Protocol of the Session on April 2, 2014

Meine Damen und Herren! Das ist etwas, was eigentlich viele erwarten. Sie sehen das in Talkshows, bei den Angehörigen von zu Tode geprügelten Menschen, die natürlich davon ausgehen, dass es ein gerechtes Urteil gibt. Aber worauf warten sie denn? Sie warten auf die Beantwortung der Frage: Warum ist das geschehen? Und sie warten - oft leider vergeblich - auf ein Wort der Reue und der Entschuldigung. Das ist den Menschen wichtig.

Menschen, die Opfer von Gewalt geworden sind, sei es kriminelle Gewalt oder staatliches Unrecht, wollen keine Vergeltung. Opfer werden ungewollt zu Fachleuten in eigener Sache, weil sie das Unrecht nicht vom Hörensagen oder vom Lesen, sondern vom eigenen Erleben kennen. Das macht sie aber auch eher bereit, Brücken zu bauen.

Ich möchte allen sagen: Ich wünsche keinem, auch wenn er zum Täter geworden ist, dass er sein dunkles Geheimnis mit

sich herumtragen muss. Jeder von uns kennt das: Wenn man etwas auf dem Herzen hat, was einen bedrückt, dann ist man zufrieden, wenn man es los ist, wenn es ausgesprochen wurde.

Wir sollten die Menschen dazu ermutigen, aufeinander zuzugehen, Unrecht nicht nachträglich durch Schweigen zu legitimieren und nicht so zu tun, als stünde man dazu.

Ich möchte allen Mut machen - denen, die Schuld auf sich geladen haben, aber auch denen, die Opfer geworden sind -, aufeinander zuzugehen. Meine Damen und Herren, das ist auch meine ganz persönliche Sicht der Dinge und auch mein Antrieb gewesen, in dieser Enquetekommission mitzuwirken.

Zuallerletzt möchte ich mich auch bei einzelnen Kollegen und insbesondere bei Kollegen Peer Jürgens von den Linken bedanken. Er hat mich zwischendurch gefragt: Herr Dombrowski, können wir das so machen, können wir diesen Weg gehen? Deshalb danke, Herr Jürgens, dass Sie sich getraut haben, mir zu trauen. - Ihnen danke ich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU sowie vereinzelt SPD, DIE LINKE, FDP sowie B90/GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dombrowski. - Bevor Herr Abgeordneter Peer Jürgens die Aussprache fortsetzt, möchte ich unter uns ganz herzlich Seniorinnen und Senioren aus dem Landkreis Elbe-Elster begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort erhält nunmehr die Fraktion DIE LINKE. Herr Abgeordneter Jürgens, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste!

„Der Unterschied zwischen Gott und den Historikern besteht hauptsächlich darin, dass Gott die Vergangenheit nicht mehr ändern kann.“

Dieses Zitat von Samuel Butler, einem englischen Schriftsteller, stelle ich bewusst an den Anfang meiner Rede. Denn, meine Damen und Herren, es steht einem Landtag nicht zu, Vergangenheit zu ändern. Es steht einem Landtag aber durchaus zu, Vergangenheit zu bewerten.

Lassen Sie mich, bevor ich auf einige ausgewählte Ergebnisse der Enquetekommission eingehe, drei grundsätzliche Vorbemerkungen zur Arbeit der Kommission machen. Die erste Vorbemerkung betrifft das Gremium als solches.

Enquetekommissionen wurden Anfang der 1990er-Jahre vom Landtag als Möglichkeit geschaffen, zentrale künftige Entscheidungen des Parlaments fundiert vorzubereiten. Daher heißt es in § 1 Abs. 1 des entsprechenden Gesetzes:

„Enquete-Kommissionen des Landtags haben die Aufgabe, umfangreiche Sachverhalte, die für Entscheidungen

des Landtags wesentlich sind, durch Sammlung und Auswertung von Material sowie durch Anhörung von Sachverständigen zu klären.“

Zwei Enquetekommissionen, eine im Jahr 1997 und eine im Jahr 2011, wurden mit genau dieser - eigentlichen - Intention auf den Weg gebracht.

