Protocol of the Session on February 27, 2014

Nun möchte ich einfach noch einmal darauf hinweisen, dass wir versucht haben - das hat Thomas Günther ausführlich dargestellt -, dem Problem beizukommen, was uns bedauerlicherweise in Luckenwalde noch nicht gelungen ist. Aber Rezepte dafür habe ich von Ihnen nicht gehört, was ich besonders bedaure.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Frau von Halem setzt die Debatte für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Wir unterstützen ganz klar diesen Antrag. Es ist Aufgabe der Bildungspolitik, der Planung, angemessene Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. Trotzdem wird es Unterrichtsausfall immer geben, der in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach noch viel schlimmer werden wird.

Ein frühzeitiges Meldesystem ist zwar eine schöne Idee, aber der Kern der Sache liegt woanders. Es ist schon erschütternd zu sehen, wie die Beschwichtigungsrhetorik des Ministeriums ein Problem herunterspielt, das einem überall, an jeder Schule, an die man kommt, entgegengehalten wird und real einen Höchststand erreicht hat.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU)

Egal, wo man hinfährt - überall wird darüber geklagt.

Und einmal ganz nebenbei: Das so wichtige Projekt der Inklusion fahren Sie damit gegen die Wand, denn allerorten werden die Lehrerwochenstunden, die für den sonderpädagogischen Einsatz vorgesehen sind, für Vertretung eingesetzt. Da nützt es auch nichts, in der VV-Unterrichtsorganisation festzuschreiben, das solle nur in Ausnahmefällen passieren.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau von Halem?

Ja. - Diese Ausnahme ist längst die Regel. - So, bitte die Frage.

Frau von Halem, können Sie sich vorstellen, dass der Zustand nichterteilten Unterrichts, der zu einer nicht erteilten Zeugnisnote führt, möglicherweise nicht ursächlich damit zusammenhängt, dass Martina Münch Bildungsministerin ist, sondern möglicherweise in allen 16 Bundesländern traurige Realität ist, egal ob da Konservative, Grüne, Sozialdemokraten oder auch Liberale Kultusminister sind?

Traurige Realität ist Unterrichtsausfall.

Können Sie sich vorstellen, dass das anderswo auch eine Rolle spielt und nicht nur hier bei Martina Münch, die zufälligerweise gerade Ministerin ist?

Um sich das vorzustellen, braucht man nun wirklich nicht viel Fantasie. Selbstverständlich ist das traurige Realität. Trotzdem gibt es erstens schlimmere und weniger schlimme Zustände. Zweitens gibt es tatsächlich auch Möglichkeiten, mit denen man das zwar nicht vollständig hätte verhindern, aber mit denen man einiges hätte besser machen können.

(Müller ([DIE LINKE]: Welche denn?)

- Hören Sie mir zu. Ich komme noch darauf. - Das Konzept „Verlässliche Schule“ aus der letzten Legislaturperiode legt fest, dass es im Rahmen eines schulinternen Vertretungskonzepts jeder Schule obliege, Festlegungen zu treffen für die Verantwortlichkeit von Anlage und regelmäßiger Aktualisierung eines Pools von Unterrichtsmaterialien, der für Vertretungskräfte jederzeit verfügbar ist. Das wird unterschiedlich gehandhabt und gelingt offensichtlich nur sehr beschränkt.

Wer unterstützt eigentlich die Schulen dabei? Auf den Seiten des LISUM oder auf dem Bildungsserver sind keine Hilfestellungen für Vertretungskonzepte zu finden. Damit komme ich wieder auf mein Lieblingsthema Fortbildung zu sprechen. Punkt 1 von dem, was man besser machen könnte: Verfügen die Schulen vielleicht nicht über ausreichende Kenntnisse bei der Anlage solcher Materialien? Und warum muss das eigentlich in der Hand einzelner Schulen liegen? Wir haben doch landesweite Lehrpläne! Könnte nicht auf dem Bildungsserver Material landesweit angeboten werden? Wäre das nicht denkbar? Auch hier zeigt sich übrigens, dass wir bei dem Einsatz digitaler Lernmittel - darauf kommen wir heute noch zu sprechen - Nachholbedarf haben.

Eine weitere Frage drängt sich mir auf. Im Rahmen der Diskussion über Unterrichtsausfall wird immer wieder die Stillbeschäftigung gegeißelt: Kinder würden mit Stillbeschäftigung abgefertigt. Warum ist eigentlich die Stillbeschäftigung ein solches Unwort, wenn andererseits preisgekrönte Schulen dafür gerühmt werden, dass ihre Kinder sich so selbstständig Lerninhalte erarbeiten können? Wie passt das eigentlich zusammen? Wie kann es sein, dass einem zum Beispiel an der Waldhofschule in Templin erzählt wird, das mit der Inklusion und der individuellen Förderung gelinge so gut, weil durch die Selbstständigkeit der Kinder Lehrerkapazitäten frei würden, die zur individuellen Förderung genutzt werden können?

In dem preisgekrönten Evangelischen Gymnasium in Neuruppin unterrichten zuweilen Schüler der höheren Klassen die Jüngeren. Der Lehrer oder die Lehrerin sind dann zwischendurch auch einmal entbehrlich. Ich glaube nicht, dass die Schüler deswegen weniger lernen. Von den Lehrkräften lernen sie sowieso nur 20 % dessen, was sie überhaupt lernen - das gibt einem doch zu denken! Wir müssen weg von der Vorstellung, eine Lehrerin müsse eine Klasse frontal unterrichten, sonst lerne niemand etwas.

(Beifall B90/GRÜNE und des Abgeordneten Müller [DIE LINKE])

- Schön, dass Sie klatschen, Herr Kollege, dann haben Sie offensichtlich etwas von dem gehört, was ich vorschlage, was man besser machen könnte. - Um das zu schaffen, brauchen wir gute Lehrerteams, die sich untereinander absprechen und Unterricht gemeinsam planen. Dafür sind die meisten Lehrkräfte nicht ausgebildet. Und solange Fortbildung in diesem Land so stiefmütterlich behandelt wird, wird sich das wahrscheinlich auch nicht ändern.

Beim Vertretungsproblem ist Entwarnung wohl eher ein Wunschtraum, denn in den nächsten Jahren wird der Lehrermangel noch viel größer werden. Wenn die SPD jetzt vollmundig ankündigt, sie wolle in der nächsten Legislaturperiode 4 000 Lehrkräfte einstellen, dann müssen wir uns doch fragen, wovon sie eigentlich nachts träumt. 3 600 bräuchten wir alleine, um die

Abgänge auszugleichen. Gut die Hälfte davon bilden wir selber aus, die andere Hälfte müssen wir anwerben. Dass das angesichts vergleichbar schlechter Rahmenbedingungen jetzt mit einer Werbekampagne gelingt, halte selbst ich als Optimistin für eine reichlich waghalsige Annahme.

Seit 20 Jahren regiert die SPD im Bildungsministerium. Der Lehrermangel, den wir jetzt haben und auf den wir in noch größerem Umfang zusteuern, war lange vorhersehbar. Die SPD hat es versäumt, hier Vorsorge zu treffen, nämlich schon früher mehr Lehrkräfte einzustellen - das hätten Sie besser machen können. Deshalb werden wir über Vertretungsprobleme sicher noch lange reden.

(Beifall B90/GRÜNE und FDP)

Das Wort erhält die Landesregierung. Frau Ministerin Münch, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede ausgefallene Unterrichtsstunde ist natürlich eine Stunde zu viel. Daran habe ich auch gestern keine Zweifel gelassen. Wenn so viel Unterricht ausfällt, dass keine Zeugnisnote erteilt werden kann, ist das ein Zustand, der im Grunde nicht akzeptabel ist. Daran gibt es nichts zu deuten. Wir sollten alle Kräfte daran setzen - und das tun wir -, um so etwas zu vermeiden. Dass das nicht immer gelingt, haben meine Vorredner schon dargelegt.

Ich bin sehr erstaunt über Ihren Vorschlag, Frau von Halem, dass wir mehr Stillbeschäftigung machen sollten. Wir machen Stillbeschäftigung, vor allem in der Sek II, und das wird in der Regel als kein adäquater Unterrichtsersatz heftig angegriffen. Wenn Sie das jetzt anders sehen, begrüße ich das sehr, denn ich teile durchaus Ihre Auffassung, dass es andere Lernformen gibt und es tatsächlich so ist, dass man mit variablen Unterrichtskonzepten sehr viel auffangen kann. Genau das tun die Schulen mit dem Konzept „Verlässliche Schule“. Wenn man sieht, mit wie viel Ideen und Kreativität Unterrichtsausfall tatsächlich kompensiert wird und dass die Schulen alle Kraft daran setzen zu vermeiden, dass Unterricht komplett ausfällt, kann ich diesen Schulen auch nur Anerkennung zollen.

Was die Fortbildung betrifft, dazu kann ich nur sagen: Wir haben erst vor kurzem im Ausschuss über das BUS-System gesprochen; daher wissen Sie, wie systematisch und strukturiert hier Fortbildung tatsächlich funktioniert. Letzten Endes aber geht es darum, dass hier Schulen, Schulämter und das Ministerium sich sehr eng abstimmen, um Unterrichtsausfall zu vermeiden. Und natürlich geht es darum, dass die Zuständigen vor Ort diejenigen sind, die an erster Stelle stehen. Diese Zuständigen vor Ort müssen sich an die nächsthöhere Instanz, an das Schulamt wenden, wenn sie alleine die Lösung nicht finden. Wir im Ministerium sind selbstverständlich auch dafür da, diese Dinge zu koordinieren.

Deswegen haben wir ein noch engmaschigeres Vorgehen vorgeschlagen, gerade auch im Hinblick auf die unbefriedigende Situation in Luckenwalde. Wir haben sichergestellt, dass die staatlichen Schulämter das MBJS sofort über alle aktuellen

Notfallsituationen informieren. Und es ist eine Notfallsituation, wenn in einem Hauptfach - vor allem in einer Klasse, wo Abschlussprüfungen anstehen - kein Zeugnis erteilt werden kann. Das sollte mit allen Kräften vermieden werden. Frau Große hat schon gesagt, dass das in dem Fall auch intensiv versucht worden ist. Es gibt Fälle, wo das nicht hundertprozentig möglich ist, aber das versuchen wir zu vermeiden. In Zukunft werden die Schulen schon bei sich abzeichnenden längerfristigen Unterrichtsausfällen die zuständige Schulaufsicht informieren, um ganz früh alle Mittel einsetzen zu können.

Ich habe eine ausführliche Analyse zur Lehrkräftegesundheit erarbeiten lassen. Dabei hat sich gezeigt, dass der Krankenstand der Lehrkräfte in den letzten 10 Jahren um 1,4 % angestiegen ist. Deshalb haben wir das Gesundheitsmanagement für Lehrkräfte verstärkt und zusätzliche Lehrerstellen zur Vertretung langfristig erkrankter Lehrkräfte bereitgestellt. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir hier vor wenigen Wochen gemeinsam 10 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt haben, um 100 neue Stellen für die Vertretung langfristig erkrankter Lehrkräfte zu schaffen.

Ich freue mich auch sehr über die Möglichkeit, ein Vertretungsbudget in Eigenverantwortung der Schule bewirtschaften zu können. Die ersten Rückmeldungen, die ich bekommen habe, sind sehr positiv. Ich denke, wir sollten im April, Mai dieses Jahres hier gemeinsam Bilanz ziehen, ob dieses zusätzliche Instrument tatsächlich zu einer Verbesserung der Situation führt.

Sie wissen auch, meine Damen und Herren, die Vorredner haben es gesagt: Unterrichtsausfall wird sich nie zu 100 % vermeiden lassen - übrigens auch nicht, wenn CDU, FDP oder auch Grüne gemeinsam regieren sollten, was der Wähler hoffentlich nicht zulassen wird. Sie müssen nur in unser Nachbarland Sachsen schauen. Dort liegt der Unterrichtsausfall deutlich höher als bei uns. Das heißt, die Konzepte und Ideen sind im Grunde die, die wir hier auch ansetzen. Wir sind auch innerhalb der Kultusministerkonferenz im Gespräch, tauschen uns aus und lernen voneinander, dass es darum geht, möglichst schnell Ersatz zu schaffen.

Im Vertretungsfall ist es, wie gesagt, Aufgabe der Schule, durch die eigene Unterrichtsorganisation - dazu haben Sie einen wichtigen Vorschlag unterbreitet, der schon umgesetzt wird und die Nutzung des Vertretungsbudgets den Unterrichtsausfall zu minimieren. Wenn diese schulischen Maßnahmen nicht ausreichen, wenden sich die Schulen an das zuständige Schulamt. Sollte auch dieses keine Abhilfe schaffen können, um den Unterricht abzusichern, wird das Ministerium informiert, und es wird versucht, zusätzliche Möglichkeiten anzubieten.

Den Rückmeldungen zu dem landesweit geltenden Konzept „Verlässliche Schule“, das auch Bestandteil jeder Schulvisitation ist, kann entnommen werden, dass die Schulen dieses Konzept sehr verantwortungsvoll umsetzen. Sie können mir glauben, dass es einen Schulleiter nicht gleichgültig lässt, wenn Unterricht ausfällt. Die Schüler und die Eltern sind zuerst betroffen. Jeder Schulleiter geht sehr verantwortungsvoll mit diesem Instrument um. Wir sollten die Schulen auch insoweit intensiv unterstützen.

Die Vertretungskonzepte werden jährlich überprüft und weiterentwickelt. Die Schulen sind grundsätzlich in der Lage, den Unterrichtsausfall so gering wie möglich zu halten. Wir kön

nen aber immer noch besser werden; ich lade Sie gern ein, dazu beizutragen. Wir werden sinnvolle Konzepte weiterentwickeln und engmaschig überprüfen, was wie gut funktioniert. Ich bin froh, dass wir das zusätzliche Instrument des Vertretungsbudgets haben, um das Problem des Unterrichtsausfalls so gering wie möglich zu halten. - Vielen Dank.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Das Schlusswort hält die CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Petke spricht.

(Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE: Oh! - Bischoff [SPD]: Der Bildungspolitiker!)

Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Als ich den vorhergehenden Reden zuhörte, fiel mir auf, dass wir viel zu selten von den Kindern gesprochen haben.

(Widerspruch bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Frau Kollegin Große, wenn Sie sagen, Sie seien Pädagogin, dann ist das richtig; das haben Sie studiert. Sie haben aber in Ihrer Rede nicht einmal auf die Jungen und Mädchen Bezug genommen, die eben kein Englisch und kein WAT hatten. Da Sie von einem „Drama“ gesprochen haben, sage ich Ihnen: In der Zeit vom 10. bis 28. Februar sind am Friedrich-Gymnasium Luckenwalde über 100 Stunden ausgefallen und 86 Stunden Stillarbeit - oder: Selbstbeschäftigung - erteilt worden. Das sind insgesamt über 200 Stunden. Dieses Drama setzt sich fort!

(Beifall CDU - Zuruf der Abgeordneten Große [DIE LIN- KE])

Frau Kollegin Große, Pädagogin zu sein heißt doch noch lange nicht, in der Politik etwas Vernünftiges bewirken zu können. Ich hätte von Ihnen als Pädagogin erwartet, dass Sie klipp und klar sagen, was mit den Jungen und Mädchen passiert, die keinen Unterricht in Englisch, WAT, Sport, Erdkunde, Mathe, Physik und anderen Fächern hatten. Um nichts anderes geht es in unserem Antrag.

(Jürgens [DIE LINKE]: Wie Sie dieses Thema instrumen- talisieren, ist widerlich! Das ist wirklich widerlich, Herr Kollege!)

Herr Petke, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen? - Bitte, Frau Große.

Herr Petke, ich hätte gern gewusst, wie viele der von Ihnen aufgezählten Stunden zur Vertretung anfielen und wie viele dann vertreten worden sind. Sie haben hier eine Zahl genannt, die angesichts dessen, dass niemand die Schulgröße, die Anzahl der insgesamt zu unterrichtenden Stunden und die Zahl der Lehrer kennt, erst einmal gar nichts sagt.

Frau Kollegin Große, in dem Bereich kommen über 50 Stunden Vertretung hinzu. Die Zahl 231 bezieht sich auf Stunden, in denen der Unterricht nicht erteilt worden ist; da ist er nicht vertreten worden. Diese Zahl stammt nicht von mir, sondern von der Homepage des Friedrich-Gymnasiums. Wissen Sie, wer sie ausgerechnet hat? Die Chefin der Elternvertretung.

Sie alle - auch die Ministerin - sind eingeladen, zu der Demonstration am 5. März zu kommen. Wenn ein Vertreter der Linken kommt, kann er ja Ihre abgehobenen Worte - das sei alles gar nicht so schlimm, das sei normal, woanders sei es noch viel schlimmer, wir alle sollten froh sein, dass in Brandenburg so wenig Englisch-Unterricht ausfalle - wiederholen. Aber ich werde, sofern ich die Gelegenheit dazu habe, wiedergeben, dass Sie von „Drama“ und „Inszenierung“ reden. Ich glaube, die hundert Schüler, um die es da geht, reden nicht von „Drama“ oder „Inszenierung“.