sich jetzt über die Alternativen informieren, kann nachlesen oder hören, was versäumt wurde. Ich bin mir sicher, dass diese Erkenntnisse, die wir in der Enquetekommission gesammelt und besprochen haben, Interesse finden werden. Die Resonanz wird, wie bei allen Spurensuchen in der Vergangenheit, immer eher von einer Minderheit kommen. Breites Interesse wird es dafür nicht geben. Aber diese Minderheit wird den Prozess der gesellschaftlichen Meinungsbildung bestimmen. Auch die friedliche Revolution oder etwa das Verlegen von Stolpersteinen in unseren Städten wurden nicht als Mehrheitsprojekte geboren.

Ja, für uns Liberale ist dieser überhaupt nicht abgeschlossene Prozess ein gesellschaftlicher. Politik kann und muss dafür allerdings Impulse und Rahmenbedingungen setzen.

Mir ist in diesem Landtag zuweilen das Argument begegnet, es sollten sich die, die nicht dabei waren, mit ihrer Meinung besser zurückhalten. Es ist von all den unzutreffenden das dümm

ste der Widerworte gegen einen Blick zurück, der sich nicht aus dem Selbsterlebten speist.

(Beifall FDP, B90/GRÜNE und der Abgeordneten Rich- stein [CDU])

Wo kämen wir hin, wenn wir dem letzten Nazi-Opa mehr Kompetenz zugestehen würden als seinem Enkelkind, das sich auf Spurensuche macht - auch nach Schrecken, für den der Opa mitverantwortlich sein könnte? Im Gegenteil, erst der Enkel wird sich der Wahrheit mit einer gewissen Unvoreingenommenheit nähern können.

Das gilt auch für die DDR. Die einstigen SED-Mitglieder taugen wenig zur Interpretation der SED-Herrschaft, am wenigsten gerade auch dann, wenn sie heute im schicken Dienstwagen aus dem kapitalistischen Westen unterwegs sind.

(Beifall FDP und B90/GRÜNE)

Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die diese für die Zukunft fruchtbar macht, ist keine Sache für Insider. Deren Interessenvertreter haben sich in den letzten 25 Jahren - übrigens mit einigem Erfolg - um die Optimierung der Altersversorgung ihrer sogenannten bewaffneten Organe gekümmert.

Die Enquetekommission ist für mich ein so wunderbares Beispiel dafür, dass in einer freien Gesellschaft die Wahrheit eine Chance erhält.

Wir haben uns die Schilderungen über die gnadenlose Ignoranz angehört, mit der zuweilen - viel zu oft - in diesem Land dem Leid von Menschen begegnet wurde, die vor 1989 in das Fadenkreuz der Repressionsorgane gerieten.

(Beifall FDP, B90/GRÜNE und des Abgeordneten Prof. Dr. Schierack [CDU])

Ich werde nicht vergessen, was das auslöste - an Scham, bei uns allen. Ich werde auch nicht vergessen, dass dies auch Menschen anrührte, die genau wussten, dass damit auch die Frage nach eigener Schuld verbunden war.

Natürlich lässt mich da auch einiges unzufrieden zurück. Die Konsequenzen, die wir daraus ziehen, sind ein kleiner gemeinsamer Nenner. Natürlich finde ich es nach wie vor empörend, wenn ein ehemaliger SED-Bezirkschef sich seiner angeblich so wichtigen Rolle in den Jahren nach 1989 rühmt, dasitzt, als sei er mit gutem Recht von einem ins andere Leben stolziert, und sich nicht die geringsten Sorgen um seine Altersversorgung machen muss, während sich seine einstigen politischen Gegner, denen die Faust galt und die er drangsalierte, von Gutachter zu Gutachter quälen, um wenigstens ein wenig Entschädigung zu bekommen.

(Beifall FDP und B90/GRÜNE sowie der Abgeordneten Prof. Dr. Schierack, Senftleben und Dombrowski [CDU])

Natürlich muss hier von einer mit der Gnade der späten Geburt auch noch etwas gesagt werden dürfen zu diesem besonderen brandenburgischen, besonders milden Blick zurück auf die kommunistische Gewaltherrschaft. Sie wird von meiner Generation noch zögerlich und von den Jüngeren noch eindeutiger verurteilt werden; da können Sie sich sicher sein. Es wird we

nig übrig bleiben von den Rechtfertigungsversuchen derer, die irgendwie und mehr oder weniger mitgemacht oder weggeschaut haben. Täuschen Sie sich da nicht. Es war vor allem aus der Sicht der Nachgeborenen eine traurige Zeit. Erinnern Sie sich daran, wie viele gegangen sind, „abgehauen“, wie man so sagte, ausgereist, legal oder illegal, manche unter großen Gefahren, 1989 und 1990 viele dann einfach so - Zehntausende von Brandenburgern.

Da sei eine Nachfrage erlaubt: Wie ging es denen, die - wie Sybille Schönemann - den schwierigen Weg zurück wagten und dem früheren Haftrichter heute wieder an einem Brandenburger Gericht begegnen? Wie steht es mit der Willkommenskultur eines Landes, das sonst so gern Farbe bekennen will? Auch ihretwegen war diese Enquetekommission nötig.

Sie hat hoffentlich denen, die es nicht länger ertragen haben, wie auch denen, die erst später in dieses Land kamen, deutlich gemacht: Es gibt inzwischen auch in Potsdam das notwendige Maß an Nachdenklichkeit, an Scham und Trauer, an Mitgefühl. Es gibt mehr als zuvor die für eine Demokratie unabdingbare Bereitschaft, unangenehmen Erkenntnissen ins Auge zu sehen.