Vor diesem Hintergrund ließe sich trefflich darüber streiten, ob eine Enquetekommission das geeignete Instrument ist, eine größtenteils historische Aufarbeitung vorzunehmen.

Meine Fraktion hatte von Beginn an die Gefahr gesehen, dass Aufarbeitung und aktuelle politische Auseinandersetzung vermischt und die Kommission instrumentalisiert wird. Die meisten Rednerinnen hatten in der Debatte zur Einsetzung im März 2010 zwar betont, dies nicht zu wollen, die Anfangsmonate unserer Beratungen haben allerdings die Befürchtungen der Linken bestätigt.

Die ersten Sitzungen waren von einem hohen Erregungsgrad und von medial ausgetragenen Deutungskämpfen bestimmt. Ich will deshalb an dieser Stelle allen Mitgliedern der Kommission dafür danken, dass wir im weiteren Verlauf mehr und mehr zu einer sachlichen Debatte gekommen sind. Ich gebe hier ganz ausdrücklich meinen Dank an den Kollegen Dombrowski zurück.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die zweite Vorbemerkung: Ein Gremium eines Parlaments ist immer, auch wenn es mit wissenschaftlichem Sachverstand bereichert wird, ein parlamentarisches und damit politisches Gremium. Das wirft die Frage auf, ob ein dezidiert politischer Blick ein guter Ausgangspunkt für eine Aufarbeitung sein kann.

Betrachtet man die verschiedenen Facetten der Aufarbeitung, so ist die juristische weitgehend abgeschlossen. Die historische kann aber, schon nach dem Selbstverständnis der Historiker, bestenfalls am Anfang stehen. Hinzu kommt, dass eine Enquetekommission keine Historische Fakultät ist. Ich erinnere an die Abgeordnete Geywitz, die in der Debatte zur Einsetzung vor vier Jahren mahnte - Zitat -, „die Suche nach der Wahrheit nicht in eine Kommission zu delegieren“.

Der von der Kommission im November 2010 angehörte Prof. Meier von der LMU München hat dazu einen bemerkenswerten Satz gesagt:

„Ich bin der Meinung, dass eigentlich die Geschichte eines Staats, wenn er unterlegen ist oder sogar aufgelöst wird, von den Besiegten geschrieben werden muss.“

Er präzisierte auf Nachfrage: „von jemandem, der Vertreter der DDR gewesen ist, der an die DDR geglaubt hat, sie regiert hat.“

Unter diesen Voraussetzungen konnte der Anspruch der Enquetekommission nie sein, sich umfänglich und abschließend mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur und mit deren Folgen zu befassen. Wir haben einen politisch bewusst gesetzten Ausschnitt betrachtet und diesen mit wissenschaftlicher Unterstützung letztlich auch politisch bewertet.

Dritte Vorbemerkung: Nicht erst in den 40 Sitzungen der En

quetekommission fand Aufarbeitung im Land Brandenburg stand. Immer wieder wurde behauptet, über die DDR-Vergangenheit sei im Land und im Landtag geschwiegen worden. Auch Herr Vogel hat in seiner Rede zur Einsetzung der Enquetekommission im März 2010 von „Vertuschung und Verharmlosung“ und von „Jahren des Schweigens“ gesprochen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Sicherheit ist in den Jahren vor 2009 nicht so intensiv über die DDR, die Wende und die Folgen der SED-Diktatur diskutiert worden; aber es gab Debatten, es gab Veranstaltungen, es gab Publikationen und es gab intensive Auseinandersetzungen. Das Thema war in der historischen Forschung und auch in der politischen Bildung immer präsent, wie Aktivitäten des ZZF und der Landeszentrale für politische Bildung beweisen.

Nur weil Debatten nicht immer einer großen medialen Aufmerksamkeit unterliegen, nur weil sie nicht laut sind, heißt das nicht, dass geschwiegen würde. Ich will hier gar nicht auf die zahllosen Aktivitäten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Naumann-Stiftung, der Ebert-Stiftung, der Adenauer-Stiftung etc. eingehen. Ebenso wenig will ich anführen, was innerhalb der Parteien, gerade auch innerhalb der PDS, in den 90er-Jahren an Diskussionen stattgefunden hat.

Allein die Suche der Parlamentsdokumentation zum Stichwort „DDR“ zeigt für die 1. Wahlperiode 223, für die 2. Wahlperiode 195, für die 3. Wahlperiode - diejenige mit der ersten CDU-Regierungsbeteiligung - 61 und für die 4. Wahlperiode 306 parlamentarische Fundstellen. Ähnliches gilt für das Stichwort „SED“.

Ich möchte auch an die unterschiedlichsten Debatten im Landtag erinnern: im Januar 1992 zur Einsetzung der Stolpe-Untersuchungsausschusses, im Juni 1994 über den Abschlussbericht des entsprechenden Untersuchungsausschusses, im Dezember 1994 über das Vermögen von DDR-Parteien und -Massenorganisationen, im Januar 1995 über den Umgang mit der Überprüfung im öffentlichen Dienst, im September 1995 über den Bericht der Landesregierung genau zu diesem Thema, im Februar 1998 über die Entschuldung von LPG-Nachfolgeeinrichtungen, im Juni 1998 über die Diskriminierung von DDR-Abschlüssen - und viele weitere.

Der Landtag hat zu diesem Thema nie geschwiegen. Die Debatten über DDR, SED, Stasi und Aufarbeitung hätten sicherlich umfassender sein können. Das lässt sich im Rückblick immer gut sagen.

Ich bin mir auch sicher, dass die Einsetzung einer Beauftragten für die Bewältigung der Folgen der SED-Diktatur schon in den 1990er-Jahren noch einmal eine Aufwertung und Intensivierung dieser Auseinandersetzung gebracht hätte. Aber ich wiederhole erneut: Zu behaupten, es sei bewusst geschwiegen worden, ist genauso falsch wie zu behaupten, es habe keinerlei Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gegeben.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Kommission hatte einen umfangreichen Auftrag zu vielen einzelnen Themen abzuarbeiten, und obwohl wir auch über wirtschaftliche Probleme und Demokratiedefizite gesprochen haben, lag doch der Schwerpunkt auf den direkten Folgen der SED-Diktatur und dem Umgang der Gesellschaft mit den Eli

ten der DDR und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des MfS. Das verwundert schon deshalb nicht, weil diese beiden Bereiche das größte öffentliche Interesse erzeugen und mit ein Anlass für die Einsetzung dieser Kommission waren.

Ob eine bestimmte Koalition Grund genug für eine dauerhafte, hitzige öffentliche Debatte über SED und Stasi und für eine Aufarbeitung im Landtag ist, mag jede und jeder individuell für sich bewerten. Aber ganz objektiv hat es neben den lange bekannten Abgeordneten mit MfS-Vergangenheit in meiner Fraktion in den Anfangsmonaten der rot-roten Koalition zwei neu veröffentlichte Fälle von IM-Tätigkeit in unseren Reihen gegeben. Von daher waren Fragen berechtigt; von daher war der Wunsch nach Aufklärung nicht von der Hand zu weisen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle für die Abgeordneten, die nicht die Kraft hatten, entsprechend den Parteibeschlüssen der Linken mit ihrer Biografie in Gänze transparent umzugehen, bei den Wählerinnen und Wählern um Entschuldigung bitten.

Der Abschlussbericht enthält neben der Zusammenfassung unserer Arbeit auch zahlreiche Handlungsempfehlungen. Beides kann man an dieser Stelle wegen der gebotenen Ausführlichkeit unmöglich widergeben, deshalb möchte ich mich auf wenige Punkte beschränken.

Erstens. Entgegen den Erwartungen einiger Kommissionsmitglieder hat sich im Rahmen unserer Arbeit gezeigt, dass Brandenburg nach der Wende keinen grundlegend anderen Weg beschritten hat als die anderen ostdeutschen Bundesländer. Die gesetzlichen Bestimmungen, zum Beispiel für den Umgang mit Opfern des SED-Regimes, für den Umgang mit Staatseigentum oder mit Eigentumsansprüchen galten bundesweit.

Brandenburg ist hierbei in einigen Bereichen anders verfahren als andere, das ist richtig. So wurde hier zum Beispiel bei der Überprüfung der Landesbediensteten auf MfS-Tätigkeit der jeweilige Einzelfall geprüft. Dieser Weg erwies sich als gerichtsfest. Im Gegensatz zu anderen ostdeutschen Bundesländern konnte sich in Brandenburg kaum jemand nach der Entlassung wieder in den Landesdienst einklagen. Das bedeutete ein höheres Maß an Rechtsfrieden.

Zweitens. Brandenburg hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen positiv entwickelt. Dazu hat der oft konsensorientierte Weg Anfang der 1990er-Jahre beigetragen. Die Politik und die Gesellschaft standen direkt nach der Wende vor großen Herausforderungen. Damit ist nicht nur die Aufarbeitung der Vergangenheit gemeint, sondern vor allem der Aufbau einer funktionierenden Demokratie, der Auf- und Umbau einer tragfähigen Verwaltungsstruktur auf Landes- und auf kommunaler Ebene, die Herausforderungen des Arbeitsmarktes, der Umgang mit munitionsbelasteten Flächen und vieles, vieles weitere.

Es waren - ich sage das als junger Abgeordneter mit großem Respekt vor den Leistungen der Menschen im Land und der Abgeordneten der 1. Wahlperiode - anspruchsvolle, arbeitsreiche und oft beschwerliche Jahre des Neubeginns. Den Brandenburgerinnen und Brandenburgern ist hier durch große Kraftanstrengung wirklich Beachtliches gelungen. Diese Energie konnte mobilisiert werden, weil man gemeinsam und im Konsens versucht hat, die Dinge anzupacken. Allein die Diskussionen um die neue Landesverfassung waren in ihrer Breite, in ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Meinungen und

in ihrem Wunsch, viele unterschiedliche Positionen zu vereinen, ein Musterbeispiel für einen demokratischen Prozess. Man mag diesen Prozess abschätzig als „Brandenburger Weg“ abtun. Aber es war der Versuch, gemeinsam für dieses Land etwas zu erreichen, niemanden auszugrenzen und möglichst viele auf den Weg in das neue Brandenburg mitzunehmen. Oder, um es mit den Worten Manfred Stolpes zu sagen:

„Der Brandenburger Weg war der Versuch, die Transformation sach- und menschengerecht zu vollziehen.“

Drittens. Im Laufe unserer Arbeit wurden einige Lücken bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte und des Überganges in das politische System der BRD aufgedeckt, die jetzt zügig geschlossen werden sollten. Auch hierzu kann ich nur einige Beispiele anführen.

Dazu zählt zuerst eine bessere Unterstützung der Opfer der SED-Diktatur. Damit sind nicht nur die finanziellen Unterstützungen im Rahmen eines Härtefallfonds oder bessere Regelungen zur Rehabilitierung gemeint, sondern auch eine breitere öffentliche Würdigung und eine größere Anteilnahme an den zahlreichen Schicksalen der Opfer. Es war schon sehr berührend, die Berichte der Menschen in der Kommission zu hören, und es war wichtig, ihnen Gehör zu verschaffen.

Lücken zu schließen heißt aber auch, dass in den Fällen, in denen in den 1990er-Jahren keine Überprüfung der Landesbediensteten auf MfS-Tätigkeit stattgefunden hat, diese nun nachgeholt werden soll. Hierbei sollte auch der Landtag als Beispiel vorangehen und künftig seine Abgeordneten wieder auf Stasitätigkeit überprüfen.