Des Weiteren liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Drucksache 5/8815, vor.
Ich fordere die Parlamentarischen Geschäftsführer, so sie denn im Raum sind, auf, dafür zu sorgen, dass die Abgeordneten trotz kurzer Mittagspause an der für alle wohl doch wichtigen Debatte teilnehmen.
Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Vorsitzenden der Enquetekommission. Frau Abgeordnete Melior, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Als ich im Herbst 2010 den Vorsitz der Enquetekommission zur Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg übernommen habe, fragten mich Journalistinnen und Journalisten, was ich denn davon eigentlich erwarte. Ich antwortete, dass ich es gut finde, nach über 20 Jahren Brandenburg einmal innezuhalten, sich umzudrehen und den Blick nach hinten zu richten, um unaufgeregt und gelassen die Fragen zu beantworten: Was ist gut gelaufen? Was haben wir richtig entschieden? Was kann noch besser werden? Und: Welche Aufgaben liegen noch vor uns?
Da ich dieses Vierteljahrhundert auch zehn Jahre lang im SPDLandesvorstand, später in meiner Gemeinde und meinem Landkreis sowie - seit 2004 - als Mitglied des Landtages Brandenburg ganz persönlich mitgestalten durfte, sind das natürlich auch Fragen, die ich an mich selbst richte. So geht es vielleicht auch Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Die Enquetekommission 5/1 hat in den vergangenen vier Jahren im Auftrag des Landtages Brandenburg auf die noch „rauchende“ jüngste Geschichte Brandenburgs zurückgeblickt. Dabei waren wir fast alle immer in einer Doppelrolle: einmal als Beteiligte, als Zeitzeugen, zum anderen als Zurückblickende, heute Bewertende.
Am 10. Juni 2010 kamen die 14 Mitglieder unserer Kommission zu ihrer ersten - konstituierenden - Sitzung zusammen: sieben Abgeordnete und sieben von den Fraktionen benannte Sachverständige. Ich danke allen Beteiligten ganz herzlich für ihre geleistete Arbeit.
Mit beratender und, wie ich gern hinzufüge, sachkundiger Stimme nahm auch Ulrike Poppe, die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, an unseren Sitzungen teil. Seitens der Staatskanzlei wurden wir durch Ines Hildebrandt begleitet. Dafür ein herzliches Danke an beide Frauen!
Meine Damen und Herren! 40 Mal hat die Enquetekommission seit 2010 öffentlich getagt. 34 Gutachter haben in unserem Auftrag Expertisen zu 28 Einzelthemen erstellt. Wir haben 77 Zeitzeugen und Sachverständige angehört.
Als Kommission wollten wir uns nicht nur auf Mutmaßungen, gefühlte Wahrheiten, alte Vorurteile - positive oder auch negative - zurückziehen, sondern wir wollten wissen, wie es tatsächlich um den Umgang mit der DDR-Vergangenheit in unserem Land Brandenburg bestellt ist.
Und wir wollten wissen, ob der Übergang in einen demokratischen Rechtsstaat tatsächlich gelungen ist. Wir haben eine Umfrage in Auftrag gegeben, die uns wertvolle Daten geliefert hat, wie es darum bestellt ist. Wir empfehlen, diese Umfrage regelmäßig zu wiederholen.
Meine Damen und Herren! Wir hatten nicht den Anspruch, wirklich alle Themen zu untersuchen, alle Details zu bearbeiten. Dennoch wird, wer den Bericht aufmerksam liest, feststellen, dass wir das Feld der jüngsten brandenburgischen Geschichte nicht nur in der Breite, sondern an einigen Stellen auch erheblich in der Tiefe bearbeitet haben. Wir haben in der Enquetekommission vorhandenes Wissen gebündelt und fehlendes Wissen erstmals erschlossen.
Wir haben uns bemüht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen - mit den Menschen, die von den Nachwirkungen der DDR-Vergangenheit bis heute in besonderem Maße betroffen sind. Die Begegnung mit Brandenburgerinnen und Brandenburgern, die vor 1990 aus politischen Gründen verfolgt, benachteiligt und schikaniert wurden, war - ich spreche hier im Namen aller Mitglieder der Enquetekommission - eine sehr bereichernde und bewegende Erfahrung.
Es war alles andere als selbstverständlich, dass diese Menschen die Mühe auf sich genommen haben, uns zu helfen und uns mit ihren Beiträgen voranzubringen. Das haben wir alle schnell bemerkt; dazu gibt es auch entsprechende Handlungsempfehlungen.
Meine Damen und Herren! Unser Abschlussbericht gibt die wesentlichen Fakten und Rechercheergebnisse wieder und zeichnet die Diskussionsverläufe nach. Er macht deutlich, an welchen Stellen die Mitglieder der Kommission gemeinsame und an welchen sie unterschiedliche Positionen bei der Bewertung der Gründungs- und Aufbaugeschichte des Landes Brandenburg vertreten.
In großen Teilen ist der heute vorliegende Bericht in einem abwägenden, oft mehrere Perspektiven widerspiegelnden Ton gehalten. Mancher mag sich hier mehr Eindeutigkeit und weniger Sowohl-als-auch gewünscht haben. Ich glaube aber, dass gerade diese Vielfalt, der Verzicht auf die eine Geschichtserzählung, die eine Interpretation die Qualität unseres Berichts ausmacht.
Die Vielfalt der Perspektiven ist natürlich auch der politischen Heimat und dem beruflichen Hintergrund der Kommissionsmitglieder geschuldet. Natürlich spielten zudem unsere ganz persönlichen Erfahrungen eine Rolle. Abgeordnete aller fünf Fraktionen und von diesen benannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Brandenburger und Berliner Menschen, die, so wie ich, einen wichtigen Teil ihres Lebens in der DDR verbracht haben, in Distanz - wie ich - oder in großer Nähe zum Staat - wie andere -, jüngere Abgeordnete, die erst nach 1989 volljährig wurden, oder solche, die im Westen Deutschlands gelebt hatten und nach 1990 Brandenburger wurden, saßen in dieser Kommission nebeneinander.
Dass wir unseren Abschlussbericht mit nur einer Gegenstimme verabschieden konnten, heißt nicht, dass die Enquetekommission eine Kuschelrunde war. Sie alle wissen, dass es insbesondere in der Anfangszeit manch scharfe Auseinandersetzung gab. Die Geschichte - gerade die jüngste Geschichte - dampft noch. Sie ist für die meisten von uns Teil unseres Lebens, eben nichts Abstraktes, sondern etwas, was auch betroffen macht.
Der Streit über Bewertungen gerät leicht zum Streit über Weltbilder, über Ideologien, über Richtig oder Falsch. Umso mehr ist es zu würdigen, dass sich dieses parlamentarische Gremium über Parteigrenzen hinweg in einem intensiven Abwägungsprozess auf einen Abschlussbericht geeinigt hat, der unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungen widerspiegelt, sich aber bei aller Vielfalt der Perspektive nicht um klare Worte drückt und der in eine Reihe konkreter und, wie wir denken, sehr beachtenswerter Handlungsempfehlungen mündet.
Wer unserem Land Brandenburg immer noch und fast schon gebetsmühlenartig eine „Kultur des Schweigens“ unterstellt, hat in den vergangenen Jahren absichtlich weggehört.
Tatsache ist: Es gab Versäumnisse im Reden, und es gab Unterlassungen im Handeln, was die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit angeht. Die Rede von einer „Kultur des Schweigens“ unterstellt jedoch eine Verabredung zum Verdrängen, die es in der Brandenburger Politik nie gab. Und sie negiert all das, was in den vergangenen Jahren unter anderem mit der Berufung von Frau Poppe, mit dem neuen Abgeordnetengesetz und nicht zuletzt mit der Enquetekommission 5/1 erreicht wurde.
Die Arbeit der Enquetekommission hat noch einmal und im Detail gezeigt, dass wir im Land Brandenburg den Übergang in einen demokratischen Rechtsstaat gut und schnell gemeistert
haben. Grundlegende Fehlentwicklungen, die die Stabilität unseres Gemeinwesens infrage stellen, hat es nicht gegeben. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger können sich auf das Funktionieren des Rechtsstaates in unserem Bundesland verlassen.
Meine Damen und Herren! Noch einmal ein ganz herzliches Danke an die Mitglieder der Enquetekommission, aber auch an die Referentinnen und Referenten - Dr. Andreas Stirn, Franziska Kuschel, Dr. Christina Trittel, Franziska Anhoff - und die Mitarbeiter der Fraktionen, ohne die wir diese große Aufgabe nicht hätten bewältigen können.
Der Landesregierung danke ich an dieser Stelle für teils umfangreiche und zeitaufwendige Zuarbeiten. Dem Brandenburgischen Hauptarchiv gilt mein Dank für die schnelle Bereitstellung von Akten. Auch beim stellvertretenden Vorsitzenden der Kommission, Herrn Dieter Dombrowski, möchte ich mich ganz herzlich für seinen Einsatz und die Übernahme mehrerer Sitzungen bedanken.
Nicht zuletzt danke ich den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihren Zuschriften oder durch ihre Teilnahme an den Sitzungen unsere Arbeit verfolgt und kritisch unterstützt haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie unseren Bericht nicht nur zur Kenntnis, sondern nehmen sie ihn zum Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen innerhalb und außerhalb des parlamentarischen Rahmens. Nehmen sie ihn vor allem zum Ausgangspunkt für entsprechende Initiativen.
Die gleiche Bitte geht an die Vertreter der Landesregierung. Sie werden in unseren Empfehlungen an einigen Stellen direkt zum Handeln aufgefordert. Nehmen Sie den Bericht unserer Enquetekommission ernst und übersetzen Sie seine Empfehlungen in exekutives Handeln.
Das, meine Damen und Herren von den Oppositionsfraktionen, nehmen wir ernst - SPD und Linke. Auch unsere Arbeit in der Enquetekommission haben wir ernst genommen. Deshalb braucht es den heute vorliegenden Entschließungsantrag nicht.
Er scheint mir aus dem Boden gestampft zu sein und ähnelt einem Stöckchen, das immer hingehalten wird. Wir werden dem nicht zustimmen, denn wir fühlen uns an die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission auch so gebunden.
Meine Damen und Herren! Wir, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, haben das Land Brandenburg wesentlich mitgestaltet. Die SPD stellte in den vergangenen 24 Jahren immer die stärkste Fraktion. Wir waren an allen Landesregierungen als führende Kraft beteiligt. Wir stellten bzw. stellen die Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und heute - Dietmar Woidke.
Zumindest aber haben wir unseren Auftrag, den wir von den Wählerinnen und Wählern erhalten haben, immer ernst genommen: das Land voranzubringen und die drängendsten Probleme zu lösen. Das waren in den 1990er Jahren vor allem eine hohe Arbeitslosigkeit - besonders unter jungen Menschen -, der Umbau der Sozialsysteme, der Aufbau einer freien, unabhängigen Gerichtsbarkeit, die Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung sowie der Aufbau einer eigenen Hochschullandschaft und eines guten, tragfähigen Bildungssystems.
Meine Damen und Herren! Die immer wiederkehrende Bemühung, Brandenburg als „kleine DDR“ zu bezeichnen, tragen wir nicht mit; denn das sehen wir natürlich anders. Ich wollte weder die kleine noch die große DDR wiederhaben. Wie mir ging es vielen Brandenburgerinnen und Brandenburgern.
Es hat die „kleine DDR“ auch nicht wirklich gegeben. Die Ergebnisse der von uns als Kommission in Auftrag gegebenen Meinungsumfrage haben nicht grundsätzlich überrascht; überrascht haben eher ihre Klarheit und Deutlichkeit. Man kann das geringe Vertrauen in Regierungen, Institutionen, Parteien und Medien als heimliche Sehnsucht nach der DDR interpretieren. Aus meiner praktischen Erfahrung - ich glaube, das ist die Erfahrung vieler Mitglieder des Landtages - scheint mir außer der ausgeprägten Skepsis und geringen Vertrauensseligkeit der Brandenburgerinnen und Brandenburger nichts dafür zu sprechen.
Dennoch: Die Demokratie in Brandenburg ist stark und widerstandsfähig. Blickt man die letzten 24 Jahre zurück, war der aufkommende Rechtsextremismus in den 90er-Jahren die größte Herausforderung, die bisher in dieses Parlament reichte. Das Problem ist noch immer nicht aus der Welt. Aber die Demokratie in Brandenburg hat sich als wehrhaft und stabil erwiesen. Dafür gilt unser Dank all denen, die sich aktiv daran beteiligt haben und noch immer - Tag für Tag - beteiligen.
Meine Damen und Herren, in der Enquetekommission ist viel über den sogenannten Brandenburger Weg diskutiert worden. Manchmal hat meine Partei sich auch daran erfreut und gedacht, wir hätten mit Polikliniken und dem Erhalt von Kindertagesstätten diesen Brandenburger Weg erfunden. Andere haben in ihm das Übel an sich gesehen und alles über den Umgang mit der Stasi bewertet. Am Ende mussten wir feststellen: Es hat den Brandenburger Weg nicht wirklich gegeben.
In allen ostdeutschen Ländern ist der Transformationsprozess ähnlich gelaufen. In Dresden, Erfurt, Magdeburg und Schwerin gab es die gleichen Herausforderungen, oft sogar die gleichen Aufgaben und Lösungen. Und selbst wenn - wie in Sachsen mit den Förderbedingungen für die Wirtschaft - abgewichen wurde, dann gab es das gleiche Ergebnis. So lautet dann auch eine Erkenntnis im Bericht:
„Die Gutachten und Diskussionen in der Enquetekommission 5/1 haben gezeigt, dass es den ‚Brandenburger Weg‘ nicht gab - zumindest nicht mit einem eindeutigen Profil. Positiv dargestellt werden einige Entscheidungen zu Beginn der 1990er-Jahre, die konsensual und im konstruktiven Miteinander getroffen wurden. Kritisch betrachtet werden die Brandenburger Besonderheiten beim Umgang mit dem DDR-Unrecht sowie mit Personen, die
für das Ministerium für Staatssicherheit tätig waren. Insbesondere das Fehlen eines eigenen Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur war für die Opfer der DDR-Diktatur von Nachteil. Die Verwendung des Begriffs ‚Brandenburger Weg‘ hängt demzufolge sehr von der jeweiligen Perspektive ab.“
Meine Damen und Herren, es gehört aber auch zur Wahrheit, dass es in Brandenburg kein Verbot gab, über die jüngste Vergangenheit und ihre Wirkung in die Gegenwart zu sprechen es war schlicht kein Thema. Wie wir festgestellt haben, spielte die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit bei keiner Partei, aber auch nicht bei der Presse oder bei Vereinen und Verbänden eine größere Rolle. Das hat sich durch die Arbeit der Kommission geändert. DDR- und Transformationsgeschichte sind aus ihrem thematischen Nischendasein heraus. Ein aktuelles Beispiel dazu